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DOI: 10.1055/a-0976-5174
Essen
„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“
Bertolt Brecht (1898–1956), deutscher Dramatiker, Librettist und Lyriker
Wer mich kennt, weiß: Ich kann nicht kochen! Also ein Ei oder ein Schnitzel kann ich schon braten, dann ein paar Kartoffeln schälen und eine Büchse Mischgemüse öffnen und fertig ist ein Mittagessen. Das geht schon noch. Meine „Armen Ritter“ sind wirklich toll und Spaghetti gelingen immer. Aber bei allem, was über ganz, ganz primitive Hausmannskost hinausgeht, wird es für mich schwierig.
Als junge Frau hatte ich mal sehr kurz den Ehrgeiz, meine nicht vorhandenen Kochkünste etwas zu pimpen, und wollte die Familie mit einem Gulasch überraschen. Ich habe in dem einzigen Kochbuch, das in unserem Haushalt zu finden war, nachgelesen und mir Tipps von meiner Mutter geholt. Den Rat, das Fleisch sehr scharf, bis kurz vor dem Anbrennen anzubraten, habe ich damals wohl zu wörtlich genommen. Am Ende habe ich den Topf zusammen mit dem wohl zu scharf angebratenen Fleisch, das mit dem Topfboden eine schwarze nicht voneinander zu trennende Masse gebildet hatte, in den Müll geworfen. Was wir an diesem Tag dann gegessen haben, weiß ich nicht mehr.
Erstaunlicherweise ist mein Sohn dennoch gut gediehen. Zwei Meter groß, kräftig und offensichtlich ohne erkennbare Mangelerscheinungen. Noch erstaunlicher ist es aber, dass er jetzt als erwachsener Mann kocht. Und nicht nur Alltägliches. Nein, er macht aufwendige Braten, versucht sich in internationaler Küche oder experimentiert. Er legt viel Wert auf gute Arbeitsgeräte in der Küche, und seine KitchenAid oder sein superteures Messerset sind ihm heilig. Da haben sich die vielen Kochshows, die er mit mir sehen musste, doch gelohnt.
Aber wahrscheinlich durch diese meine Unfähigkeiten in der Küche weiß ich gutes Essen durchaus zu schätzen. Ich bin nicht nur ein guter Besteller bei diversen Lieferservices, ich bin auch guter Gast bei Freunden oder im Restaurant. Mir kann man mit gutem Essen immer eine Freude machen.
Auf die Idee, mal eine Kolumne über das Essen zu schreiben, bin ich am vergangenen Freitag gekommen. Ich hatte wie immer Frühdienst, was bedeutet, dass zwei Mahlzeiten an die Patienten auszuteilen sind. Wir sind eine kleine Klinik im Vergleich zu den großen staatlichen Häusern. Unsere Küche ist gut. Nicht sterneverdächtig, aber gut. Unsere Patienten wählen für alle drei Mahlzeiten eines Tages aus einem zwei DIN-A4-Seiten langen Wochenspeiseplan aus. Für das Frühstück stehen mehrere Sorten Brötchen und Brot, Butter, Margarine, diverse Marmeladen und Honig, Wurst und Käse, Joghurt, Milch und Kakao und natürlich Tee und Kaffee zur Auswahl. Für das Mittagessen stehen bei den Regelversicherten zwei und bei den Privatversicherten fünf Essen, Suppen, Salate und Desserts auf der Karte, und beim Abendbrot ist es ebenso vielfältig. Natürlich alles unter Beachtung und entsprechender Kennzeichnung diverser Stoffwechselerkrankungen, religiöser Einschränkungen und persönlicher Essgewohnheiten. Und die Patienten, egal welchen Versicherungsstatus sie haben, nutzen diese Wahlmöglichkeiten durchaus reichlich. Die Tabletts biegen sich fast. Oft denke ich, sollen sie nur. Sie sind ja schließlich krank. Oder ich vergleiche sie mit mir selbst, wenn ich in einem Hotel am Büfett beim Frühstück mal so richtig zuschlage. Nur – und das ist der kleine Unterschied – esse ich das, was ich mir vom Büfett hole, dann auch auf. Hingegen tragen wir auf Station oft mehr als die Hälfte des Bestellten wieder raus und es wandert in den Müll.
Am vergangenen Freitag gab es bei uns für die Patienten zum Mittag Lachs mit Wildreis und Spinat. Dazu eine Kürbissuppe, einen kleinen Salat und eine Orange. Ich trug ein solches Tablett zu einer jungen Frau. Sie hob den Deckel vom Hauptgericht und trug mir auf, das Ganze wieder mit hinauszunehmen. Denn so, wie das aussehe, esse sie es nicht. Ich war platt. In meiner kleinen kulinarischen Welt war das Essen ansprechend angerichtet, roch gut und war nebenbei auch noch von ihr so ausgewählt. Doch auch dieses Essen wanderte komplett in den Müll. Da blutet mir dann doch das Herz.
Ich möchte jetzt nicht den mahnenden Zeigefinger erheben. Jeder weiß, dass es Menschen auf der Welt gibt, die nicht einmal jeden Tag eine Mahlzeit haben. Ich muss gar nicht weit in die Welt gehen. Allein hier in München werden täglich 7.500 Kinder, die ohne Frühstück morgens aus dem Haus gehen müssen, von „brotZeit e. V.“, einer gemeinnützigen Initiative, mit selbigem versorgt. In jeder größeren Stadt gibt es eine „Tafel“.13 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich auf dem Müll.
Aber auch wenn ich im Krankenhaus liege, weiß ich doch, ob ich gewöhnlicherweise zum Frühstück eine Semmel oder zwei esse und muss nicht drei bestellen. Nur weil ich es kann. Ich weiß auch, ob ich Lachs mag oder nicht. Oder Kürbissuppe. Oder Salat. Das Ganze hat auch etwas mit Respekt zu tun. Respekt vor den Lebensmitteln sowieso. Aber auch Respekt vor der Leistung der Mitarbeiter in der Küche. Auch ich fühlte mich nicht besonders wohl, als ich das komplette Tablett wieder hinaustragen durfte.
Die großen Themen der Zeit sind doch Klimawandel, Nachhaltigkeit, Sparsamkeit, Ressourcenmangel und Verschwendung. Und mein Beispiel vom letzten Freitag zeigt eindrücklich, dass schon im ganz, ganz Kleinen jeder, sogar ein Patient, seinen Beitrag leisten könnte.
In diesem Sinne guten Appetit!
Ihre
Heidi Günther
Publication History
Article published online:
12 February 2020
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York