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DOI: 10.1055/a-1002-9807
Tinea pedum und verspätet erkannte Zehengangrän bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit
Athlete’s Foot and Overlooked Toe Necrosis in Peripheral Arterial Occlusive DiseaseKorrespondenzadresse
Publication History
Publication Date:
08 October 2019 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Klinischer Fall
- Konsequenzen für den Patienten
- Sachverständigen-Gutachten und Stellungnahme der Schlichtungsstelle
- Medizinische und rechtliche Interpretation
- Literatur
Zusammenfassung
Ein Patient wurde unter der Diagnose einer Tinea pedum durch Trichophyton rubrum von einem Dermatologen fachgerecht topisch antimykotisch behandelt. Bei Therapieresistenz und Befundverschlechterung erfolgte eine Umstellung der Lokaltherapie, jedoch keine weitere Diagnostik bez. ätiologischer und Risiko-Faktoren. Eine Vorstellung bei einer chirurgischen Praxis führte zur Diagnose einer umschriebenen Nekrose der 3. Zehe rechts bei bekannter peripherer arterieller Verschlusskrankheit und Immunsuppression mit nachfolgender Zehenamputation und kompliziertem Wundheilungsverlauf. Nach Facharztstandard lag ein Befunderhebungsfehler vor, der rechtlich zu einer Beweislastumkehr führt, sodass die Gesundheitsschädigung in Form des Voranschreitens einer Weichteil- und Knocheninfektion bei umschriebener Nekrose der 3. Zehe rechts mit Amputation dem Arzt zuzurechnen war.
Therapieresistente Fußmykosen und infizierte Fußläsionen erfordern unverzüglich intensive Behandlungsmaßnahmen und eine Fahndung nach Risikofaktoren wie eine gefäßdiagnostische Kontrolle.
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Abstract
A patient was diagnosed with tinea pedum due to Trichophyton rubrum and treated by a dermatologist with a topical antifungal. When the condition proved to be therapy-resistant and the symptoms worsened, the topical therapy was changed, but no further diagnostic examinations were undertaken with regard to aetiological and risk factors. When the patient presented to a surgeon, a diagnosis of circumscribed necrosis of the 3rd toe with known peripheral arterial occlusive disease and immunosuppression was made, followed by a toe amputation and complicated wound healing. According to the medical specialist standard, there was a diagnostic error which legally leads to a reversal of the burden of proof, so that the damage to the patient’s health in the form of progression of the soft tissue and bone infection with circumscribed necrosis of the 3rd toe and amputation was attributed to the dermatologist.
Therapy-resistant foot mycoses and infected foot lesions require immediate intensive treatment measures and a search for risk factors such as vascular diseases.
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Klinischer Fall
Eine Klinik für Innere Medizin stellte einen Patienten, der bei ihr in immunsuppressiver Langzeittherapie wegen eines Sjögren-Syndroms, einer monoklonalen Gammopathie sowie einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (paVK) mit Tibialisteilverschluss rechts und links und weiterer Erkrankungen war, bei einem Hautarzt vor. Der Patient war bereits vor Jahren in der Hautarztpraxis behandelt worden; damals wurde eine immunsuppressive Therapie dokumentiert. Im Rahmen der erneuten Konsultation wurde neben einer Hautkrebsvorsorgeuntersuchung die Diagnosedokumentation einer Tinea des Fußes rechts sowie die Anlage einer Pilzkultur im Zwischenzehenbereich festgehalten. Eine Lokaltherapie mit Triamcinolonacetonid 0,1 %, Clotrimazol 1 %, Pasta zinci mollis wurde eingeleitet. Eine Beschreibung des klinischen Befundes bzw. Erhebung der Anamnese u. a. zu Begleiterkrankungen war nicht aktenkundig. Die kulturelle mykologische Untersuchung ergab den Nachweis von Trichophyton rubrum. Wiedervorstellungen erfolgten nach ein und 2 Wochen laut Patientenkartei, wobei jeweils nachlassender Juckreiz, jedoch nässende bzw. irritierte Zwischenzehenräume als Hautbefund dokumentiert wurden. In Therapieumstellung wurden Batrafen-Puder sowie zusätzlich Betaisodona (Povidon-Jod-Lösung) verordnet. Im Rahmen dieser letzten Konsultation ist die anamnestische Angabe einer Medikation mit Methotrexat/Kortison ohne dokumentierten Hinweis auf Begleiterkrankungen aufgeführt.
Eine weitere Woche später erfolgte eine Konsultation in einer chirurgischen Gemeinschaftspraxis, wo eine umschriebene Nekrose der 3. Zehe rechts bei bekannter paVK und Mazeration des Interdigitalraumes D3/D4 rechts diagnostiziert wurde. Unter Verordnung einer intensiven Schmerztherapie wurde eine gefäßchirurgische Kontrolle mit angiologischer Diagnostik veranlasst. Nach weiterer Konsultation zur Intensivierung der Schmerztherapie erfolgte die Krankenhauseinweisung, wo der Patient unter den Diagnosen paVK vom Unterschenkeltyp beidseits, im Stadium IV nach Fontaine rechts, Sjögren-Syndrom, monoklonäre Gammopathie unbestimmter Signifikanz, arterielle Hypertonie behandelt wurde. Es erfolgte die Amputation der 3. Zehe rechts sowie nachfolgend weitere intensive gefäßchirurgische und konservative Maßnahmen. Aufgrund sekundärer Wundheilung am rechten Vorderfuß wurde 3 Monate später eine Sehnenresektion im Wundbereich durchgeführt. Nach weiteren 3 Monaten wurde die komplette Wundheilung dokumentiert.
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Konsequenzen für den Patienten
Der Patient bemängelte die Behandlung durch den Hautarzt. Im Rahmen der Therapie der Pilzerkrankung des rechten Fußes sei durch Unterlassung diagnostischer Maßnahmen bzw. Nichteinbezug von klinischen Symptomen und Schmerzzuständen in die Differenzialdiagnose eine fortschreitende arterielle Verschlusskrankheit nicht erkannt worden, sodass es zu einer Zehenamputation mit langzeitiger Nachbehandlung, erheblichen Schmerzzuständen und wesentlichen Einschränkungen des täglichen Lebens gekommen sei. Spätestens bei den Wiedervorstellungsterminen sei aufgrund der klinischen Symptomatik ein reaktionspflichtiger Befund zu erkennen gewesen. Bei rechtzeitiger Durchführung eines Gefäßscreenings hätte die medizinische Notwendigkeit zur sofortigen Intervention erkennbar sein müssen und der schwere Krankheitsverlauf wäre zu umgehen gewesen.
Er wandte sich zur Klärung an die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen.
Diese holte zunächst eine Stellungnahme des behandelnden Hautarztes ein, der einwandte, aufgrund des klinischen Befundes mit mazerierenden Zehenzwischenräumen sowie subjektivem Symptom Juckreiz sei die Diagnose eines Verdachts auf Tinea pedum zu stellen gewesen und eine antimykotische Lokaltherapie eingeleitet worden. Durch das Anlegen einer Pilzkultur sei mittels Nachweis von Trichophyton rubrum die Diagnose bestätigt worden. Der Juckreiz sei unter der Therapie rückläufig gewesen. Schmerzen seien nicht angegeben worden. Der Befund einer Verfärbung der 3. Zehe bzw. der Entwicklung einer Gangrän im Behandlungszeitraum wurde bestritten.
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Sachverständigen-Gutachten und Stellungnahme der Schlichtungsstelle
Der Gutachter der Schlichtungsstelle stellte fest, dass initial bei Erstbehandlung eine Fußmykose durch den Hautarzt korrekt diagnostiziert und indikationsgerecht behandelt worden sei. Die Diagnose sei mittels kulturellem Erregernachweis des häufig auslösenden Epidermophyten Trichophyton rubrum bestätigt worden. Die klinisch gestellte Diagnose sei fachgerecht mit Externa behandelt worden. Bei den Folgeterminen sei jedoch eine Verschlechterung des Lokalbefundes dokumentiert worden, die zwar zu einer Änderung der Lokaltherapie, jedoch nicht zur Veranlassung der Überprüfung weiterer Begleiterkrankung bzw. Risikofaktoren geführt habe. Im Wissen um die immunsystemunterdrückende Therapie mit Prednisolon/Methotrexat sei eine Erfragung von Begleiterkrankungen, die eine vorbestehende paVK ergeben hätte, geboten gewesen. Die Schilderung des Patienten von zunehmenden Schmerzen im Vorderfußbereich und der Verfärbung der 3. Zehe des rechten Fußes seien glaubhaft. Diese Symptome seien keine klinischen Zeichen für eine Fußmykose und hätten Veranlassung zu differenzialdiagnostischen Erwägungen geben müssen. Die zum ärztlichen Standard zählende Erhebung der Anamnese und der Prüfung der Tastbarkeit der Fußpulse hätte den Verdacht auf eine akute Durchblutungsstörung bei vorbestehender paVK bzw. einer Sekundärinfektion ergeben und zu einer Sofortüberweisung an einen Angiologen oder zur Einweisung in eine geeignete stationäre Einrichtung geführt, wo dringend gebotene weitere diagnostische Maßnahmen durchgeführt worden wären. Die laut Patientenkartei erfolgte Unterlassung der Erhebung der Krankenvorgeschichte und die Nichtdurchführung weitergehender klinischer Untersuchungen bei Krankheitssymptomverschlechterung trotz adäquater antimykotischer Therapie sei als fehlerhaftes ärztliches Handeln zu bewerten. Bei Einbezug der mykoseuntypischen Symptome hätte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit 2 – 3 Wochen früher eine fachgerechte Behandlung eingeleitet werden können. Das rasche Voranschreiten der Weichteil- und Knocheninfektion der 3. Zehe rechts möglicherweise infolge einer primär bestehenden Fußmykose sei durch die vorbestehende paVK und immunsuppressive Therapie begünstigt, jedoch durch die ärztliche Unterlassung weiterer diagnostischer Maßnahmen wesentlich verschlechtert worden. Als fehlerbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen seien zuzuordnen: Als Primärschaden das Voranschreiten einer Weichteil- und Knocheninfektion mit Entwicklung einer Nekrose der 3. Zehe mit Notwendigkeit zur Amputation, als Sekundärschaden eine Wundheilungsstörung nach Amputation mit Notwendigkeit einer Sehnenresektion im Wundbereich und Nachbehandlung bis zur vollständigen Wundheilung sowie der Folgezustand einer Fehlstellung der 2. Zehe rechts.
Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachter im Ergebnis an.
Entsprechend der Dokumentation wurde durch eine klinische Untersuchung die Diagnose einer Mykose des Fußes rechts erhoben und indikationsgerecht eine Lokaltherapie mittels antientzündlich/antimykotischer Kombinationsexterna korrekt eingeleitet. Die gleichentags durchgeführte kulturelle Pilzdiagnostik bestätigte im Nachhinein durch den Nachweis von Trichophyton rubrum die Diagnose ohne Ausschluss der Möglichkeit der Befundunterhaltung durch weitere Keime. Nach ärztlichem Standard sei für die klinische Erstdiagnose eine Anamneseerhebung und Erfragung von Dauermedikationen zu berücksichtigen. Spätestens zu dem ersten Wiedervorstellungstermin hätte die laut Patientenkartei erfolgte Befundverschlechterung trotz adäquater Therapie Anlass geben müssen, die Diagnose ärztlich zu überprüfen und vorliegende Risikofaktoren für eine Infektion der Zehenzwischenräume zu erkennen. Besonders angesichts der früheren Dokumentation einer immunsuppressiven Therapie in der Patientenkartei war die Erhebung von Vorerkrankungen zwingend geboten. Ausweislich der Unterlagen habe eine derartige Erhebung nicht stattgefunden, womit ein Befunderhebungsmangel vorliege. Dadurch sei möglicherweise eine Beweislastumkehr eingetreten. Die Voraussetzungen dafür seien hier erfüllt: Die adäquate Erhebung der Anamnese hätte mögliche auslösende Faktoren für eine erweiterte Wundinfektion sowie frühzeitig das Vorliegen einer paVK erkennen lassen. An die Tastung des Fußpulses als einfache Standardmaßnahme hätten sich weitere diagnostische Maßnahmen angeschlossen, die auf die Möglichkeit einer Dekompensation des Fußinfektes hingewiesen hätten. Infizierte Fußläsionen erfordern unverzüglich intensive Behandlungsmaßnahmen bzw. eine gefäßdiagnostische Kontrolle, um eine Verschlechterung verhindern sowie eine ungünstige Ausgangslage vermeiden zu können. Die dreimal in wöchentlichen Abständen erfolgten Patientenkonsultationen sprechen für einen ausgeprägten Behandlungsbedarf auch ohne Berücksichtigung der patientenseits angegebenen Schmerzsymptomatik. Eine Nichtreaktion auf den zu erwartenden Befund wäre als schwerer Behandlungsfehler zu bewerten. Vor dem Hintergrund der Beweislastumkehr reicht es für den Kausalitätsnachweis aus, dass die zu unterstellende fundamentale Verkennung des zu erwartenden Befundes oder die Nichtreaktion darauf generell geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen.
Die Beweislastumkehr beziehe sich im vorliegenden Fall auf folgenden primären und typischerweise damit verbundenen Gesundheitsschaden:
Voranschreiten einer Weichteil- und Knocheninfektion bei umschriebener Nekrose der 3. Zehe rechts mit Amputation.
Als fehlerbedingter Sekundärschaden sei die Wundinfektion anzusehen, die im Gefolge zu einer Resektion von nekrotischen Gewebeanteilen, intensive Wundnachbehandlungen sowie zu allgemeinen Nachsorgemaßnahmen bis zur abschließenden Wundheilung führte.
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Medizinische und rechtliche Interpretation
Fußinfektionen stellen ein häufiges Problem in der dermatologischen, aber auch der hausärztlichen, Praxis dar. Das spezifische physiologische Milieu im Fußbereich ist geprägt durch mögliche Hyperhidrose aufgrund der dichten Versorgung mit ekkrinen Schweißdrüsen, Okklusion durch Fußbekleidung und Schuhwerk und mögliche zusätzliche mechanische Belastung mit Folgen für das Mikrobiom im Fußbereich. Mykotische [1], aber auch bakterielle Infektionen [2] sind die häufige Folge. Das Risiko von Dermatomykosen und bakteriellen Fußinfektionen ist bei Patienten mit Diabetes, beeinträchtigter Immunantwort, Ulzera, peripheren Gefäßerkrankungen, fortgeschrittenem Alter und weiteren medizinischen Komorbiditäten erhöht [3].
Die Tinea pedis/pedum ist die häufigste Pilzerkrankung in westlichen Ländern; in Deutschland wird sie überwiegend durch Trichophyton rubrum verursacht. Die Diagnose einer Dermatomykose erfordert den mikroskopischen Nachweis von Pilzen unter Verwendung eines Kaliumhydroxidpräparates oder den fluoreszenzoptischen Blankophornachweis zusammen mit der Kultur [4]. Der histologische Pilznachweis mit der PAS- oder Grocott-Färbung setzt eine Biopsie voraus, die bei der Tinea pedis/pedum meist nicht erforderlich ist. Molekularbiologische Verfahren, die auf der Amplifikation von Pilz-DNA unter Verwendung spezifischer Primer für die verschiedenen Erreger basieren, sind mittlerweile in der mykologischen Routinediagnostik angekommen [5]. Aufgrund der Häufigkeit der Erkrankung tut der Dermatologe gut daran, bei Fußinfektionen differenzialdiagnostisch stets eine Dermatomykose zu berücksichtigen; dies darf ihn aber nicht davon abhalten, weitere differenzialdiagnostische Überlegungen bez. häufig sekundärer bakterieller Infektionen anzustellen, aber insbesondere auch Risikofaktoren für Fußinfektionen zu erwägen. Zu den disponierenden Faktoren zählen v. a. Durchblutungsstörungen der unteren Extremitäten, an erster Stelle die chronisch-venöse Insuffizienz, jedoch auch die periphere arterielle Verschlusskrankheit ([Abb. 1]) [6]. Daneben ist stets an eine krankheitsbedingte oder iatrogene Immunsuppression zu denken [4]. Gerade bei immunsupprimierten Patienten verlaufen Dermatophytosen besonders schwer und sind besonders therapieresistent [7].


Für das Erkennen klinischer Hinweise auf eine paVK sind die Anamnese und die sorgfältige klinische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der vaskulären Auskultations- und Palpationspunkte entscheidend. Anamnestisch ist insbesondere nach dem typischen Claudicatio-Schmerz (Schaufensterphänomen) und der schmerzfreien Gehstrecke zu fragen. Ruheschmerzen weisen auf eine kritische Ischämie der Extremitäten hin; häufig bessern sich diese beim Tieferlegen der Extremität. Nach der aktuellen Leitlinie zur paVK [8] weist die Kombination aus seitenvergleichendem Tasten des Pulsstatus und Auskultation zusammen mit einer Claudicatio-Anamnese einen Erfassungsgrad von 84 % für klinisch relevante Stenosen auf. Zusätzlich wird von der Leitlinie die einfach durchzuführende Ratschow-Lagerungsprobe (Ratschow-Test) empfohlen [9]. Neben Inspektion, Palpation und Auskultation gehört die dopplersonografische Messung der arteriellen Verschlussdrucke der A. dorsalis pedis und der A. tibialis posterior und ggf. der A. fibularis am liegenden Patienten und die Bildung des Knöchel-Arm-Index (ABI) zur orientierenden Basisuntersuchung des Gefäßstatus [8]. Mit diesen diagnostischen Techniken sind Dermatologen auch gemäß Weiterbildungsordnung vertraut [10]; sie gehören daher zum Facharztstandard Dermatologie. Weiterführende Untersuchungen wie die Duplexsonografie dürften spezialisierten Praxen und dermatologischen Kliniken vorbehalten sein; sie sollten bei begründetem Verdacht auf eine paVK veranlasst werden [11].
Rechtlich stand im vorliegenden Fall der „einfache Befunderhebungsfehler“ im Vordergrund. Dieser Begriff geht auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1987 zurück [12]. Ein Internist hatte eine dreizehnjährige Patientin wegen einer Bronchopneumonie antibiotisch behandelt, ohne einen auffälligen Röntgen-Thorax-Befund weiter abzuklären, sodass eine offene Lungentuberkulose erst mit erheblicher Verzögerung erkannt wurde. Der BGH stellte fest, dass der Internist sich nicht damit zufrieden geben durfte, dass die von ihm diagnostizierte akute Bronchopneumonie nach Behandlung mit Antibiotika alsbald abgeklungen war. Der Anfangsbefund auf der ersten Thoraxaufnahme ließ sich nach der auch beim Arzt vorauszusetzenden medizinischen Erfahrung nicht nur durch diese akute Erkrankung erklären, sondern war „unklar“ in dem Sinn, dass möglicherweise ein chronischer Krankheitsprozess vorlag, den es weiter abzuklären galt, v. a. durch eine weitere Röntgenkontrolle. Seine Einlassung, die Patientin und ihre Mutter hätten eine weitere Röntgenkontrolle abgelehnt, konnte er nicht beweisen. Wesentliches Diktum des BGH in diesem Fall war: „Hat der Arzt es schuldhaft unterlassen, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern, können dem Patienten Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes zugute kommen, wenn dadurch die Aufklärung eines immerhin wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und Gesundheitsschäden erschwert oder vereitelt wird und die Befundsicherung gerade wegen des erhöhten Risikos des in Frage stehenden Verlaufs geschuldet war“ [12]. 2013 wurde der Befunderhebungsfehler über das „Patientenrechtegesetz“ in Form des § 630 h Abs. 5 S. 2 BGB kodifiziert. Dabei wurde der Befunderhebungsfehler mit dem „groben Behandlungsfehler“ rechtlich gleichgestellt: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war. Dies gilt auch dann, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre.“ Es tritt also eine Beweislastumkehr ein, d. h., nicht der Patient hat die Pflicht zu beweisen, der Arzt habe fehlerhaft gehandelt und diese Fehlbehandlung sei Ursache seiner Gesundheitsschädigung, sondern der Arzt muss beweisen, dass die Gesundheitsschädigung nicht auf seinen Befunderhebungsfehler zurückzuführen ist. Damit stellt der einfache Befunderhebungsfehler eine zentrale und praktisch sehr relevante Form der Beweislastumkehr im Arzthaftungsprozess dar [13]. Zwar ist die Beweislastumkehr an die Voraussetzung geknüpft, dass der unterlassene Befund wahrscheinlich so deutlich und gravierend gewesen wäre, dass sich eine Verkennung als fundamental oder eine Nichtreaktion als grob fehlerhaft darstellen müsste [13]; dies schränkt die haftungsrechtliche Bedeutung des Befunderhebungsfehlers jedoch nur unerheblich ein. Da bei Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers der Beweis, die Kenntnis des Befundes hätte die Gesundheitsschädigung nicht verhindern können, häufig nicht gelingt, führt die Beweislastumkehr meist zur Anerkennung der Arzthaftung, wie dies vorliegend der Fall war.
Therapieresistente Fußmykosen und infizierte Fußläsionen erfordern unverzüglich intensive Behandlungsmaßnahmen und eine Fahndung nach Risikofaktoren wie eine gefäßdiagnostische Kontrolle. Werden weitere diagnostische Maßnahmen unterlassen, könnte ein „einfacher Befunderhebungsfehler“ vorliegen, der zu einer Beweislastumkehr führt; d. h. folgende gesundheitliche Schäden werden kausal dem Arzt zugerechnet. Erhobene Befunde, aber auch eine mögliche Ablehnung von dermatologisch angeratenen Untersuchungen durch den Patienten sollten stets in der Patientenakte dokumentiert werden.
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Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Literatur
- 1 Elsner P, Hartmann AA, Kohlbeck M. Dermatophytoses in Würzburg 1976 – 1985. Mykosen 1987; 30: 584-588
- 2 Weidner T, Tittelbach J, Illing T. et al. Gram-negative bacterial toe web infection – a systematic review. J Eur Acad Dermatol Venereol 2018; 32: 39-47
- 3 Hsu AR, Hsu JW. Topical review: skin infections in the foot and ankle patient. Foot Ankle Int 2012; 33: 612-619
- 4 Nenoff P, Krüger C, Schaller J. et al. Mycology – an update Part 2: Dermatomycoses: Clinical picture and diagnostics: CME-Article. J Dtsch Dermatol Ges 2014; 12: 749-777
- 5 Wiegand C, Bauer A, Brasch J. et al. Sind die klassischen Methoden zur mykologischen Diagnostik noch „State-of-the-Art“?. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14: 490-494
- 6 Nenoff P, Ginter-Hanselmayer G, Tietz H-J. Fungal nail infections – an update: Part 1 – Prevalence, epidemiology, predisposing conditions, and differential diagnosis. Hautarzt 2012; 63: 30-38
- 7 Rouzaud C, Chosidow O, Brocard A. et al. Severe dermatophytosis in solid organ transplant recipients: A French retrospective series and literature review. Transpl Infect Dis 2018; 20 Epub 2018 Jan 25
- 8 S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. AWMF. Im Internet: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-003l_S3_PAVK_periphere_arterielle_Verschlusskrankheitfinal-2019-08.pdf
- 9 Harders H, Haan D, Heisig N. et al. On the objectivization of the position test according to Ratschow by means of infrared thermography. Angiologica 1967; 4: 105-115
- 10 (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018. Bundesärztekammer. Im Internet: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Weiterbildung/MWBO-16112018.pdf
- 11 Rajabi-Estarabadi A, Kayssi A, Alavi A. et al. Vascular Tests for Dermatologists. Am J Clin Dermatol 2019; [Epub ahead of print]
- 12 Urteil vom 03.02.1987 – VI ZR 56/86. BGH.
- 13 Kniepert C, Moeller A. Der einfache Befunderhebungsfehler. Medizinrecht 2019; 37: 464-472
Korrespondenzadresse
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Literatur
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- 13 Kniepert C, Moeller A. Der einfache Befunderhebungsfehler. Medizinrecht 2019; 37: 464-472

