Einleitung
Hautveränderungen bei Neugeborenen, insbesondere wenn sie generalisiert auftreten, sind Anlass zur Besorgnis bei Eltern, Hebammen, Gynäkologen, Neonatologen und Pflegepersonal. In solchen Fällen ist auch die Expertise von Dermatologen gefordert. Es wird zwischen harmlosen, vorübergehenden Exanthemen (Transitorische pustulöse Melanose, Erythema toxicum neonatorum), angeborenen Infektionen (Herpes neonatorum, Varizellen, kongenitale Candidiasis), angeborenen Autoimmunerkrankungen (Pemphigus vulgaris, Schwangerschaftspemphigoid, Lupus erythematodes), seltenen neoplastischen Erkrankungen (Langerhanszell-Histiozytose, bullöse Mastozytose) und genetisch bedingten Hautveränderungen mit neonataler Manifestation (Ichthyosen, Epidermolysis bullosa hereditaria, Incontinentia pigmenti) unterschieden.
Kasuistik
Anamnese
Nach einer unkomplizierten Schwangerschaft und Geburt wurde ein weiblicher Säugling afghanischer Eltern noch am Tage der Geburt mit Verdacht auf eine angeborene Infektion in die Kinderklinik des Universitätsklinikums in Lübeck verlegt. Das Kind wies nach Angaben der Geburtshelfer bei Geburt eine bräunliche Schuppung am gesamten Integument und vereinzelt „Pusteln“ an den Extremitäten auf. Der Allgemeinzustand war gut, das Kind hatte kein Fieber und konnte gestillt werden. Der APGAR-Wert betrug 9/10/10. Die Kindseltern aus Afghanistan waren Verwandte 2. Grades (Cousine und Cousin). Die Mutter hatte vor der aktuellen Schwangerschaft und Entbindung bisher 7 Schwangerschaften: 5 Entbindungen und 2 männliche Aborte. Die übrigen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren (3 Mädchen, 2 Jungen) hatten bei Geburt keine Hautveränderungen gezeigt und waren bis jetzt jeweils hautgesund.
Aufnahmebefund
Das Kind wurde noch am Tage der Geburt in unserer Abteilung mit einer bräunlichen, fest haftenden Schuppung an Stamm und Extremitäten vorgestellt. Die vom Geburtshelfer beschriebenen Pusteln waren nicht mehr zu sehen ([Abb. 1]). Beim Rekonsil am Folgetag zeigten sich neben der Schuppung vereinzelte erythematöse Papeln am Stamm und an den Extremitäten ([Abb. 2]). Das Gesicht war von Hautveränderungen ausgespart. In den folgenden Tagen kam es zu einer Zunahme der Papeln und vereinzelt auch zu Bläschen und pustulöen Läsionen, die teilweise von Krusten bedeckt waren. Zudem entwickelten sich hyperpigmentierte Maculae, die entlang der Blaschko-Linien angeordnet waren ([Abb. 3]). Im Verlauf nahm die Blasenbildung zu ([Abb. 4]). Die Nägel und Haare waren ohne Auffälligkeiten.
Abb. 1 Tag der Geburt: an Stamm und oberen Extremitäten bräunliche, fest haftende Schuppen und vereinzelte erythematöse Papeln.
Abb. 2 2. Lebenstag: zusätzlich zur Schuppung erythematöse Papeln an den unteren Extremitäten.
Abb. 3 9. Lebenstag: gluteal und an den Oberschenkeln hyperpigmentierte Maculae, die striär entlang der Blaschko-Linien verlaufen.
Abb. 4 17. Lebenstag: am linken medialen Fuß und distalen Unterschenkel eingetrübte Vesikel, krustig belegte Erosionen und striäre Hyperpigmentierungen.
Die Probebiopsie aus einer Papel vom rechten Oberschenkel am 9. Lebenstag zeigte ein akanthotisches Epithel mit Dyskeratosen, ausgeprägter Spongiose und zentralem spongiformen Bläschen. Im Lumen der Gefäße fanden sich zahlreiche eosinophile und einzelne neutrophile Granulozyten; auch perivaskulär und interstitiell zeigten sich in der oberflächlichen und mittleren Dermis Infiltrate mit eosinophilen Granulozyten ([Abb. 5]). Die CD1a-Färbung und PAS-Färbung waren jeweils negativ. PCR-Untersuchungen des Blaseninhalts auf HSV1-/2- und VZV-DNA, die CMV-, HSV1-/2- und Hepatitis-Serologie sowie ein Treponema pallidum-Suchtest waren negativ.
Abb. 5 Histologie (HE-Färbung) vom Oberschenkel rechts: akanthotisches Epithel, mit Dyskeratosen, ausgeprägter Spongiose und zentralen spongiformen Bläschen. Im Lumen und in der oberflächlichen sowie mittleren Dermis eosinophile Granulozyten.
Therapie und Verlauf
Bei initialem Verdacht auf eine Herpes simplex-Infektion, wurde durch die Pädiater eine Therapie mit Aciclovir i. v. begonnen. Unsererseits wurde aufgrund der im Vordergrund stehenden Schuppung an eine kongenitale Ichthyose und wegen der einzelnen Papeln differenzialdiagnostisch an eine Incontinentia pigmenti oder eine kongenitale Langerhanszell-Histiozytose gedacht. Die histologische Untersuchung zeigte einen zu einem entzündlichen Stadium der Incontinentia pigmenti passenden Befund. Eine neurologische Abklärung inkl. Schädelsonografie und eine ophthalmologische Untersuchung verliefen unauffällig. Therapeutisch wurden pflegende Externa angewendet.
Diskussion
Die Incontinentia pigmenti ist eine hereditäre, X-chromosomal-dominante Erkrankung. Mit einer Inzidenz von 0,7 auf 100 000 Geburten zählt sie zu den seltenen Erkrankungen. Die Incontinentia pigmenti betrifft das Gewebe ektodermalen Ursprungs und kann somit zu Veränderungen an der Haut, den Hautanhangsgebilden (Zähne, Nägel), den Augen und dem ZNS führen [1]
[2]. Ursächlich ist eine Mutation im IKBKG-Gen, wodurch es zu einem Funktionsverlust von NF-κß kommt. Dies führt schließlich zu einer vermehrten TNF-alpha-induzierten Zellapoptose. Nur durch X-chromosomale Inaktivierung ist die Mutation mit dem Leben vereinbar. Daher sind fast ausschließlich weibliche Säuglinge von der Incontinentia pigmenti betroffen. Bei männlichen Feten führt die Mutation zum intrauterinen Fruchttod [3]. Bei der körperlichen Untersuchung der Mutter fielen an den Beinen striäre weißlich-atrophe Plaques und an den Unterarmen diskrete striäre weiße Flecken auf. Diese Hautveränderungen, die sie auch auf Nachfragen nicht erwähnte, hatten bisher für sie keine Bedeutung gehabt. Auch den beiden männlichen Aborten hatte die Familie bisher keine besondere Bedeutung zugemessen.
Die Incontinentia pigmenti verläuft in 4 Stadien, die zeitlich überlappen können: Bläschen/Pusteln/Papeln (erste Lebenswochen), Hyperkeratosen (mehrere Monate), Hyperpigmentierungen (Monate bis Jahre) und Hypopigmentierungen (lebenslang) [4].
Im Neugeborenenalter sind insbesondere folgende Differenzialdiagnosen zu erwägen: Herpes simplex-/Varizellen-Infektion, Erythema toxicum neonatorum, transiente neonatale pustulöse Melanose oder die Langerhans-Zell-Histiozytose [3]
[4]. Es existieren diverse Fallberichte über Incontinentia pigmenti, die zunächst als Herpes simplex-Infektion behandelt wurden [5]. In diesen Fällen ist eine PCR aus Bläscheninhalt dringend angeraten. Ungewöhnlich in unserem Fall war die anfangs deutliche Schuppung der Haut, die auch an eine kongenitale Ichthyose denken ließ.
Das Kind wird von Neurologen und Ophthalmologen regelmäßig nachgesorgt, insbesondere ist dies im 1. Lebensjahr notwendig [6]. Eine humangenetische Untersuchung der Familie ist geplant.