Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2019; 13(04): 231-232
DOI: 10.1055/a-1036-0458
Gesellschaftsnachrichten
Mitteilungen der Deutschen Adipositas Gesellschaft

Presseinformation 18.09.2019

„Zucker bei die Fische!“ – Adipositas-Kongress in Kiel vom 19.–21. September 2019 Zuckerverzehr zu hoch, Adipositas noch immer unterschätzt – die Politik muss handeln!

Kiel, 18. September 2019. Morgen beginnt der dreitägige wissenschaftliche Kongress der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) an der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel (CAU). Er steht unter dem Motto mit Kieler Flair: „Zucker bei die Fische!“. „Mit diesem Motto wollen wir – Wissenschaftler, Behandler, Adipositas-Patienten und Verbraucher – zum Ausdruck bringen, dass unser Unmut wächst; nicht nur im Hinblick auf die nach wie vor überhöhten Zuckergehalte in unseren Lebensmitteln und Getränken, sondern auch in Bezug auf die nach wie vor fehlende Adipositasversorgung und insgesamt unzureichende präventive Maßnahmen. Endlich muss hier mehr passieren in Deutschland! Trotzdem verlieren wir in Kiel aber nicht unseren norddeutschen Humor“, so Tagungspräsidentin Professorin Anja Bosy-Westphal augenzwinkernd.

Zentrales Thema des DAG-Kongresses sind die Folgen des zu hohen Zuckerkonsums auf die Entwicklung von Übergewicht und dessen Folgeerkrankungen (wie z. B. Typ 2 Diabetes), deren metabolische Grundlagen, die Behandlung von Übergewicht (z. B. durch personalisierte Maßnahmen) sowie die Verhältnisprävention zur Schaffung „gesunder“ Lebenswelten. „Wir sind stolz darauf, dass wir hochrangige internationale und nationale Expertinnen und Experten wie Professorin Kimber Stanhope aus San Francisco, Professor Arne Astrup aus Kopenhagen und Professor Dirk Schaal aus Leipzig für unsere Keynotes gewinnen konnten.“, freut sich Bosy-Westphal, die an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der CAU selbst zum Thema Zucker forscht.

Über die gesundheitlichen Risiken eines zu hohen Zuckerkonsums, z. B. die Förderung von Adipositas und Diabetes Typ 2 bestehe heute kein Zweifel mehr, so Bosy-Westphal. „Wir wissen heute auch, dass der Zucker in Getränken auch unabhängig vom Körpergewicht das Risiko für Diabetes Typ 2 erhöht. Und besonders bei Personen mit Übergewicht, körperlicher Inaktivität und familiärem Risiko für Diabetes ist der Anstieg des Blutzuckerspiegels durch zuckerhaltige Getränke ein Problem.“ Die Angst vieler Verbraucher vor Zucker im Obst sei jedoch unbegründet: „Obstverzehr wirkt günstig auf Körpergewicht und Blutzuckerspiegel. Während der Saft zweier Äpfel schnell getrunken ist, macht das Essen der Äpfel deutlich satt und der Zucker geht nicht so schnell ins Blut“, erklärt Bosy-Westphal.

„Adipositas ist eine chronische Erkrankung von epidemischen Ausmaßen“, darauf weist Professorin Martina de Zwaan, Präsidentin der DAG, hin und appelliert an die Gesundheitspolitik, endlich Verantwortung zu übernehmen und für die an Adipositas Erkrankten therapeutische Lösungen anzubieten: „Hier muss endlich eine Regelversorgung etabliert werden. Das macht auch ökonomisch Sinn: allein 43 % der Diabeteskosten [1] gehen auf Adipositas zurück!“, so de Zwaan. „Ein sicher nicht ausreichender, aber erster Schritt könnte daher die Integration eines Adipositas-Moduls in das bestehende DMP Diabetes Typ 2 sein.“ Disease-Management-Programme (DPM) sind strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen.

De Zwaan weist weiter darauf hin, dass die DAG Gründungsmitglied der neu gegründeten Deutschen Adipositas Allianz (DAA) ist. Diese fördere den Dialog und politischen Diskurs durch den Zusammenschluss von Fachgesellschaften, Ärzte- und Patientenverbänden, Krankenkassen, Rentenversicherung sowie Vertreterinnen und Vertretern der Industrie und Gesundheitspolitik. „Unser Ziel ist es, ein breites gesellschaftliches Bündnis zu schmieden und die dringend notwendige Regelversorgung zu etablieren. Wir sind auf einem guten Weg, erste Schritte sind gemacht“, so de Zwaan.

Patientenvertreterin Melanie Bahlke, Erste Vorsitzende des Adipositaschirurgie Selbsthilfe Verband Deutschland, ist es wichtig, dass die Adipositas als eigenständige Krankheit anerkannt wird und dass Behandler gut ausgebildet werden: „Als Menschen mit Adipositas werden wir tagtäglich stigmatisiert und diskriminiert, selbst von ärztlichem Behandlungspersonal. In erster Linie bin ich aber Mensch und möchte respektvoll behandelt werden, auch beim Arzt!“, so Bahlke, auch Vertreterin in der Bundesarbeitsgemeinschaft Adipositas. „Wir Menschen mit Adipositas fordern eine bedarfsgerechte und flächendeckende Behandlung für unsere Krankheit – wie es die ganz selbstverständlich bei anderen Krankheiten auch gibt“, so Bahlke.

Dr. Stefanie Gerlach, Vertreterin der DAG beim Runden Tisch und im nachfolgenden Begleitgremium des Ernährungsministeriums zur Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fett und Salz in verarbeiteten Lebensmitteln, fasst die Kritik der DAG an der Strategie von Ministerin Klöckner zusammen: „Die Strategie der freiwilligen Zielvereinbarungen mit der Industrie sind evidenzbasiert nicht ausreichend oder sogar unwirksam. Sie ist auch unambitioniert: Zu wenig Zielvereinbarungen, zu geringe Zielmarken, zu große Umsetzungszeiträume, keine Stringenz in der Umsetzung, derzeit keine wettbewerbsfördernde Transparenz der Performance einzelner Unternehmen.“ Zudem hätten auch Erwachsene, nicht nur Kinder, ein Anrecht auf nährwertoptimierte Lebensmittel, Süßwaren seien nicht einbezogen (obwohl sie mit 36 % die wichtigste Quelle für den Zuckerkonsum sind) [2] und der ganze Bereich des Snacking und der Außerhausverpflegung werde derzeit nicht berücksichtigt.

Zur erweiterten Nährwertkennzeichnung habe die DAG eine klare Haltung, erläutert Gerlach: „Wir favorisieren den NutriScore, weil seine Überlegenheit gegenüber anderen Nährwertkennzeichnungsmodellen mehrfach bewiesen wurde. Wie unsere eigene Verbraucherumfrage mit weiteren Gesundheitsorganisationen gezeigt hat [3], [4], fällt es insbesondere Menschen mit Übergewicht und Adipositas sowie Menschen mit geringer formaler Bildung leichter, mit dem NutriScore eine gesunde Lebensmittelauswahl zu treffen. Und darauf kommt es an.“

Dr. Stefanie Gerlach

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Publication History

Article published online:
02 December 2019

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York