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DOI: 10.1055/a-1065-8318
Der Wert klinischer Diskussion
Publication History
Publication Date:
07 January 2020 (online)
Heutzutage kann kein Kliniker den Anspruch erheben ein medizinischer Universalist zu sein. Auch nicht in der Onkologie. Wir alle sind auf den Rat erfahrener Kliniker aus unterschiedlichen Fächern angewiesen, um unentwegt neu eintreffende Studienergebnisse entsprechend ihrer Wertigkeit einzuordnen und konkrete Vorgehensweisen abzuleiten. Hier gedeiht das Verständnis für jeden Paradigmenwechsel („Standard changing news“) in der Onkologie. Als interdisziplinäre Zeitschrift sieht der klinikarzt es als seine Aufgabe an, hier verstärkt Orientierung zu geben. Wir freuen uns daher, dass auch in diesem Jahr Prof. Dr. med. Stefan Bielack für die Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Prof. Dr. med. Matthias W. Beckmann und Mitarbeiter für die Gynäkologische Onkologie und Prof. Dr. med. Florian Jentzmik für die Urologische Onkologie ihr Wissen mit uns teilen.
Eine ernsthaft geführte interdisziplinäre Diskussion der großen Kontroversen in der Onkologie zur Frage der Invasivität und Aggressivität der Gesamttumorbehandlung nutzt den Krebspatienten. Ein Beispiel aus der adjuvanten Krebstherapie des heilbaren Brustkrebses mit Trastuzumab mag dies verdeutlichen: Von Anfang an war die potenzielle Kardiotoxizität von Trastuzumab ein Thema, dem Internisten bzw. Kardiologen wohl zunächst größeres Gewicht beimaßen als Gynäkologen. In der Zulassungsstudie von Slamon et al. [1] betraf die Trastuzumab-induzierte Kardiotoxizität (Kardiomyopathie und/oder >10 %ige Reduktion der linksventrikulären Ejektionsfraktion) 7,4 % der Patientinnen. In späteren Studien betrug sie 27 % [2]. Die mittlerweile bekannte klinisch relevante Trastuzumab-induzierte Kardiotoxizität führte zu einer britischen Studie an 4089 HER2-positiven, heilbaren Brustkrebspatientinnen. Hier konnte gezeigt werden, dass eine Halbierung der adjuvanten Trastuzumabtherapie (auf 6 Monate) zu einer Halbierung der Kardiotoxizität bei gleicher Antitumorwirkung führt [3].
Auch die operativen Fächer tragen einen erheblichen Teil zu weniger belastenden Therapieverfahren bei. Man denke allein an den Weg der Mammachirurgie von den verstümmelnden Halstedt-Mastektomien bis zur heutigen brusterhaltenden und plastischen Chirurgie. Im Feld der Gynäkologie gibt es seit Jahren auch Versuche, beispielsweise Hysterektomien bei Zervixkarzinomen schonender in minimal-invasiver Technik durchzuführen. Bezüglich der postoperativen Morbidität ist das zweifellos ein Vorteil. Doch wie aktuelle Studien nahelegen (z. B. [4]), ist hier möglicherweise eine Grenze der schonenderen Behandlung erreicht: bei minimal invasiv operierten Patientinnen betrug die 4-Jahres-Mortalität 9,1%, bei offenen Resektionsverfahren 5,3 %. Ursächlich wird eine Tumorzellverschleppung durch CO2-Insufflation diskutiert.
Urologische Onkologen fanden hingegen keine signifikanten Unterschiede in der 4-Jahres-Mortalität bei 3928 offen versus minimal invasiv cystektomierter Harnblasenkarzinompatienten [5] oder prostatektomierter Prostatakarzinompatienten [6].
Die Frage ist also, inwieweit Ergebnisse zu bestimmten Tumorentitäten ohne weiteres auf andere übertragen werden können, auch wenn die Ausgangssituationen vergleichbar erscheinen.
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Literatur
- 1 Slamon D, Eiermann W, Robert N. et al NEJM 2011; 365: 1273-1283
- 2 Moslehi JJ. NEJM 2016; 375: 1457-1467
- 3 Earl HM, Hiller L, Vallier AL. Lancet 2019; 393: 2599-2612
- 4 Melamed A, Margul DJ, Ling Chen PD. et al NEJM 2018; 379: 1905-1914
- 5 Leow J, Chung B, Chang S. J Urol 2017; 197: e725
- 6 Abdollah F, Keeley J, Menon M. N Engl J Med 2019; 380: 793 (letter)