Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität
Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität
Die allergische Rhinitis (AR) ist die häufigste Immunkrankheit und eine der häufigsten chronischen Erkrankungen überhaupt. Fast jeder vierte Erwachsene in Deutschland und Europa ist hiervon betroffen. Die Erkrankung beginnt meist in der Kindheit oder im jungen Erwachsenenalter und hat vielfältige Auswirkungen auf die Patienten, beispielsweise auf das Sozialleben, die schulische Leistungsfähigkeit und die Arbeitsproduktivität [1], [2], [3]. Viele andere Erkrankungen können durch die allergische Rhinitis ausgelöst werden bzw. begleiten diese (Komorbiditäten), unter anderem Konjunktivitis, Asthma bronchiale, Nahrungsmittelallergie, atopisches Ekzem (Neurodermitis), Sinusitis etc. So ist z. B. das Asthma-Risiko bei erwachsenen Patienten mit allergischer Rhinitis um den Faktor 3,2 höher als bei Gesunden. Dies kommt unter anderem in der Initiative „Allergic Rhinitis and its Impact on
Asthma (ARIA)“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Ausdruck [1].
Die durch die allergische Rhinitis und ihre Komorbiditäten hervorgerufenen sozioökonomischen Folgen sind erheblich.
Definition
Die allergische Rhinitis wird klinisch definiert als eine symptomatische Erkrankung der Nase, hervorgerufen durch eine IgE- vermittelte Entzündung der Nasenschleimhaut nach Allergenkontakt. Sie kann klinisch unterteilt werden in eine saisonale, perenniale oder berufsbedingte Form, wobei diese Einteilung nicht durchgehend angewendet werden kann, da auch in Deutschland saisonale Allergene beinahe das ganze Jahr präsent sein können und viele Patienten Polysensibilisierungen aufweisen, die ihnen ganzjährig Symptome bereiten können. Zudem zeigen perenniale Allergene saisonale Schwankungen ihrer Menge in der Atemluft über das Jahr.
Daher wurde von einer Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Klassifizierung ([Tab. 1]) vorgeschlagen, die die Dauer der Symptomatik in den Vordergrund stellt. Die Schwere der Symptomatik soll anhand ihrer Ausprägung und anhand der Auswirkungen auf die Lebens- qualität der Patienten definiert werden [1], [15].
Tab. 1 Klassifizierung der allergischen Rhinitis (WHO/ARIA).
* Lebensqualitätsparameter: Schlafqualität, schulische oder berufliche Leistungen, Alltagstätigkeiten, sportliche Aktivitäten
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Dauer der Symptomatik
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intermittierend
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persistierend
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Schwere der Symptomatik
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gering
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mäßig bis schwer
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Symptomatik
Typischerweise beginnt die Pollenallergie mit Beschwerden wie Juckreiz in der Nase und Rötung und Fremdkörpergefühl in den Augen. Je nach Intensität des Pollen- flugs beginnt dann oftmals schlagartig das Vollbild der Erkrankung mit weißlich-wässrigem Sekretfluss, massivem Juckreiz, anfallsartigen Niesattacken und Nasenatmungsbehinderung sowie Rötung und Juckreiz der Augenbindehäute und Tränenfluss. Gemeinsam mit den Beschwerden tritt oftmals ein allgemeines Krankheitsgefühl mit z. B. Schwäche, Müdigkeit, Schlafstörungen und Abgeschlagenheit auf [16].
Die pollenbedingte Rhinitis zeichnet sich vor allem durch Niesen, Sekretion und Begleitkonjunktivitis aus, während ganzjährige Rhinitiden als wichtigstes Symptom eine verstopfte Nase verursachen. Bei der persistierenden Rhinitis nach neuer Definition sind alle Symptome gleichermaßen stark ausgeprägt [15]. Heute findet man nur noch bei etwa 20% der Patienten eine intermittierende Rhinitis, während 40% eine ganzjährige Symptomatik und weitere 40% Mischformen aufweisen [4]. Die Stärke der Reaktion der Nasenschleimhaut auf einen Allergenkontakt ist vom Entzündungszustand der Schleimhaut abhängig und variiert über das Jahr [5]. Eine gesteigerte Reaktion aufgrund von vorangegangenem wiederholten Kontakt zum Allergen wird als „Priming“ bezeichnet [4].
Wichtig ist, dass auch ein nur vorübergehender Allergenkontakt in einer Pollensaison zu einer andauernden Entzündung der Schleimhäute führen kann (persistierende Entzündung). Somit kann der Entzündungszustand in der Nasenschleimhaut unbemerkt bestehen bleiben, auch wenn die Patienten weitgehend symptomfrei sind [4], [6]. Dies wird heute als wichtiger Mechanismus der Ausbildung einer chronischen Schleimhautentzündung angesehen [15]. Die Komorbiditäten der allergischen Rhinitis ([Tab. 2]) sind vielfältig und für die Patienten oftmals sehr belastend. Die durch die allergische Rhinitis bedingten Störungen der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit reichen von Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit bis hin zur Verminderung der Lernfähigkeit bei Kindern [4]. Von den Kindern mit saisonaler allergischer Rhinitis (AR) leiden 80% an
begleitender Pharyngitis, 70% an Konjunktivitis, 40% an Asthma bronchiale und 37% am atopischen Ekzem [4].
Tab. 2 Symptome und Komorbidität der allergischen Rhinitis.
primäre Symptome
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sekundäre Symptome
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Komorbidität
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Niesen
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Juckreiz
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Sekretion
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Obstruktion
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Husten
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Halsschmerzen
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Lidödeme
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Mundatmung/ Dyspnoe
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Schlafstörungen
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nasale Hyperreaktivität
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Insbesondere das Asthma wurde in einigen Studien als wichtige Komorbidität der allergischen Rhinitis erkannt, bei Kindern mit 32% und bei Erwachsenen mit 16% [4], [7]. Umgekehrt leiden über 80% der Asthmatiker auch unter AR. Eine chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen (Sinusitis) ist mit einer Koinzidenz von 25% [8] eine weitere wesentliche Erkrankung, die zur Morbidität der Patienten beiträgt und in die Differenzialdiagnose der allergischen Rhinitis einbezogen werden muss. Auch häufige Mittelohrentzündungen bei Kindern oder ein chronischer Paukenerguss sind überzufällig häufig mit einer Allergie verbunden. Zumindest für Kinder besteht zudem ein nachgewiesener Zusammenhang mit Schnarchen und obstruktiver Schlafatmungsstörung [1], [4].
Diagnostik
Die Diagnose der allergischen Rhinitis basiert auf einer typischen Anamnese und den Ergebnissen diagnostischer Tests, die am Patienten (in vivo) und als Labortests (in vitro) erfolgen. Als Hauttests eignen sich der Prick-Test sowie der Intrakutantest mit kommerziell erhältlichen, standardisierten Allergenextrakten [9]. Bei besonderen anamnestischen Hinweisen werden auch andere Hauttests wie Reibtest, Prick-zu-Prick-Test und Scratch-Test eingesetzt [9]. Im Labor erfolgen der Nachweis von Antikörpern vom Typ IgE und evtl. Funktionstests an Zellen des Immunsystems [10]. Zur Bestätigung der klinischen Bedeutung dient insbesondere der nasale Provokationstest (der Nachweis der Schleimhautreaktion in der Nase nach Allergenkontakt) [11]. Im Einzelfall wird der Test auch eingesetzt, um bei negativem Hauttest bzw. fehlendem Nachweis allergenspezifischer
IgE-Antikörper eine Reaktion der Nasenschleimhaut auf ein vermutetes Allergen aufzuzeigen (Syndrom der lokalen IgE-Produktion).
Therapie
Die Therapie der allergischen Rhinitis hat die Beseitigung der Symptome, die Aufhebung der Entzündungsreaktion, die Gesundung der Schleimhäute und der Funktionen der Nase und die Normalisierung der Lebensqualität des Patienten zum Ziel. Sie besteht aus Karenzmaßnahmen zur Vermeidung allergischer Auslöser, der Behandlung mit Medikamenten sowie einer allergenspezifischen Immuntherapie.
Die spezifische Immuntherapie (AIT) ist neben der Allergenkarenz die einzige kausale Therapie allergischer Erkrankungen und sollte möglichst früh im Krankheitsverlauf eingesetzt werden [13], [14], [15], [16]. Neben dem therapeutischen Aspekt ist bei der Indikationsstellung auch der präventive Aspekt einer AIT zur Vermeidung von Neusensibilisierungen und der Entwicklung eines Asthma bronchiale und weiterer o. g. Folge- und Begleiterkrankungen der allergischen Rhinitis beachtenswert [15], [16].
Versorgungssituation und Mängelanalyse
Versorgungssituation und Mängelanalyse
Die allergische Rhinitis wird weitgehend unterschätzt, unterdiagnostiziert und untertherapiert [16]. Die Therapie der Erkrankung ist trotz nationaler und internationaler Behandlungsrichtlinien zudem überwiegend auf den Kurzzeiterfolg und die Reduktion der Symptomatik ausgerichtet, anstatt den Patienten als chronisch erkrankten atopischen Langzeitpatienten zu sehen [15]. Hier bedarf es dringend einer verbesserten Horizontal- und Vertikalvernetzung der Versorgungsstrukturen zur Anhebung der Versorgungsqualität.
Forderungen
Die Forderungen ergeben sich aus der Mängelanalyse wie folgt:
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Strukturierung und Verbesserung der Ausbildung der Medizinstudenten und verstärkte Einbeziehung der allergischen Rhinitis in den Lehrstoff im Fach HNO-Heilkunde.
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Verbesserung der Weiterbildung zum HNO-Facharzt durch Schaffung von Einrichtungen mit Schwerpunkt Allergologie, zumindest an den Universitäten und größeren Versorgungskrankenhäusern.
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Einführung eines Curriculums zur Ausbildung des Allergologen, das den „atopischen Patienten“ ganzheitlich berücksichtigt.
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Schaffung von interdisziplinären Forschungseinrichtungen, die zumindest an einigen Universitäten den Anschluss an die internationale Forschung und damit internationale Kooperationen erlauben.
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Intensivierung der Forschung zur Prävention, Diagnostik und Therapie der allergischen Rhinokonjunktivitis sowie ihrer Folgeerkrankungen.
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Verbesserung der Therapie der atopischen Patienten – im Verständnis der Chronizität der Erkrankung und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen – durch ständige Fortbildung (CME-System nach amerikanischem Vorbild).
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Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit durch horizontale Vernetzung der Versorgungsstrukturen (zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern/Universitäten).
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Schaffung von Lehrstühlen für Allergologie mit verschiedenen Organschwerpunkten, die als Keimzentren für eine verbesserte Forschung und Lehre sowie letztendlich Krankenversorgung dienen (vertikale Vernetzung).
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Von den allergologischen Gesellschaften erarbeitete Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Patienten sind als Standard anzuerkennen. Die hier formulierten Leistungen und therapeutischen Maßnahmen sind dem Patienten bedarfsorientiert zu gewähren. Zur Qualitätssicherung in der medizinischen Versorgung der Patienten ist auf die Einhaltung der Leitlinien zu achten.