Klin Monbl Augenheilkd 2020; 237(05): 675-680
DOI: 10.1055/a-1164-9381
Übersicht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

COVID-19: ophthalmologische Aspekte der globalen SARS-CoV-2-Pandemie

Article in several languages: English | deutsch
Jakob Siedlecki
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Victor Brantl
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Benedikt Schworm
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Wolfgang Johann Mayer
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Maximilian Gerhardt
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Stylianos Michalakis
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Thomas Kreutzer
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
,
Siegfried Priglinger
Augenklinik der LMU, Klinikum der Universität München, München, Germany
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Correspondence/Korrespondenzadresse

Dr. Jakob Siedlecki
Klinikum der Universität München
Augenklinik der LMU
Mathildenstraße 8
80336 München
Germany   
Phone: + 49 89 51 60 38 11   
Fax: + 49 89 51 60 45 59   

Publication History

received 18 April 2020

accepted 23 April 2020

Publication Date:
06 May 2020 (online)

 

Zusammenfassung

Einleitung Ein substanzieller Teil der aktuellen Literatur zur COVID-19-Pandemie beschäftigt sich mit deren ophthalmologischen Aspekten. In diesem Übersichtsartikel soll ein Überblick über die bisher publizierten Studien gegeben werden, die für die Ophthalmologie relevant sind.

Material und Methoden PubMed.gov wurde systematisch nach Artikeln mit den folgenden Schlüsselwörtern durchsucht: „COVID-19“, „Coronavirus“ und „SARS‐CoV‐2“ in Verbindung mit „Ophthalmology“ und „Eye“. Darüber hinaus wurde eine Analyse der Empfehlungen der ophthalmologischen Fachgesellschaften durchgeführt, insbesondere der American Academy of Ophthalmology (AAO) und des Royal College of Ophthalmologists (RCOphth).

Ergebnisse Es wurden 21 Artikel mit Peer Review zu den ophthalmologischen Aspekten von COVID-19 identifiziert (Stand: 16. April 2020). Davon stammten 12 (57,1%) aus Asien, 6 (28,6%) aus den Vereinigten Staaten und 3 (14,3%) aus Europa. Darunter befanden sich 5 Originalarbeiten (23,8%), 10 (47,6%) Briefe an den Herausgeber, 3 (14,2%) Fallberichte und 3 (14,2%) Übersichtsartikel. Es erfolgte eine Sortierung in folgende Themen: „(Okuläre) Übertragungswege und Prävention“, „Ophthalmologische Manifestation von COVID-19“, „Klinische Richtlinien für die ophthalmologische Praxis während der COVID-19-Pandemie“ und „Praktische Empfehlungen für den klinischen Alltag“. Letztere wurden den Empfehlungen der AAO und des RCOphth entnommen.

Schlussfolgerungen Eine Vielzahl kürzlich erschienener Artikel befasst sich mit den ophthalmologischen Aspekten von COVID-19. Da COVID-19 über das Auge übertragen werden kann (aktiv über die Tränenflüssigkeit und passiv über den Ductus nasolacrimalis), ist eine sorgfältige Infektionsprävention in der ophthalmologischen Praxis von großer Bedeutung. Eine Augenbeteiligung kann sich als Keratokonjunktivitis manifestieren.


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Einleitung

Seit der ersten Diagnose eines neuartigen schweren akuten respiratorischen Syndroms (SARS) in Wuhan, China, Ende 2019, hat sich die heute als COVID-19 bekannte Krankheit, die durch das SARS-Coronavirus (CoV) 2 verursacht wird, zu einer globalen Pandemie entwickelt [1]. Der Augenarzt Dr. Li Wenliang, der im Februar 2020 auf tragische Weise an COVID-19 starb, gehörte zu den ersten, die vor der Krankheit warnten [2], [3]. Tatsächlich scheinen Augenärzte zu den medizinischen Fachgebieten mit dem höchsten Risiko für eine COVID-19-Infektion zu gehören. Dies liegt höchstwahrscheinlich am engen Patientenkontakt während der Untersuchung, z. B. an der Spaltlampe [4], und an einer möglichen Bindehautbeteiligung der Erkrankung [5], [6]. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter Augenärzten im Vereinigten Königreich gaben 80% der Teilnehmer an, dass sie sich einem hohen Risiko einer COVID-19-Übertragung ausgesetzt sehen [7].

Im Folgenden wird eine systematische Übersicht über die aktuelle, für die ophthalmologische Tätigkeit relevante COVID-19-Literatur aufgezeigt. Dabei soll besonderes Augenmerk auf die Übertragungswege, ihre Prävention, strukturelle Anpassungen der während der Pandemie erforderlichen klinischen Versorgung und mögliche okuläre Manifestationen dieser neuartigen Krankheit gelegt werden.


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Material und Methoden

Die Datenbank PubMed.gov wurde nach Artikeln durchsucht, die die Schlüsselwörter „COVID-19“ und „SARS-CoV-2“ in Verbindung mit „Ophthalmologie“ und „Auge“ enthielten. Je nach Artikeltyp wurden sie als „Originalartikel“, „Fallbericht“, „Übersichtsarbeit“ oder „Leserbrief/Kommentar“ stratifiziert. Je nach Inhalt wurden sie in die Kategorien „Übertragungswege und Prävention von SARS-CoV-2“, „ophthalmologische Manifestationen von COVID-19“, „klinische Leitlinien zur ophthalmologischen Tätigkeit während der COVID-19-Pandemie“ und „praktische Empfehlungen für die klinische Infrastruktur“ zusammengefasst. Aufgrund der sich rasch entwickelnden Situation wurden gegebenenfalls auch Empfehlungen aus Fachartikeln ohne Peer-Review-Verfahren aufgenommen, z. B. Empfehlungen von Fachgesellschaften.


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Ergebnisse

Bis zum 16. April 2020 wurden insgesamt 21 Artikel zu ophthalmologischen Aspekten von COVID-19 identifiziert. Davon stammten 12 (57,1%) aus Asien, 6 (28,6%) aus den Vereinigten Staaten von Amerika und 3 (14,3%) aus Europa. Es gab 5 (23,8%) Originalstudien, 10 (47,6%) Leserbriefe/Kommentare, 3 (14,2%) Fallberichte und 3 (14,2%) Übersichtsarbeiten. Im Folgenden wird die bestehende Literatur strukturiert zusammengefasst und eine mögliche Umsetzung der Empfehlungen der American Academy of Ophthalmology (AAO) und des Royal College of Ophthalmologists (RCOphth) aufgezeigt.

Übertragungswege und Prävention von SARS-CoV-2

Nach derzeitigem Wissensstand breitet sich SARS-CoV-2 vor allem durch engen Kontakt mit infizierten Personen aus. Dabei wird der Betroffene Aerosolen ausgesetzt, die durch Husten, Niesen und Atmen entstehen [8]. Auch von einer Übertragung von asymptomatischen und präsymptomatischen Trägern wurde berichtet [9], [10]. Aus diesem Grund plädieren einige Experten und Institutionen für eine flächendeckende Verwendung von chirurgischen Gesichtsmasken, um sowohl die Verbreitung des Virus durch möglicherweise infizierte Personen als auch die Infektion gesunder Personen zu verhindern [8], [11], [12]. Während der augenärztlichen Tätigkeit variiert der Arbeitsabstand an der Spaltlampe zwischen Patient und Untersucher zwischen 20 und 40 cm. Viele Kliniken in Deutschland, so auch unsere, haben deshalb für das medizinische Personal und alle Patienten, die die Klinik betreten, obligatorische chirurgische Gesichtsmasken eingeführt. Ferner wurden Schutzschilde aus Plexiglas vorgeschlagen, die an der Spaltlampe befestigt werden können [13], [14]. Im Allgemeinen empfehlen Fachgesellschaften wie die AAO, die RCOphth und die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG), die Verweildauer vor der Spaltlampe so gering wie möglich zu halten.

Neben der direkten Übertragung von Patient zu Patient kann der Kontakt mit infektiösen Partikeln auch über Oberflächen erfolgen. In einer experimentellen Studie fanden van Doremalen et al. nach bis zu 72 Stunden stabile Viruspartikel auf Oberflächen. Auf Kunststoff und Edelstahl waren sie im Gegensatz zu Kupfer und Karton stabiler [15]. Daher ist eine gründliche Desinfektion von Oberflächen und Geräten nach jedem Patienten unerlässlich. Wenn möglich sollten Einweg-Tonometerspitzen benutzt werden. Zur Inaktivierung von SARS-CoV-2 hat sich die Desinfektion mit Lösungen auf Alkoholbasis > 70% als wirksam erwiesen. Gängige Protokolle, die die Inaktivierung von Adenoviren einschließen, z. B. Bleichen (8,25% Natriumhypochlorit), scheinen ebenfalls eine ausreichende viruzide Aktivität aufzuweisen.

In mehreren Studien wurde RNA von SARS-CoV-2 in Tränenfilm- und/oder Bindehautabstrichen mittels reverser Transkriptions-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) nachgewiesen [5], [6], [16]. Xia et al. untersuchten 60 Tränen- und Bindehautproben von 30 Patienten, von denen 2 Proben eines einzigen Patienten positiv für SARS-CoV-2-RNA waren. Bemerkenswert ist, dass dies auch der einzige Patient mit klinischen Symptomen war [16]. Xia et al. konnten das Virus jedoch nicht isolieren [16]. Wu et al. untersuchten 38 Patienten, von denen 2 (5,3%) in der Bindehautprobe nachweisbare SARS-CoV-2-RNA aufwiesen, während 12 (31,6%) Augensymptome aufwiesen, die auf eine Bindehautbeteiligung hindeuteten. Ein Fallbericht, der den klinischen Verlauf eines 30-jährigen Patienten mit COVID-19 mit okulärer Beteiligung (follikuläre Konjunktivitis) dokumentiert, bestätigte virale RNA an den Tagen 13, 14 und 17, während weitere Tests am Tag 19 ein negatives Ergebnis ergaben [6]. Interessant ist, dass die Viruslast in den Bindehautabstrichen deutlich geringer war als in Nasen-Rachen-Abstrichen oder Sputum [6]. Im Gegensatz dazu konnte in einer anderen Studie von Seah et al., in der 64 Proben von 17 Patienten in den Wochen 1, 2 und 3 der Erkrankung analysiert wurden, keine virale RNA nachgewiesen werden, wobei nur 1 Patient Augensymptome aufwies [17].

Der zelluläre Eintritt von SARS-CoV-2 – und damit die Infektion – erfolgt über den Angiotensin-Converting-Enzyme-2-Rezeptor (ACE-2-Rezeptor) [18]. Im Gegensatz zu ACE 1, das nahezu ubiquitär im Augengewebe vorkommt, ist ACE 2 interessanterweise nur in der Netzhaut [19] und im Kammerwasser vorhanden [20]. Daher ist es derzeit unklar, ob alleiniger Augenkontakt mit SARS-CoV-2 zu einer Infektion führen kann [17]. Basierend auf der aktuellen Literatur wird eine Infektion nach Exposition der Augenoberfläche gegenüber SARS-CoV-2 wahrscheinlich durch Drainage von Viruspartikeln über den Tränennasengang in den Respirationstrakt übertragen [21], [22]. Daher ist die Verwendung von Schutzbrillen oder Schutzschilden sehr wichtig [23], [24], [25].

Was die luftübertragene Infektion betrifft, so konnten in den meisten Studien keine infektiösen Partikel in Luftproben nachgewiesen werden. Viruspartikel könnten jedoch durch kleine virusbeladene Tröpfchen oder Aerosole verteilt werden [26]. Die Virusstabilität in Aerosolen kann mehr als 3 Stunden betragen [15].


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Ophthalmologische Manifestationen von COVID-19

Bislang wurden die ophthalmologischen Manifestationen von COVID-19 in 2 Originalstudien und 3 Fallberichten beschrieben. Im Allgemeinen scheint eine Beteiligung des Auges selten zu sein. In der größten, nicht speziell ophthalmologischen Studie, Guan et al., die von einer Kohorte von 1099 Patienten mit COVID-19 berichteten, wurde in 0,8% der Fälle eine Bindehautinjektion festgestellt [27]. Wie von der AAO angegeben, stellt die Bindehautinjektion jedoch einen eher unspezifischen Befund dar, der auch durch die mechanische Beatmung verursacht werden kann, die in dieser Studie bei 6,1% der Patienten eingesetzt wurde.

In der größten ophthalmologischen Studie fanden Wu et al. bei 12 (31,6%) von 38 Patienten mit COVID-19 okuläre Symptome; bei 2 von ihnen (5,8%) wurde SARS-CoV-RNA gefunden. Zu den Symptomen gehörten Hyperämie, Chemosis, Epiphora und eine erhöhte Sekretion. Bei keinem der Patienten wurde eine verschwommene Sicht festgestellt [5]. Interessanterweise wiesen Patienten mit Augensymptomen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine höhere Anzahl weißer Blutkörperchen und neutrophiler Granulozyten sowie höhere Werte von Procalcitonin, C-reaktivem Protein und Laktatdehydrogenase auf [5]. Da sich herausgestellt hat, dass diese Marker stark mit dem Schweregrad der Erkrankung korrelieren [28], sollte in zukünftigen Studien eine mögliche Korrelation zwischen dem Vorhandensein okulärer Symptome und mittelschweren oder schweren Krankheitsverläufen untersucht werden. In einer anderen Studie fanden Seah et al. ähnliche Symptome bei 1 von 17 Patienten (5,8%), die eine konjunktivale Injektion und Chemosis entwickelten [17]. In ähnlicher Weise berichteten Chen et al. in einem Fallbericht erneut über entsprechende klinische Befunde bei einem Patienten mit Rötung, Fremdkörpergefühl und Tränen [6]. Zusätzlich fanden Chen et al. inferiore palpebrale Bindehautfollikel. In diesem Fallbericht wurden die okulären Symptome erstmals am Tag 13 nach Symptombeginn beschrieben, verbesserten sich am Tag 15 und waren am Tag 19 vollständig verschwunden [6]. In Analogie dazu fand ein anderer Fallbericht von Cheema et al. ähnliche konjunktivale Zeichen und zusätzlich eine Lidschwellung, Follikel und eine Keratitis, die sich mit subepithelialen Infiltraten mit darüberliegenden Epitheldefekten präsentierte [29].

In einem Überblick über die Pathogenität von Coronaviren im Allgemeinen erläutern Seah et al., dass Konjunktivitis, anteriore Uveitis, Retinitis und Sehnervenentzündung in Katzen- und Mausmodellen dokumentiert sind [30]. Gegenwärtig ist unklar, ob SARS-CoV-2 über die Keratokonjunktivitis hinaus eine schwerere Augenerkrankung verursachen kann. Aufgrund des Vorhandenseins von ACE 2 in der Netzhaut [19] und im Kammerwasser [20] könnte jedoch eine Uveitis oder eine Beteiligung des hinteren Pols möglich sein – und vielleicht sogar mit einer erhöhten Viruslast verbunden sein. Da Patienten mit einer hohen Viruslast jedoch auch häufiger schwere oder kritische Erkrankungen entwickeln, könnten schwere Augenprobleme derzeit weitgehend unbemerkt bleiben, da diese Patienten häufig auf Intensivstationen wegen viel schwerwiegenderer, lebensbedrohlicherer Erkrankungen behandelt werden.


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Klinische Anleitung zur ophthalmologischen Tätigkeit während der COVID-19-Pandemie

Im Kern zielen alle Maßnahmen, die zur Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19 ergriffen werden, auf eine „Abflachung der Kurve“ ab. Dies soll bedeuten, dass die maximale Anzahl der Patienten reduziert wird, die gleichzeitig erkranken (und in einem bestimmten Anteil intensivmedizinische Versorgung erforderlich machen), um so die Gesundheitssysteme vor Überlastung zu schützen [31].

Aufgrund des hohen täglichen Patientendurchsatzes in Augenkliniken stehen Ophthalmologen in einer besonderen Verantwortung, die Exposition in Wartezimmern und während der körperlichen Untersuchung zu reduzieren. Hierbei gilt es auch, eine Übertragung vom Patienten auf den Arzt zu verhindern. Sowohl AAO als auch RCOphth haben umfassende Empfehlungen zur Patientenversorgung während der COVID-19-Pandemie ausgesprochen.

Planung von Terminen

Sowohl in der Fachliteratur als auch durch die AAO und das RCOphth wird allen Augenärzten dazu geraten, nur dringende Behandlungen durchzuführen [25], [32], [33]. Die RCOphth hat spezifische Empfehlungen für die meisten Subspezialitäten herausgegeben. Darunter finden sich die konservative Retinologie, die vitreoretinale Chirurgie, das Glaukom, die Kinderaugenheilkunde einschließlich Frühgeborenenretinopathie, die Uveitis und die okuloplastische Chirurgie [33].

Die kürzlich veröffentlichte Moorfields Ophthalmological Risk Stratification and Implementation Guidance bietet detaillierte Empfehlungen für alle ophthalmologischen Fachbereiche, basierend auf einem 3-stufigen Risikoscore und der Vorgeschichte des Patienten in der Klinik (neuer Patient, Nachsorge, Operation) [34]. Bei Hochrisikopatienten wird empfohlen, die Behandlung fortzusetzen (z. B. akutes Winkelblockglaukom, neu diagnostizierte neovaskuläre AMD, neue aktive Panuveitis). Bei Patienten mit mittlerem Risiko könnte eine Fernberatung per Telefon oder Videoanruf die persönliche Vorstellung wirksam ersetzen und gleichzeitig das Übertragungsrisiko senken (z. B. milde endokrine Orbitopathie, Amblyopiebehandlung). Bei Patienten mit geringem Risiko (grauer Star mit leichter Sehminderung, kürzlich aufgetretene Chorioretinopathia centralis serosa) wird ein Aufschub um 6 Monate empfohlen.


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Chirurgische Eingriffe

Wie bei der ambulanten Versorgung wird empfohlen, alle nicht dringenden chirurgischen Eingriffe zu verschieben. Im Allgemeinen wurde die Beurteilung chirurgischer „Notfälle“ von den Fachgesellschaften recht streng vorgenommen (z. B. gilt die Empfehlung der RCOphth, eine Vitrektomie bei einseitiger diabetischer Glaskörperblutung um 6 Monate aufzuschieben [34]). Als weitere Orientierungshilfe hat die AAO eine Liste von Notfalloperationen veröffentlicht, die trotz der aktuellen Pandemie nicht hinausgezögert werden sollten [35].


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Klinische Studien

Bezüglich klinischer Studien gibt es ein weitgehendes Einvernehmen darüber, dass alle Beobachtungsstudien ausgesetzt werden sollten. Patienten, die Prüfsubstanzen erhalten, sollten die Studienbehandlung fortsetzen, wenn ein Entzug dieser Substanzen Schaden verursachen könnte. In den meisten Fällen sollte jedoch die Rekrutierung neuer Patienten für klinische Studien mit Prüfpräparaten unterbrochen werden [36].


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Praktische Empfehlungen für die klinische Infrastruktur

Screening auf COVID-19 und Triage

In vielen Kliniken und Arztpraxen wurde ein Screening auf COVID-19 umgesetzt, das für alle Patienten, die zu einem Termin kommen, gilt und durch geschultes Personal direkt im Eingangsbereich vor dem vollständigen Betreten der Einrichtungen durchgeführt wird ([Abb. 1 a, c]) [25], [37], [38]. Dazu müssen die Zugänge zur Klinik oder zur Praxis auf ein Minimum beschränkt werden. Das Personal sollte sicher hinter Schutzabschirmungen oder in maßgefertigten Kabinen untergebracht werden ([Abb. 1 c]). Die Patienten sollten wie folgt befragt werden:

  • Hatten Sie innerhalb der letzten 14 Tage Kontakt mit Personen, bei denen COVID-19 diagnostiziert wurde oder die innerhalb der letzten 14 Tage Symptome von COVID-19 zeigten?

  • Sind Sie innerhalb der letzten 14 Tage international gereist?

  • Weisen Sie eines der folgenden Symptome von COVID-19 auf [39], [40], [41], [42]?

    • Fieber, trockener Husten, Atemnot, Halsschmerzen, laufende Nase, Gliederschmerzen, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Durchfall, Geruchs- und Geschmacksverlust, Übelkeit

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Abb. 1 Triageeinsatz an der Augenklinik der LMU, Universitätsklinikum München, während der COVID-19-Pandemie. a Die Durchführung einer Triage am Haupteingang der Klinik ist essenziell, um Patienten mit COVID-19-Symptomen sofort zu isolieren sowie die Dringlichkeit der gewünschten augenheilkundlichen Konsultation zu beurteilen, besonders bei Patienten, die ohne vorherigen Termin vorstellig werden. Alle Patienten erhalten eine OP-Maske. b Ein berührungsloses Temperaturmessgerät wird eingesetzt, um diejenigen Patienten aufzuspüren, die zwar (weitgehend) asymptomatisch sind, aber dennoch Fieber haben. c Es wurden passgenaue Kabinen aufgestellt, um den direkten Kontakt zwischen Pflegepersonal und Patienten zu minimieren und die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Nachdem diese Maßnahmen Anfang März umgesetzt wurden, gab es bis zum 16. April 2020 keinen Fall von COVID-19-Übertragung zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal.

Darüber hinaus plädieren einige Autoren für eine Messung der Körpertemperatur, was jedoch das Gesundheitspersonal zusätzlich einer Infektionsgefahr aussetzen könnte ([Abb. 1 b]) [43]. Wenn bei Patienten nach obigen Fragen keine SARS-CoV-2-Infektion vermutet wird, erfolgt eine ophthalmologische Triage gemäß den oben genannten Vorschlägen (Dringlichkeit, Risiko etc.; siehe „Terminplanung“). Beim Betreten der Klinik ist eine Händedesinfektion erforderlich und es werden obligatorische chirurgische Gesichtsmasken ausgehändigt [43]. Wenn Patienten Symptome von COVID-19 aufweisen, sollten sie dringend von Personal in persönlicher Schutzausrüstung (PSA) isoliert werden.


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Warteraum

Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, sollten die Warteräume so leer wie möglich gehalten werden. Dies erfordert eine Optimierung des Patientenflusses (Verschiebung von nicht dringenden Terminen, geeignete Ambulanz des Personals). Im Warteraum sollte von den Patienten ein Mindestabstand von 1,5 bis 2,0 m eingehalten werden. Das Entfernen von Stühlen (und das Aufstellen in angemessenem Abstand) kann dies erleichtern.


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Reorganisation des Personals

Um die Ansteckungsgefahr innerhalb des medizinischen Personals zu verringern, wurde die Arbeit in getrennten Teams vorgeschlagen und in vielen Kliniken umgesetzt [43]. Diese Teams sollten nur ein Minimum an persönlichem Kontakt haben, und einige Kliniken haben für das nicht anwesende Team 50% Heimarbeit eingeführt. Da Heimarbeit das Infektionsrisiko sogar über das reine Arbeitsrisiko hinaus (weniger Pendeln usw.) weiter verringert, haben viele Behörden für beide Teams je 1 Woche in der Klinik/Büro und anschließend 1 Woche Heimarbeit im Wechsel eingeführt.


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Gesichtsmasken und Spaltlampenschutzschilde

Viele Kliniken in Deutschland, auch unsere, haben eine obligatorische Maskenpflicht für alle Patienten und das gesamte medizinische Fachpersonal eingeführt. Es ist zu beachten, dass Masken mit Ausatemventil (z. B. FFP2, FFP3) nicht den Gegenüber schützen, und deshalb wohl alle mit einer zusätzlichen darüberliegenden chirurgischen Gesichtsmaske versorgt werden sollten. Die Vorteile eines breiten Einsatzes von Schutzmasken müssen gegenüber möglicher lokaler Engpässe abgewogen werden, und strenge Hygienemaßnahmen müssen implementiert werden. Ferner wurden Spaltlampenschutzschilde empfohlen. Sie können bei verschiedenen Spaltlampenherstellern bestellt oder aus flexiblen Plastikfolien selbst hergestellt und an der Spaltlampe befestigt werden. Zur Montage muss das Okular abgenommen werden [13]. Detaillierte Anweisungen finden sich hierzu online [14]. Eine gründliche Desinfektion der flexiblen, selbstgefertigten Schutzschilde ist in der Praxis schwer umzusetzen. Langfristig dürften deshalb professionelle Schutzschilde praktischer einzusetzen sein. Grundsätzlich sollte der Patient angewiesen werden, an der Spaltlampe nicht zu sprechen, um das Risiko einer Tröpfcheninfektion so niedrig wie möglich zu halten.


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Schlussfolgerung

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2, das die derzeit pandemische COVID-19-Erkrankung auslöst, hat erhebliche Konsequenzen für die Augenheilkunde – sei es, weil die Augen einen wichtigen Infektionsweg darstellen, wahrscheinlich über die Tränenwege zur Nasenschleimhaut, oder wegen okulärer Manifestationen, die, wenn auch eher selten, die ersten Symptome dieser neuartigen Krankheit darstellen können [29]. Innerhalb kurzer Zeit hat die weltweite ophthalmologische Fachwelt substanzielle Erkenntnisse zu dieser neuen Entität gewonnen und wichtige Leitlinien entwickelt, wie wir unsere tägliche Pflicht zur Erhaltung des Augenlichts an diese komplexe Situation anpassen können. Während sich SARS-CoV-2 weiterhin weltweit ausbreitet und viele offene Fragen bleiben, besteht die Hoffnung, dass die anhaltende internationale Zusammenarbeit uns bald Möglichkeiten bieten wird, diese Pandemie zu bewältigen.


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Correspondence/Korrespondenzadresse

Dr. Jakob Siedlecki
Klinikum der Universität München
Augenklinik der LMU
Mathildenstraße 8
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Germany   
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Fig. 1 Implementation of triage during the COVID-19 pandemic in the University Eye Clinic Munich, Ludwig Maximilians University, Germany. a Triage at the main entrance of the clinic is essential to directly isolate patients showing symptoms of COVID-19, and to evaluate the urgency of the requested ophthalmological consultation, especially in patients presenting without a prior appointment. All patients are provided with surgical masks. b Non-contact thermometers can be implemented to screen for (largely) asymptomatic patients who, however, present with fever. c Custom cabins limiting direct health care worker/patient interaction can be constructed to reduce contagion. Since implementing these measures in the beginning of March, no case of patient-personnel-related COVID-19 transmission was documented as of April 16, 2020.
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Abb. 1 Triageeinsatz an der Augenklinik der LMU, Universitätsklinikum München, während der COVID-19-Pandemie. a Die Durchführung einer Triage am Haupteingang der Klinik ist essenziell, um Patienten mit COVID-19-Symptomen sofort zu isolieren sowie die Dringlichkeit der gewünschten augenheilkundlichen Konsultation zu beurteilen, besonders bei Patienten, die ohne vorherigen Termin vorstellig werden. Alle Patienten erhalten eine OP-Maske. b Ein berührungsloses Temperaturmessgerät wird eingesetzt, um diejenigen Patienten aufzuspüren, die zwar (weitgehend) asymptomatisch sind, aber dennoch Fieber haben. c Es wurden passgenaue Kabinen aufgestellt, um den direkten Kontakt zwischen Pflegepersonal und Patienten zu minimieren und die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Nachdem diese Maßnahmen Anfang März umgesetzt wurden, gab es bis zum 16. April 2020 keinen Fall von COVID-19-Übertragung zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal.