Klinischer Fall
Aus den von der Schlichtungsstelle herangezogenen Krankenunterlagen, auch des nachbehandelnden Arztes, ergab sich folgender Krankheits- und Behandlungsverlauf:
Seit 35 Jahren stand die Patientin aufgrund verschiedener Erkrankungen in einer hausärztlichen Praxis in Behandlung. Seit diesem Zeitpunkt war ein allergisches Asthma bronchiale sowie seit 10 Jahren eine Rhinitis allergica mit Nachweis der Anwendung verschiedener Therapieformen aktenkundig. Im April 2015 erfolgte laut ärztlicher Dokumentation erstmals aufgrund der Rhinitis allergica eine Behandlung mittels „Triam40“ als intramuskuläre Injektion. 2 Jahre später wurde laut Patientenkartei aufgrund der Rhinitis eine weitere i. m.-lnjektion von „Triam“ (ohne Präparate-Angabe) im Bereich des rechten Oberarms durchgeführt. Im Injektionsbereich war 9 Monate später eine „fünfmarkstückgroße, ca. 1 cm tiefe Hautdystrophie“ unter der Diagnose Muskeldystrophie aktenkundig. Zur Therapieberatung erfolgte eine Vorstellung in einer Praxis für plastische Chirurgie, wo die Veränderung als Fettatrophie infolge der „Triam-Injektion“ eingeordnet sowie eine Eigenfett-Therapie vorgeschlagen wurde. Eine Fotodokumentation des Befundes war aktenkundig.
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Die Patientin bemängelte die ärztliche Behandlung durch den Hausarzt und vertrat die Auffassung, dass durch eine fehlerhafte Injektion des Kortikoidpräparates Triam inject 40 mg eine ausgeprägte Hautatrophie im Bereich Oberarm rechts eingetreten sei. Aufgrund des entstellenden Hautzustandes sei eine starke psychische Beeinträchtigung eingetreten.
Stellungnahme des behandelnden Hausarztes
Stellungnahme des behandelnden Hausarztes
Vom Hausarzt wurde die Injektion des Präparates mit Injektionsort rechter Oberarm sowie ein Defekt des Unterhautfettgewebes in diesem Bereich bestätigt. Ein Aufklärungsprotokoll zu möglichen Nebenwirkungen sei nicht erstellt worden, da entsprechende Injektionen mehrfach erfolgt seien. 9 Monate später habe die Patientin einen ca. fünfmarkstückgroßen sowie ca. 1 cm tiefen Defekt im Unterhautgewebe gezeigt, der von Ort und Zeit der damaligen Injektion entspräche. Weitere Konsultationen seien zu diesem Vorfall nicht erfolgt; es lägen keine Fremdbefunde vor.
Beurteilung durch die Schlichtungsstelle
Beurteilung durch die Schlichtungsstelle
In Würdigung der medizinischen Dokumentation und der Stellungnahmen der Beteiligten gelangte die Schlichtungsstelle zu folgender Bewertung des Sachverhaltes:
Bei der Patientin bestand seit Jahren eine fachärztlich diagnostizierte saisonale Rhinitis allergica. Aufgrund akuter Beschwerden erfolgte im Rahmen der Betreuung durch den Hausarzt – ohne nachweisliche Therapie mit nach allgemeinem ärztlichen Standard diagnosegerechten Antiallergika – die Injektion des Kortikoidpräparates Triam 40 (ohne genaue Präparate-Dokumentation). Laut ärztlicher Stellungnahme wurde die Injektion intramuskulär im Bereich Oberarm rechts durchgeführt. Der 9 Monate später dokumentierte Hautbefund im Injektionsbereich sowie die Fotodokumentation durch den plastischen Chirurgen entspricht der typischen Hautveränderung einer Lipatrophie lokalisiert nach Glukokortikoid-Injektion. Laut Fachinformation sollte die parenterale Verabreichung von Kortikosteroiden vom Typ Triamcinolon-Depot Situationen vorbehalten bleiben, in denen eine lokale bzw. orale Therapie nicht durchführbar bzw. kein ausreichender Therapieeffekt zu erzielen ist. Entsprechend der ärztlichen Dokumentation erfolgte eine Behandlung mit laut Fachstandard zunächst empfohlenen lokalen bzw. systemischen Antiallergika nicht. Bei laut Patientenkartei nicht aufgeführtem Schweregrad der klinischen Symptome war auch bei bekannter guter Wirksamkeit von Triamcinolon-Depot-Präparaten diese Soforttherapie ohne Begründung zu weiteren diagnosebezogenen Therapiemöglichkeiten als nicht fachgerecht zu beanstanden. Nach Lage der Akte bestand keine Indikation zur Injektion mit diesem Präparat.
Ergänzend wies die Schlichtungsstelle darauf hin, dass maßgeblich für die Verursachung der Komplikation einer aseptischen Lipatrophie die fehlerhafte Injektionstechnik sowohl der Tiefe als auch des Injektionsortes nach zu beurteilen war. Entsprechend der Fachinformation hat die Injektion tief intragluteal zu erfolgen, wobei nach Injektion ein steriler Tupfer ca. eine Minute auf die Injektionsstelle zu pressen sei, um das Rücklaufen der Suspension in den Stichkanal zu vermeiden. Somit waren hinsichtlich der Durchführung sowohl der Injektionsort Oberarm rechts als auch die Injektionstechnik als fehlerhaft zu bewerten. Bereits der erste Anschein sprach für fehlerhaftes Handeln, da eine Lipatrophie ausschließlich iatrogen auftreten kann.
Zusammenfassend waren sowohl die ärztliche Entscheidung zur Therapie mittels des Triamcinolon-Depot-Präparats als auch die Durchführung der Injektion als Fehler ärztlichen Handelns zu bewerten.
Gesundheitsschaden
Durch das fehlerhafte Vorgehen kam es zu folgenden Gesundheitsbeeinträchtigungen:
Durch die fehlerbedingte Applikation von Triamcinolon-Kristallsuspension war eine aseptische, nicht entzündliche Lipatrophie mit dellenförmiger Verringerung von ca. 5 cm Durchmesser des subkutanen Fettgewebes und dadurch kosmetisch beeinträchtigendem Hautzustand nachweisbar.
Die Schlichtungsstelle hielt Schadensersatzansprüche im dargestellten Rahmen für begründet und empfahl, die Frage einer außergerichtlichen Regulierung zu prüfen.
Medizinische und rechtliche Interpretation
Medizinische und rechtliche Interpretation
Bald nach Einführung der topischen und systemischen Glukokortikosteroide in die medizinische Therapie in den 1950er-Jahren wurde deren Wirksamkeit bei allergischen Erkrankungen der Haut und der Schleimhäute erkannt. Nachdem zunächst systemische Glukokortikosteroide zur Therapie der allergischen Rhinitis verwendet wurden, kamen seit 1973 zunehmend topisch nasal anwendbare Präparate auf den Markt, für deren Wirksamkeit eine gute Evidenz vorliegt [1]. Hausärzte verwendeten aus Gründen der Praktikabilität jedoch weiterhin gerne Depotpräparate systemischer Glukokortikoide, insbesondere das lang wirksame Triamcinolon [1].
Die deutsche Leitlinie zur allergischen Rhinokonjunktivitis stammt aus dem Jahr 2003 und ist veraltet [2]; aktuell befindet sich eine neue Leitlinie in Erarbeitung. In dieser älteren Leitlinie aus dem Jahr 2003 wird die Bedeutung der nasalen topischen Glukokortikoide neben den oralen Antihistaminika als Therapeutika der ersten Wahl bei intermittierender und persistierender allergischer Rhinokonjunktivitis bei Erwachsenen und Kindern betont; sie sollten insbesondere bei persistierender mäßiger bis schwerer Symptomatik mit nasaler Obstruktion eingesetzt werden [2].
Bez. oraler und der Depotpräparate systemischer Glukokortikosteroide ist die Leitlinie von 2003 zurückhaltend; es wird darauf verwiesen, dass diese in der täglichen Praxis häufig eingesetzt werden, ohne dass hierfür ausreichende Studien vorlägen [3]. Nach Facharztstandard vertretbar ist der Einsatz von Depotpräparaten systemischer Glukokortikosteroide zur Therapie der allergischen Rhinokonjunktivitis damit nach wie vor, zumal in Deutschland die Kristallsuspension mit 40 mg Triamcinolonacetonid (unter anderem) zugelassen ist für die „systemische (intramuskuläre) Anwendung bei allergischer Rhinitis, bei schweren Verlaufsformen und Versagen einer Lokaltherapie“ [4].
Diese Einschränkungen wurden im vorliegenden Fall nicht beachtet, denn weder war ein schwerer Verlauf der allergischen Rhinitis belegt noch vorher die leitliniengerechte Lokaltherapie mit einem glukokortikoidhaltigen Nasenspray durchgeführt worden.
Atrophien als Folge der Injektion von Glukokortikoiden sind in der Dermatologie schon lange bekannt [5]. Insbesondere nach intrakutanen Triamcinolon-Injektionen, wie sie etwa bei der Therapie von Keloiden erfolgen, sind Atrophien häufig [6]. Die Injektion von Triamcinolon zur systemischen Depot-Therapie bei Rhinitis allergica sollte daher streng intramuskulär erfolgen. Die Fachinformation empfiehlt die Injektion grundsätzlich langsam und tief intraglutäal (nicht intravenös und nicht subkutan) und verweist darauf, dass mit der tief intraglutäalen Anwendung die sonst mögliche Entstehung von Gewebeschwund weitestgehend vermieden werden könne. Nach der Injektion sollte ein steriler Tupfer 1 – 2 Minuten fest auf die Injektionsstelle gepresst werden, um das Rücklaufen der Suspension in den Stichkanal zu vermeiden, worauf auch die Schlichtungsstelle in ihrer Beurteilung hinwies. Eine rechtswirksame Aufklärung des Patienten über die möglichen multiplen Nebenwirkungen einer Triamcinolon-Injektion sollte vor der Injektion, ggf. auch schriftlich, erfolgen und in der Patientenakte dokumentiert werden.
Bei Verdacht auf eine systemische Glukokortikosteroid-Allergie ist meist eine allergologische Testung indiziert. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Intrakutantestungen von Glukokortikosteroiden in einem hohen Prozentsatz der Getesteten zu dermalen Atrophien führen, während dies bei Epikutantestungen und Pricktestungen nicht zu befürchten ist [7]. Die Indikation für eine allergologische Intrakutantestung von Glukokortikosteroiden sollte daher sehr vorsichtig gestellt werden [7].
Die intra- und/oder subkutane Injektion einer Triamcinolon-Kristallsuspension hat ein hohes Risikopotenzial, eine langanhaltende Atrophie der Dermis oder des subkutanen Fettgewebes zu verursachen. Die intramuskuläre Anwendung von Triamcinolonacetonid für die Therapie der allergischen Rhinitis ist nur zugelassen, wenn diese einen schweren Verlauf zeigt und eine leitliniengerechte Lokaltherapie versagt hat. Diese Indikationseinschränkungen sollten streng beachtet und Patienten über das Nebenwirkungspotenzial der Therapie rechtswirksam aufgeklärt werden.