Schlüsselwörter
COVID-19 - Coronavirus
Key words
Pandemia - plastic surgery - Covid-19 management
Einleitung
Die globale COVID-19-Pandemie lässt derzeit keinen Lebensbereich unberührt und hat
durch die notwendigen Maßnahmen zur Beschränkung sozialer Kontakte den Alltag aller
Menschen maßgeblich eingeschränkt. Am 12. März 2020 wurden in Deutschland Leitlinien
zum einheitlichen Vorgehen mit weitreichenden Kontakt- bzw. Ausgangsbeschränkungen
erlassen, welche je nach Einsatzgebiet sehr unterschiedliche Implikationen auf uns
Plastische Chirurgen haben.
Auf der einen Seite steht hier die Situation in den Kliniken: In vielen Krankenhäusern
sind elektive Operationen seit einigen Wochen zunehmend reduziert, beziehungsweise
größtenteils ganz eingestellt worden. Von den 4 Säulen unseres Faches sind innerhalb
der Klinik bislang nur Operationen mit Dringlichkeit aus den Bereichen Rekonstruktion,
Hand und Verbrennung zu rechtfertigen.
Assistenz- und Fachärzte[
1
] der Plastischen Chirurgie werden teilweise auf Intensivstationen oder in der Notaufnahme
eingesetzt bzw. mit administrativen Aufgaben betreut. Der Bedarf hierfür variiert
jedoch stark nach Region und Integration sowie Versorgungsstufe der jeweiligen Klinik
in ihrem Versorgungsnetzwerk.
Ein ganz anderes Bild zeigt sich auf der Seite der niedergelassenen Kolleginnen und
Kollegen: Hier wird größtenteils im Versorgungssegment der Selbstzahler agiert und
vor allem im Bereich der wunscherfüllenden „vierten Säule“ unseres Faches, der Ästhetik.
Bund und Länder formulierten in ihrem Beschluss vom 22.03.2020 unter Punkt 7 klar,
dass „Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege, wie Friseure, Kosmetikstudios,
Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe (…) geschlossen (werden), weil
in diesem Bereich eine körperliche Nähe unabdingbar ist. Medizinisch notwendige Behandlungen
bleiben weiter möglich“ [1]. Diese Formulierung wurde in der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit
den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15.04.2020 nochmals bekräftigt
[2]. Es bleibt zu vermuten, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier derzeit in ihrer
finanziellen Existenz bedroht sind, vor allem wenn es um Eingriffe im rein ästhetischen
Bereich geht.
Eine fundierte Übersichtsarbeit über Auswirkungen und Folgen der COVID-19-Pandemie
wurde, bezogen auf die aktuellen Herausforderungen in der Plastischen und Rekonstruktiven
Chirurgie insgesamt, von Guinta et al. aktuell publiziert [3]. Wir wollen, aufbauend auf diese sehr ausführliche Arbeit, mit unserem Beitrag einen
aktuellen Überblick über die Situation im Kontext von Covid-19 in einer Klinik für
Maximalversorgung im Großraum Berlin geben. Diese steht exemplarisch für Häuser vergleichbarer
Größe, die – mit Blick in die Zukunft – vor ähnlichen Fragen stehen werden.
Vor diesem Hintergrund werden unsere adaptierten Handlungsstrategien skizziert, die
sich an Neuinfektionszahlen, Bettenbelegung und Materialressourcen orientieren und
Optionen aufzeigen, das elektive plastisch-chirurgische OP-Programm bei weiterhin
zu erwartenden stetig wechselnden Fallzahlen gleichzeitig wieder aufnehmen zu können.
Dieses Wiederaufnahmekonzept, das wir an unserer Klinik etabliert haben, orientiert
sich an den Grundsätzen „Wahrung der rechtlichen Rahmenbedingungen“, „Versorgungssicherheit
mit Materialressourcen“ sowie „Gewährleistung von Mitarbeiter- und Patientenschutz“.
Corona – aktuelles Wissen für Plastische Chirurgen
Corona – aktuelles Wissen für Plastische Chirurgen
Der erste Nachweis des SARS-CoV-2-Virus erfolgte im Dezember 2019 in der chinesischen
Provinz Wuhan. Derzeit wird eine Übertragung von infizierten Tieren auf Menschen auf
einem Markt angenommen [4]. Die WHO sprach aufgrund der Ausbreitungsdynamik erstmals am 11.03.2020 offiziell
von einer Pandemie [5].
Bislang sind 3 Transmissionswege für das Virus sicher belegt:
-
Tröpfcheninfektion, die den Hauptübertragungsweg darstellt: Hierbei kommen beim Niesen, Husten oder Sprechen
infektiöse Sekrete auf die Schleimhäute des Empfängers, ggf. auch die Bindehäute der
Augen. Die Übertragung erfolgt hier wohl eher über kurze Distanzen bis zu 2 Metern
[6]. Die Tröpfcheninfektion ist auch der gefährlichste Infektionsweg bei medizinischem
Personal (Intubation, Absaugung der Atemwege, Bronchoskopie, nicht-invasive Beatmung
etc.) [4], [5].
-
Kontaktübertragung: Erfolgt durch das Berühren respiratorischer Sekrete bzw. damit kontaminierter Körperteile
oder von Gegenständen mit den Händen und konsekutivem Schleimhautkontakt des Empfängers
(am ehesten durch Berühren des Gesichtes) [7], [8]. Zur fäkal-oralen Übertragung liegen zwar erste Studien vor [9], dieser Übertragungsweg wird aber noch widersprüchlich diskutiert und gilt noch
nicht als bestätigt [10].
-
Übertragung durch infektiöse Aerosole: Dieser Übertragungsweg erzeugt in der Diskussion derzeit die größte Kontroverse,
da er über die Form der schwebenden Mikropartikel mit einer Größe von unter 5 µm,
die über längeren Zeitraum in der Luft wirksam bleiben, den umfassendsten Impetus
auf Art und Wesen von unterschiedlichen Quarantäne- und sozialen Distanzierungsmaßnahmen
hat, aber wenig kontrollierbar ist [11].
Die Datenlage zu vertikaler Transmission in der Schwangerschaft ist unklar und hat derzeit nur eine schwache Evidenz [12]).
Die Inkubationszeit beträgt maximal 14 Tage, im Median bei 5 Tagen [13]). Derzeit geht man von einer Infektiosität von 2,5 Tagen vor, bis 8 Tagen nach Symptombeginn
aus. Die PCR bleibt länger positiv, aber intakte Viren werden nicht mehr ausgeschieden
[14]). Die Übertragung ist auch durch infizierte Personen ohne oder mit nur sehr schwachen
Symptomen möglich [6], [15]).
Vermutlich verläuft sogar die Mehrzahl der Erkrankungen komplett symptomfrei oder
-arm ab. Bei einigen Patienten, insbesondere bei denen mit Risikoerkrankungen, kommt
es nach 7–10 Tagen zu einer klinischen Verschlechterung mit Dyspnoe und/oder Hypoxämie.
Eine Grundimmunität ist, anders als beispielsweise bei der Influenza, aufgrund des
Neuauftretens in der Bevölkerung in Deutschland bislang nicht vorhanden. Bei bislang
fehlendem Impfstoff und kausalem Therapieansatz ist eine Eindämmung der Infektion
nur durch das bereits seit einigen Wochen praktizierte „social distancing“, in Kombination
mit einem Hygienekonzept (Mundschutz, Hände waschen), als vordringliche Maßnahmen
möglich [6], [15].
Tab. 1
Relevante Merkmale von COVID-19 Patienten.
|
Demografie
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Geschlechterverhältnis
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48 % männlich, 52 % weiblich
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Altersmedian
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50 Jahre
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Altersverteilung
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< 10 Jahre: 2 %
10–19 Jahre: 4 %
20–49 Jahre: 43 %
50–69 Jahre: 33 %
70–89 Jahre: 16 %
≥ 90 Jahre: 3 %
|
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Symptome
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Husten
|
50 %
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Fieber
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42 %
|
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Schnupfen
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21 %
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Pneumonie
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3 %
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Weitere Symptome sind:
|
Halsschmerzen, Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust,
Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Konjunktivitis, Hautausschlag, Lymphknotenschwellung,
Apathie, Somnolenz
|
Von einer Immunität nach durchgemachter Infektion wird nach Tierversuchen an Primaten
auch beim Menschen ausgegangen [16]. Unklar ist aber, ab wann diese Immunität eintritt und wie lange sie währt, insbesondere
bei möglicher Mutation des Virusstammes im Verlauf. Momentan geht man davon aus, dass
erneute Infektionen bei immunkompetenten Menschen unwahrscheinlich sind, allerdings
ist auch dies nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Der Nachweis von Antikörpern
spielt aber derzeit noch keine Rolle für die Diagnostik. Hier werden aktuell serologische
Längsschnittstudien durchgeführt, um die Immunität von Genesenen über einen längeren
Zeitraum zu beobachten, wie zum Beispiel in der durch die LMU München durchgeführten
Studie (Prospektive COVID-19 Kohorte München, KoCo19) [17]). Damit wird die Immunität von Genesenen über einen längeren Zeitraum systematisch
beobachtet.
Inzidenz und Prävalenz sind in Deutschland derzeit noch sehr dynamisch und auch die
Basisreproduktionszahl von (R0), die Anfang April einmal bereits bei 0,7 lag, variiert
stark nach regionalen Einflussfaktoren [6], [18]. Diese Grundvermehrungsrate ist ein epidemiologischer Begriff für die durch mathematische
Modellierung geschätzte Anzahl an Menschen in einer empfänglichen Population, die
eine infektiöse Person durchschnittlich ansteckt. Hiermit lässt sich also der Verlauf
einer Epidemie vorhersagen. Bei R0 bzw. R < 1 ist die Weiterverbreitung der Infektion
unwahrscheinlich.
Der Krankheitsverlauf folgt keinem allgemeingültigen typischen Muster: Als häufigste
Symptome werden Fieber und Husten berichtet. Rund 80 % aller Erkrankungen verlaufen
mild bis moderat [17]), wobei mild Krankheitsverläufe ohne Pneumonie und moderat Verläufe mit einer leichten
Pneumonie beschreibt, welche im Röntgen bildmorphologisch auf eine Lungenseite begrenzt
bleibt, keine Dyspnoe auslöst und einen pO2 von 93 % und höher aufweist [19]). Schwere Verläufe sind durch starke Atemnot, einen pO2 von unter 90 %, Infiltraten
in beiden Lungen, Lungenversagen, septischen Schock und ein sukzessives Multiorganversagen
gekennzeichnet. Interessant ist auch die hohe Inzidenz von thromboembolischen Ereignissen,
welche auf eine COVID-19-induzierte Koagulopathie hinweist [19], [20].
Außerhalb Chinas und Italiens gibt es teilweise Beobachtungen, dass der Anteil milder
bis moderater Verläufe höher als 80 % ist [5], [6]. Genaue Faktoren, um diese Diskrepanz in schweren Verläufen zu erklären, sind bislang
nicht identifiziert. Mutmaßlich haben sie mit Faktoren wie räumlicher Enge, dem Zusammenleben
mehrerer Generationen unter einem Dach, Unterschieden in der klinischen Intensivmedizin
und natürlich auch mit der Datenqualität und der Anzahl der insgesamt identifizierten
Fälle zu tun.
Durch die in Deutschland ansteigenden Fallzahlen wird die Datenlage zu Demografie
und Symptomen auch belastbarer [16].
Schwere Verläufe sind bisher vor allem bei den sog. Risikogruppen aufgetreten, aber
auch Patienten ohne u. g. Vorerkrankungen sowie junge Menschen sind teilweise von
letalen Verläufen betroffen [19], [20].
Zur Risikogruppe für schwere Verläufe zählen [19], [21]:
-
ältere Personen (87 % der in Deutschland an COVID-19 verstorbenen Patienten waren
70 Jahre oder älter, Altersmedian 82 Jahre)
-
Raucher
-
adipöse Menschen
-
chronische Herz-Kreislauferkrankte (KHK, Hypertonus)
-
chronisch Lungenkranke (COPD, Emphysem, Asthmatiker)
-
chronische Lebererkrankte
-
Diabetiker
-
Patienten mit/nach einer Krebserkrankung
-
Immunsupprimierte (Cortison-Dauertherapie, Organtransplantierte, Pat. mit Autoimmunerkrankungen
und Immundefekten)
Weiterhin scheinen Co-Infektionen mit Mycoplasmen, Candida und Aspergillus sowie Superinfektionen
mit multiresistenten bakteriellen Erregern (z. B. Klebsiella pneumoniae und Acinetobacter
baumanii), die bei 5–40 % aller Patienten mit einer klinisch relevanten COVID-19-Pneumonie
nachgewiesen werden, mit schweren Verläufen assoziiert zu sein [22], [23].
Wie bereits oben erwähnt, steht aktuell kein Impfstoff zum Schutz vor COVID-19 zur
Verfügung. Derzeit befinden sich mehr als 100 Impfstoff-Versuche in präklinischen
bzw. explorativen Entwicklungsphasen, welche auf verschiedenen molekularen Ansätzen
aufbauen (z. B. DNA, RNA, Protein Subunit, Vector-Impfungen). Aktuell werden 7 Prototypen
in klinischen Phase-I-Studien untersucht, 5 Studien haben bereits Teilnehmer rekrutiert
[24].
Aufgrund des weiterhin nicht verfügbaren Impfstoffes und eines erneuten Anstiegs der
Basisreproduktionszahl ist derzeit nicht von gravierenden Veränderungen des öffentlichen
Lebens und der Situation in deutschen Kliniken auszugehen. Daher ist eine Anpassung
der einzelnen plastisch-chirurgischen Kliniken an die Gegebenheiten in den nächsten
Monaten unabdingbar, um einerseits chirurgisch handlungsfähig zu bleiben und andererseits
Patienten und Mitarbeiter ausreichend vor einer Infektion zu schützen.
Auf diese aktuelle Datenbasis, die zum Teil in kurzer Zeit jeweils an neue Erkenntnisse
angepasst werden muss und die deshalb noch nicht sehr belastbar sein kann, müssen
wir in der klinischen Praxis täglich reagieren. Das erfordert ein hohes Maß an Flexibilität
und ein ständiges Nachjustieren, um für die Plastische Chirurgie die geeigneten Schlussfolgerungen
anzuleiten.
Anpassungen und Rahmenbedingungen für Plastische Chirurgie
Anpassungen und Rahmenbedingungen für Plastische Chirurgie
Nachdem Anfang März 2020 zunehmend klar wurde, welche Implikationen das SARS-CoV-2-Virus
und die damit verursachte aktuelle Pandemie für Krankenhäuser in Deutschland haben
würden, wurde in unserer Klinik, den regionalen und nationalen Vorgaben folgend, die
Elektivchirurgie zunächst komplett eingestellt, um Beatmungskapazitäten zu schaffen,
Ressourcen zu schonen und ärztliches Personal – insbesondere diejenigen mit intensivmedizinischer
Erfahrung – entsprechend zu schulen. Die Ärzte unserer Abteilung wurden je nach Vorbildung
auf der ITS beziehungsweise in der Notaufnahme eingearbeitet und stehen in Notfall-Dienstplänen
bereit, bei einer stark wachsenden Anzahl kritischer Patienten zu unterstützen und
Personalausfall der Kernteams aufgrund von COVID-19 zu kompensieren.
Bei der derzeitigen Stagnation der Neuinfektionszahlen in Deutschland gilt es aber
auch, vor allem mit Blick in die Zukunft, die konsequent eingesetzten Hygieneregelungen
und Abläufe in den normalen Klinikalltag zu integrieren und eine dauerhafte Rückkopplung
mit institutionellen Ressourcen wie Intensivkapazität, Personalverfügbarkeit und Materialbeschaffung
beim Wiederbeginn elektiver plastischer Chirurgie zu ermöglichen.
Dafür wurden in unserer Klinik folgende Maßnahmen implementiert:
Etablieren einer Videosprechstunde für Beratungsgespräche
Gemäß der Empfehlung der Bundesärztekammer führen wir insbesondere Erstgespräche über
elektive Eingriffe im Bereich der ästhetischen und postbariatrischen Chirurgie seit
Mitte April online durch, um physische Arzt-Patienten-Kontakte zu minimieren.
Hier arbeiten wir mit dem Online-Videosprechstundenprogramm „patientus“ der jameda
Medien GmbH. Der große Vorteil dieses Programms ist neben der Videokommunikation auch
die Möglichkeit des Austausches von medizinischen Daten wie Laborberichten oder Befunden
über eine sichere Leitung (peer-to-peer, TLS-Verschlüsselung). Inhalte der Videosprechstunde
werden nicht gespeichert. Alle Datenleitungen laufen über zertifizierte, deutsche
Rechenzentren. Diese Sprechstunde kann via EBM auch über die Ziffern GOP 01450 und
01439 abgerechnet werden und ist somit Teil der vertragsärztlichen Versorgung bei
vorhandenem Kassensitz bzw. einer Ermächtigung. Ein Download ist für Arzt und Patienten
nicht notwendig. Weiterhin ist das Programm als „White-Label“-Produkt zu erhalten,
so dass man sein eigenes Unternehmens- bzw. Praxis-Markenbild hinterlegen kann. Dieses
Angebot wird von den Patientinnen und Patienten gut angenommen und die Autoren haben
bislang ausschließlich positive Rückmeldungen erhalten.
SAVE-Berlin@Covid-19
Der wichtigste limitierende Faktor im Gesundheitswesen derzeit ist die weitere Sicherstellung
der akuten intensivmedizinischen Versorgung innerhalb einer Netzwerkstruktur. Hierfür
wurde in Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung das SAVE-Berlin@Covid-19 etabliert.
Die Koordination übernimmt das ARDS/ECMO-Zentrum der Charité. Durch das Aussetzen
von elektiven Operationen vor allem in Maximalversorgern sind so über das übliche
Maß hinaus Intensivkapazitäten frei geworden, die nun zentral erfasst und vergeben
werden. So werden Patientenströme koordiniert gesteuert und entsprechend freier Kapazitäten
und Behandlungsmöglichkeiten innerhalb von Berlin-Brandenburg durch die Berliner Feuerwehr
standardisiert verlegt. Weiterhin existiert eine telemedizinische Konferenz, um komplexe
Fälle gemeinsam bettseitig zu evaluieren und die Behandlung zu optimieren. Das SAVE-Berlin-Konzept
umfasst 4 Eskalationsstufen. Stand Ende April 2020 gilt in Berlin die Stufe II, d. h.,
bis zu 60 % der Intensiv-Gesamtkapazität der beteiligten Krankenhäuser werden für
COVID-19-Patienten mit ARDS-Symptomen und kritischen Verläufen reserviert.
Über einen E-Mail-Verteiler gibt es jeden Morgen ein Bulletin, in dem die Belegungszahlen
aller Berliner Kliniken mit Corona-Patienten sowie die ITS- und Kohortenstationsbelegung
aufgeführt werden und auch der Abfluss von genesenen Patienten nachvollzogen werden
kann. Die wichtige strukturierte Weiterbehandlung im Sinne von Weaning und Rehabilitation
wird gesondert im „post-SAVE-Berlin@Covid19“-Konzept strukturiert. So existiert eine
für alle Krankenhausakteure transparente und nachvollziehbare Surveillance mit hoher
und aktueller Datenqualität, welche wiederum eine gute Prognose für den Bedarf von
Intensivkapazität zulässt und somit auch Eingriffe mit evtl. ITS-Aufenthalt (wie bei
freiem Gewebetransfer) möglich macht.
Pandemiestab
Damit eng verbunden ist der Pandemiestab des Klinikums – ein weiteres wichtiges Gremium
zur Abstimmung über die Behandlung von Patienten unter Berücksichtigung der aktuellen
Lage. Ihm gehören der ärztliche Direktor, die Geschäftsführung und Pflegedienstleitung,
die Krankenhaushygiene, die Logistik und die Apotheke an. Die Mitglieder des Stabes
überwachen alle aktuellen Entwicklungen bezüglich Vorgaben und Empfehlungen von Bundes-
und Landesregierung sowie des Robert-Koch-Institutes. Weiterhin ist der Pandemiestab
halbtagesaktuell über Material, insbesondere Schutzausrüstung, informiert. Jeden Mittag
findet via Videotelefonie ein Briefing der Chefärztinnen und -ärzte statt. Hierbei
wird individuell eine Realisierbarkeit der eventuell am Folgetag geplanten Elektivoperationen
und deren individuelle Priorisierung entschieden.
Behandlungstriage in der Plastischen Chirurgie
Die Notwendigkeitstriage in der Plastischen Chirurgie ist in unserer Klinik nach dem
folgenden kategorialen Schema hierarchisiert und gegliedert:
Kategorie 1: Patienten mit Wunden
Kategorie 2. Patienten mit Schmerzzuständen oder funktionellen Einschränkungen
-
schmerzhafte Kapselfibrosen (Brust)
-
Arthrosen/chron. Schmerzen an der Hand
-
neurogene Schmerzen (Kompressionssyndrome, Neurome etc.)
Kategorie 3: elektive Patienten mit wunscherfüllender Medizin
Patienten der Kategorie 1 wurden bislang in Abstimmung mit dem Pandemiestab immer
operiert, seit 27.04.2020 operieren wir auch wieder Patienten der Kategorie 2.
Folgende Grundsätze gilt es für uns hierbei immer zu beachten:
-
Aufklärung der Patienten über ein möglicherweise erhöhtes Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion
im Krankenhaus
-
Hierfür wurde ein standardisierter Aufklärungsbogen erstellt, der zwingend von jedem
Patienten auszufüllen ist.
-
Weiterhin existiert ein Informationsbogen mit Verhaltensregeln, die es während eines
stationären Aufenthaltes zu beachten gilt.
-
möglichst keine Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. Überwachung
-
Freie Lappenplastiken, standardisiert für 24 Stunden auf einer Intermediate Care Station
zum Lappenmonitoring aufgenommen, werden im Notfall auf die Normalstation verlegt
und das stündliche Lappenmonitoring wird angepasst.
-
ausreichende Verfügbarkeit von notwendigen Ressourcen zum Schutz von Mitarbeitern
und Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung
-
voraussichtlich keine Notwendigkeit einer längerfristigen stationären Behandlung
-
Miteinbeziehung eines individuellen Patientenrisikos zum Verlauf einer möglichen nosokomialen
COVID-19-Infektion in die Risiko-Nutzen-Abwägung
Die Behandlung von Patienten der Kategorie 3 wird – abhängig von behördlichen Anordnungen
– absehbar wieder aufgenommen, wobei die gleichen Grundsätze gelten. Bis dahin werden
diese Patienten auf einer Warteliste geführt.
Post-COVID-19 und die Plastische Chirurgie – ein Ausblick
Post-COVID-19 und die Plastische Chirurgie – ein Ausblick
Neben der Akutversorgung von COVID-19-Patienten ist es bereits jetzt wichtig, auch
für die Zeit der abklingenden Pandemie und danach zu planen. Aktuell befinden wir
uns in einer Übergangsphase von der akuten Kriseneindämmung hin zu einem intelligenten
Krisenmanagement. Mit jedem Tag steigen das Behandlungswissen und die epidemiologischen
Erkenntnisse über Durchseuchung, Immunität und den ausreichenden Schutz von Risikogruppen.
Angelehnt an diese Erkenntnisse muss auch den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen,
die größtenteils im Selbstzahlerbereich agieren, notwendiges Handlungswissen und rechtliche
Rahmenbedingungen an die Hand gegeben werden, um schrittweise wieder zu einem Normalbetrieb
zurückkehren und so ihre finanzielle Existenz und die ihrer Angestellten sicherstellen
zu können. Gangbare Wege dazu werden bereits skizziert und gebahnt, um absehbar die
Rückkehr in den plastisch-chirurgischen Alltag zu ermöglichen und auch für Patienten
im Segment der elektiven Operationen wieder zur Verfügung stehen zu können [25].
COVID-19 – assoziierte chirurgische Aufgaben für Plastische Chirurgen
COVID-19 – assoziierte chirurgische Aufgaben für Plastische Chirurgen
Als Folge der intensivmedizinischen Behandlungen könnte auch mit einer großen Zahl
an sekundären Komplikationen zu rechnen sein, in deren Behandlung wir Plastischen
Chirurgen maßgeblich beteiligt sein werden. Hier ist insbesondere an eine Vielzahl
von Decubitalgeschwüren nach Langzeitbeatmung und ITS-Behandlung zu denken. Auf Grund
der häufig durchgeführten Bauchlage könnten auch an für uns bislang selteneren anatomischen
Prädilektionsstellen wie an Stirn, Nasenspitze, Mammae und Patella plastisch-chirurgische
Eingriffe verstärkt notwendig sein.
Weiterhin ist durch die teilweise sehr hohe Katecholamintherapie mit einer Zunahme
akraler Nekrosen zu rechnen, deren optimale Behandlung ebenfalls uns obliegt.
Ein weiterer, stärker zu beobachtender Aspekt sind die Hautmanifestationen, die bei
COVID-19-Patienten zunehmend in der Literatur beschrieben werden und in deren Behandlung
wir ebenfalls verstärkt involviert werden könnten.
Die Bedeutung unserer Disziplin im Kontext der Covid-19-Pandemie in Europa wurde bereits
in mehreren europäischen Übersichtsarbeiten zum Thema umfassend dargestellt [26], [27], [28].
Zusammenfassung
Aktuell stehen wir erst am Anfang der umfassenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie.
Das Wissen dazu entwickelt sich rapide und muss immer wieder aktualisiert und zum
Teil auch revidiert werden. Eine Rückkehr zur Normalität wird aber erst nach der Entwicklung
und flächendeckenden Distribution eines Impfstoffes möglich werden.
Wir wollen in diesem Artikel eine aktuelle Übersicht über die Bedeutung für und den
Einfluss des SARS-CoV-2-Virus auf den Betrieb eines Krankenhauses der Maximalversorgung
skizzieren, das damit konfrontiert ist, die Balance zwischen Intensivmedizin und der
Wiederaufnahme eines plastisch-chirurgischen Betriebs konstruktiv zu bewältigen. Dafür
braucht es Handlungsstrategien und geeignete Maßnahmen, die wir mit anderen Fachkolleginnen
und -kollegen teilen wollen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Wie alle
medizinischen Bereiche wird auch die Plastische Chirurgie in den nächsten Monaten
stark gefordert sein und wir wollen mit unserem Blick in die aktuelle Praxis unserer
Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie dazu einen konstruktiven Beitrag
leisten.