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DOI: 10.1055/a-1222-0042
Prävalenz von BRCA1- und BRCA2-Mutationen bei Patientinnen mit primärem Ovarialkarzinom – bildet die deutsche Checkliste zur Erfassung des Risikos für erblichen Brust- und Eierstockkrebs den Beratungsbedarf ausreichend ab?
Article in several languages: English | deutschZusammenfassung
Hintergrund BRCA1/2-Mutationen sind die Hauptursache für erbliche epitheliale Ovarialkarzinome (EOC). Das Deutsche Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs hat Einschlusskriterien definiert, welche als Checkliste abrufbar sind und Betroffenen mit einer Mutationswahrscheinlichkeit von ≥ 10% eine genetische Beratung/Testung ermöglichen. Unser Ziel war es, die Prävalenz der BRCA1/2-Mutation(en) auf Basis des Checklisten-Scores (CLS) zu evaluieren.
Methoden Es erfolgte eine retrospektive Datenanalyse von EOC-Patientinnen mit Primärdiagnose, die zwischen 1/2011 – 5/2019 an den Kliniken Essen-Mitte behandelt wurden und für die ein BRCA1/2-Genanalyse-Ergebnis und ein CLS vorlag. Von 545 Fällen mit BRCA1/2-Ergebnis (Kohorte A) lag in 453 Fällen zusätzlich ein erweitertes Gen-Panel-Ergebnis (Kohorte B) vor.
Ergebnisse In 23,3% (127/545) wurde in Kohorte A eine BRCA1/2-Mutation festgestellt, in Kohorte B zeigten sich bei weiteren 6,2% pathogene Mutationen in Nicht-BRCA1/2-Genen. In Kohorte A hatten 23,3% (127/545) der Patienten eine BRCA1- (n = 92) oder BRCA2- (n = 35) Mutation. Ein singuläres EOC (CLS 2) lag in 40,9% vor. Die Prävalenz für eine BRCA1/2-Mutation in Kohorte A betrug 10,8%, 17,2%, 25,0%, 35,1%, 51,4% und 66,7% für Patienten mit CLS 2, 3, 4, 5, 6 bzw. ≥ 7. Die Mutationsprävalenz in Kohorte B betrug 15,9%, 16,4%, 28,2%, 40,4%, 44,8% und 62,5% für Patienten mit CLS 2, 3, 4, 5, 6 bzw. ≥ 7.
Schlussfolgerungen Die BRCA1/2-Mutationsprävalenz bei EOC-Patienten korreliert positiv mit steigendem Checklisten-Score. Bereits beim singulärem EOC überschreitet die Prävalenz einer BRCA1/2-Mutation die geforderte 10%-Schwelle. Unsere Daten unterstützen die Empfehlung der S3-Leitlinie Ovarialkarzinom, allen Patientinnen mit EOC eine genetische Testung anzubieten. Eine Optimierung der Checkliste mit eindeutiger Kennzeichnung der Testungsindikation in dieser Population ist daher anzustreben.
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Schlüsselwörter
Ovarialkarzinom - BRCA-Mutation - hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom - Erblichkeits-ChecklisteEinleitung
Mit 7350 Neuerkrankungen stellt das Ovarialkarzinom in Deutschland das dritthäufigste gynäkologische Malignom nach Mamma- und Endometriumkarzinom dar [1]. In über 90% der Fälle handelt es sich dabei um Tumoren epithelialen Ursprungs – hierzu werden das epitheliale Ovarial-, Tuben- und Peritonealkarzinom zusammengefasst. Wenngleich das Lebenszeitrisiko in der Gesamtbevölkerung, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken, mit etwa 1,5% [2] eher niedrig ist, steigt dieses Erkrankungsrisiko um ein Vielfaches bei Vorliegen einer pathogenen Genmutation, wie z. B. im Falle einer BRCA1-Mutation auf 40 – 63% oder im Falle einer BRCA2-Mutation auf 16 – 27% [3], [4], [5], [6], [7]. Die Prävalenz für eine BRCA1/2-Mutation in der Normalbevölkerung wird auf 1 : 300 – 500 geschätzt [8], [9], [10], [11], [12], [13]. Die Prävalenz liegt jedoch deutlich über 10% bei Personen, bei denen eine familiäre Häufung von Mamma- und Ovarialkarzinomen vorliegt. In Deutschland wird die Indikation zur genetischen Keimbahntestung auf pathogene Mutationen gemäß den Kriterien des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs indiziert [14]. Die genetische Beratung und Testung kann von berechtigten Personen (Humangenetikern und Ärzten mit entsprechender Zusatzbezeichnung) innerhalb und außerhalb des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs vorgenommen werden. Darüber hinaus kann (nach Klärung der Kostenübernahme durch den Kostenträger) außerhalb dieser Indikationen in begründeten Fällen (z. B. Mutationswahrscheinlichkeit ≥ 10% bei Frauen mit triple-negativem Mammakarzinom oder singulärem Ovarialkarzinom) eine genetische Beratung und Testung vorgenommen werden. Die Testkriterien basieren auf Überlegungen zur Versorgungsrealität und zu den Kosten, die in der Vergangenheit in vielen Ländern zur Forderung einer Mutationsprävalenz von mindestens 10% als Einschlusskriterium für das Angebot einer genetischen Testung geführt haben. Dennoch existieren landesspezifische Unterschiede wie z. B. in den USA mit den Empfehlungen des NCCN (National Comprehensive Cancer Network). Hier sind die Kriterien deutlich weiter gefasst und umfassen u. a. die Empfehlung zur genetischen Beratung und Testung bereits bei allen Personen mit einer Mutationswahrscheinlichkeit von 5%. Hierzu gehören z. B. Frauen mit singulärem EOC unabhängig von der Familienanamnese, aber auch auch Patienten mit Prostatakarzinom, Pankreaskarzinom, und triple-negativem Mammakarzinom bis zum 60. Lebensjahr [15]. Mit der Einführung von Hochdurchsatzverfahren, die eine schnellere und effizientere Genanalyse ermöglichen, sind diese Grenzziehungen für die Zukunft zu hinterfragen. Der technologische Fortschritt ermöglicht es zudem die Genanalysen um weitere Gene zu erweitern, deren Mutation zu einer deutlichen Steigerung des Lebenszeitrisikos für die Entwicklung eines Mamma- und/oder Ovarialkarzinoms bedeuten. Die Multi-Gen-Panel-Analysen werden mit zunehmender Verbreitung bereits in der Routinediagnostik seit mehreren Jahren eingesetzt. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Erkrankungspenetranzen in Patientenkohorten mit niedrigerer Mutationsprävalenz ebenfalls niedriger sind.
Kast et al. [12] evaluierten die Prävalenz einer pathogenen BRCA1/2-Mutation anhand der Eigen- und Familienanamnese von Brust- und/oder Eierstockkrebspatienten und konnten erfolgreich Kriterien zur klaren Identifikation der Risikopopulation in Deutschland, in der eine Mutationswahrscheinlichkeit von ≥ 10% angenommen wird, definieren. Zur einfachen Anwendung wurden diese in eine benutzerfreundliche Checkliste [16] implementiert, die auf Basis eines Drei-Generationen-Stammbaumes die Eigen- und Familienanamnese von gesunden Ratsuchenden und Betroffenen erfasst. In Abhängigkeit der Anzahl und Art von Tumoren in der Familie, aber auch des individuellen Ersterkrankungsalters, werden Risikoscores vergeben. Ab einem Checklisten-Scorewert (CLS) von ≥ 3 wird eine Mutationswahrscheinlichkeit von ≥ 10% angenommen und somit Betroffenen eine genetische Beratung und Testung angeboten und von den Kostenträgern getragen. Die anwenderfreundliche Form der Checkliste führte zu einer erfolgreichen Implementierung in den klinischen Alltag. Die positive Korrelation der Checkliste mit einer BRCA1/2-Mutation konnte an Mammakarzinompatientinnen bereits gezeigt werden [17]. Darüber hinaus wird die Erfassung einer erblichen Belastung auf Basis dieser Checkliste in den Zertifizierungsvorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG; [18], [19]) als Qualitätskriterium gefordert.
Kritisch bleibt allerdings an der Checkliste, dass Ovarialkarzinompatientinnen ohne weitere familiäre Mamma-/Ovarialkarzinomanamnese (sog. „singuläres Ovarialkarzinom“) einen Scorewert (CLS) von 2 Punkten erzielen und damit kein Angebot der genetischen Beratung und nachfolgenden Testung erhalten. Im Rahmen der AGO-TR1-Studie [20] konnte für Deutschland in einem großen Kollektiv von EOC-Patientinnen erstmals gezeigt werden, dass die Prävalenz für eine pathogene BRCA1/2-Mutation auch bei Frauen mit singulärem Ovarialkarzinom über der geforderten 10%-Schwelle liegt. Dank dieser Studiendaten ist seit 2016, wenngleich nicht flächendeckend über alle Kostenträger, eine Erweiterung der Einschlusskriterien des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs erreicht worden, sodass nun ein Gentest auch für Frauen mit singulärem Ovarialkarzinom im Rahmen von Spezialverträgen mit den Konsortialzentren möglich ist. Die aktuelle S3-Leitlinie Maligne Ovarialtumoren [21] empfiehlt bei Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom, über das Risiko einer hereditären Erkrankung aufzuklären und (unabhängig von der Familienanamnese und vom Erkrankungsalter) eine genetische Testung anzubieten (Empfehlungsgrad A, Evidenzlevel 2+).
Die Kenntnis des BRCA-Status bei EOC-Patientinnen ist unter anderem essenziell zur Personalisierung/Optimierung der Systemtherapie, aber auch zur Identifizierung von Familienangehörigen, die eine entsprechende Mutation tragen und somit ein signifikant höheres Risiko für die Entwicklung eines Mamma- und/oder Ovarialkarzinoms haben.
Das Ziel unserer Arbeit war es, die Prävalenz einer pathogenen BRCA1/2-Mutation bei unselektierten Patientinnen mit epithelialem Ovarialkarzinom zu erfassen und diese mit der Erblichkeits-Checkliste des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs zu korrelieren.
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Patienten und Methoden
In diese retrospektive Erhebung wurden alle Patientinnen mit einem epithelialen Ovarial-/Tuben-/Peritonealkarzinom eingeschlossen, die zwischen Januar 2011 und Mai 2019 in der Abteilung für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie der Kliniken Essen-Mitte behandelt wurden. Nur Patientinnen, die schriftlich ihr Einverständnis zur Erfassung, Verarbeitung und Analyse klinischer Daten und der Ergebnisse der Genanalysen erteilten, wurden in die Auswertung aufgenommen. Die Indikation zur genetischen Beratung und Testung orientierte sich in der Mehrheit der Patientinnen an den Einschlusskriterien des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs. Patientinnen, die im Rahmen von laufenden klinischen Studien eine Gentestung erhalten hatten, wurden eingeschlossen, sofern das Einverständnis über die Verwendung dieser Daten von der Patientin vorlag. Die Genanalysen erfolgten gemäß den Regelungen des Gendiagnostikgesetzes nach ausführlicher Beratung und schriftlichem Einverständnis der Betroffenen entweder im Rahmen der Kooperationsvereinbarung mit dem Deutschen Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, oder wurden – sofern die Analysen über andere/externe Institutionen erfolgten – uns von den Patienten selbst zur Kenntnisnahme vorgelegt. Die Ergebnisse der Analysen und die finale humangenetische Kategorisierung wurden aus den schriftlichen Befundberichten erfasst. Patientinnen, die ab 2015 eine Genanalyse innerhalb des Deutschen Konsortiums erhalten hatten, wurden mit dem TruRisk® Gen-Panel analysiert, welches neben den BRCA1/2-Genen noch andere Core-Gene (u. a. ATM, BRIP1, CDH1, CHEK2, MLH1, MSH2, MSH6, PMS2, PALB2, RAD51C, RAD51D, TP53) beinhaltet [22].
Die Erhebung des Checklisten-Scores erfolgte im Rahmen der genetischen Beratung auf Basis der individuellen Patienten/innenanamnese und Familienanamnese. Das Prinzip der Checkliste beruht auf Folgendem: Mit der Checkliste sollen Patienten und Ratsuchende identifiziert werden, die eine potenzielle familiäre Belastung für Brust- und/oder Eierstockkrebs tragen könnten. Hierzu werden mit der Checkliste Informationen über den/die Patienten/Patientin, seine/ihre Kinder und Geschwister (A) sowie andere Patienten/Patientinnen mütterlicherseits einschließlich der Mutter (B) und/oder väterlicherseits einschließlich des Vaters (C) abgefragt und mit einem entsprechenden Punktwert bewertet. Aus der mütterlichen/väterlichen Linie wird der höchste Summenwert (D) gebildet. Der finale Checklisten-Score berechnet sich durch die Summe von A und D. Das Modell basiert auf einer mathematischen Gewichtung, die durch vorangegangene Arbeiten die Mutationsprävalenzen bei entsprechenden Familien-/Erkrankungskonstellationen evaluiert haben [12]. Bei einem Checklisten-Summenwert von ≥ 3 (E) wird dem/der Betroffenen eine genetische Beratung und Testung empfohlen.
Für die Vergleiche der Häufigkeiten wurden je nach Variablenkategorie der χ2- und Fisher-Test (kategorielle Variablen) bzw. der T-Test (normalverteilte/intervallskalierte Variablen) verwendet. Ein p-Wert < 0,05 wurde als signifikant gewertet. Die statistischen Auswertungen erfolgten mit der SPSS Version 23.0 (IBM Corporation, New York, USA) Software.
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Ergebnisse
Patienten- und Tumorcharakteristika
Im oben genannten Zeitraum wurden 1206 Patientinnen mit epithelialem Ovarialkarzinom behandelt. Ein auswertbares BRCA1/2-Genergebnis gepaart mit einer Erhebung des Checklisten-Scores lag bei 45,2% (Prävalenzkohorte, n = 545) der Patientinnen vor ([Abb. 1]). Beim Vergleich der Prävalenzkohorte mit Patientinnen, die nicht in diese Analyse eingingen (n = 661), zeigten sich signifikante Unterschiede im ECOG Performance Status (94,9 vs. 89,3%, p < 0,001), im FIGO-Stadium (Fédération Internationale de Gynécologie et dʼObstétrique; FIGO III/IV: 84,8 vs. 80,2%) und der Histologie (High-grade seröses EOC: 79,8% vs. 74,1%). Kein Unterschied zwischen beiden Gruppen bestand in Bezug auf das mediane Alter und die Eigenanamnese vorheriger Malignome.


Das mediane Alter in der Prävalenzkohorte betrug 58 Jahre (Spanne 18 – 86), in 84,8% (n = 462) lag die Erkrankung im Stadium FIGO III/IV vor und in 79,8% lag ein High-grade seröser histologischer Subtyp vor ([Tab. 1]). In der Eigenanamnese der Patientinnen lag in 84,4% (n = 460) keine vorherige Malignomerkrankung vor, in 8,8% (n = 48) war ein Mammakarzinom und in 6,8% (n = 37) ein anderes Malignom bekannt. Eine pathogene BRCA1/2-Mutation wurde in 23,3% (n = 127) der Patientinnen festgestellt. Diese basierte auf einer BRCA1-Mutation in 16,9% (n = 92) und auf einer BRCA2-Mutation in 6,4% (n = 35) der Fälle. Eine Patientin wies eine simultane pathogene BRCA1- und BRCA2-Mutation auf. Patientinnen mit einer BRCA1/2-Mutation unterschieden sich von den Patientinnen ohne Mutation signifikant im medianen Alter (55 vs. 59 Jahre, p = 0,01), FIGO-Stadium (FIGO III/IV: 92,2 vs. 82,5%, p = 0,03) und histologischen Subtyp (High-grade serös: 98,4 vs. 74,2%, p ≤ 0,001) ([Tab. 1]).
gesamt |
keine BRCA1/2-Mutation |
pathogene BRCA1/2-Mutation |
p-Wert |
|
---|---|---|---|---|
n/% |
n/% |
n/% |
||
n |
545 |
418 |
127 |
|
Alter – median (Spanne) |
58 (18 – 86) |
59 (18 – 86) |
55 (21 – 76) |
0,010 |
ECOG Performance Status |
0,106 |
|||
|
517 (94,9) |
393 (94,0) |
124 (97,6) |
|
|
28 (5,1) |
25 (6,0) |
3 (2,4) |
|
Eigenanamnese bez. früherer Malignome |
0,095 |
|||
|
460 (84,4) |
354 (84,7) |
106 (83,5) |
|
|
48 (8,8) |
32 (7,7) |
16 (12,6) |
|
|
37 (6,8) |
32 (7,7) |
5 (3,9) |
|
FIGO-Stadium |
0,033 |
|||
|
50 (9,2) |
46 (11,0) |
4 (3,1) |
|
|
33 (6,1) |
27 (6,5) |
6 (4,7) |
|
|
207 (38,0) |
151 (36,1) |
56 (44,1) |
|
|
255 (46,8) |
194 (46,4) |
61 (48,0) |
|
Histologie |
< 0,001 |
|||
|
435 (79,8) |
310 (74,2) |
125 (98,4) |
|
|
33 (6,1) |
33 (7,9) |
0 |
|
|
23 (4,2) |
23 (5,5) |
0 |
|
|
17 (3,1) |
16 (3,8) |
1 (0,8) |
|
|
12 (2,2) |
12 (2,9) |
0 |
|
|
16 (2,9) |
16 (3,8) |
0 |
|
|
1 (0,2) |
0 |
1 (0,8) |
|
|
8 (1,5) |
8 (1,9) |
0 |
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Erblichkeits-Checkliste
Die Verteilung des Checklisten-Scorewertes (CLS) in der Prävalenzkohorte (n = 545) war wie folgt: CLS 2 in 40,9% (n = 223), CLS 3 in 16,0% (n = 87), CLS 4 in 19,8% (n = 108), CLS 5 in 10,5% (n = 57), CLS 6 in 6,8% (n = 37) und CLS ≥ 7 in 6,1% (n = 33) ([Tab. 2]). Die Prävalenz (%, [95%-Konfidenzintervall {KI}]) für eine pathogene BRCA1/2-Mutation bezogen auf den CLS-Punktewert von 2, 3, 4, 5, 6, und ≥ 7 betrug 10,8% (95%-KI 7,0 – 15,6%), 17,2% (95%-KI 10,0 – 26,8%), 25,0% (95%-KI 17,2 – 34,2%), 35,1% (95%-KI 22,9 – 48,9%), 51,4% (95%-KI 34,4 – 68,1%) und 66,7% (95%-KI 48,2 – 82,0%) ([Tab. 2], [Abb. 2]).
Checkliste-Score |
gesamt |
keine BRCA1/2-Mutation |
pathogene BRCA1/2-Mutation |
pathogene BRCA1-Mutation |
pathogene BRCA2-Mutation |
---|---|---|---|---|---|
2 |
223 (40,9) |
199 (47,6) |
24 (18,9) |
12 (13,0) |
12 (34,3) |
3 |
87 (16,0) |
72 (17,2) |
15 (11,8) |
10 (10,9) |
5 (14,3) |
4 |
108 (19,8) |
81 (19,4) |
27 (21,3) |
19 (20,7) |
8 (22,9) |
5 |
57 (10,5) |
37 (8,9) |
20 (15,7) |
14 (15,2) |
6 (17,1) |
6 |
37 (6,8) |
18 (4,3) |
19 (15,0) |
17 (18,5) |
2 (5,7) |
≥ 7 |
33 (6,1) |
11 (2,6) |
22 (17,3) |
20 (21,7) |
2 (5,7) |


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Gen-Panel-Analyse
Bei 453 (83,1%) Patientinnen lag das Ergebnis einer Gen-Panel-Analyse vor. Die Rate der pathogenen BRCA1/2-Mutationen in diesem Kollektiv betrug 19,6% (n = 89) ([Abb. 1]). Darüber hinaus wurden bei 25 (5,5%) Patientinnen weitere pathogene Mutationen in den Genen RAD51C (n = 7), BRIP1 (n = 4), MSH6 (n = 3), PALB2 (n = 3), RAD51D (n = 2), TP53 (n = 2), CHEK2 (n = 2), PMS2 (n = 1) und ATM (n = 1) detektiert. In der Summe lag eine Prävalenz für eine pathogene Genmutation von 15,9% für CLS 2, 16,4% für CLS 3, 28,2% für CLS 4, 40,4% für CLS 5, 44,8% für CLS 6 und 62,5% für CLS ≥ 7 vor. Betrachtet man die Prävalenz von pathogenen Mutationen in Abhängigkeit vom Checklisten-Scorewert, so zeigt sich weiterhin eine eindeutige Korrelation zwischen dem Scorewert und dem Vorliegen einer BRCA1/2-Mutation (10 – 63%), die jedoch bei Patientinnen mit Nicht-BRCA-Mutationen nicht zu erkennen ist ([Abb. 3]).


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Diskussion
Bei etwa 15 – 22% aller Ovarialkarzinompatientinnen liegt eine pathogene BRCA1/2-Mutation vor [20], [23], [24], [25]. In unserer Erhebung lag die Rate an BRCA1/2-Mutationen bei 23%. Die akkurate Erfassung des BRCA-Status hat mittlerweile 2 wichtige Implikationen für Frauen mit Eierstockkrebs: zum einen die Optimierung und Individualisierung der Systemtherapie für Patientinnen mit BRCA-Mutation (z. B. PARP-[Poly-ADP-Ribose-Polymerase-]Inhibitor-Erhaltungstherapie [26], [27], [28], [29], [30], [31], [32], [33]), zum anderen die Identifizierung von bisher nicht erkrankten Familienangehörigen, die bei autosomal-dominantem Erbgang die pathogene BRCA-Mutation in 50% übertragen bekommen. Der klinisch signifikante therapeutische Nutzen einer Erhaltungstherapie mit PARP-Inhibitoren wurde zunächst bei Patientinnen mit High-grade serösem/endometrioidem Ovarialkarzinomrezidiv, und hier insbesondere bei Vorliegen einer BRCA1/2-Mutation, gezeigt [27], [29], [30]. Neueste Studiendaten belegen, dass dieser Effekt auch in der Primärsituation durch eine PARP-Inhibitor-Erhaltungstherapie erzielt werden kann [26], [28], [31], [32].
Unabhängig vom Erfolg der PARP-Inhibitoren ist über die Testung der Erkrankten die Identifizierung von gesunden BRCA1/2-Mutationsträgerinnen im Familienkreis klinisch bedeutend. Die Betreuung und Beratung von Risikogenträgerinnen sollte in spezialisierten Zentren in Analogie zu den Konsensusempfehlungen des Deutschen Konsortiums [34] erfolgen.
Gesunde Frauen mit einer pathogenen BRCA1/2-Mutation haben im Vergleich zur Normalbevölkerung, je nach betroffenem Gen, ein signifikant erhöhtes Risiko, an einem Mammakarzinom (bis 70%) und/oder Ovarialkarzinom (bis 63%) zu erkranken [5] – [13]. Die Prävalenz für eine BRCA1/2-Genmutation in der Normalbevölkerung ist mit 1 : 300 – 500 [8] – [12] gering und wird aktuell noch nicht als ausreichend rechtfertigend für eine unselektierte Populationsanalyse bewertet. Daher wurden in der Vergangenheit verschiedene Risk-Assessment-Strategien zur Detektion von Risikogruppen, die eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit (≥ 10%) für eine BRCA1/2-Mutation tragen, entwickelt [17], [35], [36], [37], [38], [39], [40], [41], [42]. Allen liegt zugrunde, dass auf Basis der Eigen-/Familienanamnese für Mamma-/Ovarialkarzinom und des Alters bei Erstdiagnose eine Wahrscheinlichkeitskalkulation für eine BRCA1/2-Mutation für die Betroffene erfolgt. In Deutschland wurden vom Deutschen Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs Einschlusskriterien etabliert und validiert, mit deren Erfüllung erst eine Indikation zur Beratung und Testung für eine BRCA1/2-Mutation vorliegt. Zur einfacheren und alltagstauglichen Anwendung wurde eine Erblichkeits-Checkliste erstellt [16], bei der sich anhand des Summenpunktewertes die Indikation für eine genetische Aufklärung/Beratung und Testung (≥ 3 Punkte) ersehen lässt. Rhiem et al. konnten zeigen, dass die Checkliste bei Mammakarzinompatientinnen erfolgreich Anwendung fand und eine positive Korrelation zwischen dem Scorewert und der Prävalenz einer BRCA1/2-Mutation besteht [17].
Für Patientinnen mit einem Ovarialkarzinom wurde diese Analyse auf Basis der Checkliste bisher nicht erhoben. Gemäß der Erblichkeits-Checkliste erhalten Patientinnen mit singulärem Ovarialkarzinom 2 Punkte, und werden auf Basis dieser Erhebung nicht a priori als Indexpatientinnen für eine genetische Aufklärung/Beratung und Testung identifiziert, da historische Studiendaten eine Prävalenz für BRCA1/2-Mutation in dieser Konstellation von unter 10% nahelegten [43]. Der prädiktive Wert der Familienanamnese (in Bezug auf Brust- und Eierstockkrebs) bezogen auf die Prävalenz einer pathogenen BRCA1/2-Mutation ist unbestritten. Ovarialkarzinompatientinnen, die in ihrer Familie weitere an einem Mamma- und/oder Ovarialkarzinom erkrankte Angehörige aufweisen, tragen mit 19 – 81% eine BRCA1/2-Mutation [12], [20], [44], [45]. Hier korreliert die Prävalenz nicht nur mit der Anzahl der Betroffenen, sondern auch mit dem Alter bei Erstdiagnose (je jünger, umso höher) und mit der Erkrankung (höhere Prävalenz bei Ovarialkarzinomen). Allerdings ist bekannt, dass ein Großteil von Ovarialkarzinompatientinnen keine belastende Familienanamnese aufweisen. In unserem Kollektiv hatten 41% der Patientinnen keine derartige Belastung. In der AGO-OVAR-TR1-Studie [20] wurde bei 523 Ovarialkarzinompatientinnen mit Erstdiagnose oder Rezidiv mittels des Gen-Panels die Prävalenz von Genmutationen analysiert. Die Prävalenz für eine pathogene BRCA1/2-Mutation lag in der Gesamtkohorte bei 21%. In dieser Studie wiesen 57% der Patientinnen keine positive Familienanamnese auf, dennoch betrug die Prävalenz für eine pathogene Mutation in dieser Gruppe 11,4%. Bei Patientinnen mit einer positiven Familienanamnese betrug die Prävalenz 31,6%. Konkret bedeutet dies, dass bei 33 (6,3% der Gesamtkohorte) Patientinnen mit singulärem Ovarialkarzinom eine pathogene BRCA-Mutation nicht detektiert worden wäre, wenn die Testkriterien einzig nach der belastenden Familienanamnese angesetzt worden wären. In unserem Kollektiv betrug diese Rate 4,4% (n = 24), andere Arbeitsgruppen berichten von 6,5 – 9% [43], [45]. Dies bedeutet, dass etwa ⅓ der BRCA1/2-Keimbahnmutationen übersehen werden, wenn allein auf Basis einer positiven Familienanamnese eine Testung entschieden wird. Kritisch bleibt zu bedenken, dass Angaben über die Krankengeschichte Familienangehöriger ein hohes Potenzial an Fehlerquellen bergen und somit die Belastbarkeit eingeschränkt gesehen werden sollte. Ferner kann im Falle einer Adoption oder fehlendem Kontakt innerhalb einer Familie keine suffiziente Familienanamnese in Bezug auf Malignome erhoben werden.
Neuere Studienergebnisse belegen allerdings, dass sowohl eine unselektierte Populationsanalyse [46] als auch vor allem eine Genanalyse bei EOC-Patientinnen [47] und erstgradigen Angehörigen [48] nicht nur kosteneffektiv ist, sondern auch zur Senkung von erblich bedingtem EOC beitragen kann. Da für das Ovarialkarzinom weder eine ausreichend sichere medikamentöse Präventionsmöglichkeit noch eine suffiziente Früherkennungsmaßnahme existiert, bietet lediglich die prophylaktische risikoreduzierende bilaterale Salpingoophorektomie für Mutationsträgerinnen eine Senkung des Erkrankungs- und Mortalitätsrisikos um etwa 80% [49], [50].
Die Anwendung von Gen-Panel-Analysen belegen zudem, dass weitere relevante pathogene Genmutationen unabhängig von der familiären Belastungssituation detektiert werden können [20]. In unserem Kollektiv betrug die Rate zusätzlicher pathogener Mutation 6,2%. Bedeutend ist dieser Aspekt insbesondere, da auf diesem Wege wiederum gesunde Mutationsträgerinnen im Familienkreis detektiert werden könnten, deren Risiko zur Entwicklung von Malignomen entsprechend erhöht ist.
Die Schwächen unserer Arbeit beruhen zum einem auf dem retrospektiven Charakter, der Auswertung, wodurch ein Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden kann. Zum anderem lag uns in lediglich 45% unseres gesamten Patientenkollektivs ein Genergebnis vor. Dies ist bedingt durch die Tatsache, dass die genetische Beratung gemäß dem Gendiagnostikgesetz „non-direktiv“ und somit auf freiwilliger Basis für die Patientin erfolgen muss. Ferner besteht zur Durchführung einer Genanalyse kein vordefiniertes Zeitfenster nach Erstdiagnose. Diese Tatsache, gepaart mit den Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes, führt dazu, dass von EOC-Patientinnen, die ihre operative Therapie an unserem Zentrum erhielten und danach ihre weitere Behandlung heimatnah absolvieren, Genbefunde nicht aktiv nachgefragt werden dürfen. Die Stärken unserer Arbeit sind hervorhebenswert:
-
die Daten repräsentieren eine unselektierte Kohorte von EOC-Patientinnen mit Primärdiagnose in einem großen Klinikkollektiv und spiegeln somit die klinische Realität bestens wider;
-
die Abfrage der Familienanamnese erfolgte strukturiert über die Erblichkeits-Checkliste;
-
der Anteil der EOC-Patientinnen mit einer Gen-Panel-Analyse ist sehr hoch und reflektiert daher belastbare Daten.
Zusammenfassend konnten wir mit unserer Arbeit bestätigen, dass die Prävalenz für eine pathogene BRCA1/2-Mutation bei Patientinnen mit singulärem Ovarialkarzinom in unserem Kollektiv bei 23,3% liegt und damit deutlich über dem geforderten Grenzwert von ≥ 10%, ab welchem eine genetische Testung laut den Kriterien des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs indiziert ist. Darüber hinaus konnten wir eine positive Korrelation zwischen dem Erblichkeits-Checklisten-Scorewert und der Prävalenz einer pathogenen BRCA1/2-Mutation zeigen. Diese Daten tragen entscheidend zur klinischen Versorgungsforschung in Deutschland bei. Kongruent mit den Empfehlungen verschiedener nationaler und internationaler Fachgesellschaften/Leitlinien empfehlen wir daher die genetische Beratung und Testung von Patienten mit Ovarialkarzinom unabhängig von deren Familienanamnese [15], [21], [51], [52] und plädieren für eine eindeutige Kennzeichnung dieser Indikation auf der in Deutschland angewendeten Erblichkeits-Checkliste.
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References/Literatur
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Received: 01 April 2020
Accepted after revision: 14 July 2020
Article published online:
02 September 2020
© 2020. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commecial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)
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