Pneumologie 2021; 75(05): 389-395
DOI: 10.1055/a-1262-6399
Historisches Kaleidoskop

Die „Plombe“ in der Therapie der Lungentuberkulose[*]

The Plombage in the Historical Treatment of Pulmonary Tuberculosis
U. Aumann
St. Walburga Krankenhaus Meschede
› Author Affiliations
 

Noch vor 100 Jahren hatte ein Patient mit fortgeschrittener Lungentuberkulose – allermeist einhergehend mit der Entstehung von Defektzonen der Lunge (Kavernen) – nur eine geringe Überlebenschance.

Erst kurz vor dem 1. Weltkrieg und v. a. in den 1920er- und 1930er-Jahren wurden Operationsmethoden zur Kompression der Lunge und der in ihr liegenden Hohlraumbildungen entwickelt: der künstliche Pneumothorax – kleine – und die operative Verformung des Brustkorbes durch Rippenentfernung und Rippenkürzung – große Kollapstherapie ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Unterschiedliches Ausmaß der Rippenresektion bei Thorakoplastik.

Eine weit schonendere Methode, die Lunge zusammenzudrücken – v. a. bei den in der Lungenspitze gelegenen Prozessen – war das Abschälen der extrapleuralen Faszie und die Verdrängung der wandständigen Pleura und der Lunge nach kaudal ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Wand des Brustkorbes mit den extrapleuralen Faszien.

Diese Methode fand vornehmlich Anwendung bei

  • doppelseitig tuberkulös erkrankten Lungen mit Kavernenbildung,

  • starker Verschwartung um Kavernengebiete und

  • schlechtem Allgemeinzustand, der weder eine Thorakoplastik noch eine Lokalresektion der Lunge erlaubte.

Um komprimierte Lunge und Kavernengebiet zuverlässig niederzuhalten, bedurfte es eines raumfüllenden Festkörpers, der „Plombe“ [2] [6] [18] [19] [24].

Erste Versuche mit Luft, Kochsalzlösung oder Eigenblut lösten das Problem nur unvollkommen. So kam man auf die Idee, festere Teile, also Fettstückchen (Tuffier 1911), Rippenstückchen (Wilms 1913) oder gar eine Gummiblase (Gwerder 1913) einzubringen. Das überzeugte nicht. Der operativ tätige Lungenarzt F. Jessen aus Davos bezeichnete diese Versuche als ein „chirurgisches Gräuel“ [18].

Erst mit erwärmtem (ca. 60° C) Paraffin, das dann bei Körpertemperatur aushärtete, hatte man eine Substanz, die zuverlässig den erwünschten Effekt erbrachte [6] [18] [24] ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Über der Lungenspitze eingebrachte Paraffinkugeln.

Die flüssige Paraffinmischung sollte in Glasschälchen ausgegossen werden. Aus dem erkaltenden Paraffin formte man dann etwa 2 – 3 cm im Durchmesser haltende Kugeln, die schichtweise in den Hohlraum eingebracht wurden.

Ergebnisse der Paraffin-Plombierung

  • In der vorantibiotischen Ära

    K. Kremer bezeichnet den postoperativen Verlauf, gemessen an dem der Thorakoplastik, als „bedeutend leichter“. V. a. das Abhusten gehe deutlich besser vonstatten. Die übliche postoperative Temperaturerhöhung sei normal und hänge mit der „Toxinüberschwemmung des Körpers oder einem Serom um die Plombe“ zusammen. Die Plombenperforation könne durch entsprechende Technik verringert werden. Über eine Fremdkörperreaktion oder Infektion schweigt er sich aus. Es entsteht so der Eindruck, als handele es sich bei der Plombeneinlage bei zutreffender Indikation und guten technischen Voraussetzungen um eine relativ einfache Angelegenheit [18].

    C. Semb nennt Infektkomplikationen von etwa 4 %, eine frühe und späte Kavernenperforation von etwa 2 % bzw. 4 %. Die meisten Mortalitätsstatistiken sprechen von 3 – 5 % Frühmortalität und bis zu 20 % Spättodesfällen. Den Heilungserfolg zeigt eine Rate von etwa 30 % bakterienfreier Patienten an [24].

  • In der antibiotischen Ära

    Über 785 Operationen aus den Jahren 1951 – 1958 (Alter der Patienten zwischen 15 und 70 Jahren) und 1 – 9 Jahre Nachuntersuchung referieren R. T. Fox et al.: 91 % der Patienten zählten zur Gruppe der „weit Fortgeschrittenen“. Alle waren antibiotisch vorbehandelt. Zur Plombierung gelangten all die Patienten, für die eine Lokalresektion des Lungenherdes nicht mehr infrage kam. Die 60-Tage-Mortalität der Plombenpatienten betrug 0,6 %. An postoperativen „nonfatal complications“ (n = 142) traten auf: Hämatothorax, Pleuraerguss, Reaktivierung der TB, Atelektase, Herzinsuffizienz, Hepatitis, Lungenblutung, Magengeschwür, oberflächliche Wundinfektion in 0,7 %, tiefe Wundinfektion in 0,25 %. Reaktionen gegen das Paraffin seien nicht selten, v. a. weil die Oberflächenschicht des Paraffins sich schmierig wie Zahnpasta verändern und in Thoraxwand, Mediastinum und Kapselstrukturen, ja bis in die Haut vordringen kann (beobachtet 5 Monate bis 9 Jahre postoperativ). Zur Plomben-Entfernung kam es bei 25 % der Problempatienten. Die Penetration in die Bronchien mit Aushusten des Wachses sah man selten (bei 2 Patienten 1 Jahr und bei 2 weiteren 6 bzw. 9 Jahre nach OP). Das Langzeitergebnis der Plomben-Einlage sah folgendermaßen aus: gutes Ergebnis in 78,5 %, schlechtes Ergebnis mit Einschluss der Todesfälle (Tbc-positiv) in 17,1 %. Das schlechte Ergebnis war häufig Folge unzureichender Chemotherapie [15].


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Kunststoff-Materialien als Alternative zum Paraffin

Die Verwendung von Kunststoff in der Medizin reicht in das Jahr 1941 zurück, als O. Kleinschmidt auf die Idee kam, Knochendefekte des Schädels mit einer Methylacrylatplatte zu decken [3] [20].

In der aufkommenden Kunststoff-Ära, die etwa gleichlaufend mit der Ära der Entwicklung von Antibiotika und wirksamer Tuberkulostatika verlief, wandte man sich vermehrt der Verwendung dieser neuen Stoffe als Füllmaterialien zu.

Die wichtigsten Vertreter dieser Gattung waren Kunststoffkugeln oder -schwämme:

Lucite balls sind Kunststoffkugeln von etwa 2 – 3 cm Durchmesser, ähnlich den Tennisbällen, bestehend aus Acrylharz, heute bekannt als Klebe- und Beschichtungsstoff. Polymerisiert sind sie als PMMA-Ketten und Füllmaterialien in Orthopädie, Unfallchirurgie, HNO- und Zahnheilkunde weit verbreitet.

Polyamid/Perlon/Nylon/Dederon (Markennamen für Polyamidfasern aus der ehemaligen DDR), als Fäden, Textilien und Gegenstände, in vielfacher Form herzustellen.

Über die Verwendung von Nylon als Plombenmaterial in der ehemaligen DDR berichtet G. Elsner eindrucksvoll. Sein Bericht findet sich im Tuberkulose-Archiv zu Heidelberg-Rohrbach nebst dem von ihm vermachten „Plombenstrumpf“, der 2017 auch in der „Pneumologie“ durch R. Kropp Erwähnung fand [12] [21] ([Abb. 4], [Abb. 5] und [Abb. 6]).

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Abb. 4 „Plombe im Obergeschoss der rechten Lunge (Aufnahme: Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).
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Abb. 5 Gefüllter Nylonstrumpf (Quelle: E. Stahl, Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).
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Abb. 6 Strumpf mit Füllmaterial (Quelle: E. Stahl, Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).

G. Elsner erlebte als junger Facharzt in der Tuberkuloseheilstätte „Lindenhof“ zu Coswig den „Nachklang“ der Plomben-Ära:

„Bei Oberlappen-Tuberkulosen mit großen Kavernen, die wegen Verwachsungen für einen Pneumothorax ungeeignet und wegen ästhetischer Bedenken einer Plastik abweisend gegenüberstanden, wurde durch einen kleinen axillären Schnitt […] extrapleural die Kaverne durch Bildung einer Höhle zum vollständigen Kollabieren gebracht. Dann wurde der mit etwas grober Perlonwatte gefüllte Strumpf eingeführt. Dieser wurde dann durch Einführung weiterer Wattebällchen prall gefüllt. Die entstandene Höhle war dann dauerhaft ausgefüllt. Die medikamentöse Behandlung lief dazu parallel.

1974 wurde ich beauftragt, ‚alle‛ Plomben nachzuuntersuchen. Unterlagen gab es noch von 1949 bis zur letzten Plombe 1967 (!). Von den 260 operierten Patienten konnte ich etwa 160 nachuntersuchen. Sie waren alle soweit ohne Tb-Nachweis und in einem guten Zustand. 1984 habe ich diese Patienten ein weiteres Mal untersucht. Zwischenzeitlich gab es 2 Spätinfektionen und eine maligne Entartung. Die Entfernung dieser infizierten Plombe war sehr ein-drucksvoll. Fachjargon: ‚Seegras rupfen‛. Es sah aus, als ob ich aus einem mit Seegras gepolsterten Stuhl die Polsterung herausziehe. Der Strumpf war nicht mehr auffindbar, aber der Inhalt eindrucksvoll faserig-braun.

Da damals nur ganz junge Leute operiert wurden, sollte es noch bis zum Jahr 2020 Plombenträger unter uns geben“ [21].

Auf eine Nachfrage im Juli 2020 präzisierte G. Elsner seinen Bericht:

„Die Plombenhüllen (Strümpfe) bestanden aus Damen-Nylon-Strümpfen […] Die Naht wirkte ja etwas ‚stümperhaft‚. Die Füllung bestand aus deutlich gröberem Material, vergleichbar mit einem heutigen Badehandschuh. Alles wurde sicher in Hand- und Heimarbeit hier in der Klinik gefertigt und vom Personal nicht verworfen, auch nachdem es über 20 Jahre nicht mehr verwendet wurde“ [12].


Polyäthylen/Polystan-Schwamm, in der Nachkriegszeit am häufigsten in Gebrauch. Zahlreiche Publikationen (Stucke und Viereck, Heilmeyer, Adelberger und Serdarusitz, Bing und Han-sen, Derra).

Polyvinyl-Formol-Schwamm/Ivalon-Schwamm, der bis in unsere Tage in der Bauchchirurgie als Fixationsmaterial zur Hebung des Rektumprolapses Verwendung fand.


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Problematik der Fremdkörper

  • Infektion in der prä-antibiotischen Ära war ein ernstzunehmendes Problem. Die Beigabe des mild antiseptisch wirkenden Vioform (chloriertes und jodiertes Hydroxychinolin) zum Paraffin hatte zugleich den Vorteil der Röntgenpositivität.

  • „Paraffindurchbruch“ bei Eindringen des Paraffins in den Pleuraraum infolge nicht exakter extrapleuraler Präparation, Verletzung oder Nekrose des „Schutzblattes“ und fehlender Verlötung der Pleurablätter.

  • Fremdkörperreaktion als Abwehrmaßnahme gegen körperfremde Materialien.

  • Druckschäden, die der eingebrachte Kompressionskörper auf die Umgebungsstrukturen ausübt. Die Nekrose kann oberflächlich harmlos wirken, bei Erfassung der extrapleuralen Faszie und der wandständigen Pleura kann es jedoch einerseits zu Kontakt mit dem tuberkulösen Gewebe, anderseits allerdings auch zum Durchbruch von Material und evtl. bakteriell kontaminiertem Gewebssaft in die Pleurahöhle und nachfolgendem Pleuraempyem kommen.

  • Zersetzung des Plombenmaterials mit Durchwandern von Kunststoff-Gewebsteilen sogar bis in die Bronchien wird v. a. beim faserigen Nylon beobachtet [5].

  • Serom, Hämatom, Entzündung oder Reizerguss um die Plombe sind unmittelbare OP-Folgen, Materialeinwirkung oder Zeichen beginnender Abstoßungsreaktion.

  • Operationstechnische Probleme der Plombenentfernung. Hier spielt die das Plombenmaterial umgebende Membran eine wichtige Rolle. Die Eigenschaft des Plomben-materials, fibrosierende Prozesse in der Umgebung auszulösen oder inert liegen zu bleiben, bestimmt den Arbeitsaufwand ([Abb. 7]). Gerade die netzartigen Strukturen können so derb mit der Umgebung verwachsen sein, dass man ihres Inhaltes – wie Elsner berichtet – nur durch „Seegras-Rupfen“ habhaft werden konnte [12] [21].

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Abb. 7 Entfernte Paraffinplombe.
  • Kanzerogenität? Jeder eingebrachte Fremdkörper erzeugt eine irgendwie geartete Reaktion des Körpers, die das Bild einer chronischen Entzündungsreaktion bietet. Dieses Phänomen gilt als eine der vielen möglichen Krebs-Ursachen. In den Arbeiten von Stobernack, Achatzy und Engelmann wird dies diskutiert [13] [25], ebenso bei Elsner [12] [21].

  • Eine Wund- oder Fremdkörperinfektion verliert in der antibiotischen Ära, die mit dem Ende des 2. Weltkrieges beginnt, v. a. in den Anfangszeiten ihren Schrecken. Die präoperative Therapie mit Tuberkulostatika und die begleitende Behandlung mit Penicillin, Tetracyclin, Chloramphenicol etc. erweiterte das Spektrum operativer Möglichkeiten und eine Therapie peri- und postoperativer infektiöser Komplikationen. Später tauchen dann erste Resistenzen auf. Die Tuberkulosetherapie mit immer neueren medikamentösen Entwicklungen, v. a. mit dem heute noch wirksamen Basismedikament Isonicotinsäurehydrazin (INH), wird zu einer wahren Erfolgsgeschichte. Und, was unsere Plomben-Materialien betrifft, ja die gesamte kleine und große Kollapstherapie: Gerade die exakte Wirkung der Tuberkulostatika machte diese Eingriffe überflüssig, öffnete vorübergehend weit das Tor für eine gezielte Chirurgie an der Lunge.


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Ergebnisse der Kunststoff-Plombage

Bereits 1951 haben Bing und Kollegen über die Einlage von 60 Polystan-Plomben berichtet. Lediglich ein Schwamm musste nach 14 Tagen entfernt werden. Ursache war eine nicht erkannte kleine Verletzung bei der Pneumolyse, die zu einer Entzündung im Pleuraraum führte [4].

1957 berichten Hansen und Jergensen über 65 Patienten, bei denen zwischen 1950 und 1952 eine Polystan-Plomben-Einlage erfolgte. Ein Viertel dieser Patienten hatte beidseitige Kavernen (n = 16). Es erfolgten insgesamt 74 Plombagen. Es gab keine Komplikationen und keine Todesfälle. Keine Re-Expansion der Lunge.

Die Kontrolle 3 – 5 Jahre nach dem Eingriff erbrachte einen Kavernenverschluss bei 54 Patienten. 13 Patienten waren in der Zwischenzeit verstorben. 9 Patienten waren noch positiv, 6 davon mit geschlossener Kaverne unter der Plombe, aber Aktivität auf der Gegenseite [17].

Im Handbuch von Derra aus dem Jahre 1958 wird über eine Statistik von 1004 aus dem Schrifttum gesammelten Fällen von Polystan-Plomben berichtet. J. L. Hansen hält den Vorteilen der geringeren operativen und postoperativen Belastung die Auswirkungen der Einlage eines relativ großen Druckkörpers entgegen. Das Resultat mit einer Mortalität von 1,7 %, einer Infektrate von 6,9 %, einem Kavernenverschluss in 87,5 % und Bazillenfreiheit nach einem Jahr bei 77,5 % sind – auch unter Mithilfe von operativer „Lernkurve“, Tuberkulostatika und anti-biotisch zusätzlicher Therapie – ein ansehnliches Ergebnis [10].

1961 hat sich H. Effenberger aus der Klinik Stillenberg (Warstein) aus der Erfahrung mit von ihm durchgeführten 169 Plombagen kritisch mit dem Problem der Polystan-Plombenperforation auseinandergesetzt und in Zusammenarbeit mit der Pathologie in Gelsenkirchen (G. Gerstel und N. Wolf) die Exzisionsgewebe nach Plombenentfernung, die Schichten Lungen-grenze/tuberkulöses Gewebe und Plombenkapsel-Polystan subtil histologisch untersucht. Dabei kamen sie zu dem aus der Praxis bekannten Ergebnis (eigentlich wider Erwarten) einer stärkeren Perforationsneigung derber Kapselschwarten. Feinere Hüllschichten der Lunge erwiesen sich deutlich resistenter gegenüber dem Plombendruck. Auffallend war auch eine recht geringfügige Gewebsreaktion auf das Polystan. Daneben sah man erhebliche Veränderung an den Blutgefäßen der derben Membranen mit Einengung des Lumens, granulomatösen und infarktähnlichen Prozessen – deutliche Zeichen der Minderversorgung des Pannus. Diese Minderdurchblutung der derben bindegewebigen Kapselwandstrukturen ist möglicherweise Wegbereiter eines schleichend fortschreitenden Gewebsunterganges und damit die Erklärung für das Phänomen der späten Perforation. So kann also festgestellt werden, dass

  • nicht das Plombenmaterial,

  • „sondern der Mechanismus der Operation selbst als Träger bzw. Initiator der sekundären Gefäßwandschäden und als Hauptursache der Perforation infrage kommt“.

Aus diesem Grunde rät Effenberger von der weiteren Suche nach neuen Plombenmaterialien ab. Einen weiteren Grund sieht er im Nachteil des Polystans gegenüber dem glatteren, ebenfalls inerten Paraffin: die Gefäßeinsprossung in die Schwammstruktur, die ein Entfernen der Plombe erschwert.

Die Versorgung mit einer Plombe sollte auf die Patienten beschränkt werden, die

  • doppelseitig kavernisierte Tuberkulosen mit reduziertem Allgemeinzustand aufweisen und/oder

  • sich in höherem Lebensalter mit geringer Lebenserwartung befinden [11].

Lucitkugeln und Polystan-Schwämme werden von M. Schamaun in einer Vergleichsstudie analysiert [23] ([Tab. 1]).

Tab. 1

Vergleichsstudie von M. Schamaun (Daten aus [23]).

Autoren

Material

Zahl der operierten Patienten

Todesfälle

Heilungen

Anzahl

%

Woods/Buente

Lucitkugeln

227

0

169

78

Joly/Villemin

Lucitkugeln

122

4

Young

Lucitkugeln

 71

1

 54

76

Jackson/McCann

?

109

83

Hansen

Polystan

178

0

 65

65

Sturzenegger

Polystan

 36

4

 23

64

Wagner

Polystan

 34

4

Die erste Zeit der Lucitkugel-Plombierung (Wilson 1948, Trent et al. 1949, Walkup and Murphy 1949) war unerfreulich. Es kam vermehrt zu Infektkomplikationen und tuberkulöser Ausbreitung, Wanderung von Kugeln bis ins Mediastinum und Bildung von Druckgeschwüren an der Lunge. Die Ursache dieser unglücklichen Fälle lag überwiegend in operativ-technischen Fehlern, der Auswahl ungeeigneter Patienten, der noch unvollkommenen antibiotischen Therapie und gelegentlich einer zu hohen Beladung mit Kugeln. Möglicherweise lag es auch an der chemischen Zusammensetzung der Materialien [23].

Calado et al. beschreiben 2017 einen Achselhöhlen-Abszess, Protrusion einer Lucitkugel und pleurokutane Fistel bei 78-jährigem Mann nach OP 1962. Es erfolgte die Entfernung von 21 Kugeln (Durchmesser 2,5 cm), Wundrevision, Thorakoplastik (7 Rippen und Scapulaspitze), Drainage und antibiotische Therapie. Kein Bakteriennachweis. Gute postoperative Erholung [8].

Lucas und Cleland haben das Verfahren in operativ-/material-technischer und hygienischer Sicht verbessert und von 125 recht günstig verlaufenden Eingriffen berichten können. Nach-dem sie anfangs nur Methacrylkugeln verwendet hatten, nahmen sie auch solche aus Polyäthylen in Gebrauch. Der Kugeldurchmesser lag bei 2,5 cm [22].


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Spätfolgen der Kunststoff-Plombage

Über 20 % Spätkomplikationen bei 100 Einlagen von Kunststoff-Kugeln – tuberkulostatische Therapie erfolgte im Minimum 1 Jahr voraus – berichten M. Feuchtwanger und Kollegen 1961. Alle Patienten waren Tuberkulose-positiv. Die Nachkontrolle und Revision der komplizierten Verläufe erfolgten 11 Monate bis 4 Jahre nach der Erst-OP. Sie fanden bei der Revisions-OP Abszess, Rippennekrosen, Bruch der Bälle, Wanderung ins Mediastinum, broncho-extrapleurale Fisteln, Abszess-Ausbreitung in Achselhöhle und perivertebrale Region. Ein Patient mit ausgedehnter Wundinfektion und großer Kaverne wurde pneumonektomiert. Er ist einen Monat später seiner schweren Erkrankung erlegen. Bei allen anderen erfolgten Wundrevision und Entfernung der Plombe, nachfolgend die Thorakoplastik, bei der auf eine Resektion der ersten Rippe verzichtet wurde. Die postoperative Wundheilung war gut, alle Patienten erholten sich [14].

Die Problematik der Nylon-Auffaserung und Wanderung der Fragmente behandelt die Publikation von Bollmann et al. aus dem Jahre 2009. Bei einem Patienten war Bluthusten aufgetreten. Bei der Bronchoskopie fielen im linken Haupt- und Unterlappenbronchus Blutkoagula auf, denen Nylonfäden beigemischt waren. Sie stammten von einer 1956 extrapleural angelegten Nylon-Plombe [5].

Stobernack, Achatzy und Engelmann (Lungenklinik Hemer und Klinikum Berlin-Buch) berichten 1997 von 13 Patienten, bei denen zwischen 1985 und 1996 Polystan-Plomben entfernt werden mussten.

Ursache für die so späte Entfernung war in

  • 11 Fällen eine Infektion,

  • bei 1 Patient ein malignes Lymphom und Infektion und

  • bei 1 Patient ein Bronchial-Ca.

Zusätzlich zur Plombenentfernung erfolgte bei 10 Patienten die totale Exzision des Wundbettes mit Rippenresektion und Einschlagen eines Haut-Muskellappens zur Deckung der entstan-denen Höhle (Schede-Plastik), bei einem Patienten die Teilentfernung der Thoraxwand, bei einem Patienten die Entfernung des Eitersackes (Empyemektomie), bei einem Patienten zu-sätzlich zur Eitersackentfernung auch noch die Entfernung des Brustfells. 2 Patienten sind postoperativ verstorben [25].

Die ersten Operateure beklagten die Schwierigkeit der Entfernung von Kunststoff-Kugeln. Das ließ sich bei 12 solcherart von Lucas und Cleland durchgeführten Eingriffen nicht bestätigen. V. a. überzeugte sie die Bildung festen, belastbaren Bindegewebes in der zurückgebliebenen Höhle nach 7 – 11 Monaten.

Zwei postoperative Staphylokokkeninfekte wurden mit Penicillingaben und Punktion behandelt, bei einem Infektpatienten wurden die Kugeln entfernt.

3 Todesfälle standen nach Angabe der Autoren nicht in Zusammenhang mit der Operationsmethode [22].

Induktion von Malignomen?

Über die Kanzerogenität der eingebrachten Materialien herrscht beim Menschen Unklarheit. In der Arbeit von A. Stobernack, R. Achatzy und C. Engelmann werden 2 Eingriffe zur Entfernung von Polyäthylen-Plomben wegen Malignomen beschrieben. Eine weitere Arbeit von Engelmann aus dem Jahre 1997 nennt ein Non-Hodgkin-Lymphom der Brustwand im Zusammenhang mit einer Nylonplombeneinlage vor 40 Jahren. In diesem Zusammenhang weist er auf ein ihm bekanntes Chondrosarkom der Brustwand hin, das im Zusammenhang mit der Einlage von Lucite-Kugeln zu sehen sei. Er rät grundsätzlich zur Entfernung von synthetischem Material aus Pneumolysenhöhlen, auch wenn sie bisher keine Komplikationen hervorgerufen haben [12] [23].

G. Elsner hatte bei seinen 160 in den Jahren 1974 und 1984 nachuntersuchten Patienten eine maligne Entartung beobachten können [12].

In seiner Habilitationsschrift von 1986 hat sich A. Berghaus ausführlich mit porösem Polyäthylen, seiner Materialeigenschaft, den Tierexperimenten und seinem Einsatz am Menschen auseinandergesetzt. Er kommt zur Ansicht, dass es zwar im Tierexperiment gelänge, unter Einwirkung von Polyäthylen Malignome zu erzeugen, im menschlichen Organismus aber eher nicht [3].

Erratum

Aumann U. Die „Plombe“ in der Therapie der Lungentuberkulose. Pneumologie 2020; doi:10.1055/a-1262-6399
Im oben genannten Beitrag enthielt die Abb. 4 eine falsche Legende. Korrekt ist:


Abb. 4 Plombe im Obergeschoss der rechten Lunge (Aufnahme: Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Mein herzlicher Dank gilt Frau Dr. Oswinde Bock-Hensley aus Heidelberg-Rohrbach für intensive Beratung und Unterstützung mit Bildmaterial.

Ebenso danke ich Herrn Dr. Günter Elsner aus Weinböhla für ausführliche Information über eine der letzten „Reliquien“ der Plomben-Ära.

* Herrn. Prof. Dr. Richard Achatzy in Freundschaft zugeneigt



Korrespondenzadresse

Dr. Ulrich Aumann
FA für Chirurgie und Viszeralchirurgie
Chefarzt i. R.
Neuheim 21a
48155 Münster
Deutschland   

Publication History

Article published online:
22 December 2020

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Abb. 1 Unterschiedliches Ausmaß der Rippenresektion bei Thorakoplastik.
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Abb. 2 Wand des Brustkorbes mit den extrapleuralen Faszien.
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Abb. 3 Über der Lungenspitze eingebrachte Paraffinkugeln.
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Abb. 4 „Plombe im Obergeschoss der rechten Lunge (Aufnahme: Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).
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Abb. 5 Gefüllter Nylonstrumpf (Quelle: E. Stahl, Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).
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Abb. 6 Strumpf mit Füllmaterial (Quelle: E. Stahl, Deutsches Tuberkulose-Archiv, Heidelberg).
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Abb. 7 Entfernte Paraffinplombe.