Pneumologie 2020; 74(12): 803-804
DOI: 10.1055/a-1284-0010
Referiert – kommentiert

NSCLC mit EGFR-Mutation: Vorteil durch Osimertinib

Wu YL. et al.
Osimertinib in Resected EGFR-Mutated Non-Small-Cell Lung Cancer.

N Engl J Med 2020; [Online ahead of print]
 

    Genmutationen des Epidermal-Growth-Factor-Rezeptors (EGFR) fungieren beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) häufig als Onkogene. Bei entsprechendem Mutationsnachweis sind daher EGFR-Tyrosinkinase-Hemmer im fortgeschrittenen Tumorstadium indiziert. Bei therapienaiven fortgeschrittenen NSCLC gilt Osimertinib inzwischen als Standardtherapie. Ob dieser TKI-Hemmer auch im adjuvanten Setting Vorteile zeigt, ist nicht bekannt.


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    Bei rund 30 % der Patienten mit einem NSCLC ist eine Resektion möglich. Als anschließende Chemotherapie wird derzeit für das Tumorstadium II–IIIA (in Ausnahmen auch für Stadium IB) als adjuvante Therapie eine cisplatinbasierte Behandlung empfohlen. Allerdings lässt sich hiermit das Risiko für Rezidiv oder Tod nur geringfügig senken; innerhalb der folgenden 5 Jahre überlebt daher, zumindest bei höheren Tumorstadien, nur eine Minderheit der Patienten ohne Rezidiv. Bei fortgeschrittenen NSCLC mit positivem EGFR-Mutationsnachweis haben sich EGFR-Tyrosinkinase-Hemmer (EGFR-TKI-Hemmer) inzwischen als Erstlinientherapie etabliert; zudem haben diese Medikamente sich einigen Studien zufolge auch in der adjuvanten Therapie resektabler NSCLC als effektiv erwiesen. Osimertinib als EGFR-TKI-Hemmer der 3. Generation hat sich in einer Phase-III-Studie beim fortgeschrittenen NSCLC als überlegen gegenüber 2 älteren TKI-Hemmern gezeigt. Relativ günstige Daten zu Verträglichkeit und Sicherheit von Osimertinib sprechen dafür, dieses Medikament auch bei der adjuvanten Therapie nach Resektion eines NSCLC zu prüfen.

    An der nun durchgeführten doppelblinden, randomisierten Phase-III-Studie nahmen Patienten teil, deren NSCLC mit Nachweis einer EGFR-Mutation komplett reseziert werden konnte. Von den 682 erwachsenen Patienten mit einem Tumorstadium IB, II oder IIIA erhielten 339 über einen Zeitraum von 3 Jahren 80 mg Osimertinib täglich, die übrigen Placebo. Je nach Entscheidung der Ärzte erfolgte zudem eine Chemotherapie, allerdings keine Radiotherapie während des Studienzeitraums. Nach 2 Jahren wurden die folgenden Ergebnisse erhoben: Insgesamt waren 89 % der Patienten unter Osimertinib am Leben und hatten kein Rezidiv entwickelt; in der Placebogruppe galt dies für 52 %. Dies ergab eine Hazard Ratio für ein Rezidiv oder Tod von 0,2 (99,12 %-Konfidenzintervall 0,14–0,3; p < 0,001). Bezogen auf die Patienten mit einem Tumorstadium von II oder IIIA (primärer Endpunkt) hatten 90 % in der Interventionsgruppe gegenüber 44 % in der Placebogruppe krankheitsfrei überlebt (Hazard Ratio 0,17, 99,06 %-Konfidenzintervall 0,11–0,26; p < 0,001). Die günstigen Ergebnisse für den TKI-Hemmer ergaben sich über alle Subgruppen sowie unabhängig von einer erfolgten zusätzlichen Chemotherapie.

    Die Autoren beurteilten auch, ob Hirnmetastasen vorlagen: Unter Osimertinib waren 98 % Überlebende frei von solchen Metastasen, in der Placebogruppe galt dies für 85 %. Gestorben waren innerhalb von 2 Jahren 9 Patienten unter Medikation und 20 in der Kontrollgruppe.

    Über unerwünschte Wirkungen berichteten 98 % unter Osimertinib und 89 % in der Placebogruppe; an mindestens Grad-3-Nebenwirkungen litten 20 % gegenüber 13 %. Ein fatales Ereignis trat in der Placebogruppe auf. Unter Osimertinib gab es keinen solchen Fall; hier kam es allerdings bei 10 Patienten (vs. 0) zu einer interstitiellen Lungenerkrankung. Zudem wurde in der Interventionsgruppe häufiger über Dosisreduktionen oder einen Therapieabbruch aufgrund unerwünschter Wirkungen berichtet.

    Fazit

    Osimertinib führte in der von AstraZeneca finanzierten Studie bei komplett reseziertem, EGFR-mutiertem NSCL zu einem deutlich längeren krankheitsfreien Überleben vs. Placebo nach 2 Jahren. Die präsentierten Daten entsprechen einer Risikoreduktion für ein Rezidiv oder Tod von 80 % durch den TKI-Hemmer. Insgesamt ergaben sich keine neuen Sicherheitsbedenken in Bezug auf Osimertinib. Der TKI-Hemmer stelle also ein neues adjuvantes Therapieprinzip für diese NSCL dar, so die Autoren.

    Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen

    Kommentar

    Die palliative Erstlinien-Therapie des EGFR mutierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) der 2. und 3. Generation ist seit mehreren Jahren sehr erfolgreich etabliert und in allen Leitlinien empfohlen. Die Studien zum Einsatz von EGFR TKI in der adjuvanten Situation hingegen waren bisher entweder negativ oder nicht aussagekräftig genug [1–3]. In der ADAURA-Studie konnte nun zum ersten Mal in einer hervorragend durchgeführten Phase-III-Studie ein statistisch signifikanter und klinisch sehr beeindruckender Benefit im rezidivfreien Überleben (DFS) durch adujvante Therapie mit Osimertinib (Tagrisso®) gezeigt werden. Die Daten zum DFS waren für alle Stadien signifikant, selbst im Stadium IB, in dem in beiden Studienarmen zu 80 % keine vorherige adjuvante Chemotherapie durchgeführt worden war.


    Ist die Substanz also schon „ready for prime time“? Da ist sicher noch etwas Vorsicht geboten. Zum einen fehlen noch belastbare Daten zum Gesamtüberleben (aktueller Reifegrad der Studie 5 %). Hier muss gezeigt werden, dass die bis zu 3 Jahre dauernde adjuvante Therapie mit Osimertinib einer entsprechenden palliativen Therapie mit diesem TKI in der Rezidiv-Situation überlegen ist. Erste Daten zu den Rezidiv-Ereignissen der ADAURA-Studie wurden auf dem diesjährigen ESMO-Kongress vor Kurzem vorgestellt [4]. Interessanterweise wurden im Placebo-Arm vor allem Hirnmetastasen evident; diese konnten dagegen im Behandlungs-Arm mit dem TKI offensichtlich bisher gut unterdrückt werden. Das verwundert nicht, da aus der palliativen Situation bereits bekannt ist, dass Osimertinib gut Gehirn- und Liquor-gängig ist. Da das Auftreten von Hirnmetastasen als erste Lokalisation im Rezidiv prognostisch ungünstig ist, könnte daher auch mit einem Benefit von Osimertinib im sekundären Endpunkt Gesamtüberleben zu rechnen sein.


    Ein weiterer Aspekt ist die Nebenwirkungsrate. Nachdem die Substanz in der Studie geplant bis zu 36 Monate und im Median fast 2 Jahre verabreicht wurde, ist es wichtig, Toxizitäten besonders im Auge zu haben. Neben den bekannten und beherrschbaren klassischen EGFR-TKI-Nebenwirkungen wie Diarrhoe, Rash und Paronychien sind aber verminderter Appetit, Stomatitis und Mund-Ulzera in der Langzeit-Therapie durchaus ernst zu nehmen, selbst wenn sie in zumeist geringen Toxizitätsgraden aufgetreten sind. Für eine abschließende Beurteilung müssen daher auch noch die Lebensqualitätsanalysen abgewartet werden.


    Wenn die Substanz im deutschsprachigen Raum eine Zulassungserweiterung für die adjuvante Therapie erhält, wovon auszugehen ist, muss sich auch in der Klinik das molekulare Testverhalten ändern. Alle kurativ resezierten nicht-plattenepithelialen NSCLC der Stadien IB–IIIA müssten dann routinemäßig zumindest auf das Vorliegen einer EGFR-Mutation hin getestet werden, was eine logistische und finanzielle Herausforderung darstellen dürfte. Die Vorteile gegenüber der molekularen Testung in der Palliation sind hier zumindest, dass 1. durch die Resektion in aller Regel genug Tumormaterial vorhanden sein dürfte, um die Mutationstestung durchführen zu können und 2. durch die durchzuführende vorherige adjuvante Chemotherapie genug Zeit zur Verfügung steht, um die Testung auch tatsächlich zu veranlassen und das Ergebnis abzuwarten. Mit der möglichen Zulassung von Osimertinib würde sich das therapeutische Armamentarium in der adjuvanten Therapie zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder um eine wirksame Therapieoption erweitern, was angesichts der hohen Rezidivrate (die bereits im Stadium IB im 5-Jahres-Intervall bei 45 % liegt) sehr zu begrüßen wäre.


    Autorinnen/Autor

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    Prof. Dr. med. Wolfgang M. Brückl,
    Klinik für Innere Medizin 3, Schwerpunkt Pneumologie, Klinikum Nürnberg, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg, Lungentumorzentrum Nürnberg
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    Prof. Dr. med. Joachim H. Ficker,
    Klinik für Innere Medizin 3, Schwerpunkt Pneumologie, Klinikum Nürnberg, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg, Lungentumorzentrum Nürnberg

    Literatur


    [1] Kelly K et al. Adjuvant erlotinib versus placebo in patients with stage IB-IIIA NSCLC (RADIANT): a randomized, double-blinde, phase III trial. J Clin Oncol 2015; 33: 4007–4014


    [2] Pennell NA et al. SELECT: a phase II trial of adjvuant erlotinib in patients with resected epidermal growth factor receptor – mutant NSCLC. J Clin Oncol 2018; 37: 87–104


    [3] Zhong WZ et al. Gefitinib versus vinorelbine plus ciplatin as adjuvant treatment for stage II-IIIA (N1-N2) EGFR-mutant NSCLC (ADJUVANT/CTONG1104): a randomised, open-label, phase 3 study. Lancet Oncol 2018; 19: 139–148


    [4] Tsuboi M et al. Osimertinib adjuvant therapy in patients (pts) with resected EGFR mutated (EGFRm) NSCLC (ADAURA): central nervous system (CNS) recurrence. Presidential symposium I, ESMO virtual congress 2020, LBA1.


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    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    08. Dezember 2020

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    Prof. Dr. med. Wolfgang M. Brückl,
    Klinik für Innere Medizin 3, Schwerpunkt Pneumologie, Klinikum Nürnberg, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg, Lungentumorzentrum Nürnberg
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    Prof. Dr. med. Joachim H. Ficker,
    Klinik für Innere Medizin 3, Schwerpunkt Pneumologie, Klinikum Nürnberg, Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg, Lungentumorzentrum Nürnberg