Erfahrungsheilkunde 2020; 69(06): 297
DOI: 10.1055/a-1288-8391
Editorial

Die Schilddrüse, der Schrittmacher unseres Organismus

Volker Schmiedel

Ein walnussgroßes Organ an der Vorderseite des Halses bestimmt darüber, ob wir fit und leistungsfähig oder müde und schlapp sind. Es hat Einfluss darauf, ob sich im Mutterleib ein Kind mit normalen geistigen Fähigkeiten entwickelt, ob wir hohe Fettwerte haben oder unser Herz zu Rhythmusstörungen neigt. Wikipedia führt bei Hashimoto allein 40 mögliche Symptome auf. Mit Fug und Recht darf man diese häufigste Autoimmunkrankheit daher als Chamäleon in der Medizin bezeichnen. Es gibt also Gründe genug, ein ganzes Heft diesem kleinen, aber feinen Organ zu widmen.

Meine eigene Neuraltherapie beschränkt sich auf Quaddeln und Infiltrationen. Die mutigste, invasive Injektion, die ich mir zutraue und der ich mich gern bediene, ist diejenige in die Schilddrüse. Umso mehr freut mich, dass diese wichtige, leicht zu erlernende und oft hilfreiche Technik hier ausführlich gewürdigt wird.

Wenn wir an die Ernährung und die Schilddrüse denken, so fällt uns spontan das Jod ein und wenn wir schon viel über den Stoffwechsel der Schilddrüsenhormone wissen, dann kommen wir auch noch auf das Selen. Aber nur wenigen Menschen ist bekannt, was überhaupt goitrogene Substanzen sind, und dass diese maßgeblichen Einfluss auf die Schilddrüse haben können.

Genau um diese beiden wichtigen Spurenelemente und deren Einfluss auf die Schilddrüse geht es in einem weiteren Beitrag. Sowohl Jod- als auch Selenmangel sind weltweit in geographisch sehr unterschiedlichem Ausmaß verbreitet, wobei Deutschland hier besonders stark betroffen ist. Die wissenschaftliche Datenlage zum Zusammenhang zwischen Jod- bzw. Selenmangel und Thyreoiditis werden anschaulich dargestellt.

Der erste offizielle Brief, den ich nach meinem Umzug in die Schweiz von einer Behörde bekam, enthielt einen Gutschein für hochdosierte Jodtabletten, da ich im Dunstkreis eines Atomkraftwerks lebe. Bei jedem Strahlenunfall wird radioaktives Jod freigesetzt, das die strahlensensible Schilddrüse schädigen kann. Um diese, aber auch um psychosoziale Folgen geht es im Artikel eines Physikers.

Was haben Geschlechtshormone wie Progesteron oder Estradiol mit dem Thyroxin zu tun? Sie bilden eine biokybernetische Einheit. Alle beeinflussen sich gegenseitig und stehen in einer harmonischen Balance. Wenn wir in ein hormonelles System durch Hormonersatztherapie mit natürlichen oder künstlichen Hormonen eingreifen, dann beeinflussen wir damit gleichzeitig auch andere Hormone.

Hängen Organe mit Gefühlen zusammen? Bei der Leber denkt seit Hippokrates jeder an die Wut. Die Schilddrüse habe ich bisher noch nie mit Gefühlen in Zusammenhang gebracht. In einem neuen, interessanten Ansatz werden mir bisher unbekannte emotionale Aspekte aufgeführt.

Dies ist das erste Editorial, zu dem mir kein Zitat eingefallen ist. Dies liegt vielleicht daran, dass der Schilddrüse nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Bevölkerung nicht die Aufmerksamkeit zuteilwird, die ihr gebührt. Wenn ich schon kein Zitat finde, so assoziiere ich die Schilddrüse aber mit einem schönen Bild: Schenken wir zukünftig doch diesem bedeutsamen Schmetterlingsorgan mehr Achtsamkeit!

Mit hormonell balancierten Grüßen,
Dr. Volker Schmiedel



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Article published online:
03 December 2020

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