Schlüsselwörter
Risikostratifizierung - Analgetika - rheumatische Erkrankungen - NSAR - Opioide
Key words
risk stratification - analgesics - rheumatic diseases - NSAIDs - opioids
Obgleich neue medikamentöse Therapieoptionen die Behandlung
entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in den letzten 2 Jahrzehnten
revolutioniert haben, benötigt weiterhin eine Vielzahl unserer Patienten
eine begleitende Analgetika-Therapie. So geben etwa nach Daten der rheumatologischen
Kerndokumentation auch im Biologika-Zeitalter noch ca. 15–20% der
Patienten mit Rheumatoider Arthritis starke Schmerzen an (Stärke
7–10 auf einer 10er Skala) [1]. Damit
bleiben Analgetika in der Betreuung von Rheumapatienten in der täglichen
Routine unverzichtbar und ein ständig aktuelles Thema.
Im Gegensatz zur Entwicklung bei den Biologika haben sich aber bezüglich der
Analgetika-Therapie in den letzten Jahren kaum neue Therapieoptionen ergeben.
Vielmehr ist die Diskussion über das Nebenwirkungspotenzial der
verfügbaren Präparate stark in den Vordergrund getreten. Diese
Konstellation mit fortbestehendem Analgetika-Bedarf einerseits, aber schwieriger
Risiko-Nutzen-Abwägung andererseits, unterstreicht die Notwendigkeit einer
Risikostratifizierung für den individuellen Patienten.
Dabei ist die medikamentöse Schmerztherapie nicht isoliert zu sehen, sondern
immer eingebettet in ein multimodales Therapiekonzept. Insbesondere bei Patienten
mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen liegt dabei der Fokus
primär auf anderen medikamentösen Therapie-Optionen (DMARDs,
Glucocorticoide), die das Potenzial haben, die Entzündung als Schmerzursache
längerfristig zu kontrollieren und damit den Analgetika-Bedarf und das damit
verbundene Risiko zu reduzieren. In Abhängigkeit von der Schmerzursache und
der Schmerzcharakteristik (entzündlich/nozizeptiv, neuropathisch,
akut/chronifiziert) sind zudem eine ganze Reihe von
nichtmedikamentösen Therapieoptionen einzubeziehen
(physio-/ergotherapeutisch, (rheuma)chirurgisch, psychologisch,
rehabilitativ, Patientenschulung).
Ist eine Analgetika-Therapie erforderlich, so bedarf diese einer individuellen
Risiko-Nutzen-Abwägung. Diese erfolgt anhand klinischer Parameter unter
Berücksichtigung der zu erwartenden analgetischen Wirksamkeit des
Präparats in Abhängigkeit von der Grunderkrankung, den
Komorbiditäten und der Komedikation. Wichtige allgemeine Therapieregeln
sind, die Analgetika in der niedrigsten noch ausreichend wirksamen Dosis für
den kürzesten notwendigen Zeitraum einzusetzen und die Therapienotwendigkeit
regelmäßig zu überprüfen.
Säulen der medikamentösen Analgetikatherapie sind weiterhin die
traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika (tNSAR), die selektiven
Cox2-Hemmer (Coxibe), als alternative Nicht-Opioid-Analgetika
Metamizol und Paracetamol sowie letztlich die Opioide,
weswegen auf diese Gruppen in diesem Beitrag näher eingegangen werden
soll.
Trotz ihres schmerzlindernden Effekts bei entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen sind Glucocorticoide (GC) nicht den Analgetika zuzuordnen, da
sie selbst keine eigene analgetische Wirkung haben und auch die Wirkung von
Analgetika nicht verstärken. Ihr schmerzlindernder Effekt entsteht indirekt
durch ihre ausgeprägte antiphlogistische Wirkung. In diesem Zusammenhang ist
kritisch zu sehen, dass bei Patienten mit bekannten
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, die über eine Schmerzzunahme
klagen, nicht selten sofort GC eingesetzt werden bzw. bei laufender GC-Therapie die
Dosis erhöht wird. Dies hat nur dann eine Berechtigung, wenn Symptomatik
bzw. Entzündungsparameter tatsächlich eine entzündliche
Aktivitätszunahme ausweisen. Der längerfristige und höher
dosierte Einsatz von GC bei nichtentzündlichem Schmerz ist nicht nur
aufgrund der typischen GC-Nebenwirkungen problematisch, sondern fördert auch
die Entstehung einer GC-Abhängigkeit, die das spätere Ausschleichen
der GC durch Auftreten von Myalgien und Arthralgien bei Dosisreduktion erschwert
(sog. „Steroidpseudorheumatismus“).
Koanalgetika (Antiepileptika wie Gabapentin oder Pregabalin, Antidepressiva
wie Amitriptylin und Duloxetin) haben zweifellos ihren Stellenwert bei der
Behandlung des neuropathischen Schmerzes, dessen Aspekte sich auch bei bis zu
30% der Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen finden,
sowie beim chronifizierten Schmerz. Sie sollen hier aufgrund ihrer fehlenden
Wirksamkeit auf den Nozizeptor-Schmerz entzündlicher Genese nicht besprochen
werden. Diesbezüglich kann auf ausführliche Beiträge zu
dieser Problematik in einem anderen Themenheft dieser Zeitschrift verwiesen werden
[2]
[3].
Ebenso wird nicht näher auf die Cannabinoide eingegangen, für
die die Datenlage bei entzündlich-rheumatischen Erkrankung weiterhin sehr
schlecht ist und die daher bisher nur in Einzelfällen eine Therapieoption
darstellen.
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
NSAR sind bei entzündlichen Manifestationen am Bewegungsapparat sehr wirksame
Präparate (NNT für eine Schmerzreduktion von 50% etwa
2–6) und stellen daher häufig die First-Line Therapie dar. tNSAR
sind Hemmer der Zyklooxygenase 1 (Cox1), die für die Synthese von
Prostaglandinen vorwiegend für physiologische Vorgänge entscheidend
ist, als auch der Cox2, die bei Entzündung lokal induziert wird. Letzterer
Effekt dominiert bei den Coxiben als selektiven Cox2-Hemmern. Schon seit langem ist
insbesondere das durch die Cox1-Hemmung und damit die verminderte Synthese
gastroprotektiver Prostaglandine verursachte gastrointestinale (GI)
Nebenwirkungspotenzial der NSAR bekannt. So ist unter langfristiger tNSAR-Einnahme
bei 15–40% der Patienten mit abdominellen Beschwerden, bei
5–20% mit gastroduodenalen Mukosaläsionen und bei
1–2% der Patienten mit GI Komplikationen wie symptomatischem Ulkus,
Blutung, Perforation zu rechnen. Dabei wird die klinische Beurteilung noch dadurch
erschwert, dass der Schweregrad der Symptomatik häufig nicht mit den
endoskopisch nachweisbaren Läsionen korreliert.
Seit 2004 ist aber, ausgelöst durch die Marktrücknahme von Rofecoxib,
zusätzlich das erhöhte kardiovaskuläre (CV) Risiko
für die Risikostratifizierung stark in den Vordergrund getreten.
Pathogenetisch wird dieser Effekt vor allem durch die NSAR-Wirkungen auf die
Cox1-abhängige Synthese des (thrombogenen) Thromboxans (TXA2) und
des (atheroprotektiven) Prostacyclins (PGI2) erklärt. Da die
Prostacyclinsynthese in der Endothelzelle Cox2-abhängig ist, kommt es unter
Cox2-Hemmern zu einer Verschiebung des
TXA2/PGI2-Verhältnisses zugunsten von
TXA2 mit resultierender Erhöhung des atherogenen Potenzials.
Da aber alle NSAR in unterschiedlichem Maße Cox2 hemmen, handelt es sich
beim erhöhten CV Risiko (CVR) nicht um ein Problem allein der Coxibe,
sondern es ist hier von einem Klasseneffekt aller NSAR auszugehen.
In einer Vielzahl von Metaanalysen wurde das CVR für die verschiedenen NSAR
quantifiziert. Auch wenn diese sich im Detail unterschieden, so zeichnete sich doch
eine gewisse Gruppenbildung ab (so beispielhaft in [4]):
-
Unter Naproxen und low-dose Ibuprofen ist das CVR kaum erhöht (RR
<1,1).
-
Eine mäßige Erhöhung des CVR (RR 1,1–1,4)
findet sich unter Celecoxib, Meloxicam und höher dosiertem
Ibuprofen.
-
Von einer deutlicheren CVR-Erhöhung (RR 1,4–1,7) ist unter
Diclofenac, Indometacin und Etoricoxib auszugehen.
Dabei besteht eine deutliche Dosisabhängigkeit des CVR, was nicht nur
für Ibuprofen, sondern auch für Diclofenac gezeigt werden konnte
[4]. Eine bestimmte kumulative Dosis ist
aber nicht erforderlich, die CVR-Erhöhung war bereits bei Patienten mit nur
einwöchiger NSAR-Einnahme nachweisbar [5].
CVR unter CelecoxibDie letzte große Studie zum CVR unter NSAR wurde
Ende 2016 für Celecoxib veröffentlicht. In der PRECISION-Studie mit
über 24 000 Patienten bei einer mittleren Therapiedauer von 20
Monaten und einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 34 Monaten konnte gezeigt
werden, dass das CVR unter Celecoxib mit dem von Naproxen vergleichbar und
tendenziell niedriger als bei Ibuprofen ist. Allerdings wurden hier keine
äquipotenten Dosen eingesetzt: Celecoxib war niedrig bis moderat dosiert
(mittlere Dosis 209 mg/d); Ibuprofen (Ø2045 mg/d) und
Naproxen (Ø852 mg/d) jedoch höher dosiert. Zumindest
lässt die Studie aber die Schlussfolgerung zu, dass niedrig dosiertes
Celecoxib (bis 200 mg/d) bezüglich des CVR mit Naproxen und niedrig
dosiertem Ibuprofen gleichgestellt werden kann [6]. Für dessen Einsatz ist aber zu beachten, dass Coxibe bei
manifester CV Erkrankung (koronare Herzkrankheit, periphere arterielle
Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankung) entsprechend
Fachinformation kontraindiziert sind.
CVR bei RAFür den Rheumatologen ist es wichtig zu wissen, dass dieser
CV Risikogradient bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) wahrscheinlich
geringer ausgeprägt ist. So konnte in einer großen dänischen
Kohortenstudie gezeigt werden, dass das CVR bei RA Patienten gegenüber
Kontrollen konsistent unter verschiedenen NSAR geringer ausgeprägt war (RR
für „major CV event“ 1,22 bei RA vs 1,51 bei den Kontrollen)
[7]. Möglicherweise wirkt bei den
RA-Patienten der antientzündliche Effekt der NSAR der
CV-Risikoerhöhung zumindest teilweise entgegen.
GI-/CV-Risikostratifizierung unter NSAR
Empfehlungen für den Einsatz von NSAR in Abhängigkeit vom GI- und
CV-Risiko
gibt [Abb. 1] in Anlehnung an Empfehlungen
einer europäischen Expertengruppe [8] und der DGRh [9] sowie unter
Berücksichtigung der PRECISION-Studie [6].
Abb. 1 Empfehlung zum Einsatz von tNSAR und Coxiben nach
Risikostratifizierung hinsichtlich gastrointestinalem (GI) und
kardiovaskulärem (CV) Risiko. Adaptiert nach Empfehlungen einer
europäischen Expertengruppe [8] und der DGRh [9]
sowie unter Berücksichtigung der PRECISION-Studie [6].
* sofern keine manifeste CV Erkrankung vorliegt
tNSAR traditionelles NSAR, CEX Celecoxib, IBU Ibuprofen, GC
Glucocorticoide, PPI Protonenpumpeninhibitor.
Zunächst muss für den Patienten eine individuelle GI- und
CV-Risikostratifizierung erfolgen. Als Risikofaktoren für ein
erhöhtes GI-Risiko sind dabei zu berücksichtigen: eine
Ulkus-/Blutungs-Anamnese (ein florides GI-Ulkus stellt eine
Kontraindikation für alle NSAR einschl. der Coxibe dar), ein Alter
über 60–65 Jahre, schwere Komorbiditäten sowie eine
Komedikation mit ASS, Antikoagulanzien, Glucocorticoiden und/oder
Antidepressiva (SSRI/SSNRI).
Bezüglich des CVR besteht bei Patienten mit bereits manifesten CV
Erkrankungen für Coxibe und Diclofenac eine Kontraindikation,
für alle NSAR zudem für Patienten mit fortgeschrittener
Herzinsuffizienz (NYHA III/IV). Bei Patienten ohne manifeste CV
Erkrankung stehen zur Abschätzung des CVR verschiedene
Kalkulationsmodelle zur Verfügung. So kann etwa mittels SCORE
(Systematic Coronary Risk Evaluation [10])
das 10-Jahresrisiko für tödliche Herz-Kreislauferkrankungen
unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Blutdruck
und Cholesterinwerten abgeschätzt werden (ein Risiko
>10% gilt als hoch).
Empfehlung für Patienten mit niedrigem CVRBesteht gleichzeitig ein
niedriges GI-Risiko, so können tNSAR eingesetzt werden. Bei mittelhohem
GI-Risiko (entsprechend den oben genannten GI-Risikofaktoren) sind Coxibe oder
aber tNSAR in Kombination mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) zu bevorzugen. Bei
hohem GI-Risiko (etwa bei frisch abgeheiltem oberen GI-Ulkus) kann in
Ausnahmefällen, sofern eine dringliche NSAR-Indikation besteht, ggf. ein
Coxib in Kombination mit einem PPI zum Einsatz kommen.
Empfehlung für Patienten mit hohem CVRBesteht begleitend ein
niedriges oder mittelhohes GI-Risiko, so kommt a.e. der Einsatz von Naproxen
oder von niedrig dosiertem Ibuprofen in Frage (jeweils in Kombination mit einem
PPI). Sofern noch keine manifeste CV Erkrankung vorliegt, kann ggf. auch niedrig
dosiertes Celecoxib (bis 200 mg/d) eingesetzt werden.
Besteht sowohl ein hohes GI- als auch CV-Risiko, so ist der Einsatz von NSAR
generell zu vermeiden. In Ausnahmefällen bei dringendem NSAR-Bedarf und
Fehlen manifester CV Erkrankungen käme allenfalls der Einsatz von
niedrig dosiertem Celecoxib in Kombination mit einem PPI in Frage.
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich bei einem hohen CVR
häufig ASS als Komedikation findet. ASS wirkt als irreversibler
Cox1-Hemmer durch Inhibierung der TXA2-Synthese
thrombozytenaggregationshemmend. NSAR können als reversible Cox-Hemmer
diese kardioprotektive Wirkung von ASS nicht ersetzen, können aber bei
gleichzeitiger Gabe mit ASS interagieren. Während der
antiaggregatorische Effekt von ASS durch Naproxen eher erhöht wird,
vermindert sich dieser unter Diclofenac und vor allem unter Ibuprofen. Deswegen
wird empfohlen, Ibuprofen frühestens 2 Stunden nach ASS einzunehmen.
Renales und hepatisches Risiko unter NSAR
Neben dem GI- und CV-Risiko sind vor einer NSAR-Therapie auch das renale und das
hepatische Risiko zu berücksichtigen.
Cox1 und Cox2 spielen für die Nierenfunktion eine wichtige Rolle. Renale
Nebenwirkungen von NSAR sind vielfältig:
-
Störungen im Salz- und Wasserhaushalt (durch Natrium- und
Wasserretention kann es zu Ödemen kommen, zusätzlich
Hypertonus, Hyperkaliämie)
-
Akutes Nierenversagen (hämodynamisch; prärenal oder durch
eine akute interstitielle Nephritis).
-
chronische interstitielle Nephritis
-
nephrotisches Syndrom bei sekundärer minimal change oder
membranöser Glomerulonephritis.
In einer großen prospektiven Studie über 4 Jahre mit RA-Patienten
waren NSAR nur bei Patienten mit bereits fortgeschrittener
Nierenfunktionseinschränkung (GFR<30 ml/min) ein
unabhängiger Prädiktor für einen beschleunigten
Nierenfunktionsverlust [11]. Entsprechend
sind NSAR bei einer Nierenfunktionseinschränkung im Stadium 4
kontraindiziert. Im Stadium 3 (GFR 30–60 ml/min) ist die
Behandlung mit NSAR möglich, dies aber mit niedrigen Dosen und unter
regelmäßigen (quartalsweisen) Kontrollen der Nierenfunktion.
Dies gilt insbesondere bei Therapiebeginn bzw. in der Einstellungsphase. Neben
einer vorbestehend eingeschränkten Nierenfunktion sind als
Risikofaktoren für eine renale Funktionsverschlechterung ein Alter
über 65 Jahren sowie eine Kombination von NSAR mit
ACE-Hemmern/Sartanen und Diuretika zu beachten. Da unter NSAR generell
das Hypertonie-Risiko erhöht ist, sind darüber hinaus
regelmäßige Blutdruckkontrollen und ggf. Anpassung der
antihypertenisven Medikation erforderlich. Zusätzlich sollte der Urin
auf Vorliegen einer Proteinurie (Albumin, alpha-1-Mikroglobulin) getestet sowie
eine Urinsedimentuntersuchung (Leukozyten, Leukozytenzylinder)
durchgeführt werden, um eine interstitielle Nephritis bzw.
sekundäre Glomerulopathien rechtzeitig zu erkennen. Im Zweifelfall muss
eine Nierenbiopsie erfolgen. Eine zusätzliche Medikation mit potentiell
nephrotoxischen Medikamenten sollte vermieden werden. Ein akutes Nierenversagen
kann prinzipiell auch bei Therapie mit Cox2-Hemmern auftreten [12].
Schwere hepatotoxische NSAR-Reaktionen (Cox-unabhängig) sind sehr selten,
gelegentlich finden sich aber milde Transaminasenerhöhungen, insb. unter
Diclofenac. Transaminasen-Kontrollen sind daher empfohlen; die Werte sollten vor
und während der NSAR-Therapie nicht über dem 3-fachen der oberen
Norm liegen.
Paracetamol und Metamizol
Paracetamol und Metamizol
Sind NSAR unzureichend wirksam oder können wegen Unverträglichkeit
oder Kontraindikationen nicht eingesetzt werden, dann bleiben beim Rheumatiker als
Nichtopioide im wesentlichen nur Paracetamol und Metamizol als Option für
die Behandlung des somatischen Schmerzes.
Bei Paracetamol stellt die Risikostratifizierung durch die im Allgemeinen gute
Verträglichkeit kein besonderes Problem dar. Zwar gibt es auch hier Hinweise
auf ein erhöhtes CV und GI Risiko, dies besteht aber in relevantem
Maße nur bei längerfristiger und höher dosierter Therapie
[13]. Da Paracetamol als Hauptmetabolit
von Phenacetin die Glutathion-Reduktase hemmt, fehlt ein wichtiger detoxizierender
Mechanismus in der Niere. Daher sollte auch Paracetamol bei vorbestehender
Niereninsuffizienz bzw. bei potentiell nephrotoxischer Begleitmedikation vorsichtig
eingesetzt werden. Zusätzlich gibt es Hinweise, dass eine
Paracetamol-Dauermedikation den Blutdruck erhöhen kann.
Häufigstes Problem sind Transaminasenerhöhungen, jedoch ist bei
bestimmungsgemäßem Gebrauch (Einzeldosis bis 1 g; Tagesdosis bis
max. 4 g) keine klinisch relevante Leberschädigung zu erwarten. Zu beachten
ist jedoch die geringe therapeutische Breite, denn bereits Dosen ab 5–6 g
sind hepatotoxisch, und ab einer Einzeldosis von 10 g ist mit einer relevanten
Leberschädigung zu rechnen [14].
Problematisch ist bei Paracetamol weniger das Nebenwirkungspotenzial, als vielmehr
die im Vergleich zu NSAR schwächere analgetische Wirkung. So war etwa in
einer Metaanalyse aus 13 randomisierten Studien bei chronischem Kreuzschmerz kein
signifikanter Effekt gegenüber Placebo nachweisbar; bei
Cox-/Gonarthrose zeigte sich nur ein geringer Effekt (mit -3,7 auf einer
100er VAS zwar signifikant, aber mit fraglicher klinischer Relevanz) [15]. Damit stellt Paracetamol nur selten eine
Alternative zu NSAR dar und kommt eher als Kombinationspartner mit Opioiden
(Tramadol) in Frage.
Anders stellt sich die Situation beim Metamizol aufgrund einer deutlich besseren
analgetischen Wirkung dar. Für die Risikostratifizierung ist auch hier im
Vergleich zu den NSAR kein relevanter Effekt gastrointestinal oder
kardiovaskulär zu berücksichtigen. Bei schwerer Niereninsuffizienz
sollte Metamizol aufgrund einer verminderten renalen Ausscheidung
zurückhaltend eingesetzt werden.
Zusammen mit den genannten Entwicklungen bei den NSAR haben die gute Wirksamkeit und
relativ gute Verträglichkeit dazu geführt, dass die Verschreibung
von Metamizol seit der Jahrtausendwende erheblich zugenommen hat (etwa
Verfünffachung auf >140 Mio. definierte Tagesdosen im Zeitraum 2000
bis 2012) [16].
Gefürchtet ist aber das Auftreten einer Agranulozytose. Die Zahl der
gemeldeten Agranulozytose-Fälle liegt in Deutschland bei etwa 30–50
jährlich (davon bis zu 5 tödliche) [16]. Angaben zur Inzidienz Metamizol-induzierter Agranulozytosen
schwanken erheblich, nach einer Berliner Studie über den Zeitraum
2000–2010 lag sie bei einem Fall auf 143 000 Behandlungen
über 2 Wochen bzw. bezogen auf die Bevölkerung bei knapp 1 Fall pro
Million und Jahr [17]. Bewertet man diese
Zahlen etwa in Relation zu einer Therapie mit NSAR, so liegt das Risiko
tödlicher Ereignisse durch CV und GI Nebenwirkungen unter NSAR um ein
Vielfaches höher.
Die Risikobewertung einer solchen sehr seltenen aber potenziell tödlichen
Nebenwirkung hat für Metamizol im internationalen Vergleich zu sehr
unterschiedlichen Regelungen geführt. Während es in vielen
Ländern deswegen vom Markt genommen wurde (u. a. USA, Japan, viele
Länder West-/Nordeuropas), ist es in Deutschland rezeptpflichtig
erhältlich, in einigen Ländern sogar rezeptfrei (u. a.
Russland, Spanien).
Konsequenz für die Praxis ist, zum einen Metamizol nur streng
indikationsgerecht einzusetzen (d. h. bei starken Schmerzen bzw. bei hohem
Fieber) und zum anderen den Patienten über das Agranulozytose-Risiko
aufzuklären. Da ein Nutzen regelmäßiger Blutbildkontrollen
unter Therapie zweifelhaft ist, sollte eine zeitnahe Blutbildkontrolle bei Auftreten
von Infektzeichen insb. mit Fieber, Halsschmerzen und Schleimhautulzerationen
erfolgen [18].
Für den Rheumatologen ist darüber hinaus zu beachten, dass die
Kombination von Metamizol mit Methotrexat vermieden werden sollte. Ähnlich
wie beim Ibuprofen sind zudem Interaktionen mit ASS möglich, weswegen
Metamizol auch bei ASS-Therapie nur mit Vorsicht und dann mind. 30 min nach ASS
eingesetzt werden sollte [19].
Opioide
Unzureichende Wirksamkeit, Nebenwirkungs-Potenzial bzw. Kontraindikationen
beschränken häufig den Einsatz der genannten
Nicht-Opioid-Analgetika. In diesem Falle stellen die Opioide einen möglichen
Kombinationspartner bzw. eine wichtige alternative Therapie-Option dar. So weisen
Daten der rheumatologischen Kerndokumentation von 2017 bei RA-Patienten mit starken
Schmerzen (VAS 7–10) zu 19%, bei jenen mit Spondyloarthritis zu
28% eine Opioid-Behandlung aus [1].
Die Risikostratifizierung für eine Opioid-Therapie beruht einerseits auf der
zu erwartenden Wirksamkeit in Abhängigkeit von der Art des Schmerzsyndroms
(Indikationen, Kontraindikationen) und andererseits auf der Berücksichtigung
des Nebenwirkungspotenzials, das sich deutlich anders als etwa bei den NSAR
darstellt.
Aufgrund der Situation in den USA mit der Entwicklung einer
„Opioid-Krise“ bzw. „Opioid-Epidemie“ in den letzten
20 Jahren (2017 ca. 18 000 Tote in Zusammenhang mit verschriebenen Opioiden,
entsprechend ca. 50 pro Tag) ist vor allem die Diskussion über das
Abhängigkeits-Potenzial dieser Präparate in den Vordergrund getreten
[20]. Trotz (moderat) steigender
Verordnungszahlen ist in Deutschland eine derartige dramatische Entwicklung zwar
derzeit nicht zu sehen, dies erfordert aber auch weiterhin einen kritischen Einsatz
dieser Präparate unter Vermeidung von Über- und Fehltherapie. Sehr
hilfreich für die tägliche praktische Tätigkeit ist
hierfür die S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei
nichttumorbedingten Schmerzen“ in ihrer aktualisierten Form von 2020
(LONTS3), auf die hier im Wesentlichen Bezug genommen wird [21].
Indikationen und Kontraindikationen
Mögliche Indikationen für eine Opioid-Therapie bei rheumatischen
Erkrankungen sowie deren Kontraindikationen listet [Tab. 1] auf.
Tab. 1 Risikostratifizierung des Einsatzes von Opioiden bei
rheumatischen Erkrankungen: Indikationen und Kontraindikationen.
Auswahl basierend auf der Leitlinie Langzeitanwendung von Opioiden
bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS3) [21]
Indikationen
|
▪ Chronische Rückenschmerzen und chronischer
Arthroseschmerz
|
Empfehlung für eine kurz- (4–12 Wo.) und
mittelfristige (13–26 Wo.) Einnahme mit Evidenz Ia
(nach Oxford), für eine Langzeitanwendung
>26 Wochen offene Empfehlung mit Evidenz IIb
|
▪ Rheumatoide Arthritis mit anhaltenden Schmerzen
|
für eine kurzfristige Anwendung offene Empfehlung mit
Evidenz Ib
|
keine Daten für eine Anwendung >12 Wochen,
offene Empfehlung als Option bei Respondern
|
▪ manifeste Osteoporose und andere
entzündlich-rheumatische Erkrankungen
|
unzureichende Datenlage, keine evidenzbasierten
Empfehlungen
|
individueller Therapieversuch möglich
|
Kontraindikationen
|
▪ funktionelle und psychische Störungen mit
dem Leitsymptom Schmerz
|
▪ Fibromyalgie-Syndrom
|
▪ anhaltende somatoforme Schmerzstörungen
|
▪ primäre Kopfschmerzen
|
Die Wirksamkeit von Opioiden bei der Behandlung von rheumatischen Schmerzen wird
gemeinhin überschätzt. So weist etwa die 2018 publizierte
SPACE-Studie bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz oder
Cox-/Gonarthrose über ein Jahr keinen signifikanten Unterschied
bezüglich der Schmerzreduktion zwischen der Opioid- und der
Nichtopioid-Gruppe aus [22]. Ebenfalls von
2018 stammt ein systematisches Review mit Metaanalyse von 96 RCTs zu chronischem
Rückenschmerz und Cox-/Gonarthrose, das im Vergleich zu Placebo
für die Opioide auf einer 10er Schmerzskala einen zwar signifikanten,
aber nur geringen mittleren Vorteil von 0,69 Punkten auswies [23].
Bezüglich der Opioid-Wirkung auf Schmerzen am Bewegungsapparat sind
chronischer Rückenschmerz und Cox-/Gonarthrose noch am besten
untersucht, nur wenig Daten existieren zu den entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen. Zudem lag die Studiendauer meist unter 3 Monaten; Daten zur
Langzeitanwendung über mehr als 6 Monate fehlen fast komplett.
Bezüglich möglicher Indikationen für eine Opioid-Therapie
wird in LONTS3 eine Empfehlung für den Einsatz bei chronischen
Rückenschmerzen und chronischem Arthroseschmerz ausgesprochen
(für eine Therapiedauer von 4–26 Wochen mit Evidenz Ia,
>26 Wochen mit Evidenz IIb). Für die Rheumatoide Arthritis mit
anhaltenden Schmerzen wird eine offene Empfehlung mit Evidenz Ib gesehen.
Für eine Behandlung >12 Wochen gibt es keine Daten, daher als
Konsens offene Empfehlung als Option bei Respondern. Zu weiteren für den
Rheumatologen relevanten Diagnosen wie manifeste Osteoporose
(Wirbelkörperfrakturen) und anderen entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen (z. B. Spondyloarthritiden) konnten wegen unzureichender
Datenlage keine evidenzbasierten Empfehlungen gegeben werden, bei diesen
Diagnosen kommt aber ein individueller Therapieversuch in Betracht.
Betont wird in der letzten Aktualisierung der Leitlinie, dass die Anwendung von
Opioiden bei Gelenkschmerzen auf Patienten mit relevantem somatischen
Schmerzanteil mit Ineffizienz oder Unverträglichkeit anderer Analgetika
und Versagen nicht-medikamentöser Therapien beschränkt sein
soll.
Für Krankheitsbilder, bei denen der funktionelle und psychische Aspekt
für die Schmerzentstehung im Vordergrund steht, wird nach Leitlinie eine
Kontraindikation für Opioide gesehen. Dies betrifft insbesondere auch
das Fibromyalgie-Syndrom, anhaltende somatoforme Schmerzstörungen und
primäre Kopfschmerzen. Als eine Ausnahme hierzu ist der mögliche
befristete Einsatz (bis 12 Wochen) von Tramadol bei Fibromyalgie aufgrund dessen
Wirkung als zusätzlicher Serotonin- und
Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer erwähnt, allerdings besteht hierzu
kein Konsens.
Maßnahmen zur Risikominimierung
Besteht unter den genannten Voraussetzungen eine Indikation für ein
Opioid-Therapie, so ist zur Risikostratifizierung im Weiteren das
Nebenwirkungspotenzial abzuschätzen und zu minimieren, siehe [Tab. 2]
[21]
[24].
Tab. 2 Risikostratifizierung des Einsatzes von Opioiden bei
rheumatischen Erkrankungen: Berücksichtigung von
Nebenwirkungspotenzial und Komorbidität. Auswahl basierend
auf LONTS3 [21]
▪ Minimierung des Missbrauchs- und
Abhängigkeitsrisikos
|
psychosoziale Anamnese, Screening auf psychische
Störungen
|
Einsatz retardierter Präparate mit langer Wirkdauer
und festem Einnahmeplan
|
max. Tageshöchstdosis von 120 mg
Morphinäquivalent
|
keine Monotherapie, Einbettung in multimodales
Therapiekonzept
|
Langzeittherapie nur bei eindeutigen Respondern
|
▪ Präparate-Auswahl/-Dosierung in
Abhängigkeit von der Nierenfunktion
|
bevorzugt bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz:
Hydromorphon, Fentanyl, Buprenorphin
|
▪ Behandlung der Übelkeit (meist nur zu
Therapiebeginn erforderlich)
|
Antiemetika: Diphenhydramin, Metoclopramid, Ondensatron,
Neuroleptika
|
▪ Behandlung der Obstipation (prophylaktisch oder
bedarfsbezogen)
|
Messinstrument: Bowel Function Index (BFI), Laxantien:
antiresorptiv/sekretorisch (Bisacoyl), osmotisch
(Macrogol, Lactulose), periphere
μ-Opioidrezeptorantagonisten (Naloxon)
|
▪ Abklärung des Sturzrisikos
|
Sturzanamnese, „Timed-up and go“ oder
„Chair rising“-Test
|
▪ Aufklärung über weitere Risiken:
verkehrs- und arbeitsplatzrelevante Aspekte
|
Schwindel, Verwirrtheit, Libidoverlust, endokrine
Funktionsstörungen, schlafbezogene
Atmungsstörungen
|
Aufgrund der bereits angesprochenen Gefahr einer missbräuchlichen
Anwendung ist die psychosoziale Anamnese mit Screening auf psychische
Störungen besonders wichtig (empfohlene Praxiswerkzeuge:
Screening-Instrument für Angst und Depression PHQ4, Geriatrische
Depressionsskala, Audit-C-Fragebogen, CAGE-Test - Links siehe LONTS3). Zudem
sind zur Minimierung dieses Risikos mit dem Patienten die Modalitäten
der Therapie zu besprechen. Dies betrifft den bevorzugten Einsatz retardierter
Präparate mit langer Wirkdauer und festem Einnahmeplan (Einsatz von
nicht-retardierten Opioiden als Bedarfsmedikation allenfalls in der
Einstellungsphase; keine Bedarfsmedikation in der Langzeittherapie). Eine
Tageshöchstdosis von 120 mg Morphinäquivalent sollte nicht
überschritten werden (entspricht z. B. 600 mg Tilidin oder
Tramadol oral bzw. 80 mg Oxycodon oral). Auch sind Opioide nicht als
Monotherapie einzusetzen, sondern eingebettet in ein multimodales
Therapiekonzept unter Berücksichtigung anderer (Ko-)Analgetika und
nichtmedikamentöser Therapieoptionen
(physiotherapeutisch/physikalisch, psychologisch). Dabei sollten Opioide
nicht primär als Langzeittherapeutika geplant werden, vielmehr ist mit
dem Patienten auf eine passagere Therapie mit nachfolgender Dosisreduktion und
ggf. Auslassversuch zu orientieren. Eine Langzeittherapie bleibt daher nur
eindeutigen Therapie-Respondern bei guter Verträglichkeit vorbehalten
(was nur in etwa 25% der Fälle zu erwarten ist).
Bezüglich Wirkungen auf andere Organsysteme sind Opioide eher weniger
problematisch als bspw. NSAR. So sind keine relevanten Effekte auf das
kardiovaskuläre Risiko beschrieben; Opioide sind nicht ulzerogen oder
nephrotoxisch. Allerdings können Opioide bei chronischer
Niereninsuffizienz kumulieren, weswegen bei stärker
eingeschränkter Nierenfunktion die Dosistitration mit niedrigeren
Dosierungen begonnen und ein verlängertes Dosierungsintervall
gewählt werden sollte. Wegen überwiegender Metabolisierung in
der Leber wird bei stark eingeschränkter Nierenfunktion und
Dialysepatienten bei entsprechender Notwendigkeit der bevorzugte Einsatz von
Buphrenorphin, Fentanyl (beide transdermal) und Hydromorphon empfohlen [25].
Viele Patienten berichten über Übelkeit und/oder
Obstipation. Häufig werden deswegen Antieemetika und Laxantien als
Komedikation benötigt.
Ein im Besonderen bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen zu beachtendes Problem ist das erhöhte Sturzrisiko unter
Opioiden mit resultierendem erhöhten Frakturrisiko, zumal bei diesen
Patienten eine Osteoporose eine sehr häufige Komorbidität
darstellt [1]. So war in einer aktuellen
Studie unter Tramadol das Risiko für Hüftfrakturen
gegenüber Patienten unter verschiedenen NSARs um das 1,6 bis 2-fache
erhöht [26]. Entsprechend findet
sich eine Opioid-Therapie als ein wichtiger Risikofaktor in der DVO-Leitlinie
Osteoporose zur Frakturrisiko-Abschätzung. Neben der Sturzanamnese
werden für die tägliche Praxis zur Beurteilung des Sturzrisikos
Tests wie der „Timed-up and go“ und der „Chair
rising-Test“ sowie der Tandemstand empfohlen [27].
Weitere bei einer Opioid-Therapie zu berücksichtigende und zu
überwachende potenzielle Nebenwirkungen sind in [Tab. 2] aufgelistet.
Für die genannten Probleme finden sich unter AWMF online für die
tägliche Routine sehr nützliche Praxiswerkzeuge und detailierte
Empfehlungen [28].
Nicht eingegangen werden soll hier auf spezielle Aspekte einzelner
Präparate der niedrigpotenten (Tilidin, Tramadol, DHC) und hochpotenten
Opioide (Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin, Tapentadol)
und deren verschiedenen Applikationsformen, eine Übersicht hierzu findet
sich bei [29].
Analgetika-Therapie in der Schwangerschaft
Analgetika-Therapie in der Schwangerschaft
Eine besondere Situation hinsichtlich der Risikostratifizierung stellt bei
Patientinnen eine Schwangerschaft dar. Zur Analgesie ist dann Paracetamol Mittel der
Wahl, da hierunter in großen Studien keine negativen Einflüsse auf
Embryo oder Fetus gefunden wurden.
Hingegen sind wegen der Gefahr von Nierenfunktionsverschlechterungen und vorzeitigem
Verschluss des Ductus arteriosus Botalli alle NSAR im 3. Trimenon kontraindiziert.
Im 1. und 2. Trimenon können bei dringender Indikation vorzugsweise
Ibuprofen und Diclofenac zum Einsatz kommen, dies möglichst nur kurzzeitig
und in niedriger Dosierung. Wegen unzureichender Erfahrungen sind Coxibe formal in
der gesamten Schwangerschaft kontraindiziert. Einzige Ausnahme bei den NSAR bildet
low-dose ASS, das bei Antiphospholipidsyndrom bis zum Geburtstermin eingenommen
werden kann.
Mit Metamizol verhält es sich ähnlich wie mit den tNSAR: Im 3.
Trimenon besteht eine Kontraindikation; im 1. und 2. Trimenon wird die Anwendung
zwar nicht empfohlen, in Ausnahmefällen erscheinen aber Einzeldosen
Metamizol vertretbar [30].
Opioide sollten in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. Sofern unter Therapie
mit Opioiden eine Schwangerschaft auftritt, sollte daher eine Umstellung auf
alternative medikamentöse und nichtmedikamentöse Schmerztherapien
erfolgen (langsames Ausschleichen zur Vermeidung von Entzugssymptomen). Muss die
Opioid-Therapie bei zwingender Indikation und fehlenden Alternativen in der
Schwangerschaft fortgeführt werden, so werden Morphin, Tramadol und
Buprenorphin noch am ehesten empfohlen. Da beim Neugeborenen in diesem Fall
postpartal Entzungssymptome möglich sind, sollte die Entbindung in einem
spezialisierten Perinatalzentrum erfolgen [21].
Ausblick
Die genannten Aspekte, wie eingeschränkte Wirksamkeit,
Verträglichkeitsprobleme und Kontraindikationen, führen dazu, dass
bei einer nicht unerheblichen Zahl an Rheuma-Patienten mit den zur Verfügung
stehenden Analgetika keine zufriedenstellende Schmerzkontrolle zu erreichen ist; ein
Bedarf an neuen Präparaten ist damit offensichtlich. Ganz im Gegensatz zur
Entwicklung bei den Immunsuppressiva hat es aber in den letzten 15 Jahren kaum neue
Analgetika gegeben.
Bei den tNSAR/Coxiben sind infolge mehrerer Marktrücknahmen auch
zukünftig keine Neuentwicklungen mehr zu erwarten.
Anders ist die Situation bei den Opioiden, wo neue Strategien verfolgt werden. Dies
betrifft etwa Präparate zur Steigerung endogener Opioid-Wirkungen
(z. B. Enkephalinase-Inhibitoren), selektive Opioid-Rezeptor-Modulatoren mit
geringeren Nebenwirkungen (z. B. Oliceridin) oder selektiv peripher-wirksame
Opioide (z. B. NFEPP mit pH-abhängig bevorzugter Wirkung im
entzündeten Gewebe) [31]. Für
diese Präparate ist aber eine Markteinführung noch nicht abzusehen,
zudem würden sie die aktuelle Situation in der Rheumatologie wohl auch nicht
entscheidend ändern.
Cannabinoide haben zweifellos ihren Stellenwert in der Behandlung des chronischen
neuropathischen Schmerzes, hingegen gibt es nur sehr wenig Daten und damit keine
evidenzbasierte Empfehlung für deren Einsatz in der Rheumatologie [32]. Daher bleiben sie nur
Ausnahmefällen im Sinne eines individuellen Heilversuchs vorbehalten.
Hinsichtlich neuer Targets hätte sicher das Endocannabinoid-System
großes Potenzial, diese Entwicklung wurde aber durch schwere Nebenwirkungen
mit einem tragischen Todesfall in einer Phase-I-Studie eines FAAH-Inhibitors weit
zurückgeworfen [33].
Zumindest ein neues Target, der Nerven-Wachstums-Faktor NGF, hat aber doch zur
inzwischen weit fortgeschrittenen Entwicklung neuer Wirkstoffe geführt.
Für den NGF-Inhibitor Tanezumab liegen bereits Daten aus großen
Phase-III-Studien bei Gonarthrose vor. Da es aber unter Therapie teilweise zu
rapid-progressiven Arthrose-Verläufen mit häufiger notwendigem
Gelenk-Ersatz gekommen ist, bleibt vor einer eventuellen Markteinführung die
Wertung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses abzuwarten [34].
Insgesamt ist davon auszugehen, dass die analgetische Therapie auf längere
Sicht im Wesentlichen auf die genannten Präparate-Gruppen beschränkt
sein wird. Damit bleibt für die Analgetika-Therapie die individuelle
Risikostratifizierung nach den genannten Kriterien langfristig entscheidend
für eine optimale Therapie des einzelnen Patienten.