Aktuelle Dermatologie 2021; 47(06): 259-266
DOI: 10.1055/a-1385-3203
Originalarbeit

Patientensicherheit in der Dermatologie: Definitionen und Fehlermonitoring

Patient Safety in Dermatology: Definitions and Monitoring of Medical Errors
P. Elsner
Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Medizinethisch ist der Arzt nach dem „Nil nocere“-Prinzip verpflichtet, einem Patienten durch eine Behandlung zu nutzen und nicht zu schaden, auch wenn die Behandlung erfolglos sein mag. Das ärztliche Haftungs- und Berufsrecht fordert, dass eine Behandlung nach dem Standard eines sorgfältigen Facharztes zu erfolgen hat. Gleichwohl kommt es in Kliniken und Praxen immer wieder zu „vermeidbaren unerwünschten medizinischen Ereignissen“, die definiert sind als „Patienten schadende Vorkommnisse, die eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung selbst beruhen und die durch einen Fehler verursacht sind“. Patientensicherheit als in der Medizin erstrebenswertes Handlungsziel bedeutet die Minimierung derartiger unerwünschter Ereignisse. Dies setzt voraus, dass unerwünschte Ereignisse und die zu ihnen führenden Risikosituationen erfasst und analysiert werden; dafür eignen sich Register wie „Critical Incidence Reporting Systems“ (CIRS) und die Fälle der Gutachterkommissionen bei den Landesärztekammern. Die Analyse von Gutachten zu Behandlungsfehlervorwürfen gegen Dermatologen ergab, dass nicht operative Therapiefehler an der Spitze der bestätigten Fehler stehen, gefolgt von Diagnostikfehlern und operativen Therapiefehlern. Aus diesen Erkenntnissen können konkrete Empfehlungen für Initiativen zur Verbesserung der Patientensicherheit in der Dermatologie abgeleitet werden.


#

Abstract

In terms of medical ethics, the physician is obliged under the “no harm” principle to at least not harm a patient by providing treatment, even if that may be unsuccessful. Medical liability and professional law require that treatments must be provided according to the standard of a careful medical specialist. Nonetheless, “preventable adverse medical events,” defined as “patient-harming events that are due to the treatment rather than the disease itself and that are caused by an error,” continue to occur in hospitals and medical practices. Patient safety as a desirable goal of action in medicine requires minimizing such adverse events. For that purpose, adverse events and the risk situations leading to them should be recorded and analyzed; registers such as “Critical Incidence Reporting Systems” (CIRS) and the cases of the Independent Medical Expert Councils (IMEC) at the state medical associations can be used for this purpose. The analysis of expert reports on allegations of treatment errors against dermatologists showed that non-surgical therapy errors are at the top of the list of confirmed errors, followed by diagnostic errors and surgical therapy errors. Specific recommendations for initiatives to improve patient safety in dermatology can be derived from these findings.


#

Einleitung

Die Patientensicherheit ist ein Thema, das die klinische Medizin, aber insbesondere auch die Öffentlichkeit immer wieder beschäftigt. Unter sensationalistischen Schlagzeilen in der Publikumspresse wie „Tatort Operationssaal: Ärzte verpfuschten unser Leben“ [1] wird auf Schätzungen verwiesen, wonach sich in Deutschland etwa 600 000 Behandlungsfehler jährlich ereignen sollen. Die ökonomischen Auswirkungen vermeidbarer Fehlbehandlungen sollen in Milliardenhöhe liegen [2]. Die Bundesregierung und federführend das Bundesministerium für Gesundheit haben daher die Patientensicherheit zu einem Schwerpunkt ihrer Politik gemacht; Patientensicherheit soll zu einem tragenden Prinzip der Ausbildungen in allen bundesrechtlich geregelten Gesundheitsberufen werden [3].

In der deutschsprachigen Dermatologie wurde das Thema der Patientensicherheit im Gegensatz zu der US-amerikanischen bisher eher am Rande behandelt. Bereits 2009 wurde im „Blue Journal“ in einem Beitrag zu „Patientensicherheit und der Dermatologe“ festgestellt: „Die American Academy of Dermatology wird eine aktive Rolle bei der Entwicklung einer Strategie zur Verbesserung der Patientensicherheit spielen und Daten zur klinischen Wirksamkeit und zu den Patienten-Outcomes sammeln“ [4]. Begründet sein mag diese unterschiedliche Wahrnehmung in deutlich höheren Risiken für die Arzthaftung in den USA und daraus resultierendem Druck von Seiten der Gesundheitspolitik, der Kostenträger und der Berufshaftpflichtversicherungen, Konzepte zur Verbesserung der Patientensicherheit zu entwickeln, aber auch in einer traditionellen Haltung in Deutschland, Patienten durch die Erwähnung von Aspekten der Patientensicherheit „nicht zu verunsichern“ und damit dem Vertrauen zwischen Dermatologen und ihren Patienten zu schaden.

In diesem und dem folgenden Beitrag soll daher das Thema der Patientensicherheit in der Dermatologie unter medizinethischen und medizinrechtlichen Aspekten behandelt werden, um deutlich zu machen, dass eine Vermeidungshaltung gegenüber der Problematik nicht angemessen ist. Die Erfassung von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen bei dermatologischen Behandlungen bietet die Chance, konkrete und zielgerichtete Präventionsmaßnahmen zur Optimierung der Patientensicherheit einzuleiten; diese werden im zweiten Beitrag vorgestellt.


#

Medizinethische Aspekte der Patientensicherheit in der Dermatologie

Die Dermatologie ist seit mehr als 100 Jahren als medizinisches Fachgebiet etabliert. Ihr Gegenstand ist die auf medizinisch-wissenschaftlichen Grundlagen beruhende, heute „evidenzbasiert“ genannte, Versorgung von Patienten mit Hautkrankheiten. Dermatologen sind Ärzte mit speziellen Kompetenzen auf dem Gebiet der Hautkrankheiten, ihrer Diagnostik und Therapie. Sie sind damit wie andere Fachärzte auch an erster Stelle Ärzte; Grundlage ihrer Tätigkeit ist die ethisch begründete Sorge um kranke Menschen. Nach dem inzwischen klassischen und in der Medizinethik weitgehend vertretenen Konzept von Beauchamp/Childress in „Principles of Biomedical Ethics“ [5] basiert die ärztliche Ethik auf den vier Prinzipien Benefizenz, Non-Malefizenz, Achtung der Patientenautonomie und Gerechtigkeit. Die ersten beiden Prinzipien, Gutes zu tun und im Interesse des Patienten zu handeln und dem Patienten nicht zu schaden, sind letztlich nichts anderes als eine moderne Fassung des aus dem „Hippokratischen Eid“ wohlbekannten „Nisi nil nocere“, Prinzipien, die sich auch in der Deklaration von Genf des Weltärztebundes und der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte wiederfinden [6]. Nicht in allen Fällen können freilich, trotz aller beeindruckender Fortschritte der Medizin, Patienten durch medizinische Maßnahmen geheilt werden; sie sollen durch ärztliches Handeln aber wenigstens keinen Schaden erleiden. Sofern ein Schadensrisiko besteht, was bei vielen medizinischen Behandlungen nicht vermieden werden kann, sollte dieses wenigstens minimiert werden, und Patienten müssen, in Achtung ihrer Autonomie als einem weiteren Prinzip der medizinischen Ethik nach Beauchamp/Childress, nach sorgfältiger Aufklärung in freibestimmter Entscheidung dem Eingehen eines solchen Risikos zustimmen [5]. Die Grenzen der Möglichkeit freier Entscheidung für Patienten sind allerdings offensichtlich: Je akuter und stärker ein Leiden und je dringender in der Folge ein Linderungswunsch ist, desto eingeschränkter ist die Entscheidungsfreiheit. Anders als bei alltäglichen Entscheidungen etwa als Konsumenten bestehen für Patienten auch nur eingeschränkte Wahlmöglichkeiten, sei dies aufgrund der beschränkten Zahl von medizinischen Leistungserbringern oder der verfügbaren Therapieoptionen. Und schließlich kann die Entscheidungsfreiheit des Patienten durch ein unvermeidliches Informationsgefälle zwischen dem Arzt als medizinischem Experten und dem Patienten als Laien beeinträchtigt sein, sodass Vertrauen in die ärztliche Beratung als eine emotionale Kategorie über eine rein rationale Abwägung hinaus zu einer Entscheidung beiträgt.

Im Ziel einer medizinischen Behandlung – der Heilung einer Krankheit – sind sich Patient und Arzt einig. Im Idealfall wird dieses gemeinsame Ziel erreicht; dann ist der Patient wieder gesund und zufrieden mit der Behandlung und der Arzt darf feststellen, dass er seine beruflichen Aufgaben erfolgreich erfüllt hat. Gelingt eine Heilung jedoch nicht oder treten unter oder nach einer Behandlung Nebenwirkungen auf, kann sich die Frage stellen, ob dieser unerwünschte Verlauf schicksalshaft aufgetreten ist oder vermeidbar gewesen wäre.


#

Ausgangspunkt und Endpunkt der Patientensicherheit: Das „vermeidbare unerwünschte medizinische Ereignis“

„Vermeidbare unerwünschte medizinische Ereignisse“ (VUME) werden definiert als „Patienten schadende Vorkommnisse, die eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung selbst beruhen und die durch einen Fehler verursacht sind“ [7]. Nach Schätzungen sollen diese etwa in 10 % der Krankenhauseinweisungen auftreten [8] [9] und in den USA mittlerweile die dritthäufigste Todesursache darstellen [10]. Nach einem systematischen Review auf der Basis von 74 485 Krankenhauspatienten traten unerwünschte Ereignisse bei 9,2 % auf; davon waren 43,5 % vermeidbar [9]. Die genaue Inzidenz der VUME ist allerdings umstritten [7].

Um die Definition eines „vermeidbaren unerwünschten medizinischen Ereignisses“ zu erfüllen, muss dieses erstens auf einem (Behandlungs-)Fehler beruhen und zweitens einen Schaden verursachen. Ein Behandlungsfehler als solcher allein erfüllt demnach noch nicht die Definition eines VUME, ebenso wenig wie ein Schaden, der nicht auf einen Fehler in der Behandlung kausal zurückgeführt werden kann, womit sich die Frage nach der Kausalität und ihres Beweises eröffnet. Letztlich sind bei einem VUME daher immer drei Elemente zu klären, nämlich das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, eines – vermeidbaren – Schadens, und der Kausalität des Behandlungsfehlers für den Schaden ([Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Unerwünschtes medizinisches Ereignis.

VUME haben sowohl eine ethische als auch eine rechtliche Dimension. Im Sinne des medizinethischen Prinzips der Non-Malefizenz ist der Arzt verpflichtet, seinem Patienten nicht zu schaden; daraus resultiert die Pflicht, Behandlungsfehler und daraus resultierenden Schaden für den Patienten zu vermeiden. Unter rechtlichen Aspekten können VUME straf- und zivilrechtlich relevant werden.

Behandlungsfehler als ein Problem ärztlichen Handelns rückten spätestens mit dem umfassenden und einflussreichen Bericht „To Err is Human“ des Institute of Medicine (IOM) 1999 in das ärztliche Bewusstsein, aber auch in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit [11]. In diesem Bericht wurden Behandlungsfehler als eine der Hauptursachen für Todesfälle und Verletzungen in den USA epidemiologisch fundiert dargestellt, Faktoren für die Entstehung von Behandlungsfehlern analysiert und konkrete Empfehlungen zur Behandlungsfehlerverminderung wie die zur Errichtung eines Zentrums für Patientensicherheit, eines Fehler-Meldesystems und der Schaffung von Standards und Sicherheitssystemen im Gesundheitswesen gegeben [11].


#

Der ärztliche Behandlungsfehler als „vermeidbares unerwünschtes medizinisches Ereignis“

Nicht jedes „vermeidbare unerwünschte medizinische Ereignis“ ist auch ein haftungsrechtlich relevanter Behandlungsfehler. Dies erfordert ein Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen ärztlichen Handelns und insbesondere der Verpflichtungen des Arztes aus dem Behandlungsvertrag. Da sich die Tätigkeit der Schlichtungsstellen bei den Landesärztekammern in der Beurteilung von Behandlungsfehlervorwürfen an den arzthaftungsrechtlichen Kriterien des Zivilrechts orientiert, sind diese auch für das Verständnis der Epidemiologie des Behandlungsfehlergeschehens, wie sie sich aus den Schlichtungsstellendaten ergibt, wichtig.

Eine zivilrechtliche Haftung des Arztes kann sich einerseits aus dem Behandlungsvertrag ergeben und andererseits aus dem „Recht der unerlaubten Handlung“ (sog. „deliktische Haftung“ aus § 823 BGB); im Vordergrund steht jedoch die „Vertragshaftung”. Die Rechtsprechung zum Behandlungsvertrag hatte sich als sog. „Richterrecht“ entwickelt und wurde 2013 mit dem „Patientenrechtegesetz“ kodifiziert [12]. Beim Behandlungsvertrag handelt es sich im rechtlichen Sinne um einen „Dienstvertrag“ nach § 611 BGB, wonach derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste und der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet wird; konkret als Verpflichtung zur Leistung der versprochenen Behandlung für den Arzt und zur Zahlung der Vergütung durch den Patienten oder einen dritten Zahlungspflichtigen (§ 630a BGB). Bei den Diensten des Arztes handelt es sich um besondere Leistungen in Diagnostik und Therapie, die mit dem Patientenrechtegesetz als § 630a-h im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) näher charakterisiert wurden. Diese betreffen insbesondere die „vertragstypischen Pflichten beim Behandlungsvertrag“ (§ 630a), die Mitwirkung der Vertragsparteien und Informationspflichten (§ 630c), die Einwilligung zur Behandlung (§ 630 d), die Aufklärungspflichten des Arztes (§ 630e), die Behandlungsdokumentation (§ 630f), die Patientenrechte zur Akteneinsicht (§ 630 g) und die Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler (§ 630 h).

Wesentlicher Ausgangspunkt ist die spezifische Leistungsverpflichtung des Arztes nach § 630a BGB, die festlegt, dass die Behandlung „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen“ hat, „soweit nicht etwas anderes vereinbart ist“. Unter diesem „allgemein anerkannten fachlichen Standard“ ist nach der Rechtsprechung der Standard eines Facharztes zu verstehen, wobei die Bundesregierung in ihrer Gesetzesbegründung auch feststellte, dass maßgeblich insoweit regelmäßig Leitlinien sind, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden [13]. Im Umkehrschluss ist damit eine vertragswidrige medizinische Behandlung (und damit ein Behandlungsfehler) eine solche, die nicht „den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten Standard befolgt“ (§ 630a BGB). Im weiteren Sinne bezeichnet der Behandlungsfehler das nach dem aktuellen Stand der Medizin unsachgemäße Verhalten des Arztes [14]. Dieses kann sowohl in einem Tun wie in einem Unterlassen liegen, in der Vornahme eines nicht indizierten wie in der Nichtvornahme eines gebotenen Eingriffs, in Fehlmaßnahmen und unrichtigen Dispositionen des Arztes bei der Anamnese, der Diagnose, der Prophylaxe, der Therapie und der Nachsorge [15].

Zu dieser allgemeinen Definition des Behandlungsfehlers als einer nicht fachgerechten Behandlung können besondere Konstellationen hinzukommen. So kann ein Arzt einen Patienten nur fachgerecht behandeln, wenn er dazu über die erforderlichen Kenntnisse und persönlichen Fähigkeiten, die geeignete technisch-apparative Ausstattung oder die nötige Organisationsstruktur verfügt; andernfalls darf er die Behandlung nicht übernehmen. Tut er dies doch, trifft ihn ein Übernahmeverschulden; dazu zählen etwa sog. „Anfängerfehler“, wenn Ärzte in ihrer Weiterbildung Eingriffe durchführen, zu denen sie (noch) nicht qualifiziert sind, da der Patient stets den Facharztstandard erwarten darf.

Manche Aspekte einer Behandlung betreffen nicht die medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern die sachgerechte Organisation und Koordinierung von Behandlungsabläufen zur Gewährleistung der geforderten Qualitätsstandards, was unter dem Begriff des sog. „voll beherrschbaren Risikos“ zusammengefasst wird [16]. Ein Beispiel ist die korrekte Lagerung des Patienten bei einer Operation; kommt es zu Lagerungsschäden, etwa Verbrennungen durch einen fehlerhaften Stromfluss bei einer Elektrotherapie, würden diese als „voll beherrschbares Risiko“ bewertet und dem Verschulden des Arztes zugerechnet. Zu der Fallgruppe der Koordinierungsfehler gehören auch Fehler in der horizontalen oder vertikalen Zusammenarbeit zwischen einzelnen Behandelnden [16].

Fehler bei der Diagnose müssen per se nicht schuldhaft sein, da Befunde vielfach unklar sind und auch nach dem Facharztstandard unterschiedlich bewertet werden können; in diesem Fall spricht man von einem „Diagnoseirrtum“, der als vertretbarer „Wertungsfehler“ nicht zur Haftung führen muss. Vorwerfbare Fehler wären hingegen Fälle nicht indizierter Diagnostik oder der fehlerhaften Wahl unter verschiedenen möglichen diagnostischen Maßnahmen [16]. Werden Befunderhebungen, die nach Facharztstandard indiziert sind, schuldhaft unterlassen, können „Befunderhebungsfehler“ vorliegen; ein Beispiel aus der Dermatologie ist der Verzicht auf die dermatohistologische Untersuchung einer malignomverdächtigen Läsion. Ein „grober Behandlungsfehler“ liegt vor bei einem Verstoß gegen den fachärztlichen Behandlungsstandard und einem Fehler, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher dem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf [17]. Beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers tritt die sog. Beweislastumkehr ein (§ 630 h Abs. 5 BGB). Im Falle der Beweislastumkehr muss nicht der Patient beweisen, dass sein Gesundheitsschaden durch den Arzt schuldhaft herbeigeführt wurde, sondern der Arzt muss umgekehrt beweisen, dass sein fehlerhaftes Verhalten nicht zu einem Gesundheitsschaden beim Patienten geführt hat [18]. Diese Beweislastumkehr gilt auch für die genannten Befunderhebungsfehler, „soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre“ (§ 630 h Abs. 3 BGB).

Aufklärungsfehler im Sinne einer unterlassenen oder nach den genannten Kriterien fehlerhaften oder unvollständigen Aufklärung können zur Rechtswidrigkeit der ärztlichen Maßnahme führen, da in diesem Fall keine rechtswirksame Einwilligung vorliegen kann, auch wenn die Maßnahme selbst nach Facharztstandard korrekt erfolgt.

Die sog. „Sicherungsaufklärung“ oder „therapeutische Aufklärung“ ist eine von der prätherapeutischen Aufklärung zu unterscheidende Pflicht; sie betrifft die Pflicht, den Behandlungserfolg durch entsprechende Hinweise sicherzustellen, etwa die Aufforderung, sich bei erneuten Beschwerden wieder vorzustellen, und wird, sofern sie unterlassen wird, zu den Behandlungsfehlern gerechnet.

Schließlich ist nach § 630f BGB der Arzt verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen und in dieser sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Die Patientenakte ist mindestens für die Dauer von 10 Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren. Wird eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis nicht dokumentiert (Dokumentationsfehler), wird vermutet, dass die Maßnahme nicht durchgeführt wurde.


#

Definition der Patientensicherheit

Resultierend aus einer intensiven Diskussion über Initiativen zur Verbesserung der Patientensicherheit wurde 2005 in Deutschland das „Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS)“ als ein Netzwerk von Vertretern der Gesundheitsberufe, ihrer Verbände und Patientenorganisationen gegründet, das sich für eine sichere Gesundheitsversorgung in Deutschland einsetzt [19]. Es hat zum Ziel, Methoden zur Verbesserung der Patientensicherheit zu erforschen, zu entwickeln und zu verbreiten sowie zum Aufbau des Risikomanagements in der Gesundheitsversorgung beizutragen [20]. Durch Projekte, Publikationen, Veranstaltungen und Handlungsempfehlungen soll die Patientensicherheit im deutschen Gesundheitssystem gefördert werden. 2018 wurde vom APS das „APS-Weißbuch Patientensicherheit: Sicherheit in der Gesundheitsversorgung: Neu denken, gezielt verbessern“ veröffentlicht, das als Gutachten ein „zweites (deutsches) To Err Is Human“ darstellen sollte mit einem grundlegenden Nachdenken über die Sichtweise von Patientensicherheit, ihrer Definition und Konzepten zu ihrer Verbesserung [20]. In diesem Weißbuch wurde die bislang statische Definition der Patientensicherheit als einer „Vermeidung unerwünschter Ereignisse“ um eine Handlungsorientierung ergänzt und erweitert zu einem ganzheitlichen Konzept nicht nur für einzelne Beteiligte in der Patientenversorgung, sondern für das Gesundheitssystem als Ganzes ([Tab. 1]). In der Betrachtung der Häufigkeit behandlungsassoziierter unerwünschter Ereignisse (Epidemiologie) wird darauf hingewiesen, dass erst ein Fehler in der Kausalkette diese zu vermeidbaren Ereignissen macht, wobei VUME durchaus sowohl mit als auch ohne Sorgfaltsverletzung auftreten können [20].

Tab. 1

Aktuelle Definition der Patientensicherheit gemäß „APS-Weißbuch Patientensicherheit“ (2018) [9].

Patientensicherheit ist das aus der Perspektive der Patienten bestimmte Maß, in dem handelnde Personen, Berufsgruppen, Teams, Organisationen, Verbände und das Gesundheitssystem

1. einen Zustand aufweisen, in dem unerwünschte Ereignisse selten auftreten, Sicherheitsverhalten gefördert wird und Risiken beherrscht werden,

2. über die Eigenschaft verfügen, Sicherheit als erstrebenswertes Ziel zu erkennen und realistische Optionen zur Verbesserung umzusetzen, und

3. ihre Innovationskompetenz in den Dienst der Verwirklichung von Sicherheit zu stellen in der Lage sind.


#

Ausgangspunkt für Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit: Erfassung von Fehlern im Gesundheitssystem

Konsens besteht darin, dass eine wesentliche Voraussetzung zur gezielten Verbesserung der Patientensicherheit die Erfassung von Fehlern im Gesundheitssystem darstellt. Erst wenn Fehlerszenarien und typische Konstellationen, in denen Fehler auftreten, bekannt sind, können gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um VUME zu verhindern.

Für die Erfassung von Fehlern stehen eine Vielzahl von methodischen Ansätzen zur Verfügung; diese entsprechen den gängigen epidemiologischen Methoden in Form von prospektiven und retrospektiven Studien, von Bevölkerungs- oder Kohorten-basierten Analysen, insbesondere aber auch in Form von Registerstudien. Register werden dabei definiert als „ein organisiertes System, das Beobachtungsstudienmethoden verwendet, um einheitliche Daten (klinische und andere) zu sammeln, um bestimmte Ergebnisse für eine durch eine bestimmte Krankheit, einen bestimmten Zustand oder eine bestimmte Exposition definierte Population zu bewerten, und das einem oder mehreren vorher festgelegten wissenschaftlichen, klinischen oder politischen Zwecken dient“ [21]. Register zur Erfassung von Fehlern zählen damit zu den „Qualitätsverbesserungs-Registern“ („Quality Improvement Registries“), die auf „verwertbare Informationen abzielen, die zur Änderung von Verhaltensweisen, Prozessen oder Versorgungssystemen genutzt werden können“ [21].

Register vermeidbarer unerwünschter Ereignisse

Wie oben dargelegt, sind vermeidbare unerwünschte Ereignisse nicht synonym mit Behandlungsfehlern; Fehler können folgenlos bleiben und keinen Schaden verursachen. Dies verführt dazu, solche Fehler solange zu ignorieren, bis sie sich erneut ereignen und dann u. U. schadensverursachend sind. Der Psychologe James Reason entwickelte zum Verständnis der Komplexität von Fehlern das als „Schweizer Käse“ bekanntgewordene Modell, das darauf abhebt, dass erst bei der Kombination verschiedener Faktoren („Löcher im Käse“) diese möglicherweise kumulieren und in einem Schadensereignis enden ([Abb. 2]) [22]. Die Vermeidung von Schadensereignissen erfordert aber das aktive Identifizieren von „Löchern“ im Sicherheitsgewebe und ihr unverzügliches Schließen. Als klassisches Beispiel wird die „Fehlerpyramide der Fa. DuPont“ genannt, die zu einem spezifischen Sicherheitskonzept des Unternehmens führte [11]: Danach kam es nicht selten zu Wasserlachen in einem Betrieb, die ohne Folgen blieben. Gelegentlich mochte ein Mitarbeiter auf dem glatten Boden ausrutschen, ohne jedoch zu stürzen, aber irgendwann war es eben besonders glatt oder der Mitarbeiter war zusätzlich abgelenkt oder trug die falschen Sicherheitsschuhe, stürzte und zog sich eine Fraktur zu. Hätte man bereits jede Wasserlache konsequent beseitigt, wäre dieser Unfall vermieden worden.

Zoom Image
Abb. 2 Das Schweizer-Käse-Modell nach Reason [22]. Sicherheitsbarrieren bergen immer unvorhersehbare Risiken (Quelle: Gnass I, Hoehl M, Jochum S et al. Schweizer-Käse-Modell. In: Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ullrich L, Hrsg. Thiemes Pflege. 15. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2020).

Als Analogie zur Erfassung vermeidbarer unerwünschter Ereignisse in der Medizin und daraus zu entwickelnder Präventionsmaßnahmen wurde immer wieder die Luftfahrt herangezogen, bei der technische, aber auch Pilotenfehler (menschliche Fehler) gravierende Konsequenzen haben können. Sobald es zu Flugunfällen gekommen ist, ermitteln staatliche Behörden die Ursachen, publizieren ihre Untersuchungsergebnisse und veranlassen Maßnahmen, die in technischer Hinsicht zur Stilllegung von Flugzeugmustern führen können, aber auch prozedurale oder Trainingsanforderungen zur Folge haben können. So wurde – als aktuelles Beispiel – als Ursache von zwei tödlichen Flugzeugabstürzen mit dem Muster Boeing 737 MAX eine Fehlfunktion im elektronischen Steuerungssystem festgestellt, über dessen Beherrschung Piloten nicht informiert und trainiert worden waren [23]. Neben einer Neukonstruktion des Steuerungssystems durch den Hersteller verfügte die amerikanische Luftfahrtbehörde vor Wiederzulassung des Musters eine intensive Schulung von Piloten im Umgang mit dem System.

Tatsächlich waren aber den katastrophalen Flugunfällen beobachtete Fehlfunktionen bei Testflügen von Piloten des Herstellers vorausgegangen, die zu keinem Schaden geführt hatten und die fälschlich ignoriert wurden. Um solche Fehler ohne Konsequenzen in Form eines Schadensereignisses – die allzu leicht vergessen werden – gleichwohl zu erfassen und für die Fehlerprävention zu nutzen, wurden bereits in den 1970er-Jahren Fehlermeldesysteme für die Luftfahrt eingeführt, deren bekanntestes das amerikanische „Aviation Safety Reporting System“ (ASRS) darstellt. US-amerikanische Piloten sind aufgefordert, an dieses Register Verstöße gegen Regeln der Luftfahrt zu melden. Eine solche Meldung wird von der Luftfahrtbehörde als „Zeichen für eine konstruktive Haltung“ gewertet, die tendenziell zukünftige Verstöße verhindern wird, sodass unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere Fehlen einer vorsätzlichen oder kriminellen Handlung) weder eine Strafe noch ein Entzug der Pilotenlizenz verhängt werden [24]. Das ASRS erhält etwa 9000 Fehlerberichte im Monat, die kontinuierlich ausgewertet und in Form von Meldungen an die Aufsichtsbehörde, Publikationen und Sicherheitsbriefings umgesetzt werden [24]. Die kontinuierliche Verbesserung der Luftsicherheit in den vergangenen Jahrzehnten wird nicht zuletzt auf die aktive Nutzung und Auswertung dieser Fehlermeldesysteme zurückgeführt.

In Analogie zur Luftfahrt stehen als Pendant für Flugunfallregister in Deutschland Datensammlungen der Schlichtungsstellen (Gutachterkommissionen) bei den Landesärztekammern und als Pendant zu Fehlermeldesystemen sog. „Critical Incident Reporting Systems“ (CIRS) in Kliniken, aber auch bei Ärztekammern, zur Verfügung. Spezifische Datensammlungen über abgeschlossene zivil- oder strafrechtliche Verfahren zu Behandlungsfehlern existieren über die allgemeinen Datenbanken zu Gerichtsurteilen (juris, Beck online, openjur etc.) hinaus leider nicht. Da viele zivilrechtliche Arzthaftungsverfahren mit einem Vergleich enden, welcher zwischen den Parteien geschlossen und nicht wie ein Urteil publiziert wird, stehen auch diese Informationen für eine Fehleranalyse und -prävention nicht zur Verfügung. Für alle genannten Systeme gilt, dass diese nicht repräsentativ sind, da die dokumentierten Fälle von einer Meldung abhängen. Besteht bei einem Patienten kein erkennbarer Schaden einer Behandlung, wird er wahrscheinlich keine Schlichtungsstelle anrufen und die Meldung eines „kritischen Ereignisses“ in ein CIRS hängt wesentlich von der Motivation und den zeitlichen Möglichkeiten der Meldenden ab. Gleichwohl können die genannten Systeme wichtige Anhaltspunkte für Behandlungsfehlerrisiken liefern und so zur Fehlerprävention und damit Patientensicherheit beitragen.


#

Critical Incident Reporting Systeme (CIRS)

In Anlehnung an die genannten Vorbilder aus der Luftfahrt, klassischerweise als Meldung von „Near Miss“-Situationen, wurden in den vergangenen Jahren in der Medizin Fehlermeldesysteme (CIRS) eingeführt; diese sind als ein Element des klinischen Risikomanagements zu verstehen [25] [26]. Das sog. „kritische Ereignis“ im CIRS wird dabei definiert als „ein Ereignis, das zu einem unerwünschten Ereignis führen könnte oder dessen Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht“ [27]. Typischerweise erfolgt im CIRS eine – möglicherweise anonyme – Meldung über einen patientengefährdenden Vorfall, meist als Eintrag in einer elektronischen Datenbank. Diese Meldung wird von einem CIRS-Beauftragten oder Qualitätsmanager bearbeitet, mit dem Ziel der Optimierung von Prozessen. Eine Rückmeldung an die Organisation und so indirekt an den Meldenden sollte erfolgen, sodass der Nutzen einer Meldung in Form einer daraus resultierenden Qualitätsverbesserung deutlich wird.

§ 135a Abs. 2 2. SGB V verpflichtet Krankenhäuser, ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement einzuführen und weiterzuentwickeln; gemäß Qualitätsmanagement-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) von 2015 bestimmt der GBA als Grundlage für die Vereinbarung von Vergütungszuschlägen für Krankenhäuser Anforderungen an „einrichtungsübergreifende Fehlermeldesysteme, die in besonderem Maße geeignet erscheinen, Risiken und Fehlerquellen in der stationären Versorgung zu erkennen, auszuwerten und zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse beizutragen“ [28]. Meldungen in die Fehlermeldesysteme sollen „freiwillig, anonym und sanktionsfrei“ durch die Mitarbeiter erfolgen; die Meldungen sollen systematisch aufgearbeitet werden, zu Handlungsempfehlungen zur Prävention führen, deren Umsetzung und Wirksamkeit im Rahmen des Risikomanagements evaluiert werden [28]. CIRS sind primär in größeren Einrichtungen des Gesundheitssystems, wie Krankenhäusern, etabliert; ihr Nutzen in kleinen, überschaubaren Einrichtungen wie Arztpraxen wird kritisch diskutiert, da sich alle Beteiligten an der Patientenversorgung persönlich kennen und auf Fehlermöglichkeiten aufmerksam machen können [25]. Die Zwischenstufe eines anonymisierten Meldesystems brauche es in diesem Falle nicht.

Von der Bundesärztekammer wurde gleichwohl ein Fehlermeldesystem (cirsmedical.de) eingerichtet, das sich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen wendet und so auch von Arztpraxen genutzt werden kann. Dieses CIRS wird vom „Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin“, einem wissenschaftlichen Institut in Trägerschaft der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betrieben und für einzelne Fachgebiete ausgewertet. Auswertungen aus diesem CIRS für das Fachgebiet Dermatologie liegen bisher nicht vor.


#

Schlichtungsstellen (Gutachterkommissionen) bei den Landesärztekammern

Seit den 1970er-Jahren wurden bei den Landesärztekammern Schlichtungsstellen (Gutachterkommissionen) eingerichtet, an die sich Patienten mit Beschwerden über eine vermutete ärztliche Fehlbehandlung wenden können. Gemäß ihrer Verfahrensordnungen besteht das Ziel der Gutachterkommissionen darin, „eine zeitnahe, unabhängige und neutrale Bewertung einer medizinischen Behandlung durchzuführen, die, die in dem örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter stattgefunden hat, durchzuführen und eine Bewertung der Haftungsfrage dem Grunde nach abzugeben“ (so etwa die Verfahrensordnung für die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern [29]). Die Anrufung einer Schlichtungsstelle kann Patienten die möglicherweise erheblichen Kosten einer zivilrechtlichen Klärung von Haftungsansprüchen gegen Ärzte ersparen, da das Verfahren vor der Schlichtungsstelle für Patienten kostenfrei ist. Mitglieder der Gutachterkommissionen sind Fachärzte mit langjähriger Berufserfahrung und Juristen mit einer Qualifikation für das Richteramt. Sie sind unabhängig in ihrer Entscheidungsfindung, nicht an Weisungen gebunden und unterliegen nur ihrem Gewissen und ihrer beruflichen Überzeugung. An die Gutachterkommissionen können sich Patienten wenden, aber auch Ärzte, Gesundheitseinrichtungen und Haftpflichtversicherungen. Ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle findet nur auf Antrag des Patienten oder des Arztes statt und wenn alle in der Verfahrensordnung genannten Parteien zustimmen. Ein Schlichtungsstellen-Verfahren ist jedoch nicht möglich, wenn bereits ein Zivilprozess anhängig ist, wenn ein Zivilgericht bereits eine endgültige Entscheidung über den Fall getroffen hat oder wenn der Streit durch einen Vergleich beigelegt wurde, solange ein Fall der strafrechtlichen Verfolgung aufgrund derselben Tatsachen anhängig ist und wenn der behauptete Behandlungsfehler im Zeitpunkt der Antragsstellung länger als 10 Jahre zurückliegt. Die Parteien sind verpflichtet, die Schlichtungsstelle bei der Klärung des Sachverhalts zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Informationen bereitzustellen und verbindliche Erklärungen abzugeben, wonach betroffene Ärzte und Leistungserbringer von ihrer Vertraulichkeitspflicht befreit werden. Auf Anfrage müssen der Schlichtungsstelle die vollständigen Original-Patientenakten zur Verfügung gestellt werden. Im Schlichtungsstellen-Verfahren arbeiten in einem Ausschuss mindestens ein medizinisches und juristisches Mitglied zusammen, die das betreffende Verfahren bearbeiten und entscheiden. Falls erforderlich, wird eine Begutachtung durch einen externen Sachverständigen eingeholt. Die Parteien haben die Möglichkeit, sich zum Gutachten zu äußern; ihre Stellungnahmen werden vom Ausschuss medizinisch und rechtlich geprüft. Der Ausschuss kann den Sachverhalt auch mündlich mit den Parteien erörtern.

Die Schlichtungsstelle schließt ihre Tätigkeit mit einer schriftlichen Entscheidung ab, die eine – rechtlich unverbindliche – medizinische und rechtliche Erklärung zum Haftungsanspruch enthält. In geeigneten Fällen kann ein Vorschlag zur Schadensregulierung hinzugefügt werden. Da die Entscheidungen der Schlichtungsstellen in den meisten Fällen von Arzthaftpflichtversicherern anerkannt werden, tragen sie erheblich zur Vermeidung zivilrechtlicher Verfahren bei.


#

Nutzung der Daten der Schlichtungsstellen (Gutachterkommissionen) für die Fehlerprävention in der Dermatologie

Über die Auswertung der Daten der Schlichtungsstellen wird regelmäßig informiert; so veröffentlicht die Bundesärztekammer jährlich eine statistische Erhebung zu Fehlern. Dort finden sich Angaben zu quantitativen (Antrags- und Erledigungszahlen, Zahl der festgestellten Behandlungsfehler) sowie qualitativen (Art, Häufigkeit und Verteilung der Behandlungsfehler auf die medizinischen Fachgebiete und Behandlungseinrichtungen) enthält. Über diese Daten wird auch in der Fachpresse (Deutsches Ärzteblatt) berichtet, wobei die dort vorgestellte Datenauswertung notwendigerweise kursorisch erfolgen muss. Von den Behandlungsfehlervorwürfen werden im langjährigen Durchschnitt etwa 70 % als unbegründet eingeschätzt; ca. 25–30 % werden von den Gutachterkommissionen bestätigt [30]. Bezogen auf die Gesamtzahl ambulanter und stationärer ärztlicher Behandlungen liegen die von den Gutachterkommissionen bestätigten Behandlungsfehler damit im Promillebereich [31].

Für die Fehlerprävention in einzelnen Fachgebieten, so auch der Dermatologie, wesentlich sind jedoch fachspezifische Analysen. Diese erfordern eine detaillierte Datenaufbereitung mit Kenntnis der einzelnen Fachgebiete und wurden daher in der Vergangenheit nur sporadisch publiziert.

Für die Dermatologie liegt eine Analyse ärztlicher Fehler anhand von Gutachten der Ärztekammer Nordrhein von 2004–2013 von Lehmann et al. vor [32]. In dieser Arbeit wurden 247 Gutachten ausgewertet. Die Gutachten im Bereich Dermatologie betrugen 1,7 % aller Gutachten; da der Anteil der Dermatologen an den beruflich tätigen Ärzten in der Ärztekammer Nordrhein 1,6 % betrug, entsprach die Quote der Behandlungsfehlervorwürfe etwa der der Dermatologen. Die in den Gutachten bestätigte Behandlungsfehlerquote lag bei 40 % und damit etwas höher als in dem entsprechenden Bericht der Bundesärztekammer für alle Gutachterkommissionen [30]. Diagnostikfehler machten 11,3 %, nicht operative Therapiefehler 19,4 % und operative Therapiefehler 4,5 % der Gutachten aus [32]. Als besondere Fehlerquellen wurde in dieser Arbeit herausgestellt eine mangelhafte ärztliche Aufklärung und bez. der konkreten Therapiemaßnahmen die Lasertherapie, die Lichttherapie und die Medikamententherapie [32]. Grobe Behandlungsfehler, die in dieser Analyse berichtet wurden, betrafen die fehlerhafte Interpretation von histologischen Beurteilungen, die mangelnde Durchführung ausreichender Diagnostik bei bösartigen Tumoren, das Nichtumsetzen von Konsil-Empfehlungen, verzögerte stationäre Einweisung von Patienten mit schwerwiegenden Befunden, eine unterlassene Sicherungsaufklärung bei bösartigen Befunden und eine fehlerhafte Dosierung und Applikation von Arzneimitteln [32].

Wenn auch eine derartige Auswertung der Gutachten einer einzigen Schlichtungsstelle nur einen ausschnittartigen Eindruck über Fehlermöglichkeiten bieten kann, der durch andere Quellen und systematische Literaturrecherchen unterstützt werden muss, ist damit doch ein Anfang für die Charakterisierung von Fehlerrisiken in der Dermatologie in Deutschland gemacht. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA, in denen vergleichbare Auswertungen auf Gerichtsverfahren beruhen [33], bietet das niedrigschwellige Schiedsstellenverfahren in Deutschland, das weltweit einzigartig ist, die Chance, auch weniger gravierende Fehler zu erfassen, die möglicherweise nicht zu einem zivilrechtlichen Verfahren führen.


#
#

Zusammenfassung

Die Dermatologie in Deutschland tut gut daran, die nicht nur medizinethisch und medizinrechtlich geforderte, sondern auch von der Gesundheitspolitik gewollte Orientierung auf eine verbesserte Patientensicherheit in Praxen und Kliniken ernst zu nehmen. Voraussetzung für erfolgreiche Initiativen zur Optimierung der Patientensicherheit ist es zu verstehen, wie Behandlungsfehler definiert sind und wie sie entstehen. Die Analyse von Fehlerregistern bietet die Chance, Fehlerschwerpunkte zu erkennen und mit gezielten Präventionsmaßnahmen anzugehen.


#
#

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Peter Elsner
Klinik für Hautkrankheiten
Universitätsklinikum Jena
Erfurter Str. 35
07743 Jena
Deutschland   

Publication History

Article published online:
14 April 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


Zoom Image
Abb. 1 Unerwünschtes medizinisches Ereignis.
Zoom Image
Abb. 2 Das Schweizer-Käse-Modell nach Reason [22]. Sicherheitsbarrieren bergen immer unvorhersehbare Risiken (Quelle: Gnass I, Hoehl M, Jochum S et al. Schweizer-Käse-Modell. In: Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ullrich L, Hrsg. Thiemes Pflege. 15. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2020).