Einleitung
Das Sweet-Syndrom wurde erstmalig von Douglas Sweet im Jahre 1964 beschrieben und zählt zu den neutrophilen Dermatosen [1]. Die kutane Manifestation ist durch asymmetrische, disseminierte, erythematöse, schmerzhafte Nodi, Papeln oder Plaques charakterisiert.
Das Sweet-Syndrom tritt typischerweise idiopathisch, medikamenteninduziert oder paraneoplastisch auf. Die idiopathische Variante ist mit Infekten oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen assoziiert, die paraneoplastische Variante tritt meistens im Rahmen einer akuten myeloischen Leukämie auf [1]
[2]
[3]
[4]. Die hier vorgestellte Kasuistik zeigt, dass ein vorheriger Zeckenstich die Diagnosestellung initial erschweren kann.
Kasuistik
Der heute 57-jährige Patient wurde bei febrilen Temperaturen und schmerzenden Erythemen mit Papulovesikeln an den Armen zur stationären Diagnostik und Therapie aufgenommen ([Abb. 1]). Der Patient berichtete, einen Monat vor der stationären Aufnahme einen Zeckenstich am linken Unterarm erlitten zu haben.
Abb. 1 Sukkulente Erytheme mit Papeln am linken Unterarm des Patienten am Aufnahmetag.
Abb. 2 Ehemals sukkulente Erytheme mit Papeln am linken Unterarm des Patienten am 5. Tag der systemischen Steroidtherapie.
Eine Woche nach dem Zeckenstich hätten sich eine Rötung sowie pseudovesikuläre Hautveränderungen in der Umgebung gebildet. Anschließend breiteten sich die Vesikel und Papeln auf den ganzen Arm aus. Zwei Wochen später sei es zu einer Schwellung und Schmerzen der Fußgelenke, des LWS-Bereichs, der Knie und der Hüfte gekommen. Weiterhin berichtete der Patient über nächtliche Fieberschübe bis 38,2 °C. Ca. 3 Wochen nach dem Zeckenstich wurde durch den Hausarzt eine Therapie mit Doxycyclin (200 mg 1 × tgl.) ohne Symptomverbesserung für 4 Tage (bis zur stationären Aufnahme) eingeleitet. Bläschen und Erytheme seien bereits sicher vor der Doxycyclin-Einnahme aufgetreten. Der Patient gab an, vor dem Auftreten der Hauterscheinung weder neue Medikamente eingenommen noch an einem Infekt gelitten zu haben.
Bei Verdacht auf eine beginnende disseminierte Borrelien-Frühinfektion wurde die antibiotische Therapie mit Cefuroxim (750 mg 3 × tgl. i. v.) fortgesetzt und 14 Tage durchgeführt.
Innerhalb der ersten Tage auf der dermatologischen Station zeigte sich eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes sowie Schwellung und Erytheme der Fußknöchel beidseits ([Abb. 3]). Zusätzlich entwickelte der Patient im Verlauf wieder Fieberschübe, sodass wir differenzialdiagnostisch eine Sepsis in Betracht zogen, die abgenommenen Blutkulturen fielen jedoch negativ aus. Laborchemisch zeigten sich ein deutlicher Anstieg des C-reaktiven Proteins (CRP) (initial 73 mg/l; Normwert < 5,0 mg/l), eine Lymphopenie (1,13 GPt/l; Normwert 1,5–4,0 GPT/l) und eine leichte normochrome, normozytäre Anämie (Hämoglobin i. B. 8,1 mmol/l; Normwert 8,6–12,1 mmol/l). Die Gesamtleukozytenzahl und die Granulozytenzahl zeigten sich durchweg normwertig. Weiterhin erfolgte differenzialdiagnostisch ein Abstrich der Bläschen an beiden Unterarmen auf Varicella-Zoster-Virus und Herpes-simplex-Virus, welcher negativ ausfiel. Serologisch zeigte sich kein Hinweis auf eine kürzliche Infektion mit Cytomegalovirus, Epstein-Barr-Virus, Herpes simplex, Parvovirus B19, Enteroviren, Treponema pallidum oder Rickettsien. Eine blasenbildende Erkrankung wurde mittels direkter Immunfluoreszenz ausgeschlossen, es zeigten sich gering erhöhte Autoantikörper gegen BP 230 in der Konzentration 26,4 RE/ml (Normwert < 20,0 RE/ml). Da der Nachweis von Autoantikörperablagerungen im Gewebe negativ blieb, wurde ein bullöses Pemphigoid ausgeschlossen.
Abb. 3 Achilläre, subkutane erythematöse Nodi.
Die entnommene Histologie zeigte ein subepidermales Ödem bei weitgehend orthokeratotischer Epidermis, eine ausgeprägte perivaskulär akzentuierte Entzündungsreaktion mit Erythrozytenextravasaten, Neutrophilenansammlungen, Vaskulitiszeichen, interstitieller Leukozytoklasie und begleitend zahlreiche eosinophile Granulozyten. Die Entzündung setzte sich bis in das mittlere Korium fort ([Abb. 4] und [Abb. 5]).
Abb. 4 Subepidermales Ödem und Blasenbildung sowie dichtes, Neutrophilen-reiches, perivaskulär und interstitielles Entzündungszellinfiltrat, Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Originalvergrößerung 40-fach.
Abb. 5 Dichte, lymphozytäre und Neutrophilen-haltige Entzündungsreaktion mit Erythrozytenextravasaten, Originalvergrößerung 200-fach.
Aufgrund des klinischen und histologischen Befundes stellten wir die Diagnose eines bullösen Sweet-Syndroms. Der Patient wurde mit einer systemischen Steroidtherapie mit 1 mg/kg Körpergewicht/Tag Prednisolon behandelt. Hierunter zeigte sich eine rasche Besserung der Hautbefunde, des Fiebers, des Allgemeinzustandes und der Schmerzen des Patienten ([Abb. 2]).
Als Auslöser des Sweet-Syndroms kommt am ehesten der anamnestisch berichtete Zeckenstich in Frage. Als Hinweis auf eine Borrelien-Infektion zeigten sich serologisch Immunglobulin G-Antikörper gegen Borrelien; IgM-Antikörper waren hingegen nicht nachweisbar. Dies schließt eine akute Borrelien Reinfektion nicht aus, kann sie allerdings auch nicht beweisen.
Für andere mit einem Sweet-Syndrom assoziierte Erkrankungen wie die akute myeloische Leukämie oder andere hämatologische Erkrankungen [1] fanden sich im Differenzialblutbild und der Immunfixation kein Anhalt, sodass der Zeckenstich als der wahrscheinlichste Triggerfaktor gesehen werden muss.
Diskussion
Bei einem Sweet-Syndrom in zeitlichem Zusammenhang mit einem Zeckenstich kann der initiale Fokus der diagnostischen Überlegungen auf einer Borrelien-Erkrankung liegen. Der Patient wies keine Leukozytose oder Neutrophilie auf. Im Verlauf waren aber die diagnostischen Kriterien von von den Driesch durch das Erfüllen der beiden Hauptkriterien (passende morphologische Hautveränderungen und passende Histologie) sowie der 2 Nebenkriterien (Fieber > 38 °C und gutes Ansprechen auf systemische Steroide) gegeben [7].
Gegen den initialen Verdacht einer disseminierten Borrelien-Infektion sprach im Verlauf allerdings das fehlende Ansprechen auf eine antibiotische Therapie, der fehlende IgM-Antikörpernachweis gegen Borrelien sowie die Histologie.
Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose des bullösen Sweet-Syndroms sind bullöse Autoimmunerkrankungen. Bei diesem Patienten zeigten sich in der direkten Immunfluoreszenz keine charakteristischen Autoantikörperablagerungen entlang der Basalmembranzone. Allerdings ließen sich in niedriger Konzentration Autoantikörper gegen Anti-BP-230 im ELISA nachweisen. Da die Spezifität des Testes nicht ganz bei 100 % liegt, könnte es sich um eine unspezifische Reaktion handeln [8]. Allerdings zeigt die bullöse Verlaufsform des Sweet-Syndroms eine deutliche Entzündungsreaktion an der Basalmembranzone mit subepidermaler Spaltbildung. Es wäre also durchaus denkbar, dass sich im Rahmen der Entzündung auch eine Immunreaktion gegen BP 230 ausbildete. Bisher ist nicht belegt, dass dies bei weiteren Fällen eines bullösen Sweet-Syndroms beobachtet wurde. Allerdings ist bei bullösen Formen des Lichen planus eine Immunreaktivität gegenüber der Basalmembranzone auch mit Antikörper gegen BP 180 und BP 230 beschrieben [9]
[10]. Die Erkrankung wird dann als Lichen ruber pemphigoides bezeichnet. Ob sich dies auch für das Sweet-Syndrom belegen lässt, bleibt zu beobachten. Zusammenfassend konnte ein bullöses Pemphigoid ausgeschlossen und die BP-230 Antikörper als immunologische Begleitreaktion gewertet werden.
Zusätzlich zu den Papulovesikeln wies der Patient Arthralgien sowie an ein Erythema nodosum erinnernde Läsionen im Bereich der Achillessehne beidseits auf ([Abb. 3]). Da sich keine Hinweise für eine rheumatische Erkrankung zeigten, sahen wir diese Symptomatik als bekannte Begleiterscheinungen des Sweet-Syndroms an [1].
Der Triggerfaktor des Sweet-Syndroms könnte möglicherweise ein Zeckenstich des Patienten sein. In der Literatur ist eine weitere Kasuistik beschrieben, in der ein Sweet-Syndrom nach einem Insektenstich auftrat [11]. Einen medikamentösen Auslöser sehen wir in diesem Fall als unwahrscheinlich an, da der Patient keine mit dem Sweet-Syndrom assoziierten Medikamente einnahm [2].
Auch ein als Auslöser eines Sweet-Syndroms infrage kommendes Malignom oder eine hämatologische Erkrankung konnten beim Patienten nicht diagnostiziert werden.
Der Patient wies allerdings ein 3-fach erhöhtes Calprotectin (157,5 µg/g Stuhl; Normwert: < 50 µg/g Stuhl) im Stuhl auf, und bullöse Varianten des Sweet-Syndroms sind teilweise mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen assoziiert [5]
[6]
[12]. Bei fehlender gastrointestinaler Symptomatik und negativem immunologischen Test auf Blut im Stuhl werteten wir diese Erhöhung allerdings als eine unspezifische Begleitreaktion. Wir empfahlen, eine Früherkennungs-Koloskopie im Verlauf durchzuführen.