Pneumologie 2021; 75(06): 421-423
DOI: 10.1055/a-1486-0822
Standpunkt

Fachdiskussion zur „zu frühen Intubation“: Rolle der öffentlichen Medien

Expert Discussion on “Early Intubation”: Role of Public Media
Wolfram Windisch
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Bernd Schönhofer
3   Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Evangelisches Klinikum Bethel
,
Daniel Sebastian Majorski
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Maximilian Wollsching-Strobel
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Carl-Peter Criée
4   Evangelisches Krankenhaus Göttingen Weende, Abteilung für Pneumologie, Bovenden-Lenglern
,
Sarah Bettina Schwarz
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Michael Westhoff
2   Universität Witten/Herdecke
5   Lungenklinik Hemer, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Hemer
› Author Affiliations
 

Hintergrund

In Deutschland ist eine Diskussion zur zeitgerechten Initiierung und Beendigung nicht-invasiver Therapie-Verfahren wie HFOT (high-flow oxygen therapy), CPAP (continuous positive airway pressure) und NIV (non-invasive ventilation) in der Behandlung des akuten hypoxämischen Versagens bei COVID-19 entstanden [1]. Insbesondere besteht der Vorwurf einer „zu frühen Intubation“ ohne Ausschöpfung der Möglichkeiten dieser nicht-invasiver Verfahren mit der Folge einer Verschlechterung der Prognose. Diese Diskussion wird allerdings weniger in Fachkreisen als vielmehr über die öffentlichen Medien geführt, wobei primär ärztlichen Stellungnahmen Einzelner viel Gewicht gegeben wird [2] [3] [4] [5] [6].

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Pneumologie“ haben die Autoren daher den aktuellen, tatsächlichen Wissenstand zur Behandlung des akuten hypoxämischen Versagens mit nicht-invasiven und invasiven Verfahren in einem eigenen Übersichtsartikel skizziert [7]. Zusammenfassend zeigen mehrere Studien das Potenzial, aber auch die Grenzen der nicht-invasiven Verfahren in der Behandlung von COVID-19 auf. Hier ist eine deutliche Zunahme der Anwendung einer NIV in Deutschland im Verlauf der zweiten im Vergleich zur ersten Pandemiewelle gezeigt worden, wobei sich die Mortalität nicht gebessert hat [7] [8]. Entsprechend haben die Leitlinien der betroffenen Fachgesellschaften in Deutschland in der aktuellen Revision [9] ein Stufenschema publiziert, welches den nicht-invasiven Verfahren eine größere Bedeutung im Vergleich zu der Erstauflage [10] einräumt, die Intubation aber als weitere, wichtige Eskalationsstufe klar definiert und ihr einen wesentlichen Wert in der intensivmedizinischen Behandlung zuordnet.

Vor diesen Hintergründen wird die aktuelle, öffentlich-medial ausgetragene Diskussion zur „zu frühen Intubation“ im Folgenden kommentiert. Der Artikel verwendet das generische Maskulinum, um den Redefluss nicht zu stören, allerdings explizit mit dem Hinweis, dass das Femininum dabei mitzudenken ist.


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Behandlung des Themas in den öffentlichen Medien

Zu keiner Zeit haben jemals die Themen „Gesundheit“ und „Gesundheitspolitik“ mehr Aufmerksamkeit in den Medien erhalten, als dies aktuell während der Corona-Pandemie der Fall ist. Zu keiner Zeit hat es zudem so viele Publikationen zu einer Erkrankung innerhalb kürzester Zeit gegeben wie zu COVID-19, interessanterweise mit dem Anreiz darüber nachzudenken, wie klinische Studiendaten tatsächlich zu interpretieren bleiben [11].

Insbesondere die Pre-Print-Publikationen, wissenschaftliche Arbeiten mit Publikation ohne ansonsten übliche Review-Verfahren im Schnelldurchlauf und schließlich solche mit Patientenkollektiven, die zum Publikationszeitpunkt teilweise noch in der Kliniken behandelt werden, machen in ihrer Vielzahl ein gründliches Studium der Sachlage und nicht zuletzt die Interpretierbarkeit der Daten extrem schwer, wenn nicht sogar für diejenigen mit weiteren, vielfältigen Aufgaben in Klinik, Forschung und Lehre während der Corona-Pandemie unmöglich. Dabei zeigt sich, dass sich das Rad infolge stetig neuer „Erkenntnisse“ immer schneller dreht.

Auf diesen Zug sind zum Leidwesen aller auch die öffentlichen Medien aufgesprungen. Es vergehen z. T. nicht einmal mehr Stunden, bis medizinische Daten aus wissenschaftlichen Publikationen die Schlagzeilen und Titelseiten der Medien bestimmen, ohne Rücksicht darauf, wie valide diese Daten sind und wie der Großteil der Menschen ohne medizinisches Detailwissen diese Informationen verarbeitet. Das Besondere hierbei ist, dass sich zunehmend auch Ärzte sowie Wissenschaftler in das Karussell der polarisierenden Debatten einspannen lassen und öffentlich einseitige Positionen vertreten, bis hin zu Empfehlungen an die Politik. Selbstverständlich können auch Expertenmeinungen im öffentlichen Raum sinnvoll und hilfreich für die Allgemeinbevölkerung sein. Wenn aber regelhaft strittige und mitunter unklare Sachverhalte im Graubereich der wissenschaftlichen Evidenz mit der Haltung „ich kenne die Wahrheit“ vorgetragen und auch von den Medien herausgekitzelt werden und damit die Spaltung innerhalb der Fachbereiche sowie weiterführend innerhalb der Gesellschaft provoziert werden, dann ist tatsächlich diese Entwicklung in ihrer Sinnhaftigkeit kritisch zu hinterfragen.

Es ist daher extrem bedauerlich, dass auch das Thema der Beatmungsstrategien zur Behandlung des akuten hypoxämischen Versagens bei COVID-19 in den Medien mit ausgesprochener Oberflächlichkeit, negativen Bewertungen für die Pneumologie und die Intensivmedizin sowie – schlimmer noch – anklagenden Moralisierungen behandelt wird.

So wird bspw. im Fernsehbeitrag der Monitor-Sendung vom 11. 03. 2021 die Hypothese zu untermauern versucht, es werde auf vielen Intensivstationen in Deutschland zu früh und Mortalitäts-verschlechternd („gefährlich“) intubiert [5]. Dabei wird eine einzige Studie genannt [12], welche nach Meinung der Sendung 78 schwer an COVID-19 erkrankte Patienten ausgewählt hätte, die üblicherweise alle intubiert worden wären, die aber im Rahmen der Studie in der Mehrzahl der Fälle vor der Intubation dadurch bewahrt werden konnten, dass man eben nicht „zu früh“ intubiert habe.

Diese Darstellung ist schlichtweg falsch: Die allermeisten dieser ausgewählten Patienten (N = 53) sind wie auch in jeder anderen Klinik tatsächlich mit einer Sauerstoffgabe alleine behandelt worden, also nicht einmal mit Zuhilfenahme von HFOT, CPAP oder NIV, während 17 weitere Patienten mittels dieser nicht-invasiven Verfahren behandelt worden sind – im Wesentlichen analog zu den Leitlinienkriterien und damit eben auch wie in jeder anderen Klinik. Es handelte sich in dieser Studie in der Mehrzahl der Fälle eben gerade nicht um die schwer kranken Patienten, die in Deutschland auf vielen Intensivstationen behandelt werden müssen.

Auf welcher Basis die Sendung schließlich zu der Meinung gelangt, es werde zu früh intubiert, bleibt letztlich völlig unklar. Die in der Sendung aufgegriffene Studie liefert dafür sicherlich keinen Hinweis, während die Komplexität der Sachlage, basierend auf einer Vielzahl von Studien, wie im begleitenden Übersichtsartikel dargestellt [7], komplett unberücksichtigt bleibt.

Sehr bedauerlich ist am Ende der Sendung das Zitat des Moderators: „Man fragt sich, warum die Lernkurve in der Pandemie bei so vielen Verantwortlichen im Land so unglaublich langsam steigt.“ Vor dem Hintergrund der sachlich an mehreren Stellen schlichtweg falschen Darstellung der klinischen und wissenschaftlichen Zusammenhänge schmerzt vor allen Dingen die Diffamierung der vielen Pflegekräfte und Ärzte sowie Wissenschaftler vor einem Millionenpublikum, die seit einem Jahr mit hervorragender Arbeit ihr Bestes in der Pandemiebekämpfung geben: ein echter Skandal!

Schließlich bleibt die Frage, was durch die Beiträge dieser Art in den öffentlichen Medien auf der Sachebene tatsächlich besser werden kann. Sehr wahrscheinlich nichts! Erreicht wird vielmehr zweierlei. Erstens: eine kurzfristige Aufmerksamkeit für diejenigen Mediziner, die sich von den Medien dazu instrumentalisieren lassen, Extrempositionen vor der Kamera zu vertreten unter Missachtung der inhaltlichen Komplexität und der offenen Fragen zu diesem Thema. Zweitens: eine langfristige Verunsicherung der Bevölkerung hinsichtlich der Medizin und im Speziellen der Beatmungsmedizin. Der Schaden auch für die pneumologische Fachwelt ist groß. Die Deutsche Atemwegsliga hat daher eine Informationsplattform sowohl für Ärzte als auch primär für medizinische Laien geschaffen, um dieses kritische Thema sachlich und unter Berücksichtigung der Änderungen und neuen Entwicklungen im vergangenen Jahr verständlich und überschaubar zu skizzieren [13].


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Diskussion um die beste Therapie bei COVID-19: quo vadis?

Die bereits zitierte Übersicht untermauert sicherlich das Potenzial nicht-invasiver Behandlungsstrategien bei akutem hypoxämischen Versagen infolge COVID-19 [7]. Es liegen mittlerweile viele Fallserien und Beobachtungsstudien vor, in denen nicht-invasive Verfahren selbst bei schwerstem Atemversagen in der Lage waren, eine Intubation zu vermeiden. Das muss auch klar benannt werden. Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass die Grenzen dieser Verfahren übersehen und überschritten werden.

So zeigen aktuelle epidemiologische Daten aus Deutschland weiterhin auch die persistierend hohe Rate an NIV-Versagern mit deutlich verschlechterter Prognose im Falle einer „verspäteten Intubation“ [8]. Unabhängig von dem großzügigeren Einsatz der NIV während der zweiten im Vergleich zu ersten Welle in Deutschland stirbt weiterhin jeder zweite Patient, der eine (nicht-invasive oder invasive) Beatmung benötigt, sodass der prognostische Effekt der NIV in der Gesamtbetrachtung fraglich bleibt [8].

Dies zeigt primär die Schwere der Erkrankung und nicht die flächendeckend „falsche Therapie“. Es belegt außerdem, dass wir in dieser Pandemie weiterhin großen Herausforderungen ausgesetzt sind. Vor diesen Hintergründen sind aktuelle Leitlinien essentiell, die in Anbetracht der Vielzahl von Publikationen mit Überschwemmungscharakter in engen zeitlichen Abständen aktualisiert werden müssen. Dies ist in Deutschland in beachtenswerter Weise durch den Zusammenschluss vieler medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften gelungen [9].

Es ist ja gerade unverständlich, dass genau diese Konsens-Empfehlungen, erstellt von vielen Experten und basierend auf der sorgfältigen Einschätzung aktueller Studien, eben nicht den Duktus aktueller Darstellungen in den öffentlichen Medien bestimmen, so auch nicht in der genannten, provozierenden Monitor-Sendung vom 11. 03. 2021. Diese mehrfachen Aktualisierungen der Leitlinien in den vergangenen 12 Monaten stellen das Gegenteil einer „nur langsam steigenden Lernkurve“ dar, wie es die genannte Monitor-Sendung einer großen Anzahl von Zuschauern suggeriert, nämlich die schnelle und adäquate Antwort auf wissenschaftliche Neuerungen und spezifische klinische Erfahrungen.

Neue Studienergebnisse und Aktualisierungen von Leitlinien bedeuten nur nicht notwendigerweise auch, dass dadurch weniger Patienten an COVID-19 versterben. Die Tatsache einer persistierend hohen Mortalität, wie oben dargestellt, zeigt ja primär das fortbestehende Potenzial schwerer Verläufe der Erkrankung, die wir eben noch nicht so verhindern können, wie es uns lieb wäre, auch nicht mit allen nicht-invasiven Behandlungsstrategien. Das mag schwer zu akzeptieren sein, ist aber Fakt.

Es ist vollkommen klar, dass wir in dieser Situation keinen medial in der Öffentlichkeit ausgetragenen Diskurs benötigen, welcher die Komplexität der Sachlage ignoriert, die Bevölkerung verunsichert, die vielen Helfer wie auch die Experten diffamiert und den Dialog zwischen unterschiedlichen Positionen letztlich unterminiert. Wir brauchen vielmehr gemeinsam zu erarbeitende Positionen, die Ergebnis von Prozessen sind, in denen sich die Beteiligten mit einer Haltung des „ich weiß nicht alles“ und mit einer Neugierde auf die Erfahrungen und Einschätzungen der jeweils anderen begegnen.

Diese Positionen müssen gerade in Zeiten ständig neuer Informationen regelmäßige Überarbeitungen erfahren. Sie müssen zudem nach bestem Gewissen und nach demokratischer Abstimmung erfolgen. Die gemeinsame Vertretung dieser Positionen nach außen sollte uns wichtiger sein als das Bedürfnis Einzelner nach medial vorgetragener Kritik. Diese sollte selbstverständlich keineswegs übergangen werden, sondern zunächst intern in den berufenen Expertengremien Raum bekommen. Dabei sollte der demokratische Prozess und Dialog oberste Priorität haben. Sicherlich bleiben auch manche drängenden Fragen zunächst unbeantwortet oder ein Konflikt mitunter ungelöst. Dann könnten wir uns aber vielleicht unter Bezug auf den griechische Philosophen Sokrates eher zurücknehmen, der bereits vor über 2400 Jahren gesagt hat: „oida ouk eidos“ – „ich weiß, dass ich nicht(s) weiß“. Es besteht dann nämlich die größte Chance, dass wir weiterhin zusammenstehen und uns nicht spalten. Eine intern diskutierende und auch intern streitende, aber in der Erarbeitung von nach außen getragenen Empfehlungen im Konsens agierende Pneumologie und Intensivmedizin ist nämlich das Wichtigste, was wir in der Pandemiebekämpfung brauchen.


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Interessenkonflikt

W. Windisch hat Vortragshonorare erhalten von Firmen der Beatmungsindustrie. Zudem sind Forschungsaktivitäten in der Klinik von W. Windisch, S. B. Schwarz, D. S. Majorski und M. Wollsching-Strobel durch Firmen der Beatmungsindustrie unterstützt worden. S. B. Schwarz hat Reisekostenunterstützungen durch Firmen der Beatmungsindustrie erhalten.
M. Westhoff hat Vortragshonorare sowie Beraterhonorare erhalten von Firmen der Beatmungsindustrie. Weiterhin wurden Forschungsaktivitäten in der Klinik von M. Westhoff durch Firmen der Beatmungsindustrie unterstützt.
B. Schönhofer und C.-P. Criée geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wolfram Windisch
Chefarzt der Lungenklinik, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
Lehrstuhl für Pneumologie, Universität Witten/Herdecke
Fakultät für Gesundheit/Department für Humanmedizin
Ostmerheimer Str. 200
51109 Köln
Deutschland   

Publication History

Received: 30 March 2021

Accepted: 20 April 2021

Article published online:
11 May 2021

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