Pneumologie 2021; 75(12): 971-980
DOI: 10.1055/a-1493-1206
Fallbericht

MDR-Tuberkulose, Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, Husten bei Altenpflegerin

MDR tuberculosis, Alpha-1-anti-trypsin Deficiency, Cough in a Geriatric Nurse
Andreas Hoheisel
1   Universitätsspital Basel, Bereich für Pneumologie, Basel, Schweiz
,
Geert Vogt
2   Robert-Koch-Klinik, Klinikum Sankt Georg, Leipzig, Deutschland
,
Stephan Nagel
2   Robert-Koch-Klinik, Klinikum Sankt Georg, Leipzig, Deutschland
,
Andreas Bonitz
3   Praxis für Pneumologie/Allergologie, Leipzig, Deutschland
,
Christian Müller
4   Praxis für Neurologie, Leipzig, Deutschland
,
Thomas Köhnlein
5   Pneumologisches Facharztzentrum, Teuchern, Deutschland
,
Gerhard Hoheisel
3   Praxis für Pneumologie/Allergologie, Leipzig, Deutschland
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Multiresistente Tuberkulosen (MDR-TB) machen zwar einen nur geringen Anteil an der Gesamtzahl aller TB-Erkrankungen aus, durch die erforderliche komplexe Medikation mit potenziell schweren und lebensbedrohlichen Nebenwirkungen, Langzeitfolgen und ungünstigem Verlauf ist jedoch besondere Sorgfalt geboten. Wir berichten über eine 30-jährige Altenpflegerin mit chronischem Husten und angeborenem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM), die an einer MDR-TB erkrankte und erhebliche Medikamenten-Nebenwirkungen erlitt.


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Abstract

Multidrug-resistant tuberculosis (MDR-TB) is of low proportion in comparison to the total number of TB patients, however, due to the necessity of a complex medication with potentially severe and life threatening adverse reactions, long term sequelae, and unfavorable outcome special attention is essential. We report the case of a 30-year-old geriatric nurse with a history of chronic cough and hereditary alpha-1-anti-trypsin deficiency (AATD), who suffered from MDR-TB and experienced a number of severe adverse reactions.


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Einleitung

Im vergangenen Jahrzehnt hat die Zahl der Patientinnen und Patienten, die mit Mycobacterium (M.) tuberculosis und Resistenz gegenüber mindestens Rifampicin (RIF) und Isoniazid (INH), den beiden wirksamsten Medikamenten, infiziert sind, weltweit zugenommen [1] [2]. An dieser multiresistenten Tuberkulose (multidrug-resistant, MDR-TB) leiden weltweit 4,6 % aller TB-Patienten, in einigen Ländern Osteuropas liegen die Zahlen jedoch bei mehr als 25 % [1] [2]. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden in den letzten Jahren nur geringe Anteile von MDR-TB an den Neudiagnosen beobachtet. Diese lagen in Deutschland 2018 und 2019 bei 3,1 und 2,6 %, in Österreich bei 3,1 und 0,8 % und in der Schweiz bei 1,4 und 2,3 % [3] [4] [5] [6] [7]. Die MDR-TB stellt bei der Versorgung der TB-Patienten eine der größten Herausforderungen dar [1] [2]. So beträgt die Therapiedauer bei voller Sensibilität des Erregers im Allgemeinen 4–6 Monate, bei der MDR-TB jedoch bis zu 24 Monate, darüber hinaus mit einem oftmals ungünstigeren Verlauf der Erkrankung [1] [2] [8]. Beschäftigte im Gesundheitswesen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für TB, insbesondere in bestimmten Bereichen oder bei bestimmten Tätigkeiten, z. B. TB- und Infektionsstationen, Notaufnahmen, Geriatrie, Bronchoskopie-Einheiten und bei Kontakt zu Risikopatienten [8] [9] [10] [11].


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Fallbericht

Die Patientin hat der Veröffentlichung zugestimmt.

Anamnese

Die bei Diagnosestellung 30-jährige Altenpflegerin hatte seit 7 Jahren Husten ohne Auswurf, keine saisonale Abhängigkeit, jedoch verstärkt in kalter Luft. Genussmittelabusus lag nicht vor, insbesondere hatte sie nie geraucht. Die Patientin war seit 13 Jahren im Beruf und hatte stets in derselben Altenpflegeeinrichtung gearbeitet. Die anthropometrischen Parameter waren unauffällig. Bekannt war eine Allergisierung gegenüber Hausstaubmilben, Schimmelpilzen, Katzenhaaren und Frühblühern mit ganzjährig leichten rhinitischen Beschwerden. Eine 4-jährige subkutane Immuntherapie (SCIT) gegen Hausstaubmilben zeigte nur mäßigen Erfolg. Unspezifische Bronchoprovokationstestungen waren wiederholt nicht reaktiv. Unter der Annahme einer Refluxösophagitis und Gabe von Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) zeigte sich keine wesentliche Besserung. Der Vater war 3 Jahre zuvor primär an den Folgen der assoziierten Leberbeteiligung bei schwerem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM)-Emphysem der homozygoten Mangelvariante PiZZ verstorben. Die molekulargenetische Analyse bei der Patientin ergab den Nachweis eines heterozygoten Status des Typs PiMZ. Der Status der Mutter und der 2 Jahre älteren Schwester der noch kinderlosen Patientin waren nicht bekannt. Die Messungen von Lungenfunktion und Blutgasen waren stets unauffällig, Hinweise für eine Leberbeteiligung bei der Patientin fanden sich nicht. Zur Abklärung des Hustens erfolgte eine stationäre Untersuchung in der auswärtigen Lungenklinik A. Der Röntgenthorax wurde als unauffällig beschrieben, jedoch zeigten sich im Computertomogramm granulomatöse Veränderungen im rechten Lungenoberlappen, die nicht weiter abgeklärt wurden ([Abb. 1 a–e]). 14 Monate später erfolgte eine ambulante Routine-Kontrolle im Rahmen des AATM. Es fanden sich nunmehr computertomografisch ausgedehnte Infiltrate mit Kavernenbildung im rechten Oberlappen ([Abb. 2 a–d]), die Anlass zur stationären Abklärung waren.

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Abb. 1 a Klinik A: Röntgen-Thorax posterior-anterior (pa) und links anliegend; b–e Klinik A: CT-Thorax.
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Abb. 2 a–d 14 Monate später, Klinik B: CT-Thorax.

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Diagnostik und Befund

In der Bronchoskopie fanden sich bei unauffälligen Schleimhäuten keine Hinweise für eine endobronchiale TB-Manifestation. Die Routine-Laborparameter zeigten sich bis auf den positiven QuantiFERON-Test (Interferon-Gamma-Release-Assay, IGRA) und einen leicht erniedrigten Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel unauffällig. Die mikrobiologischen Befunde der Sputum- und der bronchoskopisch gewonnenen Bronchialsekret-Untersuchungen sind in [Tab. 1] und [Tab. 2] aufgelistet. Zu keinem Zeitpunkt konnten lichtmikroskopisch in der Ziehl-Neelsen-Färbung säurefeste Stäbchen (SFS) nachgewiesen werden. Mittels Nukleinsäure-Amplifikation-Technik (NAT) konnten in 2 Proben, in der ersten nur schwach, M. tuberculosis complex mit Rifampicin-Resistenz nachgewiesen werden. Die nachfolgende molekularbiologische und phänotypische Resistenzbestimmung aus der Kultur durch das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien, Borstel, ergab Resistenzen gegenüber Isoniazid (INH, high level), Rifampicin (RIF), Pyrazinamid (PZA), Kanamycin (KAN, low level), Protionamid (PTO), Rifabutin (RFB) und P-Aminosalicylsäure (PAS).

Tab. 1

Mikrobiologische Befunde I.

Therapiewoche

Testmaterial

Mikroskopie SFS

Kultur

NAT

 0

Bronchialsekret

negativ

3 Kolonien

schwach positiv

 1

Sputum (wenig geeignet)

negativ

negativ

 1

Reizsputum

negativ

2 Kolonien

negativ

 1

Sputum (wenig geeignet)

negativ

negativ

negativ

 1

Sputum

negativ

negativ

 1

Sputum

negativ

negativ

 1

Bronchialsekret

negativ

7 Kolonien

positiv

 1

Bronchialsekret

negativ

11 Kolonien

 7

Sputum

negativ

negativ

 7

Sputum

negativ

negativ

 7

Sputum

negativ

negativ

 9

Sputum

negativ

negativ

11

Sputum

negativ

negativ

12

Sputum

negativ

negativ

13

Sputum

negativ

negativ

14

Sputum

negativ

negativ

15

Sputum

negativ

negativ

16

Sputum

negativ

negativ

17

Sputum

negativ

negativ

säurefeste Stäbchen (SFS), Nukleinsäure-Amplifikations-Technik (NAT)

Tab. 2

Mikrobiologische Befunde II.

Molekularbiologische Resistenzbestimmung (NAT)

Fluoroquinolone (FQ)

sensibel

Injizierbare Antibiotika

  • Amikacin (AMK)

sensibel

  • Capreomycin (CAP)

sensibel

  • Kanamycin (KAN)

resistent (low level)

Isoniazid (INH)

resistent (high level)

Rifampicin (RIF)

resistent

Phänotypische Resistenzbestimmung (Kultur)

Isoniazid (INH)

resistent

Rifampicin (RIF)

resistent

Ethambutol (EMB)

sensibel

Pyrazinamid (PZA)

resistent

Ofloxacin (OFX)

sensibel

Protionamid (PTO)

resistent

Capreomycin (CAP)

sensibel

Amikacin (AMK)

sensibel

Rifabutin (RFB)

resistent

Linezolid (LZD)

sensibel

P-Amino-Salicylsäure (PAS)

resistent

D-Cycloserin (DCS)/Terizidon (TZD)

sensibel

Nukleinsäure-Amplifikations-Technik (NAT)

Antibiotika-Abkürzungen nach: Antimicrobial Agents and Chemotherapy (AAC), American Society for Microbiology (ASM) 03/2021; https://aac.asm.org/content/abbreviations-and-conventions


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Therapie und Verlauf

Gemäß den gültigen Leitlinien wurde eine antituberkulöse Therapie mit INH, RIF, EMB und PZA in empfohlener Dosierung, ergänzt durch Vitamin B6, eingeleitet [12]. Nachdem sich molekularbiologisch in der zweiten Probe eine Woche später eine RMP- und INH-Resistenz als Indikator für eine multiple Medikamentenresistenz (MDR-TB) fanden und beide Befunde durch das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien, Borstel, bestätigt wurden, wurde die Vierfachtherapie abgesetzt und die Behandlung in der 3. Woche mit PZA, EMB, Amikacin (AMK), Moxifloxacin (MXF), Protionamid (PTO) und Terizidon (TRD) in empfohlener Dosierung, ergänzt durch Vitamin B6, fortgesetzt [12] [13] [14].

Nach Vorliegen des Befundes der phänotypischen Resistenztestung aus der Kultur und nach 1-wöchiger Therapiepause wegen Exanthem und pseudomembranöser Enterokolitis wurden PZA, PTO und MXF abgesetzt und die Medikation in der 10. Woche mit EMB, Levofloxacin (LVX), AMK, TRD und Linezolid (LZD) in empfohlener Dosierung, ergänzt durch Vitamin B6, fortgesetzt. Wegen Muskelschmerzen und Gefühlsstörungen wurden LZD und später AMK abgesetzt und die Behandlung mit EMB, LVX, TRD und Amoxicillin/Clavulansäure (AMC) in empfohlener Dosierung bis zu einer Gesamtdauer von 20 Monaten zu Ende geführt.

Als Nebenwirkung kam es in der 6. Woche zu einem Hautexanthem und zeitgleich zu einer pseudomembranösen Enterokolitis (Clostridium difficile Toxin A/B negativ), als deren Ursache am ehesten MXF angesehen wurde. Unter Pausieren sämtlicher Medikamente, Gabe von Prednisolon, Dimetinden (Fenistil) und Mesalazin (Salofalk) klangen die Symptome rasch ab. Eine koloskopische Kontrolle in der 18. Woche zeigte bei weiterhin gelegentlichen rektalen Blutabgängen noch geringe erosive Areale der Kolonschleimhaut, die durch intermittierende Mesalazin-Gaben beherrschbar waren. In der 31. Woche traten erneut starke blutige Durchfälle auf. Die Pausierung von Levofloxacin änderte die Symptomatik nicht. Nach Gabe von Mesalazin (Salofalk) und Budesonid (Budenofalk) kam es jedoch zum raschen Sistieren der Symptome, sodass Levofloxacin, als nicht ursächlich gewertet, wieder eingesetzt wurde.

Wegen seit der 13. Woche zunehmender, zuletzt ausgeprägter Muskel- und Gelenkbeschwerden sowie Missempfindungen an den Händen erfolgte eine neurologische Abklärung. In der Elektromyografie (EMG) fanden sich Zeichen einer Myopathie, als deren Ursache LZD angesehen und leitlinienkonform zunächst nur noch intermittierend gegeben, in der 17. Woche abgesetzt und durch AMC ersetzt wurde. Creatinkinase (CK)- und Myoglobin-Erhöhungen fanden sich laborchemisch nicht. Die Elektroneurografie (ENG) ergab in der 15. Woche keinen Hinweis auf eine peripher neurogene Schädigung im Bereich der oberen und unteren Extremitäten. Die neurologische Kontrolluntersuchung in der 17. Woche zeigte zwar keine Progredienz, AMK wurde jedoch wegen fortbestehender Sensibilitätsstörungen Ende der 20. Woche abgesetzt. Bei der Kontrolluntersuchung in der 42. Woche waren EMG und ENG unauffällig.

Nach der stationären Entlassung in der 18. Woche wurden AMC, LVX, TRD und EMB sowie Vitamin B6 bei TRD-Gabe [8] als Erhaltungstherapie fortgesetzt. In der 79. Woche kam es erneut zu leichten Missempfindungen in den Händen mit Entgleiten von Gegenständen, die nach Reduktion der LVX-Dosis von 1000 mg auf 750 mg/die und der EMB-Dosis von 1250 mg auf 1000 mg/die sistierten. Leichte Beschwerden der großen Gelenke waren in wechselnder Intensität weiterhin vorhanden, diese wurden am ehesten LVX zugeschrieben.

Während der gesamten Therapiedauer kam es zu vaginalen Schleimhautentzündungen wechselnder Intensität mit Nachweis von Candida albicans, die lokal mit Fluconazol und Nystatin behandelt wurden.

Die wegen der EMB-Therapie durchgeführten monatlichen ophthalmologischen Kontrollen zeigten normale Befunde für Visus, Farbensehen und Gesichtsfeld. HNO-ärztliche Audiometrie-Untersuchungen unter AMK-Therapie ergaben eine Normakusis bds. Die Laborkontrollen zeigten bis auf ein erhöhtes CRP im Rahmen der pseudomembranösen Kolitis durchgehend normale Werte für CRP, Blutbild, Leber- und Nierenfunktion.

Die eingesetzten Medikamente mit Therapiedauer sowie die wichtigsten Nebenwirkungen sind im Zeitstrahl in [Abb. 3] dargestellt.

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Abb. 3 Eingesetzte Wirkstoffe nach WHO-Gruppen (8), Dauer der Gabe in Tagen (d) und wichtigste Nebenwirkungen im Zeitstrahl. Antibiotika-Abkürzungen nach: Antimicrobial Agents and Chemotherapy (AAC), American Society for Microbiology (ASM) 03/2021; https://aac.asm.org/content/abbreviations-and-conventions.

Computertomografisch zeigte sich in der 8. Woche mit zunehmenden Vernarbungen der TB-Herde im rechten Oberlappen ein gutes Ansprechen der Therapie ([Abb. 4 a–d]) und nach abgeschlossener Therapie in der 89. Woche nur noch narbig indurative Veränderungen ([Abb. 5 a–d]).

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Abb. 4 a–d 8. Therapiewoche, Klinik B: CT-Thorax.
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Abb. 5 a–d 89. Therapiewoche, Klinik B: CT-Thorax.

Auch nach Beendigung der Therapie in der 90. Woche hat die Patientin bis heute eine Neigung zu Durchfällen, vaginalen Schleimhautirritationen sowie neurologische Beschwerden. Bei der neurologischen Untersuchung 2 Jahre und 8 Monate nach Therapieende fanden sich noch Muskelschmerzen mit schneller muskulärer Ermüdbarkeit, neuropathische Reiz- und Ausfallssymptome in Form von distal symmetrischen sensiblen Kribbeln-Missempfindungen, eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit (Allodynie), eine diskrete Hypästhesie, des Weiteren lanzierende neuropathische Schmerzattacken im Bereich der unteren Extremitäten. Im ENG fielen eine leicht verminderte sensible Nervenleitgeschwindigkeiten des N. suralis rechts von 42 m/s und links von 44 m/s auf, welche nicht dem alterstypischen Maß entsprechen. Die beschriebenen Symptome wurden als plausibel eingestuft und korrelieren als Residualsymptome zu den beschriebenen Nebenwirkungen der verwendeten Präparate. Weiterhin bestehen Symptome eines Chronic Fatigue-Syndroms, die zwar unspezifisch aber in Zusammenhang zur stattgehabten Grunderkrankung sowie auch zu medikamenteninduzierten Begleiterkrankungen zu bringen sind.

Die Patientin hat weiterhin Hustenreiz ohne saisonale Abhängigkeit, verstärkt in kalter Luft. Probatorisch eingesetzte inhalative Kortikosteroide (ICS), später in Kombination mit langwirksamen Beta-2-Mimetika (LABA), waren ohne wesentlichen Einfluss auf den Hustenreiz.


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Diskussion

Diagnose

Im Verlauf einer TB-Erkrankung kann es im Rahmen der komplexen Immunreaktionen zu relevanten immunologischen, endokrinen und metabolischen Veränderungen kommen. Dies kann auch zu Gewichtsverlust mit Abnahme des Body-Mass-Index (BMI) führen, der ein wichtiger Indikator des klinischen Status des Patienten darstellt. Dabei spielen pro- und anti-inflammatorische Zytokine, Adipozytokine und Hormone der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse eine wichtige Rolle, die sowohl an der Regulierung als auch an der Steuerung der Immunaktivität und des Energiehaushalts beteiligt sind [15] [16] [17] [18] [19] [20]. Diese Parameter verändern sich während der Therapie und signalisieren eine fortschreitende klinische Heilung [21]. Die Abgeschlagenheit in den beiden Jahren vor Diagnosestellung war das einzig fassbare Symptom bei unserer Patientin, welches jedoch dem anstrengenden Schichtdienst in der Altenpflege zugeschrieben wurde. Nachtschweiß, Fieber oder grippeähnliche Symptome wurden nicht bemerkt. Insbesondere war es zum Zeitpunkt der Diagnosestellung noch nicht zu einer Abnahme des BMI gekommen, welcher mit 23,0, bis auf eine passagere geringe Abnahme während der kurzen Phase der pseudomembranösen Enterokolitis im Rahmen der Medikamenten-Nebenwirkungen, stets im Normbereich blieb. Der Husten ohne Auswurf bestand schon etliche Jahre zuvor und stand vermutlich nicht mit der TB im Zusammenhang. In Klinik A ließen sich computertomografisch granulomatöse Veränderungen im rechten Oberlappen nachweisen, die jedoch nicht weiter abgeklärt wurden. 14 Monate später fanden sich in Klinik B bereits fortgeschrittene Infiltrationen mit Einschmelzung und Kavernenbildung.

Bei Verdacht auf Lungen-TB sollen laut WHO-Empfehlungen mindestens 2 Sputumproben guter Qualität auf Mykobakterien untersucht werden [4] [22] [23]. Den höchsten Stellenwert in der initialen Diagnostik haben Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAT), durch die es möglich ist, M. tuberculosis-Komplex von nichttuberkulösen Mykobakterien (NTMs) zu unterscheiden. Mit automatisierten Verfahren kann ein Testergebnis zur Erregeridentifikation und zur Rifampicin-Resistenz schon nach weniger als 2 Stunden erwartet werden [4]. Durch diese Verfahren konnte bei unserer Patientin die Verdachtsdiagnose einer TB frühzeitig bestätigt und bei Nachweis einer Rifampicin-Resistenz zusätzlich der Hinweis auf eine MDR-TB gegeben werden. Die negativen Mikroskopien auf säurefeste Stäbchen sprachen für eine geringe Keimlast. Nach Vorliegen der ersten positiven Kulturen wurde phänotypisch u. a. eine Resistenz gegenüber INH (high level) und RIF bestätigt, definitionsgemäß lag somit eine Multiresistenz (Multi Drug Resistance, MDR) vor. Bei vorhandener Sensibilität gegenüber einem Fluorchinolon und 2 der injizierbaren Medikamente AMK, CAP oder KAN konnte eine Extensively drug-resistant (XDR-)TB ausgeschlossen werden [8].


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Therapie und Nebenwirkungen

Die Therapiedauer einer MDR-TB betrug vor 5 Jahren noch 18–24 Monate, wobei häufig bis zu 6 Medikamente, einschließlich injizierbarer Substanzen, gegeben werden mussten [23]. Die Inzidenz von Nebenwirkungen bei diesen Therapieregimen ist hoch, wobei 45 % der Patienten leichte bis schwere Nebenwirkungen erleiden [24] [25]. Unsere Patientin erhielt über einen Behandlungszeitraum von 20 Monaten insgesamt 11 verschiedene Medikamente aus allen 5 Gruppen der WHO-Klassifikation von 2011, die teilweise wegen Resistenz oder schwerer Nebenwirkungen ausgetauscht werden mussten [8] [26] [27], s. [Abb. 3]. Laut WHO-Jahresbericht 2019 lag der Therapieerfolg bei MDR-TB weltweit bei nur 56 % [4] [28]. Für MDR-TB-Patienten, die in einem Behandlungszentrum individualisiert nach ausführlicher Resistenztestung behandelt werden, wird jedoch eine deutlich bessere Prognose angenommen [4] [29] [30]. Die neuen WHO-Empfehlungen schlagen eine Therapiedauer von 18–20 Monaten vor, diese kann jedoch an das individuelle Ansprechen auf die MDR-TB-Therapie angepasst werden. Für die meisten MDR-TB-Patienten sollte eine Therapiedauer von 15–17 Monaten nach Kulturkonversion ausreichend sein [4] [31] [32]. In einer gemeinsamen Stellungnahme zu diesen Empfehlungen durch das Forschungszentrum Borstel (FZB) und das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) werden die neuen WHO-Empfehlungen unterstützt. Für die MDR-TB-Behandlung in Deutschland wird die Einleitung einer aus 5 Medikamenten bestehenden Therapie mit Bedaquilin (BDQ), LZD, LVX oder MXF, Clofazimin (CLO) und TRD nach molekularbiologischem Nachweis einer RIF-Resistenz und Ausschluss von FQ-Resistenzen empfohlen [4] [33]. Somit wird in diesen Empfehlungen, wie bereits in den WHO-Empfehlungen, auf die Gabe eines injizierbaren Zweitrang-Medikaments wie Amikacin primär verzichtet. Weitere Einzelheiten finden sich in den Stellungnahmen zu den neuen WHO-Empfehlungen für MDR-TB [4] [33]. Weitere Wirkstoffe und Therapieregime werden in klinischen Studien getestet. So konnte in einer kürzlich veröffentlichen Studie gezeigt werden, dass bei extensiver Medikamenten-Resistenz (XDR) und bei komplizierter MDR-TB durch die orale Gabe von BDQ, Pretomanid und LZD nach 26 Wochen ein Therapieerfolg von 90 % erreicht werden konnte, vergleichbar den Ergebnissen moderner Studien für voll sensible Tuberkulose mit der Standardtherapie aus INH, RIF, PZA und EMB [24] [34] [35] [36].

Die bei unserer Patientin aufgetretenen Nebenwirkungen (Arzneimittelexanthem, rezidivierende Enterokolitiden, Myalgie, Sensibilitätsstörungen, Arthralgien, Vaginitis) waren teils schwerwiegend und zwangen zur Umstellung der Therapie. Diese Nebenwirkungen sind 3 Jahre nach Beendigung der Therapie noch immer rezidivierend in wechselnder Intensität vorhanden. Im Vordergrund der Beschwerden stehen die Sensibilitätsstörungen und das Chronic Fatigue-Syndrom. Insbesondere EMB und KAN sind dabei als Verursacher zu nennen, INH und LZD wurden vergleichsweise nur kurzfristig eingesetzt, jedoch auch TRD und LVX können zu zentralnervösen Störungen führen. Pyridoxin (Vitamin B6), welches nahezu die gesamte Therapiedauer in niedriger Dosierung von 40 mg/die, wie bei TRD-Gabe empfohlen, eingenommen wurde, kann paradoxerweise in zu hohen Dosen selbst eine Polyneuropathie auslösen [8] [37] [38] [39]. Die MDR-TB-Therapie ist langwierig und bedarf einer Kombination mehrerer Zweitrang-Medikamente, die bekanntermaßen mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen einhergehen und schwere Krankheitsbilder, bis hin zum Tod, auslösen können [39]. Eine Meta-Analyse von 35 Therapie-Studien mit insgesamt 9178 MDR-TB-Patienten zeigte, dass die Fluorchinolone LVX und MXF sowie CLO und BDQ die niedrigsten Raten an Nebenwirkungen hatten, die zum kompletten Absetzen der Substanz führten, die injizierbaren Zweitrang-Medikamente AMK, KAN und CAP sowie PAS und LZD dagegen die höchsten [39]. Die Ergebnisse bestätigen, dass eine engmaschige Überwachung von Nebenwirkungen bei Patienten mit MDR-TB erforderlich ist [39].


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Infektionsquelle

Eine Indexperson als Überträger der TB konnte nicht identifiziert werden. Eine Reise in oder ein wissentlicher Kontakt zu Personen aus Hochinzidenzländern lag nicht vor. Bei 5 Personen im beruflichen Umfeld fand sich ein positiver QuantiFERON-Test als Nachweis einer latenten TB. Ob unsere Patientin die Indexperson war, eine Person aus dem beruflichen Umfeld oder eine zu pflegende Person bleibt offen. Unsere Patientin hatte als Altenpflegerin häufig sehr engen Kontakt mit den zu Pflegenden, insbesondere bei Schluckstörungen und spontanem Husten kam es zu einer erheblichen Exposition gegenüber Aerosolen. Ein früherer TB-Fall in dem Seniorenheim war zwar nicht bekannt, ist jedoch als wahrscheinlichste Infektionsquelle zu vermuten. Beschäftigte im Gesundheitswesen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für TB, insbesondere in bestimmten Bereichen oder bei bestimmten Tätigkeiten [8] [9] [10] [11]. Da unsere Patientin als Altenpflegerin der Infektionsgefahr einer TB besonders ausgesetzt war, erfolgte nach Berufskrankheiten (BK)-Verdachtsmeldung und Begutachtung die Anerkennung als BK-Nummer 3101 durch die zuständige Berufsgenossenschaft [40].


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Husten und AATM

Auch nach abgeschlossener MDR-TB-Therapie besteht bei unserer Patientin Hustenreiz, insbesondere bei Kälteexposition. Eine wichtige Differenzialdiagnose als Ursache ist der AATM. Die gemessenen Serum-Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel waren nur leicht erniedrigt: Therapiebeginn // 38 Monate später // 46 Monate später: 0,83 g/l // 0,77 g/l // 0,75 g/l (Norm 0,9–1,8 g/l). Patienten mit AATM haben sehr häufig Luftnot, weniger häufig jedoch Husten und Giemen [41] [42] [43] [44] [45]. Bei Patienten mit schwerem AATM (ZZ-Träger) und Symptomen von chronischem Husten, Auswurf und Giemen wurde eine höhere Empfänglichkeit für einen rascheren Abfall der Lungenfunktion diskutiert [46]. Im Screening-Programm des Deutschen Alpha-1-Antitrypsin-Labors der Universität Marburg fanden sich unter 18 638 ausgewerteten Proben 1835 Individuen mit schwerem AATM. Von den klinischen Charakteristika, die sich als signifikante Prädiktoren für den Genotyp PiZZ erwiesen, waren eine COPD in der Vorgeschichte, Lungenemphysem und Bronchiektasen, wohingegen ein Asthma in der Vorgeschichte, Husten und Auswurf Prädiktoren gegen den Genotyp PiZZ waren [47]. In einer frühen Arbeit von 1970 wird auf die Möglichkeit von Symptomen eines Asthma bronchiale bei AATM hingewiesen. Von den 11 der dort beschriebenen Patienten hatten initial alle Luftnot bei Belastung, 6 davon klagten jedoch über Husten und Auswurf nach Belastung oder nach Exposition zu kalter Luft, jedoch ohne nächtliches Erwachen wegen Giemen und Luftnot und ohne Ansprechen nach Gabe von Bronchodilatatoren [48]. Unsere Patientin hatte zwar eine Allergie, jedoch im Bronchoprovokationstest keine Hyperreagibilität, kein Ansprechen auf ICS oder ICS/LABA, und weitere Ursachen, wie ein gastroösophagealer Reflux und eine endobronchiale Läsion, waren ausgeschlossen worden. Somit ist es wahrscheinlich, dass der Husten als Symptom des AATM zu erklären ist. Obgleich der Husten nicht Symptom der erlittenen MDR-TB war, führte dessen Abklärung zur Diagnosestellung.


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Tuberkulose und AATM

In der Literatur finden sich zu diesem Thema nur sehr begrenzte Aussagen. Aus Österreich wird der Fall einer jungen Patientin mit homozygotem AATM (PiZZ) und assoziierter Lebererkrankung berichtet, die kurz nach der Geburt eines gesunden Mädchens eine primäre Lebertuberkulose erlitt; eine Empfänglichkeit für hepatische Infektionen bei AATM wurde postuliert [49]. Aus dem Iran werden 2 Fälle berichtet, bei denen es bei ausgedehnter Lungen-TB und emphysematösen Veränderungen jeweils etwa 6 Wochen nach Beginn der Therapie mit RIF, INH, PZA und EMB zu einem Leberversagen kam. Es zeigten sich erniedrigte AAT-Werte als Korrelat eines zuvor nicht bekannten AATM mit Lungenemphysem. Hinweise für eine anderweitige Lebererkrankung fanden sich nicht, sodass die Kombination einer assoziierten Leberbeteiligung bei AATM und die potenzielle Lebertoxizität der Medikation sehr wahrscheinlich das Leberversagen verursachten. Die Autoren schlussfolgern, dass bei AATM mit Lungenemphysem eine assoziierte Leberbeteiligung bedacht werden sollte und somit ein erhöhtes Risiko hepatotoxischer Reaktionen durch die antituberkulöse Medikation besteht [50].


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Fazit für die Praxis

Medizinisches Personal, besonders auch in der Altenpflege, hat durch intensiven Kontakt mit Aerosolen von Patientinnen und Patienten ein erhöhtes Infektionsrisiko für eine TB und andere aerogen übertragbare Erkrankungen. Eine MDR-TB kann auch bei in Mitteleuropa lebenden Menschen auftreten, die keinen wissentlichen Kontakt zu Personen aus Ländern mit hoher Inzidenz multiresistenter Tuberkulosen hatten. Eine floride TB kann relativ symptomlos sein und über Jahre unerkannt bleiben. Die Zusammenarbeit mit einem Expertenzentrum ist zur differenzierten Diagnosestellung und Therapie einer MDR-TB obligat. Nebenwirkungen der erforderlichen Medikation können teils lebensbedrohlich akut auftreten und zu einer Dauerschädigung mit anhaltenden Residualsymptomen führen. Eine subtile, engmaschige und langfristige Überwachung unter Beteiligung anderer Fachdisziplinen wie Mikrobiologie, HNO, Gastroenterologie, Neurologie und ggfs. Gynäkologie ist deshalb erforderlich, um Nebenwirkungen der komplexen Medikation zu vermeiden, frühzeitig zu erkennen und auf ein Minimum zu reduzieren. Bei Patienten mit AATM sollte großzügig die Indikation zur Durchführung eines IGRA gestellt werden, um insbesondere bei Risikoberufen, wie in der Kranken- und Altenpflege, eine möglicherweise symptomlos vorhandene TB frühzeitig zu erkennen. Bei einer TB-Erkrankung und gleichzeitig vorhandenem AATM muss eine potenziell assoziierte Leberbeteiligung bedacht werden, da bei antituberkulöser Therapie ein erhöhtes Risiko für eine schwerwiegende hepatotoxische Reaktion besteht.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Gerhard Hoheisel
Praxis für Pneumologie/Allergologie
August-Bebel-Str. 69
04275 Leipzig
Deutschland   

Publication History

Received: 10 March 2021

Accepted: 27 April 2021

Article published online:
07 July 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Abb. 1 a Klinik A: Röntgen-Thorax posterior-anterior (pa) und links anliegend; b–e Klinik A: CT-Thorax.
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Abb. 2 a–d 14 Monate später, Klinik B: CT-Thorax.
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Abb. 3 Eingesetzte Wirkstoffe nach WHO-Gruppen (8), Dauer der Gabe in Tagen (d) und wichtigste Nebenwirkungen im Zeitstrahl. Antibiotika-Abkürzungen nach: Antimicrobial Agents and Chemotherapy (AAC), American Society for Microbiology (ASM) 03/2021; https://aac.asm.org/content/abbreviations-and-conventions.
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Abb. 4 a–d 8. Therapiewoche, Klinik B: CT-Thorax.
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Abb. 5 a–d 89. Therapiewoche, Klinik B: CT-Thorax.