Zusammenfassung
Die medizinische Anthropologie des Arztes und Mitbegründers der
Psychosomatik in Deutschland, Viktor von Weizsäcker (1886-1957), ist im
heutigen medizinischen Umfeld weitgehend vergessen oder unbekannt. Dieser
Umstand ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass v. Weizsäcker
keine klar umrissene „Schule“ gegründet hat und die
sprachlich und inhaltlich komplexen Texte eine anhaltende und intensive
Lektüre erfordern – in der modernen Arbeitswelt mit wenig
Zeitreserven eine schwer zu überwindende Hürde. Dennoch lohnt
sich das Wissen um das v. Weizsäcker’sche Denken ganz besonders
in Berufen, in denen Umgangsfragen, wie z. B. zwischen
Arzt/Therapeut und Patient, eine besondere Rolle spielen. Die
medizinische Anthropologie gibt dazu Hinweise und stellt Instrumente bereit, die
im Praxisalltag gewinnbringend Anwendung finden können.
Um einen groben Überblick über die medizinische Anthropologie zu
erhalten, werden im folgenden Beitrag zunächst einige grundlegende
Aspekte von zwei Kernkonzepten, dem „Gestaltkreis“ und das
„pathische Pentagramm“, mit seinen fünf Kategorien des
„Dürfens“, „Müssens“,
„Wollens“, „Sollens“ und
„Könnens“ kurz erörtert. Anschließend
wird die in dieser Hinsicht ganzheitlich orientierte Bewegungstherapie am
Beispiel eines Patienten vorgestellt, der nach einem schweren
Schädelhirntrauma u. a. an Schwindelzuständen und
chronischen unspezifischen Kopfschmerzen leidet. Es wird deutlich, in welcher
Weise das Gespräch und die sich wechselseitig beeinflussenden
Begegnungen zwischen den Protagonisten eine entscheidende Rolle spielen.
Abstract
The medical anthropology of the physician and co-founder of psychosomatics in
Germany, Viktor von Weizsäcker (1886-1957), is largely forgotten or
unknown in today’s medical environment. This circumstance is certainly
due to the fact that von Weizsäcker did not found a clearly defined
“school” as such; also his texts, which are complex in terms of
language and content, require a high degree of concentration and intensive
reading – a difficult hurdle to overcome in the working environment of
today. Nevertheless, a knowledge of von Weizsäcker’s methods and
ways of thinking is particularly worthwhile in professions in which interaction,
such as between doctor/therapist and patient, play a special role.
Medical anthropology is very helpful in this regard and provides tools that can
be successfully applied in everyday practice.
In order to provide a rough overview of medical anthropology, the following
article will first briefly discuss some basic aspects of two core concepts, the
“gestalt circle” and the “pathic pentagram”,
with its five categories of “may”, “must”,
“will”, “should” and “can”.
Subsequently, the corresponding holistically oriented movement therapy is
presented using the example of a patient who, following severe craniocerebral
trauma, suffers from, among other things, dizziness and chronic non-specific
headaches. The manner in which the conversation and the mutually influencing
encounters between the protagonists play a decisive role is hereby
elucidated.
Schlüsselwörter Medizinische Anthropologie - Gestaltkreis - pathisches Pentagramm - Bewegungstherapie - Ganzheitlichkeit
key words medical anthropology - gestalt circle - pathic pentagram - movement therapy - holism