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DOI: 10.1055/a-1651-6981
Bidirektionale Wechselwirkungen zwischen pflanzlichen Arzneimitteln und dem Darmmikrobiom: Neue Forschungsansätze
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Einleitung
Das menschliche Darmmikrobiom ist ein komplexes Ökosystem, in dem Milliarden von Mikroorganismen koexistieren. Es ist von Bakterien dominiert, umfasst aber auch Archaeen, Pilze, Protozoen, Eukaryoten und Viren. Am häufigsten sind die beiden bakteriellen Phylotypen Bacteroides und Firmicutes. Die anderen Stämme, Proteobakterien, Actinobakterien, Fusobakterien und Verrucomicrobia, sind vergleichsweise weniger häufig [11]. Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms weist große individuelle Unterschiede auf und wird durch viele Faktoren beeinflusst, zum Beispiel Alter, Gesundheitszustand, Medikamente, Ernährung, Lebensumfeld und die Art der Geburt [9]. Das Darmmikrobiom hat viele wichtigen Funktionen, auch über den Stoffwechsel im engeren Sinne hinaus. Es wirkt bei der Metabolisierung von Nahrungsbestandteilen, aber auch pflanzlichen und anderen Wirkstoffen mit und kann so die Aufnahme von Nährstoffen, Mineralien und Vitaminen aus der Nahrung erleichtern, essenzielle Vitamine synthetisieren und bestimmte Neurotransmitter und Hormone metabolisieren [18]. Das Darmmikrobiom verfügt über ein breiteres Spektrum an metabolischen Enzymen als der Mensch selbst, sein Stoffwechsel ist daher leistungsfähiger. Zudem kann es das angeborene und das adaptive Immunsystem des Menschen modulieren und ihn so, als eine erste Verteidigungslinie, vor Krankheitserregern schützen [24]. Zahlreiche Studien haben aber auch gezeigt, dass Lebensmittel und Medikamente, einschließlich der pflanzlichen Arzneimittel, die Zusammensetzung und Funktion des Darmmikrobioms signifikant beeinflussen können [1] [25].
Die vom Darmmikrobiom gebildeten Metabolite werden in drei Gruppen eingeteilt [16]:
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Metabolite, die aus Arzneimitteln oder Nahrungsbestandteilen gebildet werden: Viele pflanzliche Inhaltsstoffe werden vom Darmmikrobiom in andere Metaboliten umgewandelt ([Tab. 1]). Beispielsweise entsteht Verbindung K aus den Ginsenosiden Rb1, Rb2 und Rc [10] und Octahydrocurcumin, ein stark entzündungshemmend wirkender Metabolit, aus dem Curcumin.
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Metabolite, die aus vom Menschen gebildeten Verbindungen entstehen: Ein typisches Beispiel für Metaboliten, die in diese Kategorie fallen, sind die sekundären Gallensäuren, die in der Leber synthetisiert und vom Darmmikrobiom metabolisch modifiziert werden [8].
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Metabolite, die de novo synthetisiert werden: Dazu zählen kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) und Polysaccharid A, die eine wichtige Rolle für die Energieversorgung der Darmschleimhautzellen spielen und so die Barrierefunktion der Darmschleimhaut gegen das Eindringen unerwünschter Bakterien stärken.
Inhaltsstoffe pflanzlicher Arzneimittel |
Durch das Darmmikrobiom gebildete Metabolite |
---|---|
Anthocyanidine |
Phenolsäuren |
Curcumin |
Octahydrocurcumin |
Dihydrozimtsäureester |
Phenolsäuren |
Ellagitannine |
Urolithine |
Flavonoide |
Phenolsäuren |
Glycyrrhizinsäurederivate |
Glycyrrhetinsäure |
Inulin |
kurzkettige Fettsäuren (SCFA) |
Liquiritinderivate |
Liquiritgenin, Davidigenin |
Procyanidine |
Phenolsäuren, Enterolacton |
Pflanzliche Arzneimittel sind eine komplexe Mischung aus Produkten des pflanzlichen Primärstoffwechsels, zu denen z. B. die komplexen Kohlenhydrate zählen, als auch des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels, darunter Polyphenole, Alkaloide und Terpenglykoside. Viele dieser Naturstoffe können durch die Enzyme des oberen Darmtraktes nicht metabolisiert, aber aufgrund ihres hohen Molekulargewichts oder ihrer hohen Polarität auch nur schlecht resorbiert werden. Sie passieren daher den Dünndarm, dessen mikrobielle Besiedelung relativ spärlich und auf den Metabolismus von einfachen Zuckern spezialisiert ist, erreichen den Dickdarm und kommen mit dessen sehr vielfältigen Mikrobiom in Kontakt. Dieses besitzt eine enorme Stoffwechselkapazität und bildet aus vielen dieser pflanzlichen Inhaltsstoffe neue Metabolite, von denen etliche eine bessere Bioverfügbarkeit und eine bessere pharmakologische Aktivität besitzen als ihre Vorläuferverbindungen. Viele dieser Metaboliten spielen daher eine wichtige Rolle bei der gesundheitsfördernden Wirkung von pflanzlichen Arzneimitteln ([Tab. 1]).
Die pflanzlichen Inhaltsstoffe können aber auch die Zusammensetzung und Funktion des Darmmikrobioms und dessen metabolische Kapazität modulieren [19]. Dies gilt für bekannte Präbiotika wie das komplexe Kohlenhydrat Inulin, das zu gesundheitsfördernden kurzkettigen Fettsäuren (SCFAs) fermentiert wird und die Häufigkeit von Bifidobakterien im menschlichen Darm erhöht [12]. Anti- und präbiotische und damit gesundheitsfördernde Wirkungen wurden auch für sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Phenole und Terpene beschrieben [1] ([Abb. 1]).
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In den letzten zehn Jahren war der Fokus der meisten Studien zu pflanzlichen Arzneimitteln und Darmmikrobiota entweder auf deren Wirkung auf das Darmmikrobiom gerichtet, oder auf die durch das Mikrobiom gebildeten Metaboliten [20]. Inzwischen gibt es aber zunehmend Studien, in denen beides untersucht wird. Hierfür stehen verschiedene methodische Ansätze in vitro und in vivo zur Verfügung.
Publication History
Article published online:
15 March 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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