Einleitung
Die seit Ende 2019 erstmals in Wuhan (China) aufgetretene, durch das Coronavirus SARS-CoV-2
(SARS = schweres akutes respiratorisches Syndrom) ausgelöste Coronavirus-Krankheit
2019 (COVID-19) ist weltweit von immenser Bedeutung [3 ].
Am 27. Februar 2020, einen Monat nach der ersten bestätigten Infektion in Deutschland,
wurde im Bundesland Hessen erstmals eine Infektion nachgewiesen [4 ]
[5 ]. Aufgrund der weltweiten Verbreitung erklärte die WHO am 11. März 2020 den Ausbruch
des SARS-CoV-2 zu einer Pandemie [6 ].
Eine Infektion mit SARS-CoV-2 ist regelhaft mit einem asymptomatischen bis leichten
Verlauf mit grippeähnlichen Symptomen vergesellschaftet. Nur selten wird eine schwere
Manifestation bis hin zu einem letalen Verlauf gesehen [7 ]. Die Langzeitfolgen der Erkrankung und ihrer Behandlung sind noch nicht abschließend
erforscht. Viele Patienten beschreiben nach überstandener Erkrankung mindestens noch
ein Symptom, meist wird hier Müdigkeit oder Atemnot angegeben [8 ]. Ein hohes Alter, Komorbiditäten und das biologisch-männliche Geschlecht sind nach
aktuellem Forschungsstand Risikofaktoren für einen schweren Verlauf [9 ]
[10 ]. Um Risikogruppen zu schützen und einer Überlastung des deutschen Gesundheitssystems
vorzubeugen, wurden von der deutschen Regierung zahlreiche Maßnahmen zur Eindämmung
der Pandemie beschlossen [11 ]
[12 ]
[13 ]. Alle medizinisch nicht zwingend notwendigen, planbaren Aufnahmen, Operationen und
Eingriffe sollten verschoben oder ausgesetzt werden [14 ]
[15 ].
Die folgende Studie soll die Auswirkungen des SARS-CoV-2-Pandemie-Lockdowns auf das
Patientenaufkommen in der dermatologischen Hochschulambulanz des Universitätsklinikums
in Marburg untersuchen. Dazu wurde ein Vergleich zu denselben Zeiträumen in den Vorjahren
2019 und 2018 vorgenommen, in denen keine Beeinflussung durch eine COVID-19-Pandemie
bestand. Es erfolgte die Analyse, ob der Lockdown Auswirkungen auf das Verhalten und
die medizinische Versorgung der dermatologischen Patienten im Allgemeinen und für
spezielle Risikogruppen hatte.
Patienten, Material und Methoden
Patienten, Material und Methoden
Für die Studie im retrospektiven Studiendesign wurden die Patientendaten von 5742
Patienten der dermatologischen Hochschulambulanz des Marburger Universitätsklinikums
erhoben. Erfasst wurden die Daten aller Patienten, welche zu den regulären Öffnungszeiten
der dermatologischen Hochschulambulanz (HSA) in dem Zeitraum zwischen dem 16. März
und dem 04. Mai der Jahre 2018, 2019 und 2020 erschienen sind oder einen bestehenden
Termin absagten. Des Weiteren wurde die Anzahl der Patienten, deren Termin seitens
der HSA abgesagt wurde, erfasst. Die dermatologische Hochschulambulanz war an Wochenenden
und Feiertagen geschlossen. Die Daten wurden durch das Programm Orbis, ein Krankenhaus-Informationssystem
von AGFA Healthcare, ermittelt. In den oben genannten Zeiträumen wurde der Tagesterminplan
in Orbis aufgerufen und die relevanten Daten aller an dem Tag in der dermatologischen
Hochschulambulanz behandelten Patienten erfasst. Ferner wurde die Anzahl der Patienten
mit abgesagten Terminen dokumentiert. Aufgrund des hohen täglichen Patientenaufkommens
und der dadurch entstandenen großen Datenmenge war es möglich, eine repräsentative
retrospektive Analyse durchzuführen. Patienten, die in dem Zeitraum der Datenerhebung
die dermatologische HSA mehrfach aufsuchten, wurden entsprechend vermerkt. Die Daten
wurden mithilfe des Programms Microsoft Office in einer zuvor erstellten Excel-Tabelle
nach verschiedenen Parametern, beginnend mit dem Jahr 2018 und endend mit dem Jahr
2020, gesammelt.
Die statistische Auswertung erfolgte mit Microsoft Excel und IBM SPSS statistics,
Version 27. Der Shapiro-Wilk-Test wurde verwendet, um die Normalverteilung der Variablen
zu prüfen. Zur Signifikanzprüfung wurde der Zweistichproben-Binominaltest, der Mann-Whitney-U-Test,
Chi-Quadrat-Test und der Wilcoxon-Test verwendet. Ein p-Wert < 0,05 wurde als signifikant
angesehen.
Ergebnisse
Deutlicher Rückgang der Patientenvorstellungen in der Hochschulambulanz während des
Lockdowns
In den untersuchten Zeiträumen der Jahre 2018 und 2019 ohne Lockdown ist der Anteil
der wahrgenommenen Termine in der Hochschulambulanz (HSA) mit jeweils über 90 % auf
demselben Niveau. Im Analysezeitraum des Jahres 2020 befand sich Deutschland im ersten
Pandemie-Lockdown und der Anteil der wahrgenommenen Termine ist um ein Drittel gesunken
([Abb. 1 a ]).
Abb. 1 a Patientenaufkommen: Anteil der abgesagten Termine und wahrgenommenen Termine im Untersuchungszeitraum
in 2018, 2019 und 2020. Die Absagen wurden unterteilt in die von den Patienten abgesagten
Termine und die von der Hochschulambulanz abgesagten Termine. 2018 (p < 0,001) und
2019 (p < 0,001) wurden signifikant weniger Termine abgesagt als in 2020. Als Analysemethode
wurde der Zweistichproben-Binominaltest verwendet. *:p ≤ 0,05; **:p ≤ 0,01; ***:p ≤ 0,001.
b Absagen im Verlauf des Untersuchungszeitraumes von 16.03–27.04 in den Jahren 2018,
2019 und 2020.
Des Weiteren ist bei den Terminabsagen zu erkennen, dass ohne Lockdown im Jahr 2018
und 2019 die Quote der Absagen zwischen 5 und 6 % lag. Im Vergleich dazu wurden im
Zeitraum des Lockdowns im Jahr 2020 7-mal mehr Absagen verzeichnet ([Abb. 1 a ]). Die Absagen im Jahr 2020 wurden weiter aufgeschlüsselt in Absagen seitens der
Patienten und in Absagen durch die Hochschulambulanz. Anlass waren die offiziellen
Anweisungen und Appelle der Politik, nicht dringende medizinische Eingriffe zu verschieben
([Abb. 1 a ]). In den Jahren 2018 und 2019 gab es keine politischen Maßnahmen zur Reduktion der
medizinischen Eingriffe. Absagen der Abteilung selbst wurden in den Vorjahren nicht
erfasst, es handelte sich, wenn überhaupt, nur um vereinzelte Termine aus organisatorischen
Gründen.
Anstieg der Terminabsagen in der Hochschulambulanz während des Lockdowns
In den Zeiträumen der Jahre 2018 und 2019 ist die tägliche Anzahl an Terminabsagen
in der HSA auf einem tendenziell gleichbleibenden niedrigen Niveau. Im Jahr 2018 wurden
im Durchschnitt täglich 3,0 Termine abgesagt. 2019 lag der Wert bei 3,1 Terminen pro
Tag, wohingegen im Jahre 2020 23,3 Termine pro Tag dokumentiert wurden.
Die Anzahl der Terminabsagen hat im Jahr 2020 über den Untersuchungszeitraum hinweg
stetig abgenommen und war dennoch bis zum 27. 04. 2020 signifikant höher als in den
Jahren 2018 und 2019 ([Abb. 1 b ]). Politische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erklären den Anstieg der Terminabsagen
zu Beginn des Lockdowns. Am 12. 03. 2020 beschloss die deutsche Bundesregierung in
einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungen der Länder, dass in Krankenhäusern
in Deutschland ab dem 16. 03. 2020 alle medizinisch nicht zwingend notwendigen Aufnahmen,
Operationen und Eingriffe verschoben oder ausgesetzt werden sollten [14 ]. Die Patienten sagten daraufhin ihre Termine ab oder versäumten sie, und auch die
HSA selbst musste nicht dringend notwendige Termine absagen. Mit dem Einsetzen von
Lockerungen im öffentlichen Bereich war ein Rückgang der Absagen in 2020 erkennbar.
Ab dem 27. 04. 2020 traten zusätzlich Lockerungen im medizinischen Bereich in Kraft,
und es folgte ein weiterer Rückgang der Absagen [16 ]. Der Lockdown und die damit verbundenen sich täglich ändernden Maßnahmen führten
zu einer Dynamik im Terminabsageverhalten der Patienten.
Im Lockdown weniger Behandlungen nicht-binärer Minderheiten
In allen drei Untersuchungszeiträumen waren keine signifikanten Unterschiede in der
Verteilung der klassischen biologischen Geschlechter (männlich, weiblich) bei den
Patienten mit wahrgenommenen und abgesagten Terminen erkennbar ([Tab. 1 ]).
Tab. 1
Geschlechterverteilung der vorstelligen Patienten und der abgesagten Patienten im
Untersuchungszeitraum in 2018, 2019 und 2020.
Geschlecht
männlich
weiblich
diverse
wahrgenommene Termine
2018
683
701
1
2019
747
787
3
2020
641
618
0
Terminabsagen
2018
45
51
0
2019
45
55
0
2020
321
424
2
Jedoch ist zu erwähnen, dass im Lockdown keine Patienten mit dem Geschlecht „divers“
vorstellig waren, sondern ihren Termin abgesagt haben (insgesamt 0,27 % der Absagen
in 2020). In den beiden Vorjahren ohne Lockdown sagte keine Person mit dem Geschlecht
„divers“ ihren/seinen Termin ab ([Tab. 1 ]). Allerdings handelte es sich bei der Personengruppe „diverse“ um eine sehr kleine
Stichprobe, und es kann nur vermutet werden, dass diese Patienten im Jahr 2020 den
Besuch der HSA vermieden haben. Diese Fragestellung müsste in weiteren Studien untersucht
werden.
Lockdown blockiert Erstvorstellungen und Behandlung von Patienten mit chronisch-entzündlichen
und malignen Hauterkrankungen
Mithilfe weiterer Parameter wurden die Merkmale der vorstelligen Patienten untersucht.
Patienten, welche die Einrichtung nicht kannten und dort noch nie behandelt wurden,
waren im Lockdown 2020 signifikant seltener vorstellig als in den beiden Vorjahren.
Somit war die Anzahl der wiederkehrenden Patienten, die sich entweder in einer laufenden
Behandlung befanden oder schon einmal zu einem früheren Zeitpunkt in der HSA behandelt
wurden, im Lockdown im Frühjahr 2020 höher als in den Vorjahren ([Abb. 2 a ]).
Abb. 2 a Anteil der Erstvorsteller (EV) und Wiederkehrer (WK) im Untersuchungszeitraum in
2018, 2019 und 2020. Erstvorsteller sind Patienten, welche zuvor in der HSA noch nicht
vorstellig waren. Wiederkehrer befinden sich in einer laufenden Behandlung oder wurden
zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal in der HSA behandelt. Im Untersuchungszeitraum
des Jahres 2018 (p < 0,001) und 2019 (p < 0,001) waren signifikant mehr Erstvorsteller
als im Jahr 2020. Die statistische Auswertung erfolgte mittels dem Zweistichproben-Binominaltest.
***:p ≤ 0;001. b Vergleich der Absolutzahlen einzelner Diagnosegruppen im Untersuchungszeitraum in
den Jahren 2018, 2019, 2020. Unterteilung in folgende Diagnosegruppen: C00-97 = bösartige
Neubildungen der Haut 2020 im Vergleich zu 2018 (p < 0,001) und zu 2019 (p < 0,001);
D10-36 = gutartige Neubildungen 2020 im Vergleich zu 2018 (p < 0,018) und zu 2019
(p = 0,183) ; L10-14 = bullöse Dermatosen 2020 im Vergleich zu 2018 (p = 0,022) und
zu 2019 (p = 0,094); L40-45 = papulosquamöse Hautkrankheiten 2020 im Vergleich zu
2018 (p < 0,001) und zu 2019 (p < 0,001); B00-09 = Virusinfektionen, die durch Haut-
und Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind 2020 im Vergleich zu 2018 (p = 0,075)
und zu 2019 (p = 0,118). Als statistisches Testverfahren wurde der Chi²-Anpassungstest
verwendet. *:p ≤ 0,05; **:p ≤ 0,01; ***:p ≤ 0,001.
In der HSA wurden die Diagnosen nach dem ICD 10-Code dokumentiert und in Hauptgruppen
unterteilt. Generell war ein Patientenrückgang in allen Diagnosegruppen mit ausreichender
Stichprobengröße erkennbar. Über Diagnosen, welche in der HSA im Untersuchungszeitraum
nur vereinzelt gestellt wurden, war keine Aussage zu treffen.
In der Patientengruppe mit bösartigen Neubildungen der Haut (mit dem ICD 10-Code C00-97)
wurde ein signifikanter Rückgang um 31,5 % im Vergleich zu 2018 und um 34,8 % im Vergleich
zu 2019 verzeichnet. Auch Patienten mit den Diagnosen papulosquamöse Hautkrankheiten
(mit dem ICD 10-Code L40-45) waren im Vergleich zu dem Jahr 2019 und 2018 signifikant
seltener vorstellig. So zeigte sich auch in anderen Diagnosegruppen ein Rückgang der
Absolutzahlen in 2020 im Vergleich zu den beiden Vorjahren.
Im Lockdown war die Anzahl der Patienten mit der Diagnose einer gutartigen Neubildung
(ICD 10-Code D10-36) im Vergleich zu 2018 signifikant geringer. Patienten mit bullösen
Dermatosen (ICD 10-Code L10-14) waren 2020 signifikant weniger vorstellig als im Jahr
2018, jedoch nicht signifikant niedriger als im Jahr 2019. Die Zahl der Patienten
mit Virusinfektionen, die durch Haut- und Schleimhautläsionen (ICD 10-Code B00-09)
gekennzeichnet sind, war tendenziell im Jahre 2020 niedriger als in den Vorjahren,
wenn auch nicht signifikant.
Hier ist zu erwähnen, dass es im Jahr 2020 eine personelle Aufstockung im Bereich
der Arztstellen gab und somit mehr Termine zur Verfügung standen. Daher ist zu vermuten,
dass der Rückgang der Patientenvorstellungen bei weniger ärztlichen Kapazitäten noch
stärker hätte sein können. Auch wenn nicht alle Rückgänge signifikant waren, war ein
Rückgang dennoch in allen Gruppen erkennbar.
Lockdown verzögert Behandlung maligner Erkrankungen von Risikogruppen
Beim Vergleich des Altersdurchschnittes aller vorstelligen Patienten wurde kein signifikanter
Unterschied zu den beiden Vorjahren festgestellt. Ebenso wurden keine signifikanten
altersspezifischen Unterschiede innerhalb der Patientengruppen mit Absagen gefunden.
Im Vergleich des Durchschnittsalters der Patienten einzelner Diagnosegruppen war in
der Gruppe der bösartigen Neubildungen der Haut (ICD 10-Code C00-C97) ein signifikanter
Rückgang im Jahr 2020 festgestellt worden ([Tab. 2 ]). Es ist zu vermuten, dass Patienten mit einem hohen Alter und einer maligen Erkrankung
(ICD 10-Code C00-97) im Lockdown 2020 weniger vorstellig waren, da sie aufgrund dieser
beiden Risikofaktoren als besonders gefährdet für eine COVID-19-Infektion galten.
Die anderen Diagnosegruppen zeigten keine signifikanten Unterschiede im Durchschnittsalter
([Tab. 2 ]).
Tab. 2
Altersdurchschnitt (in Jahren) einzelner Diagnosegruppen vorstelliger Patienten im
Untersuchungszeitraum in 2018, 2019 und 2020: bösartige Neubildungen der Haut; gutartige
Neubildungen; bullöse Dermatosen; papulosquamöse Hautkrankheiten; Virusinfektionen,
die durch Haut- und Schleimhautläsionen gekennzeichnet sind. Als Analysemethode wurde
der Mann-Whitney-U-Test verwendet.
Diagnosegruppen nach ICD-10-Codes
Untersuchungszeitraum 16.03.–03.05.
2018
2019
2020
p-Werte im Vergleich zu 2018
p-Werte im Vergleich zu 2019
C00-97
69,4
73,0
63,4
< 0,001
< 0,001
D10-36
34,4
39,0
38,4
0,287
0,994
L10-14
66,0
64,0
63,0
0,319
0,909
L40-45
49,0
51,0
48,0
0,778
0,165
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, im Vergleich zu den beiden Vorjahren, einen signifikanten Patientenrückgang
verbunden mit einem signifikanten Anstieg der Absagen im Jahr 2020. Mit dem Beschluss
der hessischen Landesregierung vom 17. März 2020, das öffentliche Leben größtenteils
einzuschränken, war die Anzahl der abgesagten und versäumten Termine gestiegen und
nahm erst Ende April im Zusammenhang mit den ersten Lockerungen zur Eindämmung der
Pandemie stetig ab. Am 27. April wurde eine schrittweise Lockerung der Beschränkungen
in der medizinischen Versorgung beschlossen [17 ]. Zu Beginn der politischen Maßnahmen haben viele Patienten ihren Termin versäumt.
Dies könnte durch die Unsicherheit der Patienten im Umgang mit einer Pandemie erklärt
werden. Neben der Angst vor der Pandemie können auch Faktoren wie die tägliche Berichterstattung
der Medien und die Betreuung der Kinder, welche durch landesweite Schulschließungen
während der Pandemie zu Hause betreut werden mussten, die hohe Zahl der Absagen mitbegründen.
Die Patienten konnten nicht wie gewohnt in Begleitung die Hochschulambulanz (HSA)
aufsuchen. Gerade für ältere Menschen könnte dies ein Hindernis darstellen. Die dermatologische
Hochschulambulanz befindet sich im Gebäude des Universitätsklinikums in Marburg, in
dem nach Vorgabe der Klinikleitung Hygienemaßnahmen, wie die Einhaltung von Abständen,
das Tragen eines Mund-Nasenschutzes, Besuchsverbote und Symptombefragungen umgesetzt
worden waren. Diese Maßnahmen könnten sich auf das Besucherverhalten der Ambulanz
ausgewirkt haben. Das hoch frequentierte Universitätsklinikum mit großen Menschenmengen
könnte ebenfalls bei vielen Patienten zu einer Angst vor einer Ansteckung geführt
haben.
Allerdings war der Patientenrückgang nicht nur in der Klinik zu sehen, sondern war
auch bei niedergelassenen Dermatologen erkennbar, sodass nicht davon ausgegangen werden
kann, dass Patienten ihre Behandlung dort haben durchführen lassen [18 ].
Nicht nur in der Dermatologie war ein Rückgang der Patientenvorstellungen zu sehen,
sondern auch in Notaufnahmen sowie im stationären und ambulanten Bereich aller Fachrichtungen
[18 ]
[19 ]
[20 ]. Auch Studien aus anderen Ländern wie den USA dokumentieren einen deutlichen Patientenrückgang
[21 ]. Es ist zu vermuten, dass durch die zahlreichen Absagen der Patienten Erkrankungen
später diagnostiziert wurden, Therapieerfolge dadurch minimiert wurden und sich dadurch
Prognosen einiger Patienten verschlechtert haben. Diese Vermutungen stimmen mit unseren
persönlichen Erfahrungen überein.
V. a. in der Gruppe der bösartigen Neubildungen der Haut ist das Durchschnittsalter
der vorstelligen Patienten im Jahr 2020 im Vergleich zu den beiden Vorjahren signifikant
gesunken. Patienten mit einem hohen Alter und einer malignen Erkrankung waren im Lockdown
im Frühjahr 2020 seltener vorstellig. Dies führte einerseits zu diagnostischen und
therapeutischen Verzögerungen und andererseits zu schlechteren Prognosen und einem
erhöhten Aufkommen dieser Patienten im fortgeschrittenen Stadium im Sommer 2020. Gerade
maligne Erkrankungen bedürfen einer zeitnahen Diagnostik und Therapie [2 ].
Obwohl laut aktuellem Forschungsstand ein hohes Alter und das männliche Geschlecht
als Risikofaktoren für einen prognostisch ungünstigeren Verlauf der COVID-19-Infektion
gelten, konnte die Studie keinen weiteren Einfluss auf die Parameter Geschlecht und
Durchschnittsalter nachweisen [10 ].
Des Weiteren ist bei der Anzahl der Erstvorstellungen in der Hochschulambulanz ein
starker Rückgang zu erkennen. Gerade in dieser Gruppe sind die Folgen des Nichterscheinens
auf die Gesundheit des jeweiligen Patienten ungewiss. Es ist zu vermuten, dass viele
Patienten die Dringlichkeit einer Behandlung aufgrund fehlender Fachkenntnisse nicht
sicher beurteilen konnten.
Die Erkenntnisse der Studie sollten dazu beitragen, in womöglich kommenden Pandemien
bzw. erneuten COVID-19-Wellen die Auswirkungen auf die medizinische Versorgung zu
minimieren. Patienten muss von Politik, Wissenschaft und Medien vermittelt werden,
dass trotz Pandemie und Kontaktbeschränkung die medizinische Versorgung weiterhin
bestehen bleibt. Die Folgen einer Absage von Terminen zu Vorsorgeuntersuchungen wie
auch während laufenden Behandlungen oder bei akuten Beschwerden müssen den Patienten
bewusst gemacht werden. Auch seitens der Politik ist in weiteren Studien zu untersuchen,
welche Folgen das Absagen von nicht medizinisch dringlichen Eingriffen auf die Gesundheit
der betroffenen Menschen hat.
An der Studie ist zu kritisieren, dass, wie bereits oben erwähnt, auch andere Faktoren
wie die Angst vor der Pandemie den Patientenrückgang und Schwankungen an einzelnen
Tagen mitbegründen können. Da es sich um ein retrospektives Studiendesign handelt,
wurden die Patientendaten nicht eigenständig erfasst, sondern durch das medizinische
Personal der Hochschulambulanz.
Abkürzungen
COVID-19:
Coronavirus-Krankheit 2019
HSA:
Hochschulambulanz