PSYCH up2date 2022; 16(02): 129-143
DOI: 10.1055/a-1726-5028
Angststörungen, Zwangsstörungen und stressassoziierte Störungen

Cyberchondrie – ein neues Verhaltenssyndrom?

Astrid Müller
,
Eva Baumann
,
Marie-Luise Dierks

Eine aktive Online-Suche nach gesundheitsbezogenen Themen ist für viele Menschen nützlich, birgt allerdings auch Risiken. So kann eine extensive gesundheitsbezogene Online-Recherche oder übertriebenes digitales Self-Tracking in Verbindung mit erhöhter Krankheitsangst die Entwicklung eines Verhaltenssyndroms begünstigen, das als „Cyberchondrie“ bezeichnet wird.

Kernaussagen
  • Unter Cyberchondrie wird ein noch unvollständig definiertes Verhaltenssyndrom verstanden, das mit Krankheitsangst im Sinne einer Hypochondrie und extensiver Onlinesuche nach gesundheitsbezogenen Informationen und/oder Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen zur Selbstvermessung und -beobachtung verbunden ist.

  • Anonyme, niedrigschwellige, schnelle und Raum-Zeit-unabhängige Zugänglichkeit, sowie die Verfügbarkeit einer unüberschaubaren Informationsmenge und -vielfalt sind Charakteristika des Internets, die das Sicherheit suchende Verhalten von Menschen mit Krankheitsangst mutmaßlich stärken.

  • Neben Krankheitsangst tragen auch persönliche Internetnutzungsmotive und Erwartungen zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Cyberchondrie bei.

  • Das Reassurence-Seeking-Modell von Starcevic und Berle [21] und das metakognitive Modell von Fergus und Spada [22] bieten Erklärungsansätze für Cyberchondrie.

  • Bisherige Studien erlauben keinen Aufschluss darüber, ob sich die problematische Internetnutzung von Menschen mit Cyberchondrie ausschließlich auf die gesundheitsbezogene Internetrecherche oder auch auf andere Internetanwendungen bezieht.

  • In der Therapie sollten bekannte Behandlungsansätze für Hypochondrie angewendet und neben der übertriebenen Krankheitsangst auch der damit verbundene problematische Internetgebrauch adressiert werden.

  • Die Bedeutung von digitaler Gesundheitskompetenz für das Phänomen der Cyberchondrie ist bislang unzureichend geklärt. Gegenstand von Interventionsstudien und Bestandteil der Therapie sollten die Reflexion der subjektiv erlebten digitalen Gesundheitskompetenz und die Sensibilisierung für eine nachhaltig funktionale Nutzung von Online-Gesundheitsinformationen sein.

  • Aufklärung und Stärkung der (digitalen) Gesundheitskompetenz der Bevölkerung sowie Sensibilisierung der Anbieter digitaler Informationen sind für die Prävention und die Nutzung von Unterstützungsformen relevant.



Publication History

Article published online:
16 March 2022

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