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DOI: 10.1055/a-1773-9552
Buchbesprechung
Wildvogelhaltung
Unter diesem eher schlicht anmutenden Titel legen die beiden Herausgeber als renommierte Kenner der Materie ein seitenstarkes Kompendium für diese sehr spezielle Form der Tierhaltung vor. Letztere basiert auf einer minutiösen Kompilation von essenziellen Fakten aus der Wildvogelhaltung seit etwa 70 Jahren, die nicht mit der gewerbsmäßigen Zucht von Ziervögeln (Wellensittich, Reisfinken etc.) gleichgesetzt werden darf. So wurde aus der Praxis heraus ein empirisches Wissen geschaffen, das Grundlage neuer Forschungsergebnisse werden konnte. Daher sind wissenschaftlich nicht so einfach vermittelbare Zusammenhänge in diesem Werk für Vogelhalter, Zoo- und Vogelparkprofis, versierte Privathalter, Fachtierärzte, Amtstierärzte, Verantwortliche in Wildtierschutz-Stationen und Vogelwarten sowie für Behördenvertreter, in deren Händen die Überwachung des Tier- und Artenschutzes liegt, gleichermaßen gut verständlich aufbereitet.
Nicht nur dem noch prädigital geprägten Leser wird es zur Freude gereichen, dieses mehr als 1000 Seiten starke Fachbuch aufzuschlagen: Reich bebildert, übersichtlich gegliedert, versehen mit einem Fazit pro Kapitel und einem umfangreichen Inhaltsverzeichnis, deckt es in drei Teilen ein weites Spektrum dieser so speziellen Mensch-Tier-Beziehung ab. Das Werk wird aber auch für den intimen Kenner zur Fundgrube, etwa, wenn es um die Partnerwahl durch genmodulierte MHC-Moleküle geht, die sogar die Erkennung der eigenen Eier ermöglichen sollen. Was wohl Kuckuck & Co. mit mehr als 100 bekannten Brutschmarotzer-Arten dazu sagen würden?
Teil I widmet sich den artenübergreifenden Aspekten, von denen hier beispielhaft die Kapitel Ethik, Hygiene und Zoonosen genannt seien. Die überzeugenden Argumente im ersteren (S. 54 ff.) sind auf alle Wildtiere in Menschenhand übertragbar und weisen den rein emotional ausgerichteten Tier- und Artenschutz in seine Schranken. Zudem können mangelnde Hygiene und Prophylaxe eine verantwortliche Wildvogelhaltung rasch in Frage stellen. Vögel aus Beständen mit Verlusten durch Zoonosen (z. B. Tuberkulosen, S. 344 ff.) dürfen nicht für Wiedereinbürgerungen eingesetzt werden. Derartige Projekte sind unglaubwürdig und erweisen der Wildvogelhaltung einen Bärendienst, wie im Kapitel über die Zoonosen eindrucksvoll bestätigt wird.
Aus dem kulturhistorischen Rückblick erschließt sich der wichtige Unterschied von Wildvogelhaltung zur Ziervogelzucht von selbst. Ein schönes Beispiel dafür sind die Hühnerrassen: Waren 1858 in Europa nur sechs Rassen bekannt, waren es 1866 bereits 17.
In Teil II werden von ausgewiesenen Fachleuten die Vertreter von 26 Ordnungen und im Teil III insgesamt 17 Familien der Ordnung Passeriformes sehr detailliert abgehandelt. Dahinter verbirgt sich eine unschätzbare Erfahrung, die so als faktisches Wissen vermittelt wird.
In der Kurzbiografie der Autoren finden sich deren Adressen. Möge dies zu einem lebhaften Erfahrungsaustausch zum Wohle der Wildvögel gereichen.
Dem Buch wünsche ich eine ebenso rasante Verbreitung wie den oben angeführten Hühnerrassen.
Prof. Dr. Henning Wiesner, München im Januar 2022
Fachtierarzt für Zoo- und Wildtiere
Fachtierarzt für Anästhesiologie
Fachtierarzt für Tauben und Ziervögel
Akademie für Zoo- und Wildtierschutz e. V.
Publication History
Article published online:
06 May 2022
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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany