Aktuelle Kardiologie 2022; 11(04): 367-368
DOI: 10.1055/a-1786-0043
Leserbrief

Kritik am Artikel zu 5G: Aussagen entsprechen nicht dem Stand der Forschung

Jörg Schmid
1   Ärzte-Arbeitskreis digitale Medien, Stuttgart, Deutschland
,
Thomas Thraen
1   Ärzte-Arbeitskreis digitale Medien, Stuttgart, Deutschland
,
Peter Hensinger
2   diagnose:funk, Stuttgart, Deutschland
› Institutsangaben

Der Beitrag „Gesundheitsrisiko Mobilfunkstrahlung? Was ändert sich mit 5G“ von Röösli et al. macht drei Hauptaussagen: 1. Durch 5G steige die Gesamtexposition nicht an. 2. Da bei der Strahlung von GSM, UMTS und LTE keine gesundheitlichen Auswirkungen nachgewiesen werden konnten, sei auch 5G unbedenklich. 3. Es gebe zwar beobachtete Effekte auf das Gehirn und das oxidative Gleichgewicht, aber ohne Folgen für die Gesundheit [1]. Diese Aussagen entsprechen nicht dem Stand der Forschung. 4. Auch handelt Prof. Röösli gegen das Transparenzgebot, indem er seine Nähe zur Mobilfunkindustrie verschweigt.

1. Die digitale Transformation mit dem Ziel, alles per 5G-Mobilfunk zu vernetzen, führt zu einer Erhöhung der Strahlenbelastung. Das wird im achten Mobilfunkbericht der Bundesregierung prognostiziert und durch erste Messungen bewiesen [2].

2. Zu GSM (Global System for Mobile Communications), UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) und LTE (Long Term Evolution) weisen Studien Risiken im nicht thermischen Bereich nach, z. B. die Salford-Studien zur Öffnung der Blut-Hirn-Schranke, die NTP-, Ramazzini- und AUVA-Studien zu Wirkungen auf die DNA und Krebs [3] [4] [5] [6]. Die an den Studien beteiligten Wissenschaftler weisen Zweifel an der Relevanz dieser Studien für die Gesundheit zurück. Zu verschiedenen Endpunkten liegen über 100 Reviews vor [7].

2021 publizierte der Technikfolgenausschuss des Europäischen Parlaments STOA die Studie „5G and Health“, die die Studienlage zu Krebs und Fertilität aufarbeitet, mit folgenden Schlüssen:

  • In der Zusammenschau der Ergebnisse aus der Epidemiologie, In-vivo- und In-vitro-Studien liegen Nachweise für ein krebsauslösendes Potenzial der bisher angewandten Mobilfunk-Frequenzbereiche von GSM, UMTS und LTE (700 bis 3800 MHz) vor, ebenso zu negativen Auswirkungen auf die Fertilität.

  • Zu 5G im höheren Frequenzbereich (24,25 bis 52,6 GHz) liegen keine angemessenen Studien vor. Deswegen sei 5G ein Experiment an der Bevölkerung [8].

Röösli enthält den Leser*innen diese Ergebnisse vor. Da zu 5G keine ausreichende Forschung vorliegt, gibt Röösli Nicht-Wissen als Wissen aus.

3. Die Behauptung, beobachtete Effekte hochfrequenter elektromagnetische Felder (EMF) hätten keine negativen Einflüsse, ist falsch. Röösli selbst war an einer Studie beteiligt, die nachweist, dass EMF von Mobiltelefonen sich nachteilig auf die Entwicklung der Gedächtnisleistung auswirken [9]. Einzelstudien und Reviews zeigen signifikante Zusammenhänge mit Kopfschmerzen und Erschöpfung [10].

Rööslis richtige Feststellung „Die Produktion von ROS könnte theoretisch aber auch ein Indiz für längerfristige schädliche Auswirkungen sein“ steht im Widerspruch zu seiner Entwarnungsbotschaft. Das Risiko ist nicht theoretisch, das weisen die Reviews von Naziroglu/Akman (2014), Yakymenko et al. (2015) und Schürmann/Mevissen (2021) nach [11] [12] [13].

Unverantwortlich ist die Aussage, Mobilgeräte könnten ohne Bedenken in der Nähe der Reproduktionsorgane genutzt werden. Mit dieser Botschaft fällt Röösli selbst hinter Empfehlungen in Bedienungsanleitungen zurück, Geräte nicht körpernah zu nutzen. Röösli umgeht eine Gesamtschau der Studienlage mit dem anekdotischen Hinweis auf eine (!) epidemiologische Studie (Hatch et al. 2021) und der Behauptung, dass „kein Einfluss“ (Röösli) auf die Spermienqualität bestehe [14]. Das Studienergebnis zeigt hingegen Hinweise auf eine Einwirkung bei einem BMI von < 25. Die Auswertung von mehr als 60 Studien zur Fertilität nimmt dagegen die STOA-Studie vor und kommt zu dem Schluss, dass das Risiko bewiesen ist, aktuell bestätigt durch den Review von Kim et al. (2021) [15].

4. Dass Rööslis Publikation in Aktuelle Kardiologie angenommen wurde, ist wegen dessen leicht überprüfbaren Verstoßes gegen das Transparenzgebot unverständlich. In seiner Erklärung zum Interessenkonflikt erweckt er den Anschein, die Stiftung, der er angehörte, sei eine Abteilung der ETH Zürich. Tatsächlich hat diese aber lediglich Räume im ETH-Gelände gemietet. Und v. a.: Die Stifter sind die Schweizer Mobilfunkfirmen Swisscom, Salt und Sunrise, die Sponsoren sind Swisscom, Salt, Sunrise, Ericsson und Huawei [16]. Rööslis Rolle im Geflecht von Politik, Industrie und Wissenschaft analysieren Dokumentationen der EU-Abgeordneten Buchner/Rivasi und des Journalisten-Netzwerkes Investigate Europe, auch die lobbyistische Rolle der ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection), für die er agiert [17].

Eine ausführliche Stellungnahme, initiiert vom Ärzte Arbeitskreis digitale Medien Stuttgart, steht auf www.diagnose-funk.org/1798.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
08. August 2022

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