Z Geburtshilfe Neonatol 2022; 226(06): 424-426
DOI: 10.1055/a-1786-7676
Geschichte der Perinatalmedizin

„… unter Mitwirkung der Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie“

Einige Anmerkungen zum 150. Gründungsjubiläum der Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie
Andreas D. Ebert
,
Matthias David

Es ist oft hilfreich, einen Blick in die Geschichte unseres Fachgebietes und seiner traditionsreichen deutschen Zeitschriften zu werfen, wenn man heute darangeht, ein aktuelles Thema wissenschaftlich zu bearbeiten [1] [3] [4] [5] [6]. Es gibt kaum einen Aspekt, für den sich keine zeitgenössische Quelle finden lässt. Und es gibt historisch bedingt kaum eine deutschsprachige Quelle, die heute im angloamerikanischen Schrifttum ordentlich bzw. überhaupt noch zitiert wird.

Bei einer Literaturrecherche zu einem wissenschaftlichen Thema fiel den Autoren nebenbei auf, dass die „Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie“ (ZGN) in diesem Jahr ihr 150-jähriges Jubiläum feiern könnte ([Tab. 1]) [7]. Interessanterweise stand an der Wiege dieser Zeitschrift die am 13. Februar 1844 in Berlin von dem praktischen Arzt und Geburtshelfer Carl Wilhelm Mayer (1795–1868) und 11 Kollegen gegründete „Gesellschaft für Geburtshülfe“, deren ab 1845 publizierte Verhandlungen den inhaltlichen Grundstock für die weitere Zeitschriftenentwicklung bildeten [1] [2] [3] [4]. Die Verhandlungen der geburtshilflichen Gesellschaft wurden 1872–1875 in den „Beiträgen zur Geburtshülfe und Gynäkologie“ ([Abb. 1a]) publiziert, worauf sich ein aktuell 150-jähriges Jubiläum beziehen würde [1] [8]. Nun wurde es historisch etwas unübersichtlich: Am 9. Dezember 1873 spaltete sich die Berliner „Gesellschaft für Gynäkologie“ unter dem damaligen Ordinarius Eduard Arnold Martin (1809–1875) von der alten „Gesellschaft für Geburtshülfe“ ab und gründete die „Zeitschrift für Geburtshülfe und Frauenkrankheiten“ [1] [9], die jedoch unter der Herausgeberschaft von E. A. Martin und Heinrich Fasbender (1843–1914) nur in einem Band erschien ([Abb. 1b], [Abb. 2]). Da die beiden Gesellschaften unter Martins Nachfolger Carl Schröder (1838–1887) am 9. Mai 1876 – unter dem neuem Namen „Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie zu Berlin“ – wieder fusionierten [1] [2], änderte sich konsequenterweise im nächsten Band auch der Name ihres Publikationsorgans in „Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie“ ([Abb. 2]) [1] [2] [3] [10].

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Abb. 1 a Titelblatt der „Beiträge zur Geburtshülfe und Gynäkologie“ (Quelle: medizinhistorische Sammlung Prof. Ebert) und b der „Zeitschrift für Geburtshülfe und Frauenkrankheiten“ [9].
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Abb. 2 Der von Heinrich Fasbender zeitgenössisch beschriebene Übergang von den „Beiträgen“ und der „Zeitschrift für Geburtshülfe und Frauenkrankheiten“ zur „Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie“ [9].

Tab. 1 Die Entwicklung der Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie. Daten nach [1] [3] [4] [5] [6] [7]

Jahr

Titel der Publikation

Herausgeber

Verlag

1872–1875

Beiträge zur Geburtshülfe und Gynäkologie

Gesellschaft für Geburtshilfe in Berlin (GGB, gegr. 1844)

August Hirschwald, Berlin

1876/1877

Zeitschrift für Geburtshülfe und Frauenkrankheiten

Dito. Es erscheint nur 1 Band mit 3 Heften

Enke, Stuttgart

1877–1971

Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie (ab 1949 „Geburtshilfe“)

Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin (GGGB, fusioniert 1876) bis Band 154, dann keine institutionelle Bindung

Enke, Stuttgart

1972–1994

Zeitschrift für Geburtshilfe und Perinatologie

Wechselnde Herausgeber

Thieme, Stuttgart

1995–dato

Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie

Wechselnde Herausgeber

Thieme, Stuttgart

Der I. Band der Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie unter Mitwirkung der Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie ([Abb. 3]) erschien 1877 ohne erklärendes Vorwort beim Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart [10]. Als Herausgeber wurden Carl Schröder, Louis Mayer (1829–1890) und Heinrich Fasbender aufgeführt [10]. Zu den späteren Herausgebern gehörten bis zur deutschen Teilung 1949 immer führende Vertreter unseres Fachgebietes, so u. a. Robert von Olshausen (1835–1915), Max Hofmeier (1854–1927), Karl Franz (1870–1926) und Walter Stoeckel (1871–1961). Ihnen sollten bis heute zahlreiche namhafte Kollegen folgen.

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Abb. 3 Die 1877 gegründete Zeitschrift gehörte fast 100 Jahre zu den wichtigen deutschsprachigen Journalen der Geburtshilfe und Gynäkologie bevor sie eine führende deutsche Zeitschrift der Geburtshilfe und Perinatologie (1972) bzw. Neonatologie (ab 1995) wurde [10].

Im Zweiten Weltkrieg kam es spätestens ab 1943/44 zu einem massiven Papier- und Arbeitskräftemangel bei den Verlagen sowie zu einer ständigen Bedrohung durch alliierte Bombenangriffe. Für Publikationen galt schon ab dem 15. Mai 1943 der „Aufruf des Reichsgesundheitsführers [Leonardo Conti, die Verff.] über wissenschaftliche Veröffentlichungen“: „Im Kriege ist es aus verschiedenen Gründen nicht möglich, in der medizinischen Fachpresse alle Arbeiten im gewünschten Umfange mit ihrem vollen Ergebnis zu veröffentlichen. Dadurch entstehen unter anderem auch für den ärztlichen Wissenschaftler und Forscher Schwierigkeiten, z. B. bezüglich seines Prioritätsrechtes. Aus all diesen Gründen bitte ich, alle Originalmanuskripte unter Beifügung sämtlicher Unterlagen und eines kurzen Referates – soweit sie nicht in der medizinischen Fachpresse erscheinen können – an meine Dienststelle (Berlin W35, Tiergartenstr. 15) zu senden. Die Arbeiten werden dadurch an einer neutralen Stelle deponiert. Alle Autorenrechte der Einsender in bezug auf eine spätere, vollständige Veröffentlichung bleiben dadurch völlig unberührt. Conti“ [11]. 1944 stellte auch die Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie mit Band 126 ihr Erscheinen zunächst ein. 1947 erschien sie wieder ab Band 127 mit dem lakonischen Vermerk „Seiten 115–144 ausgefallen“. 1950 wurde der Zeitschriftentitel geändert, der nun - statt „Geburtshülfe“ - „Geburtshilfe“ lautete und den veränderten Titelblattzusatz „Unter Mitwirkung von zahlreichen Fachgenossen sowie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie bei der Universität Berlin“ führte [12].

Ein weiteres wichtiges Jahr in der Geschichte der „ZGN“ war das Jahr 1960. Der greise Walter Stoeckel legte wenige Monate vor seinem Tod, aber auch vor der Zementierung der deutschen Teilung durch den „Mauerbau“ 1961 nach der Herausgabe von insgesamt 64 Bänden sein Amt nieder [13]. Ab Band 155 übernahmen der im Westen Deutschlands wirkende Stoeckel-Schüler Ernst Philipp (1893–1961), Ordinarius in Kiel, und dessen ehemaliger Assistent Herbert Huber (1907–1977), Ordinarius in Marburg, die Herausgeberschaft. Die Berliner Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie verschwand 1960 für immer vom Titelblatt „ihrer“ Zeitschrift [14]. Elf Jahre später wurde die inhaltliche Zielrichtung der Zeitschrift von den damaligen Herausgebern Hugo Jung (1928–2017), Karl-Heinrich Wulf (1928–2016) und Fred Kubli (1930–1987) konsequent und den wissenschaftlichen Erfordernissen entsprechend auf die „Perinatologie“ ausgerichtet [15]. Die Gynäkologie verschwand nun völlig aus dem Titel. Erst 1995 erhielt die Zeitschrift unter der Schriftleitung von Werner Rath (geb. 1950) und des damaligen Herausgeber- und Beiratsteams ihren bis heute gültigen Namen, indem die „Neonatologie“, inhaltlich klar definiert und zeitgemäß, nun wiederum die „Perinatologie“ ersetzte [16].

Hans Ludwig, einer der wichtigsten Chronisten unseres Fachgebietes in den letzten Dezennien, prophezeite schon 1986: „Die Zukunftsprognose für wissenschaftliche Zeitschriften ist düster. Zwar wächst der Bedarf an Information unaufhörlich und mit ihm die Zahl der neuen Zeitschriften für immer kleinere Spezialgebiete, aber es ist schon abzusehen, dass die Konkurrenz um gute Manuskripte in naher Zukunft tödlich werden wird (…) Man kann sich vorstellen, daß man in wenigen Jahrzehnten kaum noch in einer Zeitschrift blättern wird, sondern die Information über den Personalcomputer abruft.“ [17].

In dieser Zeit leben wir nun mit allen Vor- und Nachteilen der globalen digitalen Informationswelt. Und immer mehr Verlage gehen heute aus rein ökonomischen Erwägungen zum Publizieren in englischer Sprache über. Natürlich hat sich in den letzten Jahren auch in der ZGN der Anteil englischsprachiger Arbeiten vermehrt. Die Beibehaltung einer Bilingualität erfolgte bewusst, um jungen Kolleginnen und Kollegen ein Forum zu bieten, in dem sie wissenschaftliche Arbeiten in ihrer Muttersprache auch dann veröffentlichen können, wenn sie vielleicht mit dem englischsprachigen Publizieren noch nicht so vertraut sind. Vor diesem Hintergrund werden einige wenige renommierte, ursprünglich deutschsprachige Fachzeitschriften auch die nächsten Jahre digital überleben, wenn es ihnen weiterhin gelingt, auch ihr genuines Publikum, die deutschsprachigen Ärztinnen und Ärzte in den Praxen und Kliniken Deutschlands, aber auch der Schweiz und Österreichs, durch Inhalte zu überzeugen und gleichzeitig die Wissenschaft international zu fördern.

Möge die alte Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie auch noch lange nach ihrem 150. Geburtstag , wann immer er offiziell begangen wird, zu ihnen gehören.



Publication History

Article published online:
08 December 2022

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  • Literatur

  • 1 Martin A, Veit J.. Geschichte der Gesellschaft für Geburtshülfe und Gynäkologie zu Berlin 1844–1894. Stuttgart: Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft; 1894: S. XVI-XVII
  • 2 Ebert AD, David M.. Vivat! Crescat! Floreat! – Zum 175. Gründungsjubiläum der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin. Geburtshilfe Frauenheilk 2019; 79: 335-338
  • 3 Martin A, Senger M.. Zur Geschichte der deutschen gynaekologischen Zeitschriften-Literatur und unser Programm. Monatsschr Geburtshilfe Gynäkol 1895; 1: 1-7
  • 4 Martin A.. Zur Geschichtsschreibung der Frauenheilkunde. Monatsschr Geburtshilfe Gynäkol 1925; 69: S. 229ff
  • 5 Kossmann R.. Allgemeine Gynaecologie. Berlin: Verlag August Hirschwald; 1903: S. 194
  • 6 Fasbender H.. Geschichte der Geburtshilfe. Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung, 1964 . Reprint; Jena: G. Fischer Verlag; 1906: S. 372
  • 7 https://zdb-katalog.de/title.xhtml?idn=010681477&tab=4 letzter Zugriff 16.08.2022
  • 8 v Haselberg O, Mayer L, Fasbender H. Hrsg. Beiträge zur Gynäkologie und Geburtshülfe. Herausgegeben von der Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin. Berlin: Verlag August Hirschwald; 1872
  • 9 Martin EA, Fasbender H. Hrsg. Zeitschrift für Geburtshülfe und Frauenkrankheiten. I.. Band. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag; 1876
  • 10 Schröder C, Mayer L, Fasbender H. Hrsg. Zeitschrift für Geburtshülfe und Gynäkologie. Band I.. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag; 1877
  • 11 Conti L.. Aufruf des Reichsgesundheitsführers über wissenschaftliche Veröffentlichungen. Zbl Gynäkol 1943; 67: 832
  • 12 Stoeckel W. Hrsg. Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 132. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag; 1950
  • 13 Stoeckel W. Hrsg. Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 154. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag; 1960
  • 14 Philipp E, Huber H. Hrsg. Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 155. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag; 1960
  • 15 Jung H, Kubli F, Wulf H.. Editorial. Z. Geburtsh Perinatol 1972; 176: 1
  • 16 Rath W, Holzgreve W, Speer CP, Rauskolb R. Hrsg. Editorial. Z Geburtsh Neonatol 1995; 199: 1
  • 17 Ludwig H.. Die Entwicklung der deutschsprachigen Zeitschriften im Fach Gynäkologie und Geburtshilfe. In: Beck L, Hrsg. Zur Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Berlin Heidelberg: Springer Verlag; 1986: S. 357-364