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DOI: 10.1055/a-1812-6279
Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
noch eine Krise – neben der Klimakrise, der Desinformationskrise mit der Polarisierung unserer Gesellschaften und der Corona-Pandemie, die sicherlich nicht die letzte ihrer Art bleiben wird, bedrückt und beschäftigt uns jetzt der Krieg in der Ukraine. Unfassbar, ungerecht und fast unmittelbar vor unserer Haustür.
Der Krieg löst viele verschiedene Gefühle und Reaktionen in uns aus, ganz dominant ist bei den meisten der Wunsch, dieser destruktiven Kraft etwas entgegensetzen zu wollen. Wir möchten die Situation nicht einfach hinnehmen, wir möchten helfen. Was können wir als Privatmenschen und Mediziner hier in Deutschland also tun, um für die Menschen in der Ukraine und für geflüchtete Ukrainer die Situation zu verbessern? Da sind zum einen die humanitäre und die medizinische Hilfeleistung. Wir können spenden und uns um Geld- und Sachspenden von Lebensmitteln, Kleidung, medizinischen Instrumenten und Medikamenten bemühen.
Aber es stellt sich auch die Frage, ob wir auf Ebene der urologischen Fachgesellschaften etwas erreichen können, das über die humanitäre Hilfe für die Leidtragenden des Krieges hinausgeht. In ihrem Internetauftritt macht die European Association of Urology (EAU) klar, dass sie diesen Krieg, wie auch Krieg und Gewalt im Allgemeinen, als Mittel der Konfliktlösung verurteilt und ablehnt. Die EAU hat sich dazu entschlossen, alle gemeinsamen Aktivitäten mit russischen und weißrussischen urologischen Fachgesellschaften bis auf Weiteres zu beenden und führt dazu folgende Begründung an: Auch wenn die russischen und weißrussischen Wissenschaftler, Forscher und Mediziner nicht persönlich für diesen Krieg verantwortlich seien, so seien es doch deren Staaten und Regierungen, die das Leid über die Menschen bringen und für die desaströse Folgen für Wissenschaft, Gesundheit und Sicherheit verantwortlich sind. Die EAU-Mitgliedschaften (weiß)russischer Urologen und ihr Zugriff auf Fachliteratur und Leitlinien bleiben zwar bestehen, jedoch dürfen sie bis auf weiteres keine Funktionen und Ämter in der EAU und bei EAU-Kongressen mehr ausfüllen. Eine ähnlich gelagerte Frage ist, ob Journale wie die Aktuelle Urologie Einreichungen aus Belarus und Russland ablehnen sollten.
Die Situation ist schwierig und viele stellen sich die Frage, ob ein solches Vorgehen richtig oder falsch ist. Ist das Aktionismus, der womöglich die Situation nur verschlimmert, oder muss ein Zeichen gesetzt werden, dass mit diesem Verhalten von Staaten keine Teilhabe am internationalen wissenschaftlichen Diskurs möglich ist und dass dieser nicht nur auf gemeinsamen wissenschaftlichen Grundlagen, sondern auch auf einer Wertegrundlage beruht?
Angesichts der Komplexität der Probleme und vielleicht überfordert von solchen moralischen Debatten wenden wir uns dem Naheliegenden zu, dem, was wir im Kleinen, ganz persönlich tun können. Ich bin überzeugt davon, dass es in der Natur des Menschen liegt, anderen helfen zu wollen. Seit Kriegsbeginn organisiert und koordiniert die deutsche Gesellschaft für Urologie humanitäre und medizinische Hilfe auf verschiedenen Ebenen. Sie kümmert sich um Übernachtungs- und Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge und koordiniert in Zusammenarbeit mit der Urologischen Gesellschaft der Ukraine die Vermittlung von Unterkunftsmöglichkeiten für geflüchtete ukrainische Urologen und deren Angehörige in Deutschland. Außerdem bemüht man sich um die hiesige Versorgung von ukrainischen urologischen und uroonkologischen Patienten. Für alle Belange in Zusammenhang mit der Ukraine-Hilfe hat die DGU eine E-Mail-Adresse eingerichtet: help-ukraine@dgu.de
Auch viele Kliniken bieten die medizinische Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine an. Im Rahmen der Hilfsaktion des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein wurden Narkose- und Beatmungsgeräte, Monitore sowie Inkubatoren, medizinisches Zubehör, Medikamente und FFP2-Masken über Hilfstransporte in die Ukraine gebracht. Schon Anfang April war eine Spendensumme von über 3 Mio. Euro erreicht worden. Mich freut diese Welle der Hilfsbereitschaft sehr. Sie hilft, sich einen gewissen Optimismus in diesen Zeiten, die viele als Zeitenwende empfinden, zu bewahren.
Mit friedlichem Gruß aus Lübeck,
Axel Merseburger
Publication History
Article published online:
03 August 2022
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