Dialyse aktuell 2022; 26(10): 447
DOI: 10.1055/a-1857-8407
Zum Thema

Folgeerkrankungen bei Nierenkranken

Markus Ketteler

Ein Dauerbrenner im Bereich der Störungen des Mineral- und Knochenhaushalts bei chronischen Nierenerkrankungen ist das Thema Vitamin D. Der aktuelle Fokus wird in dieser Ausgabe quasi auf die historische Entwicklung dieser Therapieform zur Vorbeugung und Behandlung des sekundären renalen Hyperparathyreoidismus (sHPT) aus Sicht der Nephrologie gelegt. Der zweifellos hocheffektive Einsatz von Calcitriol und anderen aktiven Analoga zur PTH-Senkung (PTH: Parathormon) relativierte sich ein wenig, als klar wurde, dass die Nebenwirkungen einer potenziell positiven Kalzium- und Phosphatbilanz mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den kardiovaskulären Verkalkungsphänotyp nierenkranker Menschen substanziell beförderten. Daher warnten die KDIGO-Leitlinien 2017 zumindest bei Patienten in den CKD-Stadien 3–4 (CKD: Chronic Kidney Disease) sogar vor einem „routinemäßigen“ Einsatz dieser Präparate. Ein neues, effektives, aber hinsichtlich der Kalzium- und Phosphathomöostase neutraleres Therapieprinzip könnte nun mit ERC (Extended-Release Calcifediol) zur Verfügung stehen, welches durch eine besondere Galenik den Feedback-Abbau des aktiven Vitamin D nicht relevant antastet und damit zu einer kontinuierlichen und nachhaltigen PTH-Senkung in den Prädialysestadien der Niereninsuffizienz führt, ohne dass ein offensichtlich prokalzifizierendes Ambiente entsteht. Zur Diskussion steht hier jedoch nun ein neuer Zielwert von Vitamin D (25-OH-D), der laut aktueller Studienlage zur Erreichung einer substanziellen PTH-Senkung über 50 ng/ml betragen sollte.

Auch die renale Anämie ist eine ernstzunehmende Folge bei chronischen Nierenerkrankungen. Hier gibt es grundsätzliche Neuigkeiten zur Therapie: Die lange erwarteten, oral verfügbaren „Hypoxie induzierbarer Faktor Prolylhydroxylase-Inhibitoren“ (HIF-PHI) haben nun ihre Marktreife und Zulassung erhalten bzw. sind im Begriff, diese zu erhalten. Roxadustat, Daprodustat und Vadadustat sind die Kandidaten, wobei das Roxadustat 3-mal wöchentlich und die beiden anderen Substanzen täglich verabreicht würden. In der Übersichtsarbeit zur renalen Anämie werden insbesondere der therapeutische Nutzen, Sicherheitsaspekte und die offenen Fragen zur Anwendung der HIF-PHI diskutiert. Schlüsselfragen sind, welche Patientengruppe besonders von diesem neuen Therapieansatz profitieren könnte und bei welchen Patienten eine ESA-Standardtherapie (ESA: Erythropoiesis-Stimulating Agents) eher beibehalten wird.

Schließlich haben wir „aus gegebenem Anlass“ noch einmal eine Bestandsaufnahme zum Krankheitsbild der Kalziphylaxie verfasst. Dieses seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Krankheitsbild war über Jahre mit keinen wesentlichen neuen Erkenntnissen assoziiert. Nach wie vor muss ein multimodaler Therapieansatz gefahren werden, inklusive der Berücksichtigung des Vitamin-K-Haushalts, der Gabe von Natriumthiosulfat, der Optimierung der Kalzium- und Phosphatbilanz sowie einer differenzierten Wundpflege und gegebenenfalls Antibiotikatherapie. Mit SNF472 (parenterales Phytat) steht aber möglicherweise in absehbarer Zeit eine hochpotente verkalkungsinhibierende Substanz zur Verfügung, die in einer placebokontrollierten Studie bei Hämodialysepatienten die Verkalkungsprogression an Aortenklappen komplett unterbinden und an den Koronararterien deutlich reduzieren konnte. Eine ebenfalls randomisierte kontrollierte Studie bei Kalziphylaxiepatienten war im Frühjahr 2022 abgeschlossen worden, die Daten werden bei einem der kommenden großen nephrologischen Kongresse mit Spannung erwartet.



Publication History

Article published online:
12 December 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany