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DOI: 10.1055/a-1885-6976
Kommentar zu „Mit zirkulierender Tumor-DNA gesteuerte adjuvante Chemotherapie von Kolonkarzinomen“
Soll ich einem Patienten nach Resektion seines Kolonkarzinoms (KRK) im Stadium II nach UICC eine adjuvante Chemotherapie empfehlen oder nicht?
Vor dieser der Entscheidung stehe ich regelmäßig in meiner täglichen Praxis. Jedoch sind Evidenz und Hilfs-Konstrukte aus der Leitlinie für diese Entscheidung nur eingeschränkt nutzbar. Als Entscheidungshilfe wurden Risikofaktoren für ein Rezidiv definiert: i) große pT4-Tumore, ii) Tumorperforation/-einriss, iii) Operation unter Notfallbedingungen, iv) Anzahl untersuchter Lymphknoten zu gering (< 12 Lymphknoten). Hier sollte nach Leitlinie eine adjuvante Chemotherapie durchgeführt werden [1].
Für Patienten im Stadium II ohne diese Risikofaktoren beträgt der Vorteil im 5-Jahresüberleben durch eine adjuvante Systemtherapie allerdings nur zwischen 2 % und 5 %. Hier kann nach Leitlinie eine adjuvante Systemtherapie durchgeführt werden im Stadium II mit Fluoropyrimidin wie z. B. Capecitabin als Monotherapie. Ausgenommen hiervon sind MSI-high-Patienten, die aufgrund der deutlich besseren Prognose aktuell keine adjuvante Therapie bekommen, außer bei Vorliegen eines Risikofaktors. Das ist der aktuelle Sachstand in Deutschland 2022.
Die auf dem ASCO 2022 vorgestellte und zeitgleich im NEJM publizierte DYNAMIC-Studie von Tie et al. rückt einmal mehr das Konzept der minimalen Resterkrankung (minimal residual disease) in den Vordergrund. Kann ich abseits der bekannten und etablierten anatomischen und klinischen Risikofaktoren (s. o.) mit postoperativ zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) Patienten im Stadium II definieren, die biologisch ein hohes Risiko für ein Tumorrezidiv haben?
Sind diese Patienten dann nicht sogar als nicht tumorfrei zu definieren, da ctDNA positiv, als Marker für Mikrometastasen?
Kann ich mit dieser präzisionsonkologisch definierten Hochrisikogruppe ein gleiches Outcome bezüglich des Gesamtüberlebens und des rezidivfreien Überlebens erreichen -bei gleichzeitig geringerem Einsatz adjuvanter Chemotherapien mit ihrer toxischen Nebenwirkungen?
Ich denke ja.
Abseits der Probleme mit der Standardisierung der ctDNA-Messmethodik (Assay, Sensitivität, Umlaufzeit der Diagnostik etc.) übertrifft die Messung der postoperativen ctDNA speziell im Stadium II die Bewertung klinisch-pathologischer Risikofaktoren in Bezug auf ihren prognostischen Wert. So ist das Risiko des postoperativ ctDNA-positiven Stadium-II-Patienten, ein Rezidiv zu erfahren, 18-mal höher als bei Patienten, bei denen postoperativ keine ctDNA nachweisbar ist [2].
In der vorliegenden Studie von Tie et al. konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass zum einen die ctDNA-gesteuerte Entscheidungsfindung zu einer adjuvanten Chemotherapie bzw. Nachsorge der etablierten Methode nach klinischen und pathologischen Risikofaktoren nicht unterlegen ist (2-Jahres-DFS 93,5 % bei ctDNA-geführter Behandlung und 92,4 % bei Standardbehandlung). Zum anderen konnte gezeigt werden, dass dieses Ergebnis erreicht wurde, obwohl nur 15 % der Patienten mit ctDNA-geführten Therapieauswahl eine adjuvante Chemotherapie erhielten, also nur etwa halb so viele wie im konventionellen Studienarm (28 %). Erwähnenswert ist allerdings, dass im Standard-Therapiearm Patienten der Hochrisikogruppe, die eine adjuvante Systemtherapie erhalten haben, nur zu 10 % eine Oxaliplatin-haltige Kombinationstherapie erhielten. Die Fluoropyrimidin-Monotherapie wird ja auch von der deutschen S3-Leitlinie empfohlen. Im Arm mit ctDNA-geführter Therapieentscheidung erhielten dagegen 62 % der adjuvant therapierten Patienten eine Oxaliplatin-haltige Kombinationstherapie. Die Entscheidung lag hierbei im Ermessen der Prüfärzte, die sich hier wahrscheinlich von den vorbekannten hohen Rezidivraten postoperativ ctDNA-positiver Patienten leiten ließen. Es wurde also in diesem Arm insgesamt weniger Patienten Chemotherapie verabreicht, dafür allerdings meist die vermeintlich aktivere und toxischere Kombinationstherapie (Stichwort Polyneuropathie).
Der Stellenwert der Kombinationstherapie im Gegensatz zur Fluoropyrimidin-Monotherapie bei ctDNA-positiven Patienten ist aktuell unklar und kann auch in dieser Studie nicht geklärt werden. Ebenso bleibt die Frage ungeklärt, ob nicht Patienten mit klinisch-anatomischen Risikofaktoren und negativer postoperativer ctDNA-Messung vielleicht nicht auch von einer adjuvanten Therapie profitieren würden und man eine Kombination aus klinisch-anatomischen und molekularen Markern benötigt, um das ideale Kollektiv mit dem maximalen Nutzen einer adjuvanten Systemtherapie im Stadium II zu definieren.
Aktuell laufen weitere Studien zu dieser Fragestellung, wie z. B. die deutsche CIRCULATE-Studie (NCT04 089 631), die zusätzlich zur ctDNA als zentraler Basis für die Randomisation auch nach klinisch-anatomischen Risikofaktoren (z. B. pT4) stratifiziert und zusätzlich zu einer weiteren Standardisierung der ctDNA-Diagnostik beitragen wird.
Alles in allem bin ich davon überzeugt, dass dem Konzept der Bestimmung einer minimalen Resterkrankung auch im Bereich der soliden Onkologie, wie hier bespielhaft im Kolonkarzinom, in der Definition von Hochrisikokollektiven die Zukunft gehört und uns bei der Auswahl der „richtigen“ Patienten für adjuvante Therapien weiter voranbringt. Die vorliegende Studie führt aber letztendlich zu keiner unmittelbaren Veränderung unserer täglichen Entscheidungsfindung. Es bleibt spannend.
Publication History
Article published online:
20 September 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft DK, AWMF). S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, Langversion 2.1, 2019, AWMF Registrierungsnummer: 021/007OL. 2019
- 2 Tie J, Wang Y, Tomasetti C. et al. Circulating tumor DNA analysis detects minimal residual disease and predicts recurrence in patients with stage II colon cancer. Sci Transl Med 2016; 8: 346ra392