Ultraschall Med 2022; 43(05): 428-434
DOI: 10.1055/a-1900-8166
Editorial

Digitale Ausbildungsformate in der ärztlichen Ultraschalldiagnostik: Welche Angebote stehen zur Verfügung und wie kann eine Integration in bestehende DEGUM zertifizierte Kurskonzepte gelingen?

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Valentin Blank
,
Deike Strobel
,
Thomas Karlas
 

Einleitung

In den letzten beiden Dekaden hat sich unser Leben durch technische Entwicklungen so schnell gewandelt wie selten zuvor. Viele Bereiche unseres Alltags sind bereits „digital transformiert“ und wir nutzen ganz selbstverständlich die daraus entstehenden Möglichkeiten. Virtuelle Konferenzen, digitale Wohnungsbesichtigungen, Datenspeicherung in „Clouds“ und omnipräsente Verfügbarkeit des globalen Wissens am eigenen Smartphone haben unseren Umgang mit Wissen nachhaltig verändert.

Doch welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Ultraschallausbildung? Haben wir die Möglichkeiten der digitalen Wissensvermittlung in der Ultraschalllehre bereits ausreichend genutzt? In diesem Editorial sollen die Facetten und Möglichkeiten digitaler Wissensvermittlung im Ultraschall und die damit verbundenen Anforderungen an die Ultraschallfachgesellschaften beleuchtet werden.

In den letzten beiden Jahren hat die pandemische Lage mit weitreichenden Kontaktbeschränkungen traditionelle Formate der ärztlichen Aus- und Weiterbildung stark beeinträchtigt und hierdurch die Entwicklung digitaler Lehrangebote beschleunigt. Dies hat insbesondere Lehrverantwortliche und Ultraschall-Kursleiter vor die Herausforderung gestellt etablierte Präsenzformate in kurzer Zeit mithilfe digitaler Werkzeuge in Hybrid- und Distanzangebote umzuwandeln, um auch in Pandemiezeiten eine fundierte Ultraschallausbildung gewährleisten zu können. Hieraus sind unterschiedliche Formate entstanden, die von klassischen Podcasts mit simpler Tonspur bis hin zu völlig neuen, praxisorientierten Lehrkonzepte reichen. Beispielhaft zu nennen sind Livedemonstrationen mit kameragestützter Visualisierung der Schallkopfführung [1] und für Studierende der Einsatz von Virtual Reality Formaten mit Einblendung anatomischer Strukturen in den Patientenkörper [2]. Diese z. T. komplexen digitalen Produktionen haben den Referierenden und auch den Kursteilnehmern sowohl die Vorzüge als auch die technischen Herausforderungen der neuen digitalen Angebote vor Augen geführt.

Ein wesentliches Merkmal dieser digitalen Ausbildungsformate tritt besonders hervor: im Gegensatz zu Präsenzformaten kann eine breite Zuhörerschaft erreicht werden, sodass bisher kleine Angebote in Seminargröße nun schnell hunderte Zuhörer in virtuellen Konferenzräumen erreichen können.

Welche digitalen Wissensangebote stehen im Ultraschall bisher zu Verfügung und wie kann eine Integration qualitativ hochwertiger digitaler Ausbildungsformate in bestehende Kurssysteme funktionieren?


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Überblick über digitale Ausbildungsformate

Analog zur Vielfalt klassischer Ultraschalllehrbücher, die sich mit unterschiedlichen Konzepten sowohl an Einsteiger als auch an Ultraschallexperten richten und von didaktisch aufwändig konzipierten Kursbüchern bis hin zu umfassenden Monographien reichen, präsentieren sich auch die digitale Angebote in mannigfaltiger Vielfalt und Qualität. Zu Beginn der Digitalisierung beschränkten sich die Angebote meist auf die Einbettung simpler QR-Codes in bestehende Ultraschalllehrbücher oder die Beilage von Datenträgern mit digitalem Bildmaterial [3] [4] [5]. Hierdurch konnten die klassischen Standbilder durch aussagekräftigere Videoclips ergänzt werden und somit dem Anspruch einer dynamischen Untersuchungsmethode besser Rechnung getragen werden. Ein weiterer Entwicklungsschub entstand durch die ubiquitäre Verfügbarkeit moderner Endgeräte mit großem Datenspeicher und somit der Möglichkeit umfangreiche Nachschlagewerke mit Einbindung effizienter Volltextsuchalgorithmen einem großen Auditorium zugänglich zu machen [6] [7] [8]. Neben dieser inhaltlich meist identischen hybriden Nutzung klassischer Lehrbücher sowohl in digitaler und auch in analoger Form haben sich in den letzten Jahren vermehrt auch ausschließlich digital verfügbare Wissensdatenbanken mit zum Teil ebenfalls lehrbuchartigem Charakter großer Beliebtheit erfreut [7] [8], die in Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung im klinischen Alltag einen raschen Zugriff auf medizinisches Fachwissen erlauben. Für die Qualität solcher Wissensportale sind zwei Punkte wesentlich: (1) es bedarf einer fundierten fachlich-redaktionellen Betreuung, nach Möglichkeit mit peer review Verfahren. (2) Ein professioneller Support durch Grafiker und EDV-Spezialisten ist Voraussetzung um die Einbettung komplexer multimedialer Inhalte zu ermöglichen und dadurch die Chancen digitaler Wissensvermittlung umfänglich zu nutzen. Durch die SARS-Cov-2-Pandemie entstanden ein großer Bedarf und Interesse an einer schnellen Vermittlung neuer diagnostischer Erkenntnisse. Zum Beispiel wurden zahlreiche Studien zur Anwendung der Thoraxsonographie bei Covid-19-positiven Patienten durchgeführt. Hieraus resultierten z. T. umfangreiche Lungensonographieprotokolle [9]. Der Zugriff auf diese Protokolle gelang schnell über die Homepage der DEGUM [10] und wurde unmittelbar nach Veröffentlichung in bestehende Online-Lehrbücher integriert und so einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden [11] [12].

Einen schnellen Zugriff auf Ultraschallpathologien ermöglichen durch klinisch tätige Ultraschallexperten initiierte und ständig aktualisierte digitale Ultraschallbild- und Videosammlungen [13] [14] [15] [16] [17]. Diese nicht kommerziellen und frei verfügbaren Ultraschallatlanten eignen sich für die Einordnung eigener Ultraschallbefunde im klinischen Alltag oder auch für Ultraschallfortbildungen. Daneben entwickeln sich in der Sonographie „Education-Plattformen“, die von der muskuloskelettalen Sonographie über die Notfallsonographie bis hin zu Echokardiographie und zum Gefäßultraschall fast alle klinisch relevanten Themenfelder umfassen und deren Zielgruppen teilweise auch nichtärztliche Berufsgruppen (z. B. physician assistants) ansprechen wollen. Einige Plattformen werden durch die Gerätehersteller moderner und kompakter Handheld-Geräten vorgehalten und erinnern an umfangreiche und z. T. aufwendig produzierte „YouTube-Tutorials“ [18]. In einfacher, leicht verständlicher Art und Weise werden komplexe Untersuchungsschritte durch multimedial aufwendig erstellte Tutorials gelehrt. Häufig werden hierzu Experten auf den jeweiligen Gebieten aus der ganzen Welt angefragt und die Tutorials in englischer Sprache aufgezeichnet [19] [20]. Die kommerziellen Plattformen beinhalten jedoch in der Regel nur Bildmaterial zu den eigenen Ultraschallgeräten und deren Ultraschallverfahren und sind somit nicht Herstellerunabhängig. Insbesondere für die Ausbildung von Studierenden gibt es eine Vielzahl von Lehrtutorials, die häufig durch einzelne Ultraschallinitiativen, Vereine oder studentische Gruppen zunächst für kleinere Gruppen (lokale Universitäten, Ultraschallkurse) konzipiert wurden und dann über Webseiten, YouTube oder ähnliche Multimediakanäle weiterverbreitet werden [18]. Häufig handelt es sich hierbei um aufwändig erstelle Lehrinhalte, die auch von jungen Weiterbildungsassistenten genutzt werden. Neben diesen in der Regel auf einzelne Themen fokussierte Lehrinhalte stehen mittlerweile auch vollständige Kursangebote in digitalen Formaten als zeitlich und örtlich unabhängiges Angebot zu Verfügung [11] [21]. Diese Kurskonzepte sind in der Regel jedoch nicht durch Fachgesellschaften oder Berufsverbände zertifizierungsfähig und beinhalten meist keine praktischen Übungsanteile. Es ist daher umstritten, inwieweit solche Angebote zu einer strukturierten und fachlich qualifizierten Ultraschalllehre beitragen können. Um den fehlenden Praxisanteil zu kompensieren, werden einige dieser Onlinekursangebote mittlerweile durch lokale Präsenzveranstaltungen in Kleingruppen ergänzt [22] [23]. Auch ein „praktisches“ Training am heimischen Computer ist durch Simulator-basierte Anwendungen, die häufig Smartphone-basiert arbeiten, in Zukunft denkbar und bzw. wird bereits eingesetzt [24]. Die Weiter- und Fortbildung in der Ultraschalldiagnostik erfolgt auch über internationale wissenschaftliche Konferenzen oder im Rahmen von Initiativen der Entwicklungshilfe. Auch hierbei ist die digital unterstützte Meeting- und Ausbildungskultur wertvoll. Zusätzlich können erhebliche zeitliche, finanzielle und nicht zuletzt ökologische Ressourcen eingespart werden. Gerade in der Entwicklungshilfe kann hierdurch eine kontinuierliche und anhaltende Unterstützung und Supervision erfolgen [25]. Auch die telemedizinische Betreuung, insbesondere zu Ausbildungszwecken, kann neue spannende Perspektiven eröffnen [26] [27].

Bei allen positiven Bestrebungen einer digitalen Ultraschallausbildung bleibt das Dilemma einer zwingend notwendigen praxisorientierten Ausbildungskomponente. Gerade das strukturierte Erlernen praktischer Abläufe und des Schallkopfhandlings und die unmittelbare Supervision und Interaktion durch den erfahrenen Ausbilder lassen sich bisher nur bedingt virtuell realisieren. Die bisherigen Zertifizierungsanforderungen der Ultraschallfachgesellschaften fordern zu Recht einen hohen Anteil an praktischer Ausbildung in Kleingruppen durch qualifizierte Tutoren. Die Integration praktischer Wissensvermittlung in digitale Lehrformate muss deshalb von Anfang an mit bedacht werden. Nur so kann die dringend erforderliche Zertifizierung digitaler Kursangebote durch Ultraschallfachgesellschaften ermöglicht werden, um auch zukünftig die hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden zu können. In den zurückliegenden Jahren wurden deshalb Konzepte erprobt um auch praktische Skills „in der virtuellen Welt“ anbieten zu können. Die Vorschläge und Angebote reichen von Smartphone-basierten Ultraschallsimulationen [28] [29] über kostengünstige technische Möglichkeiten mit einem an einem Computer anschließbaren „Übungsschallkopf“ zum Training des Schallkopfhandlings [30] bis hin zu aufwendigen Simulatoren, die sogar eine Einblendung anatomischer Leitstrukturen in digitale Ultraschallvolumina basierend auf virtual-reality Anwendungen ermöglichen [2] [31].


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Vorschlag zur Integration digitaler Lehrinhalte in die sonographische Aus- und Weiterbildung

Digitale Angebote gibt es bereits in großer Vielfalt und das Angebot wächst nahezu täglich. [Abb. 1] zeigt exemplarisch einen Überblick über verschiedene Konzepte. Bisher erfolgt keine zentrale Registrierung der Formate z. B. durch Ultraschallfachgesellschaften, wie dies bei DEGUM-zertifizierten Kursangeboten in Präsenzform bisher üblich ist. Aufgabe der wissenschaftlichen Ultraschallfachgesellschaften muss es sein, diese Vielfalt an digitalen Ultraschalllehrangeboten einzuordnen und in Anlehnung an das etablierte Zertifizierungssystem für Präsenzkurse Standards für Qualität und Inhalte zu definieren [32]. Die klinische Sonographie ist eine intellektuell anspruchsvolle Kombination aus theoretischem Wissen mit fundierten praktischen Fertigkeiten und klinischem Denken in direkter Interaktion mit dem Patienten. Die hierfür benötigten Kompetenzen können durch gut strukturierte Ultraschallkurse vermittelt werden. Ausschließlich digitale Lehrangebote, aber auch die Aneinanderreihung von Frontalvorträgen werden diesem Anspruch nicht gerecht. Es ist eine Verknüpfung verschiedener didaktischer Lehrkonzepte notwendig, die an den jeweiligen Kenntnisstand der Teilnehmer angepasst werden sollten. Für Anfänger steht das Erlernen praktischer Fertigkeiten im Vordergrund, wohingegen für Experten eine Fokussierung auf komplexen pathologischen Veränderungen und deren Differenzialdiagnose relevant ist. [Abb. 2] soll Vorschläge und Denkanreize zur Integration digitaler Inhalte in die sonographische Aus- und Weiterbildung liefern. Abhängig vom Wissen- und Ausbildungstand müssen unterschiedliche Inhalte und Fertigkeiten trainiert werden. Insbesondere theoretische Inhalte können bereits vor Beginn der Präsenzveranstaltung in digitaler Form vermittelt werden und zum Beispiel in Form von Antestaten vor Kursbeginn online überprüft werden.

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Abb. 1 Exemplarische Übersicht digitaler Ausbildungsformate im Ultraschall. Source: 123Sonography GmbH; Amboss GmbH; Deepscope; © 2022 Scanbooster UG (haftungsbeschränkt), www.scanbooster.com – Scanbooster® is a registered trademark in Germany; Used with permission. Copyright 2022 SonoSim, Inc; Ultraschall Klinikum Erlangen; Sonokurs Gießen; Dr. med. Valentin Blank.
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Abb. 2 Vorschlag zur Integration digitaler Lehrkonzepte in die Aus- und Weiterbildung. Orange = Theoretische Gundlagen (digital); grün = praktische Übungen (Präsenzformat/Supervision); blau = Überprüfung der Handlungskompetenz (Präsenzformat). IUS = interventional ultrasound; CEUS = contrast enhanced ultrasound.

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Zusammenfassung

Der Bedarf strukturierter Ultraschallausbildung ist weiterhin sehr hoch und übersteigt aktuell das Angebot an Präsenzkursen deutlich. Die Situation hat sich durch das reduzierte Kursangebot während der Covid-Pandemie nochmals zugespitzt. Durch ergänzende digitale Formate können die Angebote erweitert und einer höheren Teilnehmerzahl angeboten werden. Für eine gleichbleibend hohe Qualität der strukturierten Aus- und Weiterbildung müssen jedoch diese Inhalte durch Fachgesellschaften bewertet und zertifiziert werden. Eine Diskussion über die Integration vorhandener Onlineangebote durch die DEGUM und die Entwicklung zertifizierter Kursformate sind dringend notwendig.


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Valentin Blank

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Deike Strobel

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Thomas Karlas

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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Deike Strobel
Department of Internal Medicine 1, Erlangen University Hospital
Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg
Ulmenweg 18
91054 Erlangen
Germany   
Telefon: +49/91 31/8 53 50 00   
Fax: +49/91 31/8 53 52 52   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
05. Oktober 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 Exemplary overview of digital training formats in ultrasound. Source: 123Sonography GmbH; Amboss GmbH; Deepscope; © 2022 Scanbooster UG (haftungsbeschränkt), www.scanbooster.com – Scanbooster® is a registered trademark in Germany; Used with permission. Copyright 2022 SonoSim, Inc; Ultraschall-Klinikum Erlangen; Sonokurs Gießen; Dr. med. Valentin Blank.
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Fig. 2 Proposal for the integration of digital content in ultrasound education and training. Orange = theoretical basics (digital); green = practical exercises (classroom format/supervision); blue = review of practical competence (classroom format). IUS = interventional ultrasound; CEUS = contrast enhanced ultrasound.
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Abb. 1 Exemplarische Übersicht digitaler Ausbildungsformate im Ultraschall. Source: 123Sonography GmbH; Amboss GmbH; Deepscope; © 2022 Scanbooster UG (haftungsbeschränkt), www.scanbooster.com – Scanbooster® is a registered trademark in Germany; Used with permission. Copyright 2022 SonoSim, Inc; Ultraschall Klinikum Erlangen; Sonokurs Gießen; Dr. med. Valentin Blank.
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Abb. 2 Vorschlag zur Integration digitaler Lehrkonzepte in die Aus- und Weiterbildung. Orange = Theoretische Gundlagen (digital); grün = praktische Übungen (Präsenzformat/Supervision); blau = Überprüfung der Handlungskompetenz (Präsenzformat). IUS = interventional ultrasound; CEUS = contrast enhanced ultrasound.