Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2022; 29(05): 203
DOI: 10.1055/a-1909-7781
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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Neue, humanpathogne Anaplasmose

Bakterien der Gattung Anaplasma sind weltweit verbreitet. Sie befallen (je nach Art) verschiedene Blutzellen und vor allem in den gemäßigten Klimazonen sind sie als Krankheitserreger bei Wiederkäuern, Hunden, Katzen und Pferden bekannt.

Humane Anaplasmosefälle sind dagegen eher selten: In Europa wurden seit den 1990er-Jahren bisher insgesamt nur wenige Hundert Fälle nachgewiesen, in den USA zuletzt etwa 5000 Infektionen pro Jahr. Die Patienten leiden unter unspezifischen, influenzaähnlichen Symptomen, wobei viele Infektionen symptomlos verlaufen. Besonders in Nordamerika kommt es jedoch gelegentlich auch zu schwereren Verläufen mit Multiorganversagen, Krampfanfällen und Koma, in einigen Fällen mit Todesfolge.

In der Regel werden diese Erkrankungen durch den von Zecken übertragenen Erreger A. phagocytophilum hervorgerufen, welcher die Granulozyten befällt. Eine weitere Art, vorläufig als A. capra beschrieben, wurde als Erreger humaner erythrozytärer Anaplasmose in China identifiziert. Und auch von A. ovis, A. bovis und A. platys – Erreger wichtiger Viehseuchen – wurden weltweit bereits sporadische Einzelfälle humaner Infektionen gemeldet.

Nun wurde im Regenwald Französisch-Guyanas eine sechste humanpathogene Art entdeckt: Ein 58-jähriger Mann wurde mit Fieber, Myalgie, Kopfschmerzen, Nasenbluten und schwerer Anämie (Hb-Wert: 6,6 g/dl) in ein Krankenhaus der Hauptstadt Cayenne eingeliefert [1]. Nachdem durch groß angelegte mikrobiologische Untersuchungen zahlreiche verbreitete Krankheiten ausgeschlossen wurden, führten DNA-Analysen schließlich zur Entdeckung einer Art, die sich von allen bisher beschriebenen unterscheidet. Das Bakterium wurde nach dem Fluss, an dem der Patient lebt, A. sparouine genannt. Nach einer 3-wöchigen Antibiotikabehandlung besserte sich der Zustand des Mannes schließlich, sodass er das Krankenhaus verlassen konnte.

Dem Mann wurde 18 Monate zuvor – im Rahmen einer Malariastudie an Arbeitern einer abgelegenen, illegalen Goldmine – Blut abgenommen. Zu diesem Zeitpunkt zeigte er noch keine spezifischen Symptome. Allerdings wies auch damals schon ein Drittel seiner Erythrozyten zytoplasmische Einschlüsse auf, was darauf hindeutet, dass das Bakterium bereits im Körper aktiv war.

Der Mann stammt ursprünglich aus Brasilien, hatte sich in den vergangenen Jahren aber ausschließlich in Französisch-Guyana aufgehalten. Die Region gilt als einer der Diversitäts-Hot-Spots der Welt – mehr als 90 % der Fläche Französisch-Guyanas sind von Regenwald bedeckt, hier leben allein 280 verschiedene wilde Säugetierarten. Bei diesen wurden hier und in anderen Regionen Südamerikas in der letzten Zeit ebenfalls neue Arten der Gattung Anaplasma entdeckt, die nahe mit A. sparouine verwandt sind. Ob diese oder A. sparouine in der Zukunft relevant für die medizinische Situation der Bevölkerung sein werden, lässt sich momentan nicht abschätzen. Ihr Nachweis ist aber eine Erinnerung daran, dass unser Wissen über die Krankheitserreger in den abgelegenen Regionen der Welt bisher nur bruchstückhaft ist. Und je öfter Menschen in diese Bereiche vordringen, etwa wie hier durch illegale Goldsuchercamps oder auch bei Rodungen des Regenwalds, desto größer wird auch das Risiko des Auftretens neuer Zoonosen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
10. Oktober 2022

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