Schlüsselwörter
Entzündung - Gerinnung - Thromboinflammation - Autoimmunität - COVID19
Key words
inflammation - coagulation - thromboinflammation - autoimmunity - COVID-19online publiziert 2022
Einführung
Das intime Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Gerinnung ist ein Ergebnis der
Evolution und ermöglicht die physiologische Erhaltung der Homöostase
insbesondere im Bereich der Wundheilung und Immunabwehr. Durch die Aktivierung des
Immunsystems kommt es über die Beteiligung unterschiedlicher
zellulärer und humoraler Kaskaden, einschließlich des aktivierten
Endothels, der Einbindung der Thromboyzten und des Komplementes zu einer
Gerinnungsaktivierung mit der Folge einer Hyperkoagulabilität und
veränderter Fibrinolyse. Das wiederum verstärkt die Immunabwehr bis
die Immunreaktion erfolgreich abgeschlossen und die Homöostase
wiederhergestellt ist [1]. Bei einer
unkontrollierten Fortdauer dieser zunächst physiologischen Prozesse kann es
allerdings zum Auftreten eines weiten Spektrums von thromboinflammatorischen
Zuständen kommen, wie zum Beispiel bei Komplikationen einer
Verbrauchskoagulopathie und Gefäßverschlüssen bei Sepsis
oder bei thromboembolischen Ereignissen im Rahmen von Autoimmunerkrankungen. Die
Signalwege und pathologischen Auswirkungen dieser Vernetzung von Entzündung
und Thrombose wurden in den letzten Jahren intensiv erforscht und nicht zuletzt im
Rahmen der COVID-19 Erkrankung klinisch einmal mehr verdeutlicht. Der Begriff der
„Thromboinflammation“ beschreibt in diesem Zusammenhang die
koordinierte Interaktion zwischen humoralen und zellulären Signalwegen der
Immunabwehr und der Gerinnung inklusive des erhöhten Risikos für
thromboembolische Ereignisse. Im Weiteren werden wir die aktuellen
pathophysiologischen Erkenntnisse zur Thromboinflammation zusammenfassen ([Abb. 1]) und mögliche Implikationen
für autoimmune Erkrankungen darstellen.
Abb. 1 | Auswahl zentraler Prozesse und Wechselwirkungen des
Gerinnungs-/Immunsystems. Das konzertante Zusammenspiel zwischen
endothelialer Dysfuntion, aktivierten Thrombozyten und anderen Immunzellen
sowie simultaner Komplementaktivierung führt zur Aktivierung und
gegenseitigen Verstärkung sowohl der Immunantwort als auch der
Gerinnungskaskade (über Kontakt- und Gewebeaktivierung). Die
Hyperkoagulabilität wird durch die gleichzeitige Hemmung von
antithrombotischen Mechanismen (zB Fibrinolyse und
Thrombomodulin-APC-System) verstärkt und führt zu einem
erhöhten Risiko thromboembolischer Ereignisse.
Abkürzungen: IL, Interleukin; TNF,
Tumornekrosefaktor; vWF, von-Willebrand-Faktor; ICAM-1,
Interzelluläres Zelladhäsionsmolekül 1; TF,
Tissue facor; TM, Thrombomodulin; PC, Protein C; aPC,
aktiviertes Protein C; aPS, aktiviertes Protein S; PAI-1,
Plasminogen-Aktivator-Inhibitor Typ 1; aTZ, aktivierter Thrombozyt;
MZ, Monozyt; NG, neutrophiler Granulozyt; aNG,
aktivierter neutrophiler Granulozyt; LZ, Lymphozyt; DZ,
dendritische Zelle; NET, Neutrophil extracellular trap; PG,
Prostaglandin; GP, Glykoprotein; PF4,Plättchenfaktor
4.
Zelluläre Akteure
Endotheliale Dysfunktion
Endothelzellen kleiden als Monolayer die Innenwand der Gefäße aus
und stellen mit ca. 1 Billion Zellen das größte (und oftmals
wenig beachtete, aber stoffwechselintensive) Organ des menschlichen
Körpers dar. Zusätzlich zu mechanischen Aufgaben als Barriere
der Gefäßwand erfüllt das Endothel zahlreiche weitere
Aufgaben, wie die Regulation von Gefäßtonus,
Gerinnungsvorgängen inkl. deren Funktionen in der Prokoagulation und
Fibrinolyse sowie die Steuerung von lokalen Entzündungsabläufen
[2]. So einfach dies klingt, muss
jedoch von einer sehr präzisen physiologischen Regulation des Endothels
ausgegangen werden, sich an jeweilige Erkrankungsprozesse anzupassen und die
Interaktion der zellulären und vielen humoralen Faktoren zu
koordinieren. Eine Störung dieser Aufgaben durch pathogene
Mikroorganismen, proinflammatorische Zytokine, oxidativen Stress oder Hypoxie
(u. a. mit Beeinträchtigung der Stickstoffmonoxid (NO)
-Synthase) wird unter dem Begriff endotheliale Dysfunktion zusammengefasst. Die
endotheliale Dysfunktion führt zu einer vermehrten Freisetzung bzw.
Expression von Adhäsionsmolekülen (z. B. von Willebrand
Faktor (vWF), P-Selektin, interzelluläres
Zelladhäsionsmolekül-1 (ICAM-1)), Sekretion proinflammatorischer
Zytokine (TNF und IL-6) und vasoaktiven Substanzen, was wiederum die Aktivierung
von Thrombozyten und Leukozyten nach sich zieht und zu einem labilen
prokoagulatorischen Zustand beiträgt. Zusammen mit Fibrinogen als
Akute-Phase-Protein bewirkt die erhöhte IL-6 Sekretion eine
Verstärkung des thrombogenen Potentials via Thrombozytenaktivierung und
Tissue Factor (TF) Freisetzung. Gleichzeitig werden antikoagulatorische
Mechanismen durch die Endotheldysfunktion stark gehemmt
(Fibrinolysestörung durch Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 (PAI-1)
Sekretion und erworbene aktivierte-Protein-C-Resistenz (APC Resistenz) durch
reduzierte Thrombomodulin-Expression).
Klinisch weisen Patienten mit autoimmunen, einschließlich
entzündlich rheumatischen Erkrankungen ein deutlich erhöhtes
Risiko sowohl für arterielle als auch venöse thrombotische
Ereignisse auf [3] und sind somit
Risikopatienten hinsichtlich des Auftretens kardiovaskulärer
Erkrankungen [4]. Obgleich
unterschiedliche Risikofaktoren für arterielle und venöse
Komplikationen nachgewiesen sind, gibt es einige Gemeinsamkeiten. Dies betrifft
neben einigen klinischen Faktoren (erhöhter BMI, Nikotinabusus, orale
Kontrazeptiva, Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz etc.) unter
anderem die Endothelaktivierung bzw. -schädigung infolge der chronischen
systemischen Entzündung mit begleitenden prokoagulatorischen Effekten.
In diesem Zusammenhang verbessert der Einsatz von Basistherapeutika durch den
deutlichen Rückgang der entzündlichen Aktivität sowohl
Mortalität und Morbidität [5]
[6] als auch die
Thromboseneigung. Zusätzlich sind medikamentenspezifische Aspekte zu
berücksichtigen, da einige – wie z. B. Glukokortikoide,
NSAR/Coxibe oder JAK-Inhibitoren – als Nebenwirkung eine
dosisabhängige ATE- und VTE-Risikoerhöhung aufweisen
können. Zumindest bei Patienten mit vorigen ATEs und VTEs wurde dies
für Tofacitinib in der ORAL Surveillance Studie nahegelegt. Für
andere JAK-I stehen noch Studiendaten aus.
Thrombozyten
Thrombozyten spielen eine zentrale Rolle nicht nur bei der Blutgerinnung und
somit zur Erhaltung der vaskulären Unversehrtheit, sondern fungieren
auch als potente Katalysatoren von Immunprozessen. Die immunologischen
Mechanismen der Thrombozyten entfalten ihre Wirkung beispielsweise über
die Aktivierung des Komplementsystems [7],
Toll-like Rezeptoren (TLR, [8]),
Interaktion mit Lymphozyten und dendritischen Zellen über CD40L [9] oder programmed death ligand 1 (PD-L1,
[10]). Darüber hinaus sind
aktivierte Thrombozyten an der Bildung von Inflammasomen beteiligt [11] und können IL-1β
sezernieren. Dieses proinflammatorische Zytokin triggert die
Endotheladhäsion von Monozyten und neutrophilen Granulozyten und
fördert damit die konsekutive Thrombusbildung [12]. Gleichzeitig führen
entzündliche Prozesse zu erhöhter Sekretion von Fibrinogen und
vWF (als Akutphaseproteine), die über die Bindung am Glykoprotein
IIb/IIIa Rezeptor die Thrombozytenaggregation fördern.
Manche dieser Mechanismen sind auch in die Pathophysiologie von
Autoimmunerkrankungen involviert, was sowohl zu einer erhöhten
Thromboseneigung als auch zu einer Intensivierung der
Entzündungsreaktion führt. So wurden in der
Synovialflüssigkeit von Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA)
Mikrovesikel nachgewiesen, die ursprünglich von Thrombozyten stammen und
IL-1β beinhalten. Darüber hinaus sezernieren Thrombozyten
proinflammatorische Prostaglandine sowie Serotonin, was zur vaskulären
Permeabilität der Synovialgefäße und Erhaltung der
Inflammation führt [13]. Beim
systemischen Lupus erythematodes (SLE) kann es zur Interaktion zwischen
zirkulierenden Immunkomplexen mit dem Thrombozyten Fc-Rezeptor kommen, was zur
Plättchenaktivierung führt [14]. Aktivierte SLE-Thrombozyten ihrerseits interagieren mit
dendritischen Zellen via CD40/CD40L und führen zu einer
Erhöhung der IFNα Produktion und somit zur Aufrechterhaltung der
Entzündung [13].
Sehr deutlich ist eine Thromboseneigung bei der Immunthrombopenie bekannt, die in
der Regel eine hyperregenerative Thrombopenie darstellt. In dem Zusammenhang
sind die Heparin-induzierte Thrombopenie IIa [15] als auch die Vakzin-induzierte thrombotische Thrombopenie (VITT)
[16] sehr deutlicher Beweis
für die klinische Bedeutung einer alleinigen Thrombozytenaktivierung in
Folge einer Immunantwort. Ergo, nicht jede Thrombopenie zeigt ein vermindertes
Thromboserisiko an.
Neutrophile Granulozyten und Bildung von NETs
Die Rekrutierung von Monozyten und neutrophilen Granulozyten spielt eine wichtige
Rolle sowohl als Teil des angeborenen Immunsystems in der Infektabwehr, als auch
während der Gerinnungsaktivierung und Thrombusbildung [17]. Tissue Factor, ein
Schlüsselprotein für die Ingangsetzung der Gerinnung via
Gewebeaktivierung bei Zellschädigung, wird größtenteils
von Monozyten bereitgestellt. Und auch die Bildung der „neutrophil
extracellular traps“ (NETs) durch neutrophile Granulozyten, stellt eine
wichtige Schnittstelle bzw. Interaktionsmechanismus von Inflammation und
Koagulation dar [18]. Diese netzartigen
Strukturen aus feinen Chromatin-Fasern und intrazellulären
Granula-Inhalten führen zum Verfangen sowohl von eindringenden
Mikroorganismen als auch von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten, was einen
positiven Feedbackmechanismus für die Thrombusbildung darstellt. Die
extrazellulären DNA-Strukturen formen darüber hinaus eine
negativ geladene Oberfläche, welche den Gerinnungsfaktor XII und damit
die Kontaktaktivierung der Gerinnung initialisieren kann [19]. Diese Gewebe- und/oder
Kontaktaktivierung des Gerinnungssystems kann sich bei
Entzündungserkrankungen vor allem durch den entzündlichen
Zellzerfall, analog zu malignen Erkrankungen verstärken.
Interessanterweise führt eine Behandlung von Mäusen mit
Enoxaparin zum Ausbleiben der NET-Bildung [17], was deutlich macht, dass Heparine nicht nur die Blutgerinnung
beeinträchtigen, sondern auch eine pleiotrope antiinflammatorische
Wirkung entfalten und dies ein grundsätzlicher Unterschied zu den
Vitamin K Antagonisten (VKA) und den direkten oralen Antikoagulantien (DOACs)
darzustellen vermag [20]. Auch die direkte
NET-Blockade durch die Gabe von DNAse konnte venöse Thrombosen (TVT)
effektiv verhindern, was potentiell neue Ansätze für die VTE-
Prophylaxe und Therapie eröffnen kann. Die antiinflammatorische Wirkung
von Heparinen wurde auch bei präklinischen Antiphospholipidsyndrom (APS)
Modellen verdeutlicht [1]
[21], in denen der Einsatz von selektiven
Antikoagulantien wie Fondaparinux wirkungslos waren.
Sowohl eine gesteigerte Bildung von NETs, die als Quelle für Autoantigene
und Komplementaktivierung fungieren, als auch ein gestörter NETs-Abbau
sind in der Pathophysiologie mehrerer Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel RA,
SLE, ANCA assoziierter Vaskulitis und Antiphospholipidsyndrom involviert [22]. Eine anti-inflammatorische Therapie
durch TNFα und IL-6 Zytokinblockade im Rahmen der RA Therapie konnte
auch die NETs Bildung nachweislich reduzieren [23]. Weitere experimentelle Ansätze zur Modulierung von NETs
werden aktuell bei unterschiedlichen Erkrankungen ausprobiert [24].
Humorale Faktoren
Komplementsystem
Inflammation, Gerinnung und Komplementsystem weisen zahlreiche
Ähnlichkeiten und Wechselwirkungen auf [25]. So führt eine persistierende Komplementaktivierung
parallel über Akutphase der Entzündungsreaktion auch zur
erhöhten vWF-Sekretion sowie zu einer direkten
Endothelschädigung mit prothrombogenen Risiken. Auch einzelne
Komplementfaktoren können mit der Koagulation interagieren: Der
Komplementfaktor C5a reguliert beispielsweise TF und PAI-1 hoch und kann sowohl
Thrombozyten als auch neutrophile Granulozyten und die NET Bildung aktivieren
[26]. Ein weiteres wichtiges System
der Interaktion von Gerinnung und Inflammation ist das
Bradykinin/Kallikreinsystem, welches darüber hinaus auch in die
Regulation von Endothelfunktionen involviert ist.
Mit Blick auf Autoimmunerkrankungen, spielt das Komplementsystem
bekanntermaßen eine wichtige pathophysiologische Rolle in der Entstehung
und Unterhaltung von Kollagenosen. So ist z. B. ein kongenitaler
C1q-Mangel einer der stärksten genetischen Risikofaktoren für
die Entwicklung von SLE [27]. Die
Komplementaktivierung durch Antiphospholipid Antikörper
verstärkt die Gerinnungsaktivierung, was den Einsatz von
Komplementinhibitoren wie Eculizumab beim refraktären APS, dem
lebensbedrohlichen katastrophalen APS (CAPS) aber auch einigen thrombotischen
Mikroangiopathien begründet [28].
Extrinsische Faktoren
COVID-19
COVID-19 ist überwiegend eine systemische Entzündungserkrankung,
die von einer überschießenden Fehlregulation des Immunsystems
mit simultaner Hyperkoagulopathie gekennzeichnet ist [29], auch wenn es Unterschiede zu anderen
hyperkoagulabilen Erkrankungen gibt. Diese wurden anderenorts
tiefgründig beschrieben. Wesentlich ist jedoch eine massive
Endothelzerstörung durch die Infektion und Immunabwehr, die zu einer
schweren Gewebe-bedingten Aktivierung und Hypofibrinolyse führen [30]. In der Folge zeigten sich
Thromboembolien aufgrund von Hyperkoagulabilität und Hypofibrinolyse mit
begleitendem Zytokinsturm [31]. Zeichen
der Thromboinflammation lassen sich sowohl lokal durch infizierte
Alveolarepithel- und Endothelzellen als auch systemisch nachweisen, was zum
gemischten klinischen Bild von mikro- und makrovaskulären Thrombosen
[32] im Rahmen massiver
Immunaktivierung führt. Endotheldysfunktion mit gestörter
Fibrinolyse, aktivierten Thrombozyten, IL-6 Sekretion, NETose und
Komplementaktivierung konnten als Teil der Thromboinflammation bei COVID-19 gut
dokumentiert werden [33]. Darüber
hinaus wurden erhöhte Frequenzen von
Antiphospholipid-Antikörpern in COVID-19 erkrankte Patienten beobachtet
[34], die funktionell in der Lage
waren NETs zu aktivieren und die Thrombusbildung durch multiple Signalwege zu
beschleunigen [35]. Inwieweit es sich
dabei um ein vorübergehendes Begleitphänomen handelt, wie auch
im Rahmen anderer Infektionserkrankungen beschrieben ist [36], bleibt aktuell noch offen. Weitere
Untersuchungen sind hier wichtig, da bei persistierenden
Antiphospholipid-Antikörpern und vorliegenden klinischen Kriterien
für APS eine sorgfältige Indikationsstellung der oralen
Antikoagulation erforderlich ist.
Schlussfolgerung
Die Vernetzung zwischen entzündlichen und prokoagulatorischen Prozessen bei
simultan gestörter Fibrinolyse verläuft bidirektional im Sinne einer
positiven Rückkopplungsschleife durch Zell-/Gewebeaktivierung der
Gerinnung und führt ungebremst zur Thromboinflammation und erhöhten
VTE sowie ATE Risiken. Obwohl wir gerade beginnen, ein besseres Verständnis
der mechanistischen und klinischen Prozesse zu entwickeln, versprechen die neueren
Erkenntnisse zur Thromboinflammation verbesserte Ansatzpunkte für
prophylaktische als auch therapeutische Strategien zur Reduktion der ATE/VTE
Risiken unserer Patienten.