Schlüsselwörter
Riechen - Nase - Chemosensorik - Anosmie
1. Einleitung
Riechen ist wichtig. Das wurde v. a. im Laufe der SARS-CoV2 Pandemie
deutlich. Viele Menschen wissen jetzt, wie es ist, ohne Geruchssinn durchs Leben zu
gehen.
2. Definitionen
Bei quantitativen Riechstörungen kommt es zu einer Veränderung der
Riechintensität (Hyposmie oder Anosmie), wohingegen bei qualitativen
Riechstörungen die Qualität von Gerüchen verändert
ist (Parosmie) oder eine Geruchswahrnehmung ohne Riechreiz vorliegt (Phantosmie)
([Tab. 1]). Bei Parosmien oder
Phantosmien werden typischerweise unangenehme Empfindungen wahrgenommen.
Häufig werden qualitative Veränderungen in Kombination mit
quantitativen Veränderungen, aber auch als alleinige Riechstörung
gefunden, wohingegen quantitative Riechstörungen häufiger isoliert
auftreten. Parosmien und Phantosmien können gemeinsam auftreten, Parosmien
können auch länger anhaltende Phantosmien auslösen. Bei
quantitativen und qualitativen Riechstörungen sind also fließende
Übergänge und Zwischenformen möglich [1].
Tab. 1 Einteilung der Riechstörungen
Bezeichnung
|
Erläuterung
|
Normosmie
|
Normales Riechvermögen
|
Quantitative Riechstörung
|
Hyposmie (selten auch „Mikrosmie“)
|
reduzierter Riechvermögen
|
|
Anosmie
|
nicht vorhandenes oder reduziertes Riechvermögen, das im
täglichen Leben nicht nützlich ist
|
Spezifische Anosmie (oder „partielle Anosmie“
|
reduzierte Fähigkeit, einen bestimmten Duftstoff
wahrzunehmen, obwohl das generelle Riechvermögen
vorhanden ist (normales physiologisches Merkmal ohne klinische
Bedeutung [445])
|
Hyperosmie
|
gesteigerte Fähigkeit, Gerüche wahrzunehmen [188]
|
Qualitative Riechstörung
|
Parosmie (selten auch „Kakosmie“,
„Euosmie“ oder „Troposmie“)
|
Qualitativ verzerrte Wahrnehmung eines Duftstoffs
|
Phantosmie
|
Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer Duftquelle
|
Daneben findet sich die Multiple Chemosensorische Sensitivität (MCS; auch
bekannt als „Idiopathische Umweltintoleranz“ –
„idiopathic environmental intolerance“). MCS ist ein Syndrom, bei
dem Betroffene mit einer Vielzahl von Symptomen wie Herzrasen,
Ohnmachtsanfällen oder asthmatischen Symptomen auf die Exposition zu
verschiedensten Chemikalien bzw. Duftstoffen reagieren. MCS wird als
psychosomatische Erkrankung eingestuft und entsprechend behandelt [2]
[3].
3. Epidemiologie von Riechstörungen
3. Epidemiologie von Riechstörungen
Die Prävalenz von Riechstörungen in der Allgemeinbevölkerung
hat sich seit dem Ausbruch der SARS-CoV2 [COVID19]-Pandemie dynamisch entwickelt.
Sowohl bei COVID-19-bezogener als auch bei nicht-COVID19-bezogener
Riechstörung variieren die epidemiologischen Schätzungen stark je
nach demographischer Stichprobe, Definition der Beeinträchtigung und der
Untersuchungsmethode [4].
3.1 Subjektive Angaben
Der National Health Interview Survey (NHIS) von 1994 erfasste chemosensorische
Störungen in 42.000 zufällig ausgewählten Haushalten in
den USA [5]. Es wurde geschätzt,
dass 1,4% der erwachsenen US-Bevölkerung Riechstörungen
hätten, die wenigstens drei Monate anhielten. Diese Prävalenz
nahm mit dem Alter zu, wobei etwa 40% der Teilnehmer:innen über
65 Jahre von Riechproblemen berichteten [5] Andere Studien wie z. B. die Korea National Health and
Nutrition Examination Survey (KNHANES) berichteten 2009, dass eine
Riechstörung bei 4,5–6,3% von über 10.000
Teilnehmer:innen vorlag [6]
[7]. Der US-amerikanische National Health
and Nutrition Examination Survey (NHANES) schätzte an etwa 3.500
Teilnehmern die Häufigkeit von Riechstörungen mit 10,6 bzw.
23% [8]
[9]. Andere Studien kommen zu
Schätzungen zwischen 2,4% und 9,4% [10]
[11]
[12] (aber siehe auch [13]).
3.2 Psychophysische Tests
Die Epidemiologie von Riechstörungen wurde auch mit psychophysischen
Tests untersucht, wobei nahezu ausnahmslos Duftidentifikationstests zum Einsatz
kommen. An einer Stichprobe von 1.240 rhinologisch gesunden Patient:innen aus
Deutschland zeigte sich bei 4,7% eine Anosmie sowie bei 15% eine
Hyposmie [14], was durch eine Untersuchung
von Vennemann et al. bei 1.312 Erwachsenen (Alter 25 bis 75 Jahre; ebenfalls
Deutschland) bzw. durch Brämerson et al. in Schweden bestätigt
wurde (Vennemann: Anosmie 3,6%, 18% Hyposmie; Brämerson:
5,8% funktionell anosmisch, 15,3% hyposmisch) [15]
[16]
[17] (vgl. auch [18]). Übereinstimmend zeigte sich
in diesen und weiteren Studien eine Zunahme der Prävalenz von
Riechstörungen mit dem Alter (z. B. [19]
[20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]
[26]
[27]).
Die OLFACAT-Umfrage an 9.348 Teilnehmern untersuchte die Erkennung und
Identifizierung von 4 selbstverabreichten mikroverkapselten Duftstoffen. Hier
betrug die Prävalenz von Riechstörungen 19,4 bis 48,8%
[28]. In der Beaver Dam Studie betrug
bei 2.491 Erwachsenen im Alter von 53–97 Jahren die mittlere
Gesamtprävalenz 24,5% und stieg auf 62,5% bei Personen
über 80 Jahren [29].
Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse fasste Daten aus 25
Studien mit insgesamt 175.073 Teilnehmern zusammen (Durchschnittsalter 63 Jahre,
56,3% männlich) [30]. Die
Gesamtprävalenz von Riechstörungen betrug populationsbezogen
22,2%. Die Prävalenz war deutlich höher, wenn
psychophysische Messinstrumente verwendet wurden, im Gegensatz zu subjektiven
Berichten (28,8 bzw. 9,5%).
4. Anatomie und Physiologie des Geruchssinns
4. Anatomie und Physiologie des Geruchssinns
Ein Mensch kann Millionen von Düften wahrnehmen [31]
[32].
Vereinfacht dargestellt, beruht die Erkennung von Duftmolekülen auf der
Interaktion mit spezifischen Rezeptoren auf den Riechsinneszellen, der Verschaltung
im Riechkolben (Bulbus olfactorius [BO]) und der Projektion auf zentrale
olfaktorische Netzwerke [33].
Traditionell wird angenommen, dass das Hauptriechepithel auf die Riechspalte im Dach
der Nasenhöhle beschränkt ist. Es ist jedoch nicht ganz klar,
welches Ausmaß das olfaktorische Epithel in der Nasenhöhle hat, da
insbesondere bei jüngeren Menschen [34]
[35] reife und funktionelle
olfaktorische sensorische Neurone am Ansatz der mittleren Nasenmuschel gefunden
werden konnten [36]
[37]
[38]
[39]
[40]. Diese olfaktorischen Neurone besitzen
apikal zur Oberfläche hin Zilien, die in den Schleim ragen und mit
olfaktorischen Rezeptoren ausgekleidet sind [33]. Die olfaktorischen Rezeptoren sind Transmembranproteine, die durch
Bindung eines Duftmoleküls ein spezielles G-gekoppeltes Protein aktivieren.
Durch die Untereinheit des G-Proteins wird nach seiner Aktivierung eine
Adenylat-Cyclase aktiviert und somit die Konzentration von zyklischem
Adenosinmonophosphat (cAMP) in der Zelle erhöht. Die Erhöhung von
cAMP führt wiederum zu einer Öffnung von Kationenkänalen,
wodurch unter anderem Calcium in das Neuron hineinströmt. Der Kationenfluss
bewirkt eine Depolarisierung der Membran und die Initiierung eines
Aktionspotentials, welches entlang der Axone zum BO weitergeleitet wird [41]
[42].
Durch die Charakterisierung der olfaktorischen Rezeptorgenfamilien konnten etwa 400
aktive olfaktorische Rezeptorgene beim Menschen gezeigt werden [43]
[44]
[45]. Dabei exprimiert jedes
reife olfaktorische Rezeptorneuron (ORN) jeweils nur einen olfaktorischen Rezeptor
[46]
[47]. Die Wahrnehmung von über Tausenden von Duftmolekülen
wird durch eine komplexe kombinatorische Kodierung ermöglicht. Die meisten
Duftmoleküle aktivieren mehrere Rezeptoren, und die Rezeptoren wiederum
können von vielen unterschiedlichen Duftmolekülen aktiviert werden.
Jeder Duftstoff aktiviert dabei eine spezifische Kombination aus olfaktorischen
Rezeptoren, die wiederum als Agonisten und Antagonisten wirken können [48]
[49]
[50]
[51]. Dieser kombinatorische Effekt aus der
Aktivierung bzw. Inhibierung von olfaktorischen Rezeptoren ermöglicht, dass
vergleichsweise wenige Rezeptoren eine sehr große Anzahl an
Duftmolekülen erkennen können. Darüberhinaus wurden noch
andere Arten von Chemorezeptoren identifiziert, die wahrscheinlich an der
menschlichen Chemorezeption beteiligt sind [52]
[53]
[54].
Die Axone der ORN verlaufen basal in Bündeln (olfaktorische Fila) durch die
Foramina der Lamina cribrosa zum BO. Der Riechkolben ist das erste Relais im
olfaktorischen System und befindet sich unmittelbar oberhalb (dorsal) der Lamina
cribrosa und unterhalb (ventral) des orbitofrontalen Kortex. Innerhalb des BO bilden
olfaktorische Axone ihre erste Synapse mit bulbären glomerulären
Zellen. ORN sind erregende sensorische Neuronen erster Ordnung, die direkt von der
Schleimhaut der Riechspalte in das Gehirn reichen. Die ORN sind daher der
äußeren Umgebung ausgesetzt, einschließlich
Krankheitserregern und Toxinen, die Schädigungen verursachen und letal sein
können. Möglicherweise als kompensatorische Schutzreaktion auf
solche Schäden, besitzen ORN das Potential zur Neurogenese. Dabei
differenzieren sich die ORN aus den Basalzellen des olfaktorischen Epithels [55]. Die Umsatzzeit beim Menschen ist
allerdings nicht bekannt [56]
[57]. Die olfaktorische Neurogenese wird durch
die Glia-ähnlichen olfaktorische Hüllenzellen erleichtert, die
sowohl im olfaktorischen Epithel als auch im BO gefunden werden können.
Die Ausgangsneuronen zweiter Ordnung des BO sind die Mitral- und
Büschelzellen. Nach der Signalintegration verlängern diese Neuronen
ihre Axone entlang des lateralen Riechtrakts in Richtung der Strukturen des
primären Riechkortex. Zu diesen Strukturen gehören: der Nucleus
olfactorius anterior, der piriforme Kortex, der periamygdaloide Kortex, der vordere
kortikale Kern der Amygdala und der rostrale entorhinale Kortex. Die weitere
Geruchsverarbeitung findet in „sekundären“ und
„tertiären“ Hirnarealen statt, darunter Strukturen wie
Hippocampus, Parahippocampus, Insula und orbitofrontaler Kortex [58]
[59].
Ein wichtiger weiterer Aspekt bei der Geruchsempfindung ist der Einfluss der
somatosensorischen Empfindungen der Nase: Beispielsweise gehören zu diesen
Empfindungen das kühlende Gefühl von Menthol oder das Prickeln von
CO2 bei kohlensäurehaltigen Getränken. Diese
Empfindungen werden in der Nase durch den ersten und zweiten Trigeminusast
vermittelt [60]
[61]. Trigeminale und olfaktorische Funktionen
sind eng miteinander verwoben und voneinander abhängig [62]
[63]
[64]
[65]. Darüber hinaus ist die
Trigeminusaktivierung von entscheidender Bedeutung für die Wahrnehmung des
nasalen Luftstroms, was zum Beispiel zur Erklärung des Gefühls einer
verstopften Nase bei fehlendem anatomischem Korrelat herangezogen wird [66]
[67]
[68]
[69].
5. Ursachen von Riechstörungen
5. Ursachen von Riechstörungen
Riechstörungen werden nach dem Ort der Läsion oder nach ihrer Ursache
eingeteilt ([Tab. 2]). Allerdings sind die
Orte der Läsion bei Riechstörungen nicht eindeutig zuzuordnen. Zum
Beispiel kann bei traumatisch bedingten Riechstörungen die Peripherie
(Abriss der Fila olfactoria) oder das ZNS geschädigt sein (z. B.
Kontusion des Bulbus olfactorius oder des orbitofrontalen Kortex) [70]
[71].
Aus diesem Grund wird in der Regel die Einteilung nach der Ursache verwendet.
Ursache
|
Beginn
|
Prognose
|
Parosmien vorhanden
|
Phantosmien vorhanden
|
COVID19 bzw. andere Infekte der oberen Atemwege
|
Plötzlich
|
Besserung häufig
|
+++
|
++
|
Chronische Rhinosinusitis
|
Allmählich
|
Sehr gute Behandlungsmöglichkeiten
|
−
|
+
|
Schädel-Hirn-Trauma
|
Plötzlich
|
Besserung möglich
|
+
|
++
|
Neurologische Erkrankungen, wie z. B. M. Parkinson, M.
Alzheimer, Myasthenia gravis
|
Allmählich
|
Besserung möglich
|
+
|
+
|
Medikamentöse/toxische Ursachen
|
variabel
|
Variabel, z. B. nach Absetzen/Entfernung der Noxe
gut
|
+
|
+
|
Angeborene Anosmie
|
|
keine Therapie möglich
|
−
|
−
|
Alter
|
Allmählich
|
Besserung möglich
|
−
|
−
|
Andere Ursachen, wie z. B. iatrogene Schäden
(z. B. sinunasale und Schädelbasischirurgie,
Laryngektomie), Tumore, multiple systemische Erkrankungen
|
variabel
|
Besserung möglich
|
+
|
+
|
5.1 COVID19-bedingte Riechstörung
Die Prävalenzschätzung COVID19 assoziierter
Riechstörungen (COVID19-OD) reicht von 5% bis 88% auf
[72]. Ein Grund für diese
Variabilität liegt in der Methode, die zur Erhebung einer
Riechstörung angewendet wurde. Aufgrund der Infektiosität von
SARS-CoV-2 erfolgte insbesondere bei akuten Erkrankungen die Schätzung
der Prävalenz anhand von subjektive Angaben und nicht aufgrund
psychophysischer Untersuchungen. Anhand subjektiver Angaben variiert die
Prävalenz für einen Riechverlust von 39% [73] bis 53% [74]. Hierbei scheint durch die
Selbstbewertung der Riechverlust deutlich unterschätzt zu werden, denn
unter Einbeziehung validierter Testinstrumente bzw. anhand der psychophysischen
Testung der Riechfunktion war die gepoolte Prävalenzschätzung
von COVID19-OD mit 87% bzw. 77% deutlich höher als bei
der Verwendung nicht validierter Methoden bzw. Erfassung subjektiver Angaben
[72]
[74].
Im Vergleich mit anderen postviralen Riechstörungen führt COVID19
häufiger bei jüngeren Menschen zum Riechverlust [73]
[75] und Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein als
Männer [75]
[76]
[77] (aber nicht bei [73]
[78]). Bei der Interpretation der
interindividuellen Prävalenzunterschiede sollte auf mögliche
Selektionsfehler geachtet werden, da die Ermittlung der Prävalenz
u. a. an die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen oder an die
gezielete Abfrage oder den spontanen Bericht möglicher Beschwerden
z. B. in Sprechstunden gekoppelt ist. Borsetto et al. [79] ermittelten in einer in Metaanalyse mit
3563 Patient:innen eine höhere Prävalenz für die
Entwicklung eine Riechstörung bei Patient:innen mit einem mild bis
moderaten Verlauf mit ca. 67% im Vergleich zu Patient:innen mit einem
schweren Verlauf mit 31%. Von Bartheld et al. [73] geben jedoch zu bedenken, dass der
Riechverlust bei einem schweren Verlauf von COVID19 möglicherweise
weniger bedeutsam oder seltener bemerkt werden könnte.
Zudem besteht ein Zusammenhang der Prävalenz der COVID19-OD zur
Virusvariante [80]
[81], mit einer höheren
Wahrscheinlichkeit für eine COVID19-OD bei der Alpha-Virusvariante
(50%) im Vergleich zur Delta-Variante (44%) oder
Omikron-Variante (17%), wobei die Omikron-Variante am seltensten eine
COVID19-OD bedingt, wahrscheinlich aufgrund von Mutationen in Bezug zum sog.
„Spike“-Glykoprotein [82].
Der Riechverlust stellt zum Teil das einzige Symptom einer COVID19-Infektion dar
[83]
[84]. Bei einem systematischen Review und einer Metaanalyse mit 3563
Patient:innen trat der Riechverlust bei 20% als erstes oder einziges
Symptom auf, bei der Mehrheit der Fälle (54%) folgte er anderen
Symptomen und bei 28% trat er gleichzeitig mit anderen Symptomen auf
[79] (da es eine Metaanalyse aus
mehreren Studien ist, werden in Summe keine 100% erreicht). Zu den
weiteren mit COVID19 assoziierten Symptomen gehören Husten,
Halsschmerzen, Luftnot, Fieber, Myalgie, Rhinorrhoe und nasale Obstruktion. Zu
Beginn der Pandemie traten im Vergleich zu nicht COVID19 assoziierten
postviralen Riechstörungen seltener Rhinorrhoe oder nasale Obstruktion
auf [85]
[86].
Die COVID19-OD beginnt plötzlich, wenige Tage nach der SARS-CoV-2
Infektion. Zu Beginn der COVID19 Pandemie 2020 konnte ein subjektiv berichteter
„plötzlicher Geruchsverlust“ mit einer
Spezifität von 97%, einer Sensitivität von 65%,
einem positiven Vorhersagewert von 63% und einem negativen
Vorhersagewert von 97% eine Erkrankung mit COVID19 erfassen, wobei
Patient:innen mit verstopfter Nase ausgeschlossen wurden [85]. Bei der späteren
Omikron-Variante wurden häufiger eine Nasenatmungsbehinderung und
Rhinorrhoe beschrieben bei einem meist intakten Riechvermögen [82].
Zu Beginn der COVID19 Pandemie standen quantitativen Riechstörungen im
Sinne von Hyp- und Anosmien im Vordergrund [87]. Die beschriebenen Riechstörungen wirken sich hierbei auf
die Einschränkung der Riechschwelle, Diskrimination und Identifikation
aus [78]. Im Verlauf wurden vermehrt
qualitative Riechstörungen berichtet [88]
[89].
Auf Grundlage subjektiver Bewertungen zeigt ein Großteil der
COVID19-Riechstörungen eine deutliche Besserung bzw.
vollständige Erholung innerhalb von 1–2 Wochen [90]
[91]. Boscolo-Rizzo et al. [92]
berichteten auf der Grundlage subjektiver Bewertungen und psychophysischer
Untersuchungen nach 4 Wochen eine deutliche Besserung der
COVID19-Riechstörungen, wobei die Besserungen nach etwa 8 Wochen eine
Art Plateau erreichte. Sechs Monate nach der COVID19-Infektion bewerteten
77% der 110 Patient:innen ihre initiale Riechstörungen als
vollständig regredient, während 20% eine Besserung und
3% eine Verschlechterung beschrieben. Bei der psychophysischen Testung 6
Monate nach der Infektion wurde bei der Mehrheit (59%) der Patient:innen
trotz der subjektiv nicht mehr vorhandenen Riechstörung eine Hyp- oder
Anosmie mithilfe eines Dutferkennunsgtests diagnostiziert. Über einen
längeren Beobachtungszeitraum von 2 Jahren gaben 88% eine
vollständige Regredienz der Beschwerden an [95].
In Abhängigkeit der durchgeführten Riechtestung und aufgrund der
bestehenden Selektionsproblematik ergeben sich unterschiedliche Daten zum
Verlauf: Bei der psychophysischen Testung variieren die Angaben einer
persistierenden Riechstörung von 7% nach 3 Monaten (selbst
durchgeführter Riechtest) [93],
über 15% nach 3 Monaten bzw. 5% nach 6 Monaten
(Sniffin’ Stick Identifikationstest) [94] bis 21% nach 3 bis 6 Monaten (Sniffin’ Sticks:
Schwelle, Diskrimination und Identifikation) [78]. Bei der psychophysischen Testung wurde nach im Mittel 7 Monaten
bei 77% der 102 Patient:innen eine Hyp- bzw. Anosmie diagnostiziert
[96]. Tognetti et al. [97] wiesen auch im weiteren Verlauf 18
Monate nach einer stattgehabten COVID19 Infektion bei 37% von 100
Patient:innen eine persistierende Riechstörung nach, wobei 60%
diese subjektiv nicht bemerkten. Auch für einen längeren
Beobachtungszeitraum war der Anteil der Patient:innen mit einer psychophysisch
nachweisebaren Riechstörung deutlich höher als bei der
subjektiven Einschätzung des Riechvermögens. Dies deutet darauf
hin, dass die Regeneration nach einer COVID19-OD langsamer erfolgt als dies
subjektiv empfunden wird.
Über die gesetzlichen Krankenkassen Deutschlands erfolgte eine Analyse
des Diagnoseschlüssels „post-akut COVID19 Syndrom“
(Long-COVID) für das 2. Quartal 2021 zur Erfassung der Symptome in einer
Fall- und einer Kontroll-Gruppe, welche sich v. a. auf die Wild-Typ- und
Alpha-Variante beziehen. Eine Riech- und/ oder Schmeckstörung
wurde bei 3,2% der etwa 160.000 Long-COVID Patient:innen und bei
0,2% der 320.000 Kontrollpatient:innen beschrieben [13]. Die Angabe einer Riech- und
Schmeckstörung ist damit zwar deutlich höher innerhalb der
Long-COVID Gruppe, sie müsste jedoch unter Einbeziehung der allgemeinen
Prävalenz einer messbaren Riechstörung mit 20% bzw.
5% Anosmien eigentlich deutlich höher sein [15]. Zusammenfassend besteht bei der
Ermittlung der Prävalenz der C19OD die Problematik, dass initial
aufgrund der Infektiosität die Patient:innen mit Ruhestörungen
psychophysisch nicht getestet werden können und vielen Patient:innen im
Verlauf ihre Riechstörung nicht bewusst ist.
Parosmien traten im Verlauf bei 64% der Patient:innen auf, wobei diese
hauptsächlich innerhalb des ersten Monats nach COVID19 begannen.
Für die Patient:innen mit einer Parosmie konnte mittels psychophysischer
Testung eine bessere Riechfunktion bestimmt werden, bei insgesamt schlechterer
Bewertung ihrer Lebensqualität [89]. Parosmien werden daher als möglicher prognostisch
günstiger Parameter für eine Verbesserung der Riechfunktion
diskutiert, da dies auch für nicht-COVID19 bedingte
postinfektiöse Riechstörungen nachweisbar war [98]
[99].
Trotz der mehr als zwei Jahre andauernden SARS-CoV2-Pandemie ist die Pathogenese
des Riechverlustes noch nicht vollständig geklärt. Nach
aktuellem Kenntnisstand bindet der einzelsträngige RNA-Virus SARS-CoV-2
an das Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) auf menschlichen
Stützzellen der Riechschleimhaut, vermittelt durch die Transmembrane
Protease Serin Subtyp 2 (TMPRSS2). Hierdurch werden ORN indirekt
geschädigt, was bei Untergang der ORN aber eine dauerhafte
Schädigung nach sich ziehen kann [100]
[101]. Als einer der
Schädigungsmechanismen wird die Herunterregulation der olfaktorischen
Signalgene der ORN vermutet [102].
Weiterhin besteht eine entzündliche Veränderung mit einer
Invasion von Leukozyten in die Riechschleimhaut [103]
[104]. Zusätzlich
wird eine zentrale Komponente der Riechstörung diskutiert [105], die hauptsächlich durch
mikrovaskuläre Störungen erklärt wird [106] und nicht wie initial vermutet an
einen Virusnachweis im Gehirn gekoppelt ist, der bisher bei Hamstern [103], aber nicht beim Menschen gelang [106].
5.2 Nicht-COVID19-bedingte postinfektiöse Riechstörung
(postvirale Riechstörungen)
Neben SARS-CoV-2 sind Infektionen der oberen Atemwege mit anderen Viren
(z. B. Parainfluenza, HIV) eine häufige Ursache für
Riechstörungen [107]
[108]. Riechstörungen können
auch durch Bakterien, Pilze oder z. B. Mikrofilarien ausgelöst
werden [109]
[110]
[111]. Frauen sind häufiger betroffen als Männer,
typischerweise in einem Alter jenseits des 50. Lebensjahrs [112]. Letzteres kann auf die altersbedingt
verminderte Regenerationsfähigkeit des olfaktorischen Systems und die
Akkumulation früherer Läsionen zurückzuführen
sein [113]. Der Beginn ist
plötzlich, und obwohl viele Patient:innen eine ungewöhnlich
schwere Infektion beschreiben, sind sich einige des auslösenden Infektes
nicht bewusst bzw. der Riechverlust fällt erst Wochen nach dem Infekt
auf. Oft treten im Laufe der Regeneration Parosmien auf [114]. Der postinfektiöse
Riechverlust bessert sich häufiger als das bei anderen Ursachen der Fall
ist [108]. Reden und Kollegen zeigten eine
Verbesserung der psychophysischen Testergebnisse von etwa einem Drittel von 262
Patienten mit postviralen Riechstörungen (Dauer ≥ 18 Monate)
über einen Beobachtungszeitraum von 14 Monaten [115], wobei sich höhere [116] oder niedrigere Schätzungen in
der Literatur finden [117]
[118]. Wichtig bei der Interpretation der
Studien ist, wie lange der Riechverlust bei Studieneintritt bereits bestanden
hatte – je länger der Riechverlust, desto geringer die Aussicht
auf Erholung.
Den postinfektiösen Riechstörungen liegen pathophysiologisch
entweder eine Schädigung der Riechschleimhaut oder der
zentralnervösen Verarbeitungsstationen zugrunde [119]
[120]. Histologische Untersuchungen bei Patient:innen mit
postinfektiösen Riechstörungen zeigen eine neuroepitheliale
Remodellierung und einen Ersatz der Riechzellen durch respiratorisches Epithel
oder gelegentlich metaplastisches Plattenepithel [112]
[121]. Die Anzahl der ORN ist reduziert, sie sind inhomogen verteilt
und ihre Morphologie kann verändert sein (z. B. Volumenabnahme,
Verringerung oder Verkürzung der Dendriten) [112]. Darüber hinaus sind die
OB-Volumina im verlauf reduziert [122].
5.3 Riechstörungen als Folge einer sinunasalen Erkrankung
Die Rhinosinusitis ist neben dem Alter die Hauptursache für einen
Riechverlust [110]
[123]. Dies kann entweder eine akute
(weniger als 12 Wochen andauernde, mit vollständigem Verschwinden der
Symptome) oder eine chronische Rhinosinusitis sein, die 12 Wochen oder
länger andauert. Es gibt eine Vielzahl phänotypischer Subtypen,
wobei Patient:innen mit chronischer Rhinosinusitis mit nasaler Polyposis
(CRSwNP) am stärksten von einem Geruchsverlust betroffen sind, gefolgt
von Patient:innen mit chronischer Rhinosinusitis ohne Polypen (CRSsNP), der
nicht-allergischen Rhinitis, der atrophischen Rhinitis und der allergischen
Rhinitis [124]. Nach dem European Position
Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps sowie den American Academy of
Otolaryngology-Head and Neck Surgery Guidelines wie auch den AWMF-Leitlinien zur
Rhinosinusitis ist die Riechstörung ein Kardinalsymptom der Erkrankung
[125]
[126]
[127]. Die
Prävalenz der CRS liegt in der europäischen
Allgemeinbevölkerung bei 11% [11].
Riechstörungen durch chronische Rhinosinusitis werden durch eine
Kombination von Faktoren verursacht. Dazu gehört der gestörte
Zugang von Duftstoffen zu den Riechrezeptoren wegen der Nasenatmungsbehinderung,
dem Schleimhautödem, der erhöhten Schleimsekretion und der
polypösen Raumforderung, sowie die entzündungsbedingte
Störung der Bindung von Duftstoffen an die Rezeptoren [128]
[129], der strukturelle Umbau des Riechepithels [112] und schließlich der
funktionelle und/oder strukturelle Umbau des BO sowie des
primären und sekundären olfaktorischen Kortex [130]
[131]
[132]
[133]. Riechstörungen im
Zusammenhang mit sinunasalen Erkrankungen treten allmählich im Lauf von
Monaten und Jahren auf und schwanken im Laufe der Zeit [134]
[135]. Sie bessern sich selten ohne Behandlung, Parosmien treten eher
nicht auf [114]
[136]
[137].
5.4 Posttraumatische Riechstörungen
Schädelhirntraumen sind eine Hauptursache für dauerhafte
Riechstörungen. Ihnen liegen verschiedene Mechanismen zugrunde,
u. a. Septumfrakturen mit mechanischer Verlegung der Atemwege, direkte
neuroepitheliale Verletzungen, Ödeme oder Veränderungen der
Schleimeigenschaften [138], Abscherung der
Fila olfactoria beim Durchtritt durch die Lamina cribrosa [70]
[139] (s. aber auch [140]),
zerebrale Kontusionen, sowie intrazerebrale Blutungen mit nachfolgender Gliose
[141]
[142]
[143].
Der traumatisch bedingte Riechverlust tritt in der Regel plötzlich auf,
wird aber oft erst Wochen und Monate nach dem Unfall bemerkt, zum Beispiel bei
Rückkehr in die häusliche Umgebung nach einem längeren
Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalt. Dieses verzögerte Auftreten der
Riechstörung könnte auch eine verzögert auftretende
zentralnervöse Schädigung widerspiegeln. Je schwerer das
Schädelhirntrauma ist, desto wahrscheinlicher ist der Riechverlust [142]. Aber auch sehr leichte Traumen
können zum Riechverlust führen [144]. Bei posttraumatischen Riechstörungen finden sich
vergleichsweise oft Phantosmien, seltener Parosmien [114]
[145]
[146]. Die
Regenerationsquoten bei posttraumatisch bedingten Riechstörungen sind
deutlich geringer als bei postinfektiösen Riechstörungen.
Trotzdem kommt es im Laufe der Zeit in etwa 30% der Fälle zu
einer Genesung, abhängig von der Schwere der Verletzung [108]
[115]
[147]
[148]
[149]
[150].
5.5 Riechstörungen im Zusammenhang mit neurologischen
Erkrankungen
Riechstörungen sind ein Begleitsymptom vieler neurologischer
Erkrankungen, wobei insbesondere die neurodegenerativen Erkrankungen mit
olfaktorischen Störungen assoziiert sind. Sie finden sich bei
über 90% der Patient:innen mit idiopathischem Parkinson-Syndrom
(IPS) [151] und werden als supportives
diagnostisches Kriterium in der klinischen IPS-Diagnose angesehen [152]. Vor dem Hintergrund, dass die
olfaktorischen Störungen den motorischen Symptomen mitunter über
zehn Jahre vorausgehen [153]
[154], weist die Mehrzahl der
IPS-Patient:innen zum Diagnosezeitpunkt bereits eine ausgeprägte
Hyposmie bzw. eine Anosmie auf. Daher muss zumindest bei einigen Patient:innen
mit idiopathischem Riechverlust und weiteren Risikofaktoren (z. B.
positive Familienanamnese) ein beginnendes IPS in Betracht gezogen und
neurologisch abgeklärt werden [153]. In geringerem Maße treten Riechstörungen bei
atypischen Parkinson-Syndromen auf, während z. B.
Restless-Legs-Syndrom oder einem essentiellen Tremor ein fast
uneingeschränktes Riechvermögen aufweisen [155]. Schwerwiegende Riechstörungen
finden sich ebenfalls bei der Lewy-Body-Demenz, der frontotemporalen Demenz und
der Alzheimer-Demenz (AD) [155]. Die
Riechstörung ist bei der AD ebenfalls ein Frühsymptom der
Erkrankung und bereits bei Patient:innen mit leichten kognitiven
Störungen nachzuweisen, wobei Einschränkungen in der
Riechidentifikation einen aussagekräftigen Prädiktor für
die Konversion zur Demenz darstellen [156]. Olfaktorische Defizite unterschiedlicher Ausprägung werden
ebenfalls bei der Huntingtonschen Erkrankung, bei Heredoataxien und
Motoneuronerkrankungen [155] sowie bei
Myasthenia gravis beobachtet [157].
Patient:innen mit Multipler Sklerose [158], viele nicht-degenerative Krankheitsbilder, wie z. B.
Temporallappenepilepsie [159], akute
depressive Episoden [160] und
Schizophrenie [161] weisen ebenfalls oft
Riechstörungen auf.
Bei vielen Synucleinopathien, wie z. B. dem IPS, und bei der AD wurden
neuropathologische Veränderungen mit typischen Proteinablagerungen in
der Riechschleimhaut, OB und Tractus olfactorius sowie im primären und
sekundären olfaktorischen Kortex beschrieben [162]. Die diagnostische Verwertbarkeit
dieser neuropathologischen Veränderungen ist bisher unklar, da
z. B. in vivo Biopsien des olfaktorischen Epithels
immunhistochemisch keine signifikanten Unterschiede zwischen IPS und
Patient:innen mit Riechstörungen anderer Ursache aufweisen [163].
5.6 Riechstörungen im Zusammenhang mit dem Alter
Der altersbedingte Riechverlust ist die häufigste Ursache für
eine Riechstörung. Etwa 50% der 65- bis 80-Jährigen und
62–80% der über 80-Jährigen sind hyposmisch
[164]. Der Riechverlust im Alter wird
als positiver Prädiktor für die 5-Jahres-Mortalität
angesehen [165]
[166] und erweist sich dabei als
stärkerer Risikofaktor im Vergleich zu den meisten chronischen
Erkrankungen [165]. Für die
Einschränkung der Riechfunktion ergibt sich ein deutlicherer
Zusammenhang mit der Mortalität als für eine
Einschränkung des Hör- oder Sehvermögen [166] und eine ausgeprägte
Assoziation mit neurodegenerativen Erkrankungen [167].
Die möglichen Ursachen für Riechstörungen mit zunehmendem
Alter sind vielfältig, wobei der Ersatz des olfaktorischen durch
respiratorisches Epithel bei reduzierter Regenerationsfähigkeit der ORN,
eine zunehmende Fibrose der Foramina der Lamina cribrosa und ein Volumenverlust
der BO als typische und möglicherweise ursächliche
Veränderungen betrachtet werden [34]
[168].
5.7 Idiopathische Riechstörungen
Eine idiopathische Riechstörung liegt dann vor, wenn eine
gründliche Diagnostik keine klare Ursache ergibt. Bis zu 16% der
Patient:innen, die in speziellen Zentren untersucht werden, fallen in diese
Kategorie [169]. Die Diagnose einer
„idiopathischen Riechstörung“ ist aufwendig und
schwierig, da einige der Fälle z. B. auf asymptomatische
Infektionen der oberen Atemwege, auf eine altersbedingte Riechstörung
oder eine ehe symptomarme CRS zurückzuführen sein
könnten [170]
[171].
5.8 Medikamentös bzw. toxisch bedingte Riechstörungen
Bei chronischer Exposition zu Toxinen kann es zu Riechstörungen kommen.
Ursachen können Schwermetalle sein, wie Cadmium und Mangan, Pestizide,
Herbizide und Lösungsmittel. Auch Chemotherapeutika und andere
Medikamente können zu Riechstörungen führen, vermittelt
über periphere, neuroepitheliale oder zentrale Läsionen [172].
5.9 Angeborene Riechstörungen
Mit einer Häufigkeit von etwa 1:8000 finden sich angeborene Anosmien,
häufig als isolierte congenitale Anosmie, seltener im Rahmen einer
genetischen Störung (z. B. Kallmann-Syndrom -hypogonadotroper
Hypogonadismus; Turner-Syndrom [173];
Bardet-Biedl-Syndrom [174]).
Typischerweise wird die Diagnose im Alter zwischen 12 und 16 Jahren gestellt.
Kennzeichnend für congenitale Anosmien sind die
hypoplastischen/aplastischen BO und der abgeflachte Sulcus olfactorius
(<8 mm) [112]
[175]
[176]
[177]
[178]. Allerdings wurden auch Fälle
von congenitaler Anosmie bei ausgebildetem BO bei Mutation des CNGA2-Gens
berichtet [179]. Andersherum erscheint
auch ein normaler Riechsinn bei fehlendem oder sehr stark verkleinertem
Riechkolben denkbar [180]
[181]. Bei V.a. Kallmann Syndrom oder
anderen syndromalen Konstellationen sollten sich die Patient:innen einer
genetischen, endokrinologischen und pädiatrischen Untersuchung
unterziehen.
5.10 Andere Ursachen von Riechstörungen
Riechstörungen können durch eine Reihe verschiedenster
Erkrankungen verursacht werden, z. B. durch intranasale oder
intrakranielle Neoplasmen, Nasenoperationen (z. B. Septumplastik [182]), endokrine Erkrankungen
(z. B. M. Addison, Hypothyreose, Diabetes mellitus), Bluthochdruck,
Vitamin-B12-Mangel, Funktionsstörungen als Komplikation einer Operation
(z. B. Operationen im Bereich der vorderen Schädelbasis) [109]
[183]
[184] oder Nasenoperationen
und Tracheotomien z. B. bei Laryngektomie, die den nasalen Luftfluss
verändern [185], psychiatrische
Erkrankungen [186]
[187], Migräne [188]
[189], Strahlentherapie [190]
oder Alkoholabhängigkeit [191]
[192].
Die Rolle von Rauchen/Nikotin beim Riechverlust ist umstritten [193]
[194]
[195]. Mehrere Studien
haben eine dosisabhängige, negative Wirkung des Rauchens auf die
Riechfunktion gezeigt [16]
[196]
[197]. Den Veränderungen könnte eine erhöhte
Apoptose von ORN [198] und/oder
der Ersatz des olfaktorischen Epithels durch Plattenepithelmetaplasie [199] zugrunde liegen.
6. Qualitative Riechstörungen
6. Qualitative Riechstörungen
Parosmie und Phantosmie sind Formen der qualitativen Riechstörung: Parosmie
ist die verzerrte, verdrehte Wahrnehmung einer Geruchsqualität in Gegenwart
eines Duftes; Phantosmie ist die Riechwahrnehmung ohne dass ein Duft vorhanden
wäre.
6.1 Parosmie
Als Parosmie gilt eine Duftwahrnehmung, wenn die subjektiven Erwartungen und die
tatsächliche Erfahrung einer Duftqualität nicht
übereinstimmen. Im Allgemeinen sind Parosmien unangenehm
(„verbrannt, fäkal, faulig, modrig“), obwohl auch im
Prinzip angenehme Verzerrungen („Euosmie“) beschrieben wurden
[200]
[201]. Parosmie wurden bei 4–10% der
Allgemeinbevölkerung und bei 7–56% der Patient:innen mit
Riechstörung berichtet [87]
[202]
[203]
[204]
[205]. Der hohe Grad der Varianz
erklärt sich durch die Art der Feststellung einer Parosmie und durch die
Unterschiede in den untersuchten Populationen und weist auch auf die
Subjektivtät der Symptomatik und ihrer Darstellung hin.
Parosmien treten am häufigsten bei Patient:innen mit postviralen
Riechstörungen auf, aber auch bei Riechstörungen anderer Ursache
[205]
[206]. Parosmien stellen sich in der Regel mit einem Intervall von
Wochen oder Monaten nach Beginn der Riechstörung ein [87]
[88]
[97]
[206], im Zusammenhang mit einer Erholung
der Riechfunktion. Parosmien treten sowohl bei Hyposmie und funktioneller
Anosmie aber auch bei Normosmie auf [205].
Zudem treten sie eher bei jüngeren Frauen auf und stellen
möglicherweise ein positives prognostisches Zeichen dar [98]
[99]
[206] (aber siehe auch [205]). Die psychosozialen Auswirkungen von
Parosmien können gravierend sein [206]
[207]
[208]
[209].
Zur Entstehung von Parosmien gibt es verschiedene Hypothesen. Die
„Fehlverdrahtungs“-Hypothese der Parosmie [210] geht davon aus, dass Parosmien auf
einer falschen oder unvollständigen Kodierung von Düften
beruhen, dem wieder verschiedene Mechanismen zugrunde liegen können: 1.
– falsche Zuordnung von Axonen der ORN zu den Glomeruli im BO; 2.
–Wechsel in der Rezeptorexpression der ORN; und 3. –
unvollständige ORN-Populationsregeneration, die zu Änderungen
bzw. Lücken in der Mustergenerierung führt [102]
[139]
[145]
[146]
[211]
[212]
[213]
[214]
[215]. Die
„zentrale“ Hypothese geht von zentralnervösen
Fehlverarbeitungen bzw. Fehlversschaltungen aus beruhend auf folgenden
Beobachtungen: 1. – kleine OB bei Patient:innen mit Parosmie; 2.
– reduziertes Volumen der Substantia grisea im olfaktorischen Kortex;
und 3. – veränderte Aktivierungsmuster in der zerebralen
Duftverarbeitung [122]
[216]
[217]
[218]
[219].
Parosmien werden durch bestimmte Duftgruppen, wie z. B. Pyrazine, Thiole
oder Furane eher ausgelöst als durch andere [220]. Typischerweise sind die Schwellen
für die Wahrnehmung dieser Duftstoffe niedrig. Als auslösende
Düfte werden häufig genannt Kaffee, Schokolade, Fleisch,
Zwiebel, Knoblauch, Ei und Minze/Zahnpasta [221]
[222].
Die Diagnose einer Parosmie beruht auf subjektiven Angaben der Patient:innen
[223]. Kurze Fragebögen helfen
bei der Diagnostik [224], ähnlich
wie die Einteilung nach Häufigkeit und Intensität der
parosmischen Wahrnehmungen sowie der Beeinträchtigung durch die Parosmie
[225]. Psychophysische Instrumente
wurden vorgeschlagen (Sniffin Sticks Parosmia Test –
„SSParoT“; [226]),
bedürfen aber wahrscheinlich weiterer Modifikation [227].
6.2 Phantosmie
Phantosmien sind Geruchswahrnehmungen ohne Geruchsquelle, sie werden
typischerweise als unangenehm beschrieben („verbrannt/rauchig,
verrottet, fäkal, chemisch“) [228]
[229]. Phantosmien erleben
etwa 1–31% der Allgemeinbevölkerung [14]
[202]
[230] und bis zu
16% der Patient:innen mit Riechstörungen [204]
[205]
[206]
[229], oft zusammen mit Parosmien [204]. Patient:innen mit einer Phantosmie
sind häufig funktionell anosmisch (43%) [205], sie sind eher mittleren Alters und
haben häufig eine posttraumatische Riechstörung. Pahntosmien
kommen aber auch bei Patient:innen mit anderen Ursachen von
Riechstörungen vor [205]
[206]. Geruchshalluzinationen werden auch
bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen berichtet, zum Beispiel bei
Temporallappenepilepsie oder als Auren bei Migräne [231]
[232].
Hypothesen zur Entstehung von Phantosmien beziehen sich auf (1) epileptiforme,
also ungeordnete Aktivität z. B. im Bereich des BO,
orbitofrontalen Kortex oder Gyrus rectus [233]
[234]
[235]
[236]
[237] oder der
Riechschleimhaut [139]
[206]
[238]
[239]. Phantosmien treten
auch bei neurologischen oder psychiatrischen Krankheitsbildern auf [240].
Die Diagnose einer Phantosmie basiert auf den Angaben der Patient:innen und kann
durch strukturierte Fragebögen gestützt werden [224]. Eine Graduierung der Phantosmien
anhand der Häufigkeit des Auftretens, der Intensität und dem
Grad der Beeinträchtigung wurde in Analogie zur Beurteilung der Parosmie
vorgeschlagen [225]. Phantosmien bessern
sich häufig spontan innerhalb von 6–12 Monaten [241] (siehe aber auch Pellegrino et al.
[206]) und deuten eher nicht auf eine
günstige Prognose hin [98]
[99]
[205].
7. Klinische Untersuchung
7. Klinische Untersuchung
Die klinische Beurteilung von Patient:innen mit Riechstörungen ist wichtig,
v. a. hinsichtlich der Diagnosestellung, was die Voraussetzung der
prognostischen Beratung und der Therapie ist [242]
[243].
7.1 Anamnese, klinische Untersuchung
Die Anamneseerhebung sollte u. a. folgende Fragen beinhalten: Spezifische
Beeinträchtigung des orthonasalen Riechens, des retronasalen Riechens
(Feingeschmack) oder des Schmeckens (gustatorische Wahrnehmung); Vorliegen von
Parosmie oder Phantosmie; prozentuale Einschätzung des
gegenwärtigen Riech- und Schmeckvermögens sowie der Nasenatmung;
Dauer der Riechstörung und Art des Beginns (allmählich,
plötzlich) sowie begleitende/vorangegangene Ereignisse (Infekt,
Trauma, Medikation); Schwankungen in der Riechwahrnehmung; frühere
Erkrankungen insbesondere sinunasale Erkrankungen und Voroperationen im
HNO-Bereich; berufliche Betroffenheit (z. B. Koch – ca. 450.000
in Deutschland!); Gefahrenanamnese durch fehlende Wahrnehmung von
Warngerüchen; Einnahme von Medikamenten; Raucherstatus;
neurodegenerative Erkrankungen (z. B. IPS) bei Verwandten ersten
Grades.
Die Untersuchung sollte eine vollständige HNO-Untersuchung umfassen
einschließlich anteriorer Rhinoskopie, sowie nasaler Endoskopie mit
Einsicht und Beurteilung der Riechspalte, am besten nach Anwendung eines
abschwellenden Nasensprays [244]
[245]). Eine vollständige
olfaktorische Untersuchung der Patient:innen sollte auch ein Screening der
Schmeckfunktion enthalten [246].
7.2 Riechprüfung
Untersuchungen des Riechvermögens lassen sich in drei Gruppen
unterteilen: 1. Subjektive Patient:innenberichte, 2. Psychophysische Tests; 3.
Elektrophysiologische Messungen und bildgebende Verfahren [242].
7.3 Subjektive Patient:innen-Berichte
Subjektive Angaben können mit visuellen Analogskalen, Fragebögen
oder mit anderen patient:innenorientierten Messverfahren durchgeführt
werden. Beispielsweise ist der SNOT-22 ein Fragebogen v. a. zur CRS, der
die allgemeine Belastung bewertet, aber nur eine Frage zum Riechvermögen
enthält [247]. Daneben gibt es
spezifischere Fragebögen hinscihtlich des Riechsinnes wie der
„Questionnaire of Olfactory Disorders (QOD)“, der besser
zwischen Patient:innen mit normalem und reduziertem Riechvermögen
unterscheidet als einfache Fragen, wie sie z. B. im SNOT-22 verwendet
werden [207]
[248]
[249]. Eine aktuelle Übersicht über olfaktorische
Fragebögen und Skalen findet sich bei [171]. Subjektive Angaben zum Riechvermögen sind allerdings
tendenziell unzuverlässig [19]
[250]
[251]
[252]
[253].
7.4 Psychophysische Tests
Psychophysische Tests liefern eine zuverlässigere Beurteilung der
Riechfunktion als subjektive Berichte, hängen aber natürlich
auch von der Mitarbeit und den Wünschen und Erwartungen des Untersuchten
und auch des Untersuchenden ab. Grob kann zwischen Tests unterschieden werden,
bei denen Riechschwellen untersucht werden und Tests, bei denen Riechleistungen
anhand von deutlich überschwelligen Duftkonzentrationen getestet werden.
Am häufigsten werden orthonasale Riechtests eingesetzt.
Die Riechschwelle ist die niedrigste Konzentration eines Duftstoffs, die jemand
wahrnehmen kann. Als Annäherung an die Schwelle wird klinisch
häufig die Konzentration gemessen, bei der 50% der Reize erkannt
werden. Die Riechschwelle erfordert keine Identifizierung des Duftreizes,
sondern die Wahrnehmung von „etwas“, normalerweise im Vergleich
zu einem geruchlosen Reiz. Testergebnisse aus Schwellenuntersuchungen sind daher
in der Regel weniger von kognitiven Faktoren abhängig als zum Beispiel
Ergebnisse aus Duftidentifizierungs- und Duftunterscheidungstests [254].
Bei überschwelligen Tests werden Düfte in Konzentrationen
angeboten, die bei normalen Riechvermögen sicher erkannt werden. Bei
Duftidentifikationstests werden Düfte verwendet, die bekannt sein
sollten, was allerdings von den subjektiven Erfahrungen und auch mit den
sprachlichen Fähigkeiten des Untersuchten zu tun hat. Der Duft
„Wintergreen“ ist zum Beispiel in England gut bekannt, in
Deutschland eher nicht. Das bedeutet auch, dass Duftidentifikationstests
regional verschieden sein müssen bzw. nur bedingt bei Menschen aus einem
anderen Kulturkreis angewendet werden können. Die spontane Erkennung von
Düften gelingt i.d.R. nur wenigen, deswegen werden Düfte
typischerweise zusammen mit einer Liste von Duftbegriffen angeboten, aus denen
derjenige ausgewählt werden muss, der am ehesten auf den Duft zutrifft
[255]. Dufterkennungstests beruhen auf
der Erkennung von 3 bis 40 Düften. Je mehr Düfte getestet
werden, desto zuverlässiger und reproduzierbarer werden die Ergebnisse
und desto besser kann zwischen Anosmie, Hyposmie und Normosmie unterschieden
werden [256].
Bei Tests zur Diskrimination von Düften werden 2 oder 3 Düfte
angeboten. Die Aufgabe der Untersuchten ist es, denjenigen Duft herauszufinden,
welcher von den anderen zwei Düften verschieden ist („Forced
Choice“). Diese Aufgabe ist im Grundsatz unabhängig von verbalen
Fähigkeiten.
Warum werden die Tests im Forced-Choice-Verfahren durchgeführt?
Forced-Choice-Verfahren sind notwendig, um zu verhindern, dass sich
Patient:innen für die Option „keine Geruchswahrnehmung“
entscheiden. Diese Option würde wahrscheinlich von vielen Patient:innen
gewählt werden, unabhängig davon, ob tatsächlich etwas
wahrgenommen wurde oder nicht. Nur wenn diese Patient:innen durch
Forced-Choice-Aufgaben aufgefordert werden, sich auf die Düfte zu
fokussieren, schöpfen sie ihre tatsächlichen
Wahrnehmungsfähigkeiten aus – und erreichen nicht selten
Ergebnisse, die für die Patient:innen selbst überraschend sind.
Daneben wird die Durchführung des Tests durch das Forced Choice
Verfahren vereinheitlicht.
Ist die Erfassung mehrerer psychophysischer Komponenten des Geruchssinns,
z. B. Schwelle, Unterscheidung und Identifikation sinnvoll oder nicht?
Doty et al. berichteten, dass verschiedene psychophysische Tests eine gemeinsame
Varianzquelle messen, was bedeutet, dass Riechverlust und Verbesserung des
Riechvermögens durch die Geruchsidentifikationsleistung alleine effektiv
bewertet werden kann [257]. Diese Meinung
ist allerdings nicht unwidersprochen – Jones-Gotman und Zatorre zeigten
nach selektiven zerebralen Exzisionen eine Verminderung der
Geruchsidentifikation, aber nicht der Schwellenwerte [258] (vgl. Hornung et al. [259]). Whitcroft et al. zeigten, dass das
Muster der psychophysischen Testergebnisse bei Patienten mit Riechverlust
unterschiedlicher Genese die zugrunde liegende Krankheitsätiologie
widerspiegelt [114]. In dieser Studie
hatten Patienten mit sinunasalen Riechstörungen herabgesetzte
Riechschwellen, wohingegen bei Patient:innen mit Parkinson-Krankheit vor allem
Geruchsunterscheidung und -identifikation beeinträchtigt waren (s.a.
[260]).
Diese und andere Studien weisen darauf hin, dass die Riechschwelle eher peripher
bedingte Änderungen des Riechvermögens anzeigt, z. B.
aufgrund einer sinunasalen Erkrankung, während überschwellige
Tests (Unterscheidung und Identifizierung von Düften) vorzugsweise
zentrale oder kognitive Ursachen von Riechstörungen erfassen (s.a. [71]).
Die Ergebnisse von verschiedenen Riechtests werden auch zusammengefasst, um eine
höhere Genauigkeit und Reproduzierbarkeit zu erreichen. Zum Beispiel
werden beim Connecticut Chemosensory Clinical Research Center Test (CCCRCT) die
Riechschwelle und Duftidentifikation zusammengefasst [261]. Beim Sniffin‘ Sticks Test
wird der „SDI“-Wert aus der Summe der Ergebnisse für die
Riechschwelle (S), Diskriminaton (D) und Identifikation (I) gebildet.
Zur Untersuchung des Riechvermögens gibt es viele Testverfahren,
allerdings sind bei weitem nicht alle hinsichtlich ihrer Reliabilität
und Validität gründlich untersucht. Beispielsweise ist der
University of Pennsylvania Smell Identification Test (UPSIT) ein reliabler,
valider Geruchsidentifikationstest, der auf der Mikroverkapselung von
Düften basiert, die durch Reiben freigesetzt werden. Er ist für
die Verwendung in verschiedenen Ländern adaptiert [262]
[263]
[264]
[265]. Die Riechtestung mit dem UPSIT
erfordert keine Überwachung [266]
[267]
[268]. Ein anderer, weit verbreiterter
psychophysischer Test sind die „Sniffin’ Sticks“, der
sich aus drei Teile zusammensetzt (s. o.) [269]. Der Test beruht auf filzstiftartigen
Duftspendern, ist wiederverwendbar und wird typischerweise von einem Untersucher
durchgeführt, kann aber in Teilen auch vom Patient:innen alleine
durchgeführt werden. Auch für die Sniffin Sticks wurden
Reliabilität und Validität geprüft, es existieren auch
Untersuchungen dazu, welche Änderungen bei den Riechtestergebnisse
klinisch bedeutsam sind (minimalen klinisch bedeutsamen Unterschied: [270]).
Darüber hinaus gibt es Tests, die auf Veränderungen des
Atemverhaltens während der Geruchswahrnehmung beruhen [271]. Diese Techniken lassen eine sehr
präzise Beurteilung der Riechfähigkeit zu (z. B. [272]), sie sind aber nicht weit
verbreitet.
Einen Sonderfall der Riechtestung stellt die Untersuchung von Kindern dar. Hier
wurden spezielle Riechtests entwickelt, die an die relativ
eingeschränkten verbalen Fähigkeiten der Kinder und ihre
begrenzten Erfahrungen mit Gerüchen angepasst sind. Psychophysische
Riechtests sind bei Kindern mehr oder weniger zuverlässig ab dem 4.
Lebensjahr möglich [273]
[274].
[Tab. 3] enthält eine Liste von
psychophysischen Tests, die im klinischen Umfeld verwendet wurden.
Tab. 3 Auswahl häufig gebrauchter psychophysischer
Riechtests
Psychophysischer Test
|
Erfasste Riechfunktion
|
Ausführliche orthonasale Riechttests
|
“Sniffin’ Sticks” (Originalversion)
[269]
|
Schwelle, Diskrimination, Identifikation
|
Connecticut Chemosensory Clinical Research Center Test [261]
|
Schwelle, Identifikation
|
T & T Olfaktometer [446]
|
Schwelle, Identifikation
|
University of Pennsylvania Smell Identification Test [262]
|
Identifikation
|
Barcelona Smell Test (BAST-24) [447]
|
Duftwahrnehmung, Identifikation, Riechgedächtnis
|
Orthonasale Kurztests
|
Riechdisketten [448]
|
Identifikation
|
Pocket Smell Test [282]
|
Identifikation
|
“Sniffin’ Sticks” (3, 5 oder 12
Duftproben) [281]
[283]
[449]
|
Identifikation
|
Brief Smell Identification Test (B-SIT; 12-item
Cross-Cultural Smell Identification Test) [280]
|
Identifikation
|
Retronasale Tests
|
Candy Smell Test (23 Proben) [290]
|
Identifikation
|
Schmeckpulver (20 Proben) [289]
|
Identifikation
|
Bei der Verwendung von psychophysischen Tests zur Definition von
Riechstörungen und der Änderung des Riechvermögens sind
Normwerte bedeutsam. Die Hyposmie wird von der Normosmie anhand des 10.
Perzentils der Testergebnisse junger, gesunder Probanden getrennt [262]
[269]. Im Gegensatz dazu wird die Anosmie auf der Grundlage der
empirischen Verteilung der Riechtestwerte von Anosmikern definiert [275].
In einer klinischen Umgebung werden psychophysische Tests normalerweise ohne die
vorausgehende Anwendung eines abschwellenden Nasensprays birhinal
durchgeführt [250]
[276]. Verschiedene Arbeiten zeigen
allerdings, dass lateralisierte Riechtests sowohl diagnostischen als auch
prognostischen Nutzen haben [277]
[278]
[279].
7.5 Psychophysische Kurztests
In der klinischen Routine werden häufig Screeningtests zur kursorischen
Untersuchung des Riechvermögens verwendet, z. B. bei der
präoperativen Beurteilung des Riechvermögens ([Tab. 3]). Dabei kommen in der Regel
Duftidentifikationstests zum Einsatz [280]
[281], die teilweise nur
auf 3 oder 5 Düften beruhen [282]
[283]. Sie sind leicht
verständlich und benötigen wenig Zeit ([Tab. 3]). Allerdings ist mit ihnen die
Dokumentation von Veränderungen wegen ihrer geringen Auflösung
nur schwer möglich. Werden beim Screening Auffälligkeiten
festgestellt, sollten sie mit einem validen, vollständigen Riechtest
weiter aufgeklärt werden.
Daneben wurden in den letzten Jahren auch Tests eingeführt, die im
heimischen Umfeld, anhand von häuslichen Düften
durchgeführt werden können [284]
[285]
[286]
[287]. Ob diese Tests eine weite Verbreitung finden, bleibt
abzuwarten.
7.6 Retronasale Riechtests
Der Feingeschmack, das retronasale Riechen hängt von der Riechfunktion
ab. Schmecken, also gustatorische Sensitivität und retronasales Riechen
werden häufig nicht getrennt, d. h., viele Patient:innen
beklagen den Verlust des „Schmeckens“ obwohl in Wirklichkeit das
retronasale Riechen betroffen ist [209].
Neben diesen Verwechslungen kommt es auch nicht selten vor, dass Patient:innen
angeben, dass das orthonasale Riechen stark beeinträchtigt wäre,
das retronasale Riechen aber intakt [288].
Solche Dissoziationen finden sich z. B. bei protrahiertem Riechverlust,
z. B. bei sinunasalen Reichstörungen oder bei
altersabhängigem Riechverlust. Zur klinischen
Überprüfung stehen einfache retronasale Dufterkennungstests zur
Verfügung [289]
[290]
[291].
7.7 Elektrophysiologische Untersuchungen und funktionelle Bildgebung
Elektrophysiologische Untersuchungen umfassen die Ableitung von duftinduzierten
Veränderungen im Elektroenzephalogramm (EEG), also die olfaktorisch
ereigniskorrelierten Potentiale und auch die Veränderungen im
reizabhängigen EEG [292]
[293]. Sie sind weniger stark als
psychophysische Messungen von den Erwartungen und der Mitarbeit der
Patient:innen abhängig. Wegen der Notwendigkeit der präzisen
Reizdarbietung sind computergesteuerte Olfaktometer eine technische
Voraussetzung, was die Verbreitung der Methode einschränkt [294].
Die funktionelle Bildgebung ermöglicht die Darstellung der
Gehirnaktivität als Reaktion auf Duftreize und umfasst
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und die funktionelle
Magnetresonanztomographie (FMRT). Beide Techniken basieren letztlich auf
duftinduzierten Änderungen des zerebralen Blutflusses [295]. Die Verwendung radioaktiver Isotope
macht die PET weniger attraktiv, und die olfaktorische FMRT hat eine geringe
Reliabilität, was den klinischen Wert in der individuellen Diagnostik
erheblich einschränkt [296].
7.8 Untersuchungen der Nase und des Gehirns mithilfe von MRT
Mithilfe der MRT können die Nase und ihre Nebenhöhlen, der BO
sowie primärer und sekundärer olfaktorischer Kortex beurteilt
und intrakranielle Raumforderungen ausgeschlossen werden. Bei traumatisch
bedingten Riechstörungen kann der Grad des Riechverlustes anhand des
Hirnläsionsmusters vorhergesagt werden kann [141]. Die Darstellung und Vermessung von
Bulbus und Sulcus olfactorius sind in der Diagnostik von congenitalen Anosmien
bedeutsam [177]
[178], und das BO-Volumen beinhaltet
prognostische Information bei Patient:innen mit Riechverlust [292].
8. Behandlung quantitativer Riechstörungen
8. Behandlung quantitativer Riechstörungen
Riechstörungen werden entsprechend ihrer Ursache behandelt. Zur Behandlung
von Riechstörungen in Zusammenhang mit einer CRS steht die topische oder
systemische Anwendung von Steroiden im Vordergrund, neben
Behandlungsmöglichkeiten u. a. durch Operationen oder mit
monoklonalen Antikörpern [297]
[298]
[299]. Zur Behandlung der CRS gibt es präzise und umfangreiche
Leitlinien, auf die hier verwiesen werden soll [125]
[126]
[127]
[300]
[301]
[302]
[303]
[304]
[305]
[306]. Dagegen sind die Therapiemöglichkeiten bei
Riechstörungen anderer Ursache zwar beschränkt [164]
[307]
[308], allerdings gibt es auch
hier verschiedene Optionen.
8.1 Beratung bei Riechstörungen
Die Beratung bei Riechstörungen ist v. a. hinsichtlich der
Vermeidung von Gefahren wichtig, u. a., was den Umgang mi Lebensmitteln
angeht oder die Anbringung von Rauchmeldern und Gaswarngeräten.
Detaillierte Informationen dazu gibt es von der Arbeitsgemeinschaft Olfaktologie
und Gustologie der Deutschen HNO Gesellschaft,
https://rebrand.ly/nvru0xc
8.2 Systemische Kortikosteroide
Mehrere Untersuchungen haben sich mit der Verwendung von systemischen
Kortikosteroiden zur Behandlung von postviralen Riechstörungen befasst
und kamen hier zu negativen [309]
[310] aber auch positiven Ergebnissen
(z. B. [311]
[312]
[313]
[314]
[315]). In einigen dieser Studien fehlte
allerdings die Kontrollgruppe, z. B. bei Ikeda et al. und auch bei
Fukazawa. Da gerade bei Patient:innen mit postviralen Riechstörungen die
Spontanheilung häufig ist, erscheinen diese Untersuchungen schwer
interpretierbar. Die Arbeiten von Vaira et al. und Le Bon et al. wurden jeweils
an kleinen Gruppen (n<10 pro Behandlungsarm) durchgeführt.
Mehrere Untersuchungen zeigten bei posttraumatischen Riechstörungen eine
Besserung unter Anwendung von systemischen Steroiden, allerdings ohne
begleitende Untersuchung einer Kontrollgruppe [316]
[317]
[318]. Obwohl die Spontanheilungsrate bei
posttraumatischem Riechverlust geringer ist als bei postviralen
Riechstörungen, schränkt dies immer noch die Interpretation der
Ergebnisse ein. Jiang et al. [319]
berichteten, dass im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe orales
Prednisolon an sich nicht zu einer signifikanten Besserung führte.
8.3 Topische Kortikosteroide
Topische Steroide wurden zur Entzündungsreduktion in verschiedenen
Studien verwendet, allerdings oft bei Gruppen mit verschiedenen Ursachen der
Riechstörung und als normales Nasenspray, wobei das eingesprühte
Spray die Riechspalte wahrscheinlich kaum erreicht [320]
[321]
[322].
Eine doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studie von Blomqvist et al.
zeigten bei Patient:innen mit Riechstörung unterschiedlicher Ursache
keinen signifikanten Unterschied in der Riechschwelle nach 6-monatiger
Behandlung mit intranasalem Fluticason-Spray, Placebo-Spray oder keiner
Behandlung (n=20, n=10 bzw. n=10) [323]. Auch Heilmann et al. [324] fanden in einer retrospektiven
Überprüfung ebenfalls keinen Effekt einer Behandlung mit
Mometason-Nasenspray. Hingegen bestand bei Fleiner et al. [325] eine signifikante Verbesserung in
einer Gruppe von Patient:innen mit Riechstörungen, die mit topischem
Steroiden und Riechtraining (s.u.) behandelt wurden. Auch Kim et al. [326] zeigten bei der kombinierten Anwendung
von systemischen und topischen Steroiden im Vergleich zur alleinigen Anwendung
von topischen Steroiden eine Verbesserung an einer relativ großen Gruppe
von Patient:innen (insgesamt 491) mit verschiedenen Ursachen von
Riechstörungen.
Bezüglich der COVID19-OD zeigten Hintschich und Kollegen [327] in einer kontrollierten Studie keinen
Vorteil hinsichtlich des SDI-Wertes für die Behandlung von
Mometason-Nasenspray (Applikation zur Riechspalte mit extra langem Applikator)
zusammen mit Riechtraining gegenüber der alleinigen Behandlung mit
Riechtraining. Ebenfalls bei Patient:innen mit COVID19-OD führten Kasiri
und Kollegen eine doppelt verblindete, randomisierte, kontrollierte Studie
durch, in der intranasales Mometasonfuroat-Spray/Riechtraining
(n=39) mit intranasalem Natriumchlorid/Riechtraining
(n=38) verglichen wurde [328].
Nach einer 4-wöchigen Behandlung gab es zwischen den Gruppen keinen
statistisch signifikanten Unterschied in der Veränderung des
Geruchsidentifikationstestwertes. Auch in einer weiteren randomisierten und
kontrollierten Studie an 100 Patient:innen mit einer COVID19-OD, von denen 50
mit Riechtraining und 50 mit Riechtraining und einem intranasalen
Mometason-Spray behandelt wurden [329],
bestand kein signifikanter Unterscheid zwischen beiden Gruppen. Allerdings
bewerteten die Teilnehmenden ihr Riechvermögen lediglich mithilfe von
visuellen Analogskalen. Im Ggeensatz zu den vorangegangen Studien konnte im
Rahmen einer randomisierten und kontrollierten Studie [330] zum Vergleich von Riechtraining und
intranasaler Spülung mit Budesonid (n=66) mit Riechtraining und
intranasaler NaCl-Spülung (n=67) bei Patient:innen mit
Riechstörungen unterschiedlicher Ursache nach 6 Monaten eine
stärkere klinische Verbesserung der Geruchsidentifikationswerte
für Patient:innen in der Budesonid-Gruppe (44%) im Vergleich zur
NaCl-Gruppe (27%) gezeigt werden.
Insgesamt ist die Evidenz bezüglich positiver Effekte bei Verwendung von
Kortikosteroiden bei nicht-sinunasal bedingten Riechstörung gering [331] – teilweise aufgrund der
fehlenden, qualitativ hochwertigen Studien. Trotz dieser Datenlage werden
systemische und topische Steroide häufig zur Behandlung
nicht-sinunasaler Riechstörungen eingesetzt [123]
[332].
8.4 Phosphodiesterase-Inhibitoren
Phosphodiesterase-Inhibitoren wie Theophyllin sollen die Riechfunktion
verbessern, indem sie den Abbau von intrazellulärem cAMP verhindern bzw.
die IL-10-Sekretion reduzieren [333]
[334].
In einer prospektiven Studie, in der die Sniffin’ Sticks-Ergebnisse vor
und nach der Verabreichung von Pentoxifyllin untersucht wurden [130], zeigte sich eine signifikante
Verbesserung der Riechschwellenwerte. Allerdings wurden normosmische und
hyposmische Patient:innen in diese Studie eingeschlossen. Henkin et al.
verwendeten ein unverblindetes, kontrolliertes Studiendesign, um die Wirkung von
oralem Theophyllin auf die Riechfunktion bei hyposmischen Patient:innen zu
untersuchen [335]. Die Studie zeigte eine
Besserung der Riechfunktion bei Dosissteigerung des Theophyllins im Laufe der
Zeit, wobei die Spontanerholung aber nicht berücksichtigt wurde. Bei
einer nicht-kontrollierten Untersuchung der Wirkung von topischem Theophyllin
[336] an 10 Patient:innen zeigte sich
nach 4-wöchiger Behandlung eine subjektive Besserung bei 8/10
Patient:innen. Im Gegensatz dazu zeigten Lee et al. anhand einer doppelt
verblindeten, placebokontrollierten, randomisierten Studie an einer kleinen
Gruppe von Patient:innen mit postviralen Riechstörungen (n≤12)
[337] keine Verbesserung der
Dufterkennung (UPSIT) für die Anwendung von Theophyllin, aber eine
Verbesserung in der geruchsbezogenen Lebensqualität. Insgesamt scheint
die Wirksamkeit von Phosphodiesterase-Inhibitoren bei Riechstörungen
derzeit nicht beurteilbar [338]
[339]
[340].
8.5 Intranasale Calciumpuffer
Freies Calcium in der Nasenschleimschicht spielt eine Rolle bei der Hemmung der
negativen Rückkopplung bei der intrazellulären olfaktorischen
Signalkaskade [341]. Es wurde daher
vermutet, dass die Sequestrierung von freiem Calcium unter Verwendung von
Pufferlösungen wie Natriumcitrat zu einer Verstärkung des
olfaktorischen Signals und einer daraus folgenden Verbesserung der Riechfunktion
führen kann.
Panagiotopoulos et al. berichteten über deutlich verbesserte
Duftidentifikationswerte bei hyposmischen Patient:innen mit mehrheitlich
postviralen Riechstörungen, die mit intranasalem Natriumcitrat behandelt
wurden [342]. In einer Reihe von
Untersuchungen wurden ebenfalls kurzfristige Effekte von Na-Citrat auf das
Riechvermögen gefunden [343]
[344]
[345], allerdings gab es bei einer zweiwöchigen monorhinalen
Anwendung von Na-Citrat keine signifikante Verbesserung der Riechtestergebnisse
(Sniffin Sticks) auf der behandelten Seite. Daneben gab es allerdings eine
signifikante Verringerung (82%) des Anteils der Patient:innen, die
über Phantosmie berichteten.
Eine Serie neuerer, verblindeter Untersuchungen von Abdelazim et al. [346]
[347]
[348] zu Na-Glukonat,
Na-Pyrophosphat und Na-Nitrilotriacetat zeigte eine deutliche Verbesserung des
Riechvermögens bei Patient:innen mit einer postviralen
Riechstörung beobachtet. Eine Bestätigung dieser Ergebnisse zum
Beispiel in einer mulitzentrischen Studie wäre sicherlich
wünschenswert.
8.6 Vitamin A
Vitamin A umfasst eine Familie fettlöslicher Retinoide, deren Oxidation
zur Produktion der biologisch aktiven Retinsäure, die als
Transkriptionsregulator bedeutsam bei der Gewebeentwicklung und -regeneration
ist [349]
[350]. Mehrere Untersuchungen deuten auf die Rolle der
Retinsäure bei der Riechfunktion hin [351]
[352]. Im Speziellen
kontrolliert Retinsäure die Differenzierung der olfaktorischen
Vorläuferzellen [353]
[354]
[355].
Beim Menschen berichteten Duncan und Briggs, dass hohe Dosierungen (bis zu
150.000 IE/Tag) systemischen Vitamins A bei 48 von 54 Patient:innen das
Riechvermögen verbesserte [356].
In einer nicht-kontrollierten Studie wurde eine signifikante Verbesserung der
Geruchsidentifikationswerte (Sniffin Sticks) nach Gabe von Isoretinoin gezeigt
[357]. In einer doppelblinden,
placebokontrollierten, randomisierte Studie bei Patient:innen mit postviralen
(n=19) und posttraumtischen Riechstörungen (n=33) mit
10.000 IE/Tag systemischem Vitamin A (n=26) oder Placebo
(n=26) für 3 Monate wurden allerdings keine signifikanten
Effekte gefunden [358],
möglicherweise aufgrund einer zu geringen Dosis.
In einer retrospektiven Analyse der Behandlung von Patient:innen mit postviralen
und posttraumatischen Riechstörungen zeigte sich nach topischer
Anwendung von intranasalem Vitamin A (10.000 IE/Tag; 8 Wochen, 12 Wochen
Riechtraining, n=124) eine signifikante Besserung (Riechtraining
+ Vitamin A vs. Riechtraining) [359] (siehe auch [360]).
8.7 Riechtraining
Eine wiederholte Exposition zu Duftstoffen, z. B. zu Androstenon, kann
die olfaktorische Empfindlichkeit gegenüber diesem Geruch verbessern
[361]. Dieses Prinzip liegt dem
Riechtraining zugrunde, bei dem Patient:innen über einen Zeitraum von
etwa 3 Monaten versuchen, durch regelmäßig wiederholtes und
bewusstes Schnüffeln einer Reihe von Duftstoffen, ihren Geruchssinn zu
verbessern [362].
Der genaue Mechanismus, der einer Verbesserung des Riechvermögens nach
Riechtraining zugrunde liegen könnte, ist unbekannt. Wahrscheinlich
spielt hier Plastizität sowohl des peripheren [363]
[364]
[365]
[366] als auch des zentralnervösen
olfaktorischen Systems eine Rolle, auf Ebene des BO [367], des primären und
sekundären olfaktorischen Kortex [368] sowie der gesteigerten intrazerebralen Vernetzung [369].
Der mögliche Nutzen eines solchen Trainings wurde erstmals bei einer
Gruppe von 40 Patient:innen mit Riechverlust aufgrund von postviralen,
posttraumatischen und idiopathischen Riechstörungen untersucht [370]. Die Patient:innen führten
zweimal täglich ein Riechtraining mit 4 Riechstoffen durch:
Phenylethylalkohol (Rose), Eukalyptol (Eukalyptus), Citronellal (Zitrone) und
Eugenol (Nelke). Die Trainingsgruppe (n=40) verbesserte nach 12 Wochen
ihre psychophysischen Testergebnissen (Sniffin’ Sticks) signifikant,
während dies bei der Nicht-Trainingsgruppe (n=16) nicht der Fall
war. Dieses Ergebnis wurde seither wiederholt bestätigt, allerdings
selten in kontrollierten Studien [371]
[372].
Eine randomisierte, kontrollierte, multizentrische Studie [373] an 144 Patient:innen zeigte, dass ein
Riechtraining mit hohen Duftkonzentrationen zu einer größeren
Verbesserung führte als ein Riechtraining mit sehr niedrigen, kaum
wahrnehmbaren Duftkonzentrationen [373],
was darauf hinweist, dass das Riechtraining tatsächlich nicht mit dem
Schnüffeln, sondern mit der olfaktorischen Stimulation
zusammenhängt. Weiterhin konnte aufgezeigt werden, dass der
therapeutische Effekt bei zeitnahem Beginn nach dem Riechverlust am
größten war. Zudem wurde eine stärkere Verbesserung der
Riechfunktion nach der Durchführung eines Riechtrainings über
einen längeren Zeitraum von 9 Monate nachgewiesen [374] (unter Verwendung von 3 mal 4
verschiedenen Gerüchen, bei Tausch der 4 Düfte alle 3 Monate
– sogenanntes „modifiziertes Riechtraining“). Eine
kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung
und Metaanalyse des Riechtrainings speziell für postvirale
Riechstörungen zeigte, dass Patient:innen durch das Riechtraining eher
eine klinisch relevante Verbesserung erreichten als die Kontrollgruppe [375]
[376].
In Bezug auf den posttraumatischen Riechverlust sind die Ergebnisse des
Riechtrainings heterogener. Konstantinidis und Kollegen zeigten nach der
Durchführung eines Riechtrainings eine klinisch signifikante
Verbesserung bei 33% von 38 Patient:innen gegenüber 13%
von 15 Kontrollen [377]. Langdon und
Kollegen [378] führten eine
prospektive randomisierte kontrollierte Studie mit 42 Patient:innen mit
posttraumatischer Riechstörung durch. Verglichen mit der Kontrollgruppe
zeigte sich nach 12 Wochen eine signifikante Verbesserung der
n-Butanol-Schwellenwerte. Es gab aber keine statistisch signifikanten
Verbesserungen bei einem Duftidentifikationstest (BAST-24) oder den
Selbstangaben der Teilnehmenden. Jiang und Kollegen berichteten über
zwei Studien, die sich mit der Wirkung von Riechtraining auf Patient:innen mit
posttraumatischer Riechstörung befassten. Allerdings waren in beiden
Studien die Patient:innen jeweils mit Prednisolon und Zink vorbehandelt worden.
Nach 6 Monaten Riechtraining zeigten sich signifikante Effekte auf der Ebene von
Riechschwellen, nicht aber bei einem Riechidentifikationstest (UPSIT-TC) [379]
[380].
Im Allgemeinen sprechen Patient:innen mit postviralen Riechstörungen
besser auf das Riechtraining an als Patient:innen mit posttraumatischen
Riechstörungen. Dies kann auf die insgesamt relativ schlechtere Prognose
bei Patient:innen mit posttraumatischen Riechstörungen
zurückzuführen sein.
Ein Nutzen des Riechtrainings wurde u. a. auch bei Patient:innen mit
neurodegenerativen Erkrankungen nachgewiesen [381]. Nur wenige Studien haben sich jedoch mit der Wirkung des
Trainings bei Patient:innen mit sinunasalen Erkrankungen befasst [325] (Übersichten bei [372]
[382]
[383]).
8.8 Chirurgische Therapieoptionen
Chirurgische Eingriffe sind weitgehend der Behandlung von Patient:innen mit
CRSwNP vorbehalten. Ähnlich wie bei der Behandlung mit Steroiden
existieren umfangreiche Richtlinien für die Anwendung der Operation bei
solchen Patient:innen. Es liegen verschiedene Übersichtsarbeiten zur
operativen Therapie bei Patient:innen mit sinunasalen Riechstörungen vor
[306]
[384]. Eine Metaanalyse zur Änderung des
Riechvermögens bei funktioneller endoskopischer
Nasennebenhöhlenchirurgie (FESS) kam zu dem Schluss, dass eine solche
Operation für CRS „fast alle“ subjektiven und
psychophysischen Parameter verbessert [385] (siehe aber auch [386]).
Darüber hinaus wurden Änderungen im Volumen olfaktorisch
bedeutsamer Hirnstrukturen im Zusammenhang mit einer verbesserten Riechfunktion
nach FESS gezeigt [133]
[387].
Der Nutzen operativer Behandlungsstrategien bei nicht-sinunasalen
Riechstörungen ist weniger gut etabliert. Schriever et al. zeigten, dass
eine Septumplastik keine wesentlichen bzw. geringfügige Auswirkungen auf
den Geruchssinn hatte [388], im Gegensatz
zu anderen Studien [252]
[389]
[390]. Berichte über positive Auswirkungen eines operativen
Vorgehens finden sich auch für die Septorhinoplastik [391]
[392]
[393]
[394]
[395]. Daneben berichteten Jankowski & Bodino [396] über einen positiven Effekt
der Dilatation der Riechspalte.
8.9 Plättchenreiches Plasma
Plättchenreiches Plasma (PRP) ist ein autologes Konzentrat aus
plättchenreichem Plasmaprotein, das aus Vollblut hergestellt wird.
Während der Hämostase setzen aktivierte Blutplättchen
eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren und Zytokinen frei. Diese Faktoren
fördern Angiogenese, Zellproliferation und Zelldifferenzierung, was
letztendlich zur Regeneration von Läsionen beiträgt [397]
[398]. Hinsichtlich des Riechvermögens zeigte intranasales PRP
in einem Maus-Anosmiemodell eine Besserung in olfaktorischen Verhaltenstests
[399]. Bei Patient:innen mit
sinunasalen Riechstörungen berichteten Mavrogeni et al. [400] über positive Ergebnisse nach
wiederholter intranasaler Injektion von PRP. Auch Yan et al. zeigten eine
signifikant verbesserte Riechleistung (Sniffin Sticks) 3 Monate nach einer
einzigen intranasalen PRP-Injektion [401].
Bei behandlungsresistenten Patient:innen mit Anosmie konnte nach der Behandlung
mit PRP-getränkten Schwämmen eine Besserung im Riechtest
nachgewiesen werden (B-SIT) [402].
8.10 Omega-3-Fettsäuren
Omega-3-Fettsäuren umfassen eine Gruppe mehrfach ungesättigter
Fettsäuren, die Schlüsselsubstrate des Fettstoffwechsels sind.
Drei Arten von Omega-3 sind für den Menschen wichtig:
α-Linolensäure (ALS – eine essentielle
Fettsäure, die nur über die Nahrung erhältlich ist),
Eicosapentaensäure (EPS) und Docosahexaensäure (DHS). So weisen
Tiere mit Omega-3-Mangel schlechtere Ergebnisse bei
Geruchsunterscheidungsaufgaben auf [403].
Es wird angenommen, dass dies auf reduzierte DHS-Spiegel im Gehirn und
insbesondere im BO zurückzuführen ist. Omega3-reiche
Ernährung ist beim Menschen mit einem guten Ergebnis in
Dufterkennungstests assoziiert [404]
[405].
Yan et al. zeigten in einer randomisierten, kontrollierten Studie bei
Patient:innen nach endoskopischen sellären oder parasellären
Tumorresektionen eine signifikant bessere Erholung des Riechvermögens im
Vergleich zu einer Kontrollgruppe [406].
Eine nicht verblindete, prospektive Studie von Hernandez et al. [407] an Patient:innen mit postviralen
Riechstörungen deutete ebenfalls auf einen positiven Effekt hinsichtlich
der Erholung des Riechvermögens im Vergleich zu einer Kontrollgruppe
hin.
8.11 Andere Behandlungsmöglichkeiten
Zusätzlich zu den oben genannten wurden zahlreiche andere Behandlungen
vorgeschlagen, zum Beispiel Phenytoyl-Ethanolamid plus Luetolin [408], Akupunktur [409], Lavendelsirup [410], Famotidin [411], Blockierung des Ganglion stellatum
[412], Toki-shakuyaku-san –
eine Mischung aus pflanzlichen Arzneimitteln [413]
[414] oder B-Vitamine [415].
9. Behandlung qualitativer Riechstörungen
9. Behandlung qualitativer Riechstörungen
9.1 Phantosmie
Eine Phantosmie im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen tritt selten auf.
Im Rahmen der Behandlung der Ausgangserkrankung verschwindet sie häufig.
Dementsprechend wurde – im Rahmen von Fallberichten – der
erfolgreiche Einsatz von Topiramat, Verapamil, Nortriptylin und Gabapentin bei
Patient:innen mit Migräne beschrieben [416]
[417]. Natriumvalproat und
Phenytoin wurden auch erfolgreich in zwei Fällen von idiopathischer
Phantosmie eingesetzt [418]. Morrissey et
al. berichteten über eine erfolgreiche Behandlung mit Haloperidol bei
Patient:innen mit idiopathischer Phantosmie [239].
Topische Applikation von NaCl-Lösung auf die Riechschleimhaut kann zu
einer vorübergehenden Linderung führen [223]. Leopold und Hornung zeigten eine
vorübergehende Besserung bei 6 Patient:innen mit idiopathischer oder
postviraler Phantosmie nach Lokalanästhesie der Regio olfactoria
(topische Anwendung von Kokain) [419].
Zunächst führte die Behandlung bei allen 6 Patient:innen zu
einer Anosmie; bei 4 Patient:innen kehrte die Phantosmie gleichzeitig mit dem
Riechvermögen zurück, und bei zweien kam es zu einem
verzögerten Auftreten der Phantosmie nach Rückkehr des Riechens.
Wie oben beschrieben, gab es nach Anwendung von intranasalem Natriumcitrat
für 2 Wochen eine signifikante Abnahme postviraler Phantosmien [345]. Darüber hinaus gab es auch
eine Abnahme parosmischer Beschwerden, was allerdings keine statistische
Signifikanz erreichte.
Bei stark belastender, langdauernder Phantosmie wurde die operative Entfernung
des Riechepithels [223]
[239]
[420] oder des BO [236]
[237] bei wenigen, ausgewählten
Patient:innen mit Erfolg als Ultima ratio angewendet.
9.2 Parosmie
Aufgrund der typischen Assoziation von Parosmien mit quantitativen
Riechstörungen werden sie häufig nicht separat, sondern zusammen
mit der quantitativen Riechstörung behandelt [324]
[345]
[421]
[422].
Eine chirurgische Behandlung von langanhaltender Parosmie wurde von Liu et al.
beschrieben – durch Bildung von Schleimhautadhäsionen wird der
Luftfluss zur Riechspalte vermindert, was zumindest bei einem einzelnen Fall mit
einseitiger Parosmie zur Besserung über wenigstens zwei Jahre
führte [423].
Problematisch in der Behandlung der Parosmie und Phantosmie ist allerdings die
schlechte Quantifizierbarkeit und Objektivierbarkeit der Beschwerden, was
letztlich die Kontrolle eines Behandlungsversuchs deutlich erschwert.
10. Mögliche neuartige Therapieansätze
10. Mögliche neuartige Therapieansätze
10.1 Geruchsimplantate
Beim Riechen werden chemische Reize in elektrische Signale umgewandelt, welche im
Gehirn in komplexen Prozessen zu Riecheindrücken verarbeitet werden. In
Analogie zum Cochleaimplantat, welches zur (Wieder-)Herstellung des
Hörvermögens bei der angeborenen oder erworbenen hochgradigen
Schwerhörigkeit zum Einsatz kommt [424], wird an der Entwicklung von Implantaten zur Wiederherstellung
der Riechfunktion gearbeitet.
Beim Menschen fanden erste Versuche zur elektrischen Stimulation im Bereich der
Riechschleimhaut bereits 1886 statt [425].
Geruchseindrücke konnten durch elektrische Reize von manchen Autoren
ausgelöst werden [426]
[427], von anderen nicht [428]
[429]. Eine Aktivierung im Bereich des primären olfaktorischen
Kortex durch die elektrische Stimulation wurde mittels FMRT nachgewiesen [429]. Darüber hinaus konnten durch
elektrische Reizung des BO Geruchsempfindungen erzeugt werden [233]
[430]. Bei Untersuchung an Patient:innen mit Epilepsie oder IPS
konnten Riechempfindungen nach elektrischer Stimulation durch Tiefenelektroden
ausgelöst werden [234]
[235]
[431]
[432]
[433]
[434]
[435].
Diese Untersuchungen zeigen, dass eine Aktivierung des olfaktorischen Systems
durch elektrische Reizung möglich ist und damit Riecheindrücke
ausgelöst werden können. Allerdings sind die Ansprüche
an ein Riechimplantat immens. Es müssen eine Vielzahl von Düften
detektiert und geruchsspezifische elektrische Signale zur Weiterleitung
generiert werden. Ein erstes Patent meldeten Constanzo und Coelho bereits 2016
an. Umfangreiche Projekte zur Entwicklung eines Riechimplantats werden derzeit
durchgeführt, wie zum Beispiel das EU-geförderte ROSE Projekt
(restoring odorant detection and recognition in smell deficits) [436].
10.2 Riechtransplantate
Die Transplantation von Riechepithel oder olfaktorischen Stammzellen stellt einen
Therapieansatz dar, um geschädigtes Riechepithel direkt
wiederherzustellen. Erste Transplantationen von Riechschleimhaut fanden bereits
1983 durch Morrison und Graziadei an Ratten statt. Nach Verpflanzung von
Riechschleimhaut in den BO, den vierten Ventrikel oder den parietalen Kortex von
Ratten/Mäusen konnte eine Regeneration der ORN gezeigt werden
[437]
[438]
[439], bei einer
Überlebensrate von 83–85%.
An Mäusen konnte sowohl durch intravenöse als auch lokale
Transplantation von markierten Knochenmarksstammzellen gezeigt werden, dass
diese in die Riechschleimhaut migrieren und sich dort teilweise in ORN
differenzieren [440]
[441]. Eine Verbesserung der Riechfunktion
wurde mit elektrophysiologischen Untersuchungen im Vergleich zu einer
Kontrollgruppe gezeigt [442]. Kurtenbach
et al. transplantierten gewebespezifische Stammzellen aus dem Riechepithel in
Mausversuchen und konnten in histologischen Untersuchungen die Ausbildung von
ORN im Riechepithel mit Axonaussprossung in den BO darstellen. Darüber
hinaus wurde anhand von Verhaltenstest und elektrophysiologischen Messungen eine
wiederhergestellte Riechfunktion im Vergleich mit der Kontrollgruppe
nachgewiesen [443].
Sowohl die Transplantation von Stammzellen als auch Riechepithel stellen
vielversprechende Therapieoptionen dar, jedoch gehen die Studien bisher nicht
über Tierversuche hinaus. Weiterhin sollte man bedenken, dass eine
Stammzelltransplantation mit einer Chemo- und/oder Strahlentherapie,
sowie einer Immunsuppression einhergeht, was wiederum ein erhöhtes
Risiko für Morbidität und Mortalität darstellt [444].
11. Schlussfolgerungen
Obwohl man ohne Geruchssinn offenbar gut durchs Leben kommen kann, ist das Riechen
u. a. bedeutsam für die Gefahrenerkennung, unser Sozialleben und
für den Feingeschmack beim Essen und Trinken. Ohne Geruchssinn ist die
Lebensqualität bei vielen, aber nicht allen Menschen erheblich
eingeschränkt. Insofern verdienen Patient:innen mit Riechstörungen
Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die Methoden zur Diagnostik sind weitgehend
standardisiert und für die verschiedensten Fragestellungen kommerziell
verfügbar. Die Möglichkeiten zur Therapie von Riechstörungen
sind im Gegensatz zu den detaillierten diagnostischen Möglichkeiten dagegen
begrenzt, was aber keineswegs heißt, dass es keine Optionen gibt!