PiD - Psychotherapie im Dialog 2023; 24(04): 1
DOI: 10.1055/a-1959-5281
Editorial

PiD - Psychotherapie im Dialog

Barbara Stein

Liebe Leserin, liebe Leser,

die letzten Monate sind erneut geprägt durch Gewalt, unendliches Leid und Blutvergießen. Der Ukrainekrieg tobt nach wie vor, der blutige Nahostkonflikt weist auf die tiefen Gräben und auf die seit Jahren ungelösten Spannungen zwischen Israel und der arabischen Welt hin. Und das sind nur zwei der aktuellen Brennpunkte unserer Welt. Geopolitische, sozioökonomische, ideologische und religiöse Interessen werden auf fast allen Kontinenten mit Waffengewalt eingefordert und verteidigt. Das Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK)[ 1 ] verzeichnete schon für 2022 mehr gewaltsam ausgetragene Konflikte und Kriege als im Jahr zuvor. Interessanterweise bezeichnet das HIIK auch die Auseinandersetzungen mit der rechtsextremistischen Szene in Deutschland als gewaltvolle Krise und würdigt damit das erhebliche Konfliktpotenzial dieser politischen Entwicklung.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – mich bedrückt dies sehr. Ich fühle mich überfordert angesichts der Komplexität der Konflikte, sprachlos gegenüber Fremdenfeindlichkeit, Hate Speech und so manchem politischen Gedankengut, ratlos hinsichtlich meiner Möglichkeiten, mich hier zu Lande und weltweit für mehr Respekt, Toleranz und demokratische Werte einzusetzen. In diesem Gefühlswirrwarr besteht allzu leicht die Gefahr, in der eigenen Bubble mit Gleichgesinnten passiv zu verharren. Ich bewundere daher die Initiative eines Rabbiners und eines Imams in Berlin, gemeinsam Brennpunktschulen zu besuchen, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Nur durch Begegnung und Kennenlernen anderer Perspektiven erwächst Verständnis und die Chance gemeinsamer Lösungen.

Wir alle sehnen uns nach Frieden. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es in unserer Sprache viele Wörter mit der Endung „-sucht“ gibt wie Sehnsucht, Eifersucht oder Streitsucht? Begriffe, die heutzutage mit Sucht im Sinne einer Abhängigkeitserkrankung wenig bis nichts zu tun haben. Etymologisch lässt sich das Wort Sucht auf siechen, an einer Krankheit leiden zurückführen. Historische Krankheitsbeschreibungen wie Gelbsucht oder Wassersucht weisen darauf hin. Sehnsucht betrachten wir heutzutage natürlich nicht mehr als Krankheit, obwohl sie durchaus schmerzen kann.

Ich wünsche uns, dass unser Leiden an der unerfüllten Sehnsucht nach Frieden uns immer wieder Mut macht und Energie verleiht, unsere Komfortzone zu verlassen und uns für Menschlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen.

In diesem Sinne Ihre

Barbara Stein



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Article published online:
28 November 2023

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