Einleitung
Die Tabakentwöhnung in Deutschland ist ein Paradoxon. Einerseits sind die Schädlichkeit
des inhalativen Rauchens und die damit verbundene Morbidität und Mortalität [1 ] sowie die hohen sozioökonomischen Kosten [2 ] sehr gut identifiziert, bei gleichzeitig sehr großem individuellen Benefit eines
Rauchstopps. Andererseits hören nur wenige Raucher eigenständig mit dem Rauchen auf
und bieten nur wenige Ärzte und Therapeuten trotz effektiver und evidenzbasierter
Therapien [3 ] eine solche Unterstützung an. Darüber hinaus ist die Kostenübernahme evidenzbasierter
Therapien durch die Krankenversicherungen aufgrund der gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen
erschwert.
Dies kann, neben anderen unzureichend umgesetzten Maßnahmen der Tabakkontrollpolitik
[3 ], als wesentlicher Faktor dafür angesehen werden, dass Deutschland im europäischen
Vergleich bei der Tabakkontrolle den letzten Platz belegt [4 ].
Der aktuelle Goldstandard der Tabakentwöhnung ist eine Kombination aus Verhaltenstherapie
und medikamentöser Unterstützung [5 ]. Therapien werden überwiegend in Gruppenkursen, selten in Einzeltherapien, durchgeführt.
Sie erreichen jedoch nur einen geringen Prozentsatz der Raucher in Deutschland. So
nahmen 2019 nur 9360 Raucher an Präventionskursen der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) [6 ] teil. Dies entsprach weniger als 0,6 % aller Teilnahmen an Präventionsangeboten
der GKV und weniger als 0,05 % der Raucher in Deutschland. Seit Beginn der Coronapandemie
muss von deutlich niedrigeren Teilnahmezahlen ausgegangen werden, da Präsenzangebote
für Raucher kaum noch stattfinden können.
Allerdings benötigen nicht alle Raucher intensive Maßnahmen zum Aufhören und viele
Raucher suchen Unterstützung in nicht evidenzbasierten Angeboten. Nur 13 % nutzen
laut der DEBRA-Befragung eine der evidenzbasierten Methoden [7 ]. Die langfristige Erfolgsquote des spontanen Aufhörens ist mit 4–7 % [5 ]
[8 ] sehr niedrig und Aufhörversuche erfolgen häufig erst, wenn bereits körperliche Schäden
oder Erkrankungen eingetreten sind [5 ]. Ein früheres Angebot evidenzbasierter Unterstützung für alle Raucher ist daher
aus medizinischen und gesundheitsökonomischen Gründen essenziell.
Heutzutage können Raucher aller Altersklassen durch moderne, leitlinienkonforme und
digitale Angebote erreicht werden. Digitale Anwendungen bieten gegenüber Präsenzmaßnahmen
zahlreiche Vorteile (sh. Supplement Tab. S1 ) und können eine Ergänzung zum bisherigen Goldstandard darstellen. Vor allem durch
ihre einfache Verfügbarkeit und ihren niederschwelligen Zugang können sie mehr Raucher
erreichen als Präsenzangebote, bei deutlich geringerem Ressourcenbedarf. Die prinzipielle
Wirksamkeit digitaler Tabakentwöhnungsangebote ist nachgewiesen, obwohl es in Bezug
auf Inhalte, Qualität und Leitlinienkonformität noch eine deutliche Heterogenität
der Anwendungen gibt [9 ]
[10 ]
[11 ]. Es konnte gezeigt werden, dass digitale Anwendungen kurz- und mittelfristig zu
einer verbesserten individuellen Gesundheit, aber auch bevölkerungsbezogen zu einer
geringeren Morbidität und Mortalität beitragen sowie enorme sozioökonomische Einsparungen
bedingen können.
Mögliche Nachteile – wie eine höhere Unverbindlichkeit oder eine eventuell geringere
Adhärenz digitaler Anwendungen im Vergleich zu Präsenzangeboten – werden durch den
sehr hohen Distributionsgrad mehr als ausgeglichen. So könnten selbst bei einer niedrigeren
Aufhörquote digitaler Angebote im Vergleich zu Präsenzangeboten durch die theoretisch
beliebig zu steigernde Teilnehmerzahl jährlich deutlich mehr Raucher erfolgreich entwöhnt
werden.
Mit dem digitalen Entwöhnungsprogramm „Nichtraucherhelden“ steht Rauchern seit Dezember
2016 eine umfassende, leitlinienkonforme Unterstützung beim Rauchstopp zur Verfügung,
welche eine hohe Übereinstimmung mit anerkannten und evidenzbasierten Unterstützungsmethoden
aufweist [5 ]
[8 ]
[12 ]. In der vorliegenden Untersuchung wurden das Programm und die App „Nichtraucherhelden“
auf ihre Akzeptanz, Adhärenz und Effektivität in der Raucherentwöhnung untersucht.
Probanden und Methoden
Die vorliegende Arbeit untersuchte retrospektiv und explorativ die Durchführbarkeit,
Akzeptanz, Adhärenz und die Aufhörquote des digitalen Entwöhnungsprogramms „Nichtraucherhelden“
(Firma NichtraucherHelden GmbH). Untersucht werden sollte die hypothetische Annahme,
dass Nutzer des Programms eine höhere Aufhörquote zeigen als Raucher aus historischen
Kollektiven, die ohne jegliche Unterstützung aufhörten.
Seit Dezember 2016 steht mit dem digitalen Entwöhnungsprogramm „Nichtraucherhelden“
eine leitlinienkonforme Onlineunterstützung und seit Mai 2019 auch eine Smartphone-App
(Android und iOS) zur Verfügung. In einer seit September 2018 angebotenen Plus-Version
wird über das Kernprogramm hinaus eine 76-tägige Nachbetreuung der Teilnehmer mit
Videos, Motivation, Fitnesseinheiten und Rezepttipps angeboten. Alle Programme entsprechen
den aktuellen Anforderungen an evidenzbasierte Präventionsangebote gemäß § 20 SGB
V und haben eine Zertifizierung durch die Zentrale Prüfstelle Prävention erhalten.
Ablauf und Inhalte des Entwöhnungsprogramms
Die Teilnehmer werden mit Videos und Tagesaufgaben durch das Standard-Curriculum eines
sonst mehrwöchigen Kurses geführt. Das Kernprogramm umfasst 2 Vorbereitungstage (D1
und D2), 7 Programmtage bis zum Rauchstopp (D3 bis D9), den Rauchstopptag (D10) und
2 Nachbetreuungstage (D11 und D12) (sh. Supplement Tab. S2 ). Der Fortschritt des Programms ist nur nach Erledigung der Tagesaufgaben möglich
(sh. Supplement Abb. S1 ). Schließen Teilnehmer die Tageseinheit nicht vollständig ab, werden sie via E-Mail
oder Push-Nachricht zum Weitermachen motiviert. In der Plus-Version erhalten die Teilnehmer
nach Abschluss von D12 für weitere 76 Tage Motivationsnachrichten, Videos, Fitnesstipps
oder Rezeptideen. Generell besteht die Möglichkeit für die Nutzer, beim Hersteller
einen nochmaligen Programmstart zu beantragen. Zur Prüfung der Indikation einer begleitenden
medikamentösen Unterstützung wird den Teilnehmern eine Beratung durch einen Arzt oder
Apotheker empfohlen.
Im Rahmen des Programms und nach Programmende werden die Teilnehmer zu festgelegten
Zeitpunkten (7, 30, 90, 180 und 360 Tage nach Rauchstopp) zu ihrem Rauchverhalten
innerhalb der letzten 7 Tage befragt (7-Tages-Punktprävalenz).
Diese Daten wurden im Hinblick auf Akzeptanz, Adhärenz und Aufhörquote ausgewertet.
Teilnehmer, die sich zum Programm anmeldeten, aber nie mit dem Programm begonnen hatten,
wurden als Non-Beginner (NB) klassifiziert; Teilnehmer, die das Programm vor dem geplanten
Rauchstopp beendeten, als Drop-Outs (DO). Als Complete Finisher (CF) wurden jene Teilnehmer
definiert, welche die 2 Vorbereitungstage und die 8 Programmtage bis einschließlich
zum Rauchstopp durchliefen (CF10), und noch einen (CF11) oder beide Nachbetreuungstage
des Kernprogrammes (CF12) in Anspruch nahmen. Alle, die das Programm begannen (einschließlich
DO) wurden in einer Intention-to-treat-Analyse berücksichtigt, die CF-Gruppe in einer
Per-Protocol-Analyse. Dropouts und Teilnehmer, die zu den einzelnen Befragungszeitpunkten
keine Angaben zum Rauchverhalten machten, wurden für diesen Zeitpunkt als Raucher
klassifiziert.
Programmteilnehmer hatten im Rahmen der AGB der Verwendung der Daten zu Auswertungszwecken
zugestimmt. Zudem lag ein positives Ethikvotum der Landesärztekammer Baden-Württemberg
vor (F-2021–109). Die vorliegende retrospektive Untersuchung umfasste Programmteilnehmer
von 12/2016 bis 11/2019. Die Arbeit wurde gemäß den Bestimmungen der Deklaration von
Helsinki durchgeführt.
Statistik
Die Datenauswertung erfolgte mit der integrierten Entwicklungsumgebung RStudio unter
Verwendung öffentlicher R-Libraries (Version 1.2.5019, packages: Tidyverse, dplyr,
ggplot2, nortest, reshape2, colorRamps, ggeasy, coin und rstatix). Erhobene Endpunkte,
wie die Abstinenz- und Rückmeldequote, die Anzahl der gerauchten Zigaretten und die
Stärke der Zigarettenabhängigkeit nach Fagerström, wurden zu den jeweiligen Erhebungszeitpunkten
zwischen den Teilnehmergruppen und deren Untergruppen wie folgt verglichen. Alle vorliegenden
Datenpunkte waren nach Shapiro-Wilks- und Anderson-Darling-Test nicht normal verteilt,
weshalb nichtparametrische Verfahren angewendet wurden. Angaben zur deskriptiven Statistik
erfolgten durch Bestimmung des Medians, des Minimums und Maximums sowie des ersten
und dritten Quartils. Vergleiche zwischen Gruppen und Untergruppen wurden für kontinuierliche
Variablen mittels Kruskal-Wallis- und Wilcoxon-Rangsummen-Test (WRST) verglichen,
dichotome Variablen mittels Fishers-Exact-Test und mehrdimensionale, geordnete Variablen
mittels Linear-by-Linear-Association-Test. Zur Bestimmung, ob unabhängige Faktoren
– wie Alter, Geschlecht, Stärke der Zigarettenabhängigkeit nach Fagerström, Verwendung
der Nachbetreuungstage (CF10 / CF11/CF12), Art der Programmnutzung (App/Web), die
Nutzungsdauer des Programms bis zum Rauchstopp, der Usertyp (Basis/Plus), sowie die
Anzahl zusätzlich verwendeter Module aus der Plus-Version und die Häufigkeit deren
Verwendung innerhalb der Complete Finisher – einen Einfluss auf die Rauchabstinenz
(abhängige Variable) haben, wurde eine multivariate Analyse mittels logistischer Regression
(LR) je Erhebungszeitpunkt durchgeführt. Hierbei gab die abhängige Variable an, ob
die Probanden zum Erhebungszeitraum rauchfrei waren oder nicht. Um zu testen, ob die
erhobenen unabhängigen Variablen das Erreichen der Rauchabstinenz beeinflussen, wurden
zunächst alle unabhängigen Variablen in einer univariaten LR hinsichtlich ihrer Einflusses
auf die abhängige Variable getestet. Alle Variablen, die in der univariaten LR signifikant
waren (p < 0,05), wurden für das Modell der multivariaten LR jeweils pro Erhebungszeitpunkt
ausgewählt. Die statistischen Analysen erfolgten unter Festlegung eines Signifikanzniveaus
von α ≤ 5 %.
Ergebnisse
Teilnahme am Programm
Von 12/2016 bis 11/2019 meldeten sich insgesamt 2680 Raucher an (online und App).
189 (7 %) der Angemeldeten begannen das Programm nicht (NB). Für die Auswertung standen
somit Datensätze von 2491 Teilnehmern (TN) zur Verfügung, wovon 634 (25,4 %) das Programm
vor dem Rauchstopptag abbrachen (DO; [Abb. 1 ]). 20,1 % der DO (n = 125) brachen bereits nach den beiden Vorbereitungstagen und
damit vor dem eigentlichen Programmstart ab (frühes Dropout), 33,0 % (n = 208) einen
oder 2 Tage vor dem Rauchstopptag des Programmes (spätes Dropout); (sh. Supplement Abb. S2 ).
Abb. 1 Anzahl und Gruppierung der Probanden.
Die Plus-Version wurde mit 52 % etwas häufiger von Teilnehmern der CF-Gruppe im Vergleich
zur DO-Gruppe (48 %) genutzt. 6,8 % aller TN nutzten die ab Mai 2019 auf dem Markt
befindliche App für mobile Geräte (Smartphones/Tablets), mehrheitlich in der CF-Gruppe
(85 % vs. 15 % DO). 87,7 % der CF-Gruppe (n = 1629) durchliefen beide Nachbetreuungstage
(CF12), 116 Teilnehmer (6,2 %) nur den ersten (CF11) und 113 Teilnehmer (6,1 %) keinen
(CF10). Programmwiederholungen kamen mit 5,1 % nur in der CF-Gruppe vor.
Teilnehmercharakteristika
Der Frauenanteil der TN betrug 69 % (1711 von 2491) und das Durchschnittsalter 46
Jahre (46 [17–80], Median [Min–Max]). Die Abhängigkeit im Fagerström-Test für Zigarettenabhängigkeit
(FTCD) lag im Mittel bei 5,3 Punkten (6 [0–10]), der durchschnittliche Zigarettenkonsum
bei 18,9 Zig./Tag (20 [0–200], Median [Min–Max]). Es gab Unterschiede zwischen den
Untergruppen (CF, DO, NB) in Bezug auf die Geschlechterverteilung, den Abhängigkeitsgrad
und den Zigarettenkonsum ([Tab. 1 ], [Abb. 2a–e ]).
Tab. 1
Charakteristika der Gruppen. Anzahl und prozentuale Anteile der Probanden, sowie Median
mit Minimum und Maximum in Klammern und erstes (Q1) und drittes (Q3) Quartil; Abkürzungen:
W = weiblich, M = männlich, FTCD = Fagerströmtest für Zigarettenabhängigkeit, CF = Complete
finisher, DO = Dropouts, TN = Teilnehmer (CF+DO), NB = Non-Beginner.
Variable
CF (n = 1857)
DO (n = 634)
TN (n = 2491)
NB (n = 189)
Geschlecht:
W vs M vs nicht angegeben
1298 vs 559 vs 0
413 vs 221 vs 0
1711 vs 780 vs 0
81 vs 60 vs 48
(70 % vs 30 % vs 0 %)
(65 % vs 35 % vs 0 %)
(69 % vs 31 % vs 0 %)
(43 % vs 32 % vs 25 %)
Alter
46 (17–80)
45 (21–78)
46 (17–80)
47 (20–81)
Q1: 38, Q3: 56
Q1: 38, Q3: 54
Q1: 38, Q3: 55
Q1: 34, Q3: 57
FTCD
5 (0,00–10)
5 (0–10)
6 (0–10)
5 (3–10)
Q1: 4, Q3: 7
Q1: 4, Q3: 7
Q1: 4, Q3: 7
Q1: 3, Q3: 7
Anzahl Zigaretten/Tag
20 (0–70)
20 (3–200)
20 (0–200)
20 (0–60)
Q1: 14, Q3: 22
Q1: 15, Q3: 25
Q1: 15, Q3: 22
Q1: 12, Q3: 22
Nutzer:
Basis vs. Plus
890 vs. 965
381 vs 253
1271 vs 1220
111 vs 78
(48 % vs 52 %)
(60 % vs 40 %)
(51 % vs 49 %)
(59 % vs 41 %)
Abb. 2 Die Stärke der Zigarettenabhängigkeit a , b , d , e und die Anzahl der gerauchten Zigaretten c unterschieden sich zwischen den Gruppen der Kohorte und den CF-Untergruppen. FTCD-Einteilung:
leicht = 0–3, mittel = 4–6, schwer = 7–10; n(CF) = 1857, n(DO) = 634, n(NB) = 189,
n(CF10) = 113, n(CF11) = 116, n(CF12) = 1628; a –c : Kruskal-Wallis-Test mit 2-seitigem Wilcoxon-Rangsummen-Test, p < 0,05 signifikant;
Abkürzungen: FTCD = Fagerström-Test für Zigarettenabhängigkeit, CF = Complete Finisher,
DO = Dropouts, TN = Teilnehmer (CF+DO), NB = Non-Beginner, CF11/12 = Verwendung der
Nachbetreuungstage 11 und 12.
Dauer der Programmnutzung
Die Nutzungsdauer des Kernprogramms der CF lag im Mittel bei 23,9 Tagen (14 [9–1153],
Median [Min–Max]). 3,1 % schlossen das Programm später als 3 Monate nach dem Programmschluss
ab. Der Rauchstopptag wurde durchschnittlich nach 18,9 Tagen (11 [9–1153], Median
[Min–Max]) erreicht. Die 2 Nachbetreuungstage wurden von der Mehrheit direkt im Anschluss
an den Rauchstopp, im Durchschnitt innerhalb von 5,2 Tagen, absolviert (CF11: 1 Tag
[1–278], CF12: 2 Tage [2–280], Median [Min–Max]).
Nutzung der Plus-Version
66 % (n = 637) der CF, welche die Plus-Version erworben hatten, nutzten diese – die
Mehrheit innerhalb der ersten Woche nach den Nachbetreuungstagen, danach nahm die
Nutzungsfrequenz ab (sh. Supplement Abb. S3 ). 30 Tage nach Beendigung des Kernprogramms verwendeten weniger als 10 % der Teilnehmer
täglich die Plus-Version.
Evaluationsquote CF
Die Rückmeldequote in der Gruppe CF nahm über die Zeit von 58,6 % (7 Tage nach Programmende)
auf 30,5 % (360 Tage) ab. Ebenso unterschied sich die Rückmeldequote innerhalb der
CF-Subgruppen mit einer höheren Rückemeldequote nach einem Jahr in der CF12-Gruppe
(sh. Supplement Abb. S4 und Tab. S3 ).
Aufhörquote der CF
Erhoben wurde die Abstinenz als 7-Tages-Punktprävalenz der CF-Gruppe (per protocol)
7, 30, 90, 180 und 360 Tage nach dem Rauchstopptag. Die Aufhörquote fiel von 26,1 %
(Tag 7 nach Programmende) auf 16,1 % nach 180 Tagen und 15,3 % nach 360 Tagen ([Abb. 3 ]). In der Intention-to-treat-Analyse lagen die Aufhörquoten entsprechend bei 19,4 %,
12,0 % und 11,4 % (sh. Supplement Tab. S4 ). Die Subgruppen CF10 und CF11 zeigten zu den Untersuchungszeitpunkten abweichende
Aufhörquoten. Die Rückfallquote nach einem Jahr lag somit bei 41 % (n = 201). 88 %
(n = 175) aller Rückfälle ereigneten sich innerhalb der ersten 90 Tage nach Programmende.
Abb. 3 Abstinenzquote nach CF-Untergruppen bis zu einem Jahr nach Rauchstopp. Abkürzungen:
CF = Complete Finisher, CF10 = ohne zusätzliche Nachbetreuungstage, CF11/12 = Verwendung
der Nachbetreuungstage 11 und 12.
Alle in der univariaten logistischen Regression (LR) signifikant getesteten Einflussfaktoren
auf den Aufhörerfolg gingen in die multivariate LR ein (sh. Supplement-Tab. S5 ). Hier waren nur die Stärke der Zigarettenabhängigkeit (FTCD) und das Abschließen
aller zur Verfügung stehenden Module (CF12) mit der Abstinenzquote assoziiert ([Tab. 2 ]). Das Abschließen aller Kernmodule (CF12) war bis 90 Tage nach Programmende negativ
mit der Abstinenzquote assoziiert. Nach 180 bzw. 360 Tagen war für die CF12 jedoch
keine Signifikanz mehr nachweisbar. Die Stärke der Zigarettenabhängigkeit (FTCD) dagegen
war über alle Messzeitpunkte positiv mit der Abstinenzquote assoziiert. Ein um einen
Punkt höherer FTCD-Wert zu Beginn des Programms erhöhte das Log Odds, rauchfrei zu
werden, signifikant um den Faktor 1,09 bis 1,21. ([Tab. 2 ], Supplement-Abb. S5 ).
Tab. 2
Faktoren, die die Rauchabstinenz beeinflussen. Multivariate logistische Regression
zur Bestimmung des Einflusses unabhängiger Variablen auf die Rauchabstinenz pro Befragungszeitpunkt;
Nur unabhängige Variablen, die in der univariaten LR signifikant (p < 0,05) mit der
Rauchabstinenz assoziiert waren zum jeweiligen Erhebungszeitraum wurden für die multivariate
LR eingeschlossen. Nicht eingeschlossene Variablen sind mit „–“ gekennzeichnet. McFadden’s
Pseudo R2 mit Signifikanzniveaus p < 0,05 signifikant; Abkürzungen: FTCD = Fagerströmtest für
Zigarettenabhängigkeit, CF = Complete finisher, CF10 = ohne zusätzliche Nachbetreuungstage,
CF11/12 = Verwendung der Nachbetreuungstage 11 und 12, CI = Konfidenzintervall, AOR = adjustiertes
Odds ratio.
Erhebungszeitpunkt
7 (n = 1,080)
30 (n = 850)
90 (n = 661)
180 (n = 594)
360 (n = 563)
McFadden’s Pseudo R2
R2 = 0,096
R2 = 0,077
R2 = 0,044
R2 = 0,02
R2 = 0,036
AOR
CI 95 %
p
AOR
CI 95 %
p
AOR
CI 95 %
p
AOR
CI 95 %
p
AOR
CI 95 %
p
Alter
1,02
1,02–1,01
0,0012
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
FTCD
1,21
1,14–1,28
1,63e-9
1,18
1,10–1,26
1,72e-6
1,11
1,04–1,20
0,003
1,09
1,02–1,18
0,016
1,14
1,06–1,23
9,2e-4
Programmtyp
App
–
–
–
Referenz
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Web
–
–
–
1,28
0,91–1,81
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Subgruppen: CF
CF 10
Referenz
Referenz
Referenz
–
–
–
–
–
–
CF 11
1,31
0,52–3,36
0,565
0,95
0,30–3,07
0,927
–
–
–
–
–
–
–
–
–
CF 12
0,39
0,19–0,75
0,006
0,26
0,11–0,56
0,0011
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Subgruppen:
Plus Programm
Anzahl Module
1,02
0,97–1,08
0,414
1,00
0,95–1,05
0,855
0,99
0,93–1,05
0,789
1,00
0,95–1,05
0,958
1,01
0,95–1,06
0,774
Anzahl Tage
0,84
0,73–0,97
0,014
0,90
0,79–1,04
0,137
0,97
0,84–1,14
0,724
0,95
0,95–0,83
0,447
0,91
0,79–1,06
0,222
Diskussion
Mit dem digitalen Entwöhnungsprogramm und der Smartphone-App „Nichtraucherhelden“
steht Rauchern im deutschsprachigen Raum eine umfassende, leitlinienkonforme und gemäß
den vorliegenden Evidenzen gestaltete, digitale Unterstützung zur Verfügung. Gleichzeitig
weist das Programm gegenüber Präsenzkursen zahlreiche Vorteile auf, wie z. B. eine
nahezu unbegrenzte Distributionsmöglichkeit sowie einen niederschwelligen Zugang mit
sofortiger und zeitlich wie auch lokal flexibler Verfügbarkeit. Insbesondere durch
die Restriktionen im Rahmen der Coronapandemie wurde deutlich, wie wichtig digitale
Angebote in der Medizin zur Verbesserung und Aufrechterhaltung der Patientenversorgung
sind. Aufgrund des primärpräventiven Ansatzes liegt der Schwerpunkt des hier untersuchten
Programms auf verhaltenstherapeutischer Unterstützung.
Die Aufhörquote von 15,3 % ein Jahr nach Programmende in der Per-Protocol-Analyse
und 11,4 % in der Intention-to-treat-Analyse zeigt die prinzipielle Durchführbarkeit
und Wirksamkeit eines digitalen, leitlinienkonformen Entwöhnungsprogramms. Allerdings
ist zur Bestätigung der Effektivität eine randomisierte, kontrollierte Studie erforderlich
– insbesondere im Vergleich zur Aufhörquote spontaner, nicht unterstützter Aufhörversuche
von 4–7 %, sowie zum Vergleich mit der Aufhörquote eines langjährig etablierten Online-Programms
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nach 6 Monaten von 9 % [13 ] oder der Aufhörquote von Präsenzkursen ohne begleitende medikamentöse Unterstützung
von 20–25 % [5 ].
Das Programm und die App zeigen eine gute Akzeptanz, mit zuletzt jährlich mehr als
1200 Anmeldungen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum nahmen an einem bundesweiten
Kursangebot 1749 Raucher teil [14 ], was die Akzeptanz virtueller Formate unterstreicht. Zudem sind digitale Anwendungen
im Vergleich zu Präsenzangeboten mit vielen Vorteilen verbunden und können das bestehende
Angebot an Präsenzkursen sehr gut ergänzen.
Rund 25 % der Teilnehmer, die mit dem Programm begannen, beendeten das Programm vor
dem Rauchstopptag (Dropouts). Über die Gründe liegen innerhalb des Programms keine
Daten vor. Ein Nichtgefallen der Methodik des Programms, eine geschenkte Programmteilnahme
ohne Eigenmotivation oder eine kurzfristige Änderung der Lebensumstände kommen als
mögliche Gründe für frühe Abbrecher in Betracht. Angst vor dem letzten Aufhörschritt
oder eventuelle Entzugssymptome bei fehlender Medikation könnten bei den späten Abbrechern
ursächlich sein. Letztlich bleiben die wahren Gründe methodenbedingt jedoch Spekulation.
Die vorliegende Auswertung gibt Hinweise auf möglicherweise unterschiedliche „Nutzer“
in den Subgruppen. So war die Abhängigkeit in der Dropout-Gruppe höher als in den
CF-Gruppen, gleichzeitig hörten jedoch stärker abhängige Raucher in der CF-Gruppe
erfolgreicher auf als weniger stark Abhängige dieser Gruppe. Rund jeweils 6 % nutzen
keinen oder nur einen der beiden Nachbetreuungstage des Kernprogramms (CF10 bzw. CF11).
Diese meldeten sich auch weniger häufig zu den Evaluationszeitpunkten zurück. Für
tiefergehende Gruppenvergleiche lagen jedoch zu wenige Daten zu den Charakteristika
der Subgruppen vor.
Anhand der Nutzungsdauer konnte eine zügige und stetige Arbeit mit dem Programm gezeigt
werden. Der Rauchstopptag wurde im Mittel nach knapp 19 Tagen erreicht.
Auffallend ist der hohe Frauenanteil mit 69 %. In den „rauchfrei“-Kursen des Instituts
für Therapieforschung München (IFT) lag der Frauenanteil 2019 bei 49 % [14 ]. Alter und Zigarettenzahl der vorliegenden Untersuchung waren wiederum mit den veröffentlichten
Daten des IFT vergleichbar, wohingegen der Abhängigkeitsgrad und die Zahl der stark
bis sehr stark Abhängigen in den IFT-Kursen jeweils niedriger lagen (FTCD-MW 5,2 vs.
4,6, FTCD > = 5 bei 64,4 % CF bzw. 71,3 % DO vs. 53,8 % IFT). Vergleichsdaten zur
Nachevaluation der IFT-Kohorte lagen leider im vorliegenden Jahresbericht nicht vor.
Die Aufhörquote zeigte eine für Tabakentwöhnungsprogramme typische regressive Kurvenform.
Die meisten Rückfälle (88 %) traten innerhalb der ersten 3 Monate nach dem Rauchstopp
auf [5 ].
Die Stärke der Abhängigkeit war zu allen Erhebungszeitpunkten ein signifikanter Einflussfaktor
auf den Rauchstopperfolg. Unerwartet zeigte sich bei höheren FTCD-Werten zu Beginn
des Programms eine signifikant höhere Aufhörquote bis zu einem Jahr nach Rauchstopp. Eine
stärkere Abhängigkeit ist per se jedoch nicht als Erfolgsprädiktor zu werten, wie
sich an der hohen Abhängigkeit der DO-Gruppe zeigte, die das Programm vor dem Rauchstopp
abbrach. Mögliche Cofaktoren für den Rauchstopperfolg der CF könnten eine höhere Motivation
oder Zuversicht sein sowie ein höherer Leidensdruck, z. B. bei Komorbiditäten, oder
die häufigere Nutzung von Entwöhnungsmedikamenten. Daten hierzu lagen jedoch im untersuchten
Kollektiv nicht vor. Bis 90 Tage nach Rauchstopp zeigte sich die CF12-Gruppe als Einflussfaktor
auf die Aufhörquote, ab 180 Tagen war dies jedoch nicht mehr statistisch signifikant.
Eventuell interferierte hier die etwas niedrigere Abhängigkeit der CF12-Gruppe im
Vergleich zu CF11 / CF10.
Die aktuelle Analyse zeigt in Bezug auf das Design und die Daten Limitationen. Es
handelt sich um eine explorative Auswertung der innerhalb des Programms erhobenen
Daten. Zur besseren Einschätzung von Unterschieden zwischen den Subgruppen sollten
mehr Daten innerhalb des Programms erhoben werden, wie z. B. Bildungsgrad, Erwerbstätigkeit,
Familienstand, frühere Erfahrungen mit Rauchstoppversuchen und Unterstützungsangeboten,
Rauchstoppmotivation und -zuversicht, Komorbidität und Komedikation sowie eventuell
zusätzlich zum Programm verwendete Unterstützungsangebote, insbesondere auch die Nutzung
von Entwöhnungsmedikamenten. Mit berücksichtigt werden muss, dass eine digitale Anwendung
evtl. mehr jüngere, internetaffine und damit besser entwöhnbare Rauchende anspricht.
Zusammenfassend zeigt die aktuelle Analyse, dass das Programm und die App „Nichtraucherhelden“
eine umfassende, leitlinienkonforme Unterstützung von Rauchern auf dem Weg zum Rauchstopp
sind, die gut akzeptiert werden und über die letzten Jahre eine größer werdende Verbreitung
fanden. Die Adhärenz der Teilnehmer ist im Vergleich zu anderen Methoden hoch und
mit geringem Ressourcenverbrauch erzielt das Programm sehr erfolgsversprechende Aufhörquoten.