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DOI: 10.1055/a-1994-7332
Röntgenschürzen – neu bewertet
Article in several languages: English | deutsch- Hintergrund
- Definitionen
- Bisherige Arbeiten
- Zusammenfassung der Ergebnisse
- Neues Schutzkonzept
- Diskussion und Schlussfolgerungen
- References
Zusammenfassung
Hintergrund Die Bewertung der Schutzwirkung von Röntgenschutzkleidung bedarf neuer Kriterien. Das jetzige Konzept geht von einer mehr oder weniger uniformen Abdeckung des Rumpfes mit Schutzmaterial aus. Die häufig getragenen schweren Rundumschürzen können es durchaus auf 7 bis 8 kg bringen. Wie einschlägige Studien zeigen, können bei langzeitlicher Tätigkeit orthopädische Schäden die Folge sein. Es ist daher zu hinterfragen, ob das Schürzengewicht nicht durch eine Optimierung der Materialverteilung reduziert werden kann. Für eine strahlenbiologische Bewertung der Schutzwirkung wird dabei auf die effektive Dosis zurückgegriffen.
Methoden Es wurden zahlreiche Labormessungen mit einem Alderson-Rando-Phantom sowie Dosismessungen an klinischem Personal durchgeführt. Ergänzt wurden die Messungen durch die Monte-Carlo-Simulation eines interventionellen Arbeitsplatzes, bei dem für die Untersucherin ein weibliches ICRP-Referenzphantom verwendet wurde. Die Messungen am Phantom wie auch die Messungen der Rückendosen an interventionellen Arbeitsplätzen stützten sich auf die Messgröße Personen-Äquivalentdosis Hp(10). Mithilfe von Monte-Carlo-Simulationen wurden Schutzfaktoren für die Schutzkleidung eingeführt, die auf der im Strahlenschutz eingeführten „effektiven Dosis“ basieren.
Ergebnisse Die Rückendosen bei klinisch-radiologisch tätigem Personal sind weitgehend vernachlässigbar. Der Rückenschutz kann daher wesentlich geringer ausfallen als derzeit üblich oder sogar entfallen. Die Monte-Carlo-Simulationen zeigen, dass die Schutzwirkung von Schutzschürzen, die am Körper getragen werden, höher ist als bei Durchstrahlung des flachen Schutzmaterials (3D-Effekt). Rund 80 % der effektiven Dosis entstehen von den Gonaden bis zur Brust. Durch eine zusätzliche Abschirmung dieses Bereiches kann die effektive Dosis gesenkt oder wahlweise Schürzen mit weniger Gewicht hergestellt werden. Das Augenmerk muss auch auf die „Strahlenlecks“ (Oberarme, Hals, Schädel) gerichtet werden, die die Schutzwirkung für den Gesamtkörper herabsetzen können.
Schlussfolgerungen Die Bewertung der Schutzwirkung von Röntgenschutzkleidung sollte künftig auf der Basis der effektiven Dosis erfolgen. Dazu könnten Effektivdosis-basierte Schutzfaktoren eingeführt werden, während der Bleigleichwert ausschließlich Messzwecken dienen sollte. Bei Umsetzung der Ergebnisse lassen sich bei vergleichbarer Schutzwirkung Schutzschürzen mit ca. 40 % weniger Gewicht herstellen.
Kernaussagen:
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Die Schutzwirkung von Röntgenschutzkleidung sollte durch Effektivdosis-basierte Schutzfaktoren beschrieben werden.
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Der Bleigleichwert sollte nur für Messzwecke verwendet werden.
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Über 80 %der effektiven Dosis sind dem Bereich Gonaden bis zur Brust zuzuordnen.
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Eine Verstärkerschicht in diesem Bereich erhöht den Schutzeffekt ganz erheblich.
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Bei optimierter Materialverteilung könnten Schutzschürzen bis zu 40 % leichter sein.
Zitierweise
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Eder H. X-Ray Protective Aprons Re-Evaluated. Fortschr Röntgenstr 2023; 195: 234 – 243
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Key words
effective dose - weight reduction - protection factor - lead equivalence - protective apronHintergrund
Schutzwirkung und Gewicht sind wichtige Kenngrößen bei der Beurteilung von Röntgenschutzkleidung. Die beiden Kriterien sind jedoch leider Antagonisten: Hoher Schutz und geringes Gewicht erscheinen unvereinbar. Untersuchungen zeigen, dass ein hoher Prozentsatz von radiologisch tätigem Personal – wohl auch infolge schwerer Schutzkleidung – über orthopädische Probleme klagt [1] [2] [3] [4]. Die häufig getragenen Rundumschürzen können es durchaus auf 7 bis 8 kg bringen. Bei langzeitlicher Tätigkeit kann es bei der zusätzlichen Gewichtsbelastung der Gelenke und der Wirbelsäule zu einem orthopädischen Krankheitsgeschehen kommen. Deshalb legen die EU-Regularien für die Marktzulassung von Röntgenschutzausrüstung [5] u. a. fest, dass diese so leicht wie möglich sein muss.
Mit der Einführung von bleifreien Schutzschürzen schien die Problematik zunächst gelöst bzw. reduziert worden zu sein. Von 30 % weniger Gewicht war anfangs die Rede. Bei genaueren Laboruntersuchungen und Einführung eines neuen Messverfahrens, das auch die Fluoreszenz- bzw. Streustrahlung des Materials erfasst, hat sich diese anfängliche Euphorie aber nicht bestätigt [6] [7] [8] [9]. Wenn man das Gewicht auf gleiche Schutzwirkung bezieht, ist der Gewinn erheblich geringer, wobei die Bleifreischürzen oft nur in einem beschränkten kV-Bereich anwendbar sind.
Eine neue Möglichkeit, bei gleichbleibender Schutzwirkung das Gewicht zu senken, ist die Optimierung der Schutzmaterialverteilung am Körper. Als Zielgröße soll dabei die effektive Dosis (kurz „Effektivdosis“) dienen, die als Schutzgröße im Strahlenschutz eingeführt ist [10] [11].
Bei interventionellen Prozeduren und Angiografien befindet sich der Patient meist in liegender Position. Das durchstrahlte Patientenvolumen emittiert Streustrahlung mit einer breiten Richtungsverteilung, sodass die Schutzschicht der Schürze überwiegend nicht senkrecht, sondern schräg durchstrahlt wird. Der angegebene Bleigleichwert (PBGW), der standardmäßig in senkrechter Durchstrahlung ermittelt wird, stellt daher keine reale, auf das Patienten-/Untersucherszenario bezogene Schutzgröße dar. Der Bleigleichwert ist zunächst ein reiner Materialwert und sagt über die tatsächliche Schutzwirkung des räumlichen Gebildes Schutzschürze allenfalls indirekt etwas aus.
Ziel der vorangegangenen Untersuchungen war es, Methoden für eine praxisgerechte Bewertung der Schutzwirkung von Schutzschürzen auf der Basis der effektiven Dosis zu erarbeiten und Kriterien für eine effiziente Verteilung des Schutzmaterials am Körper zu liefern. Als Grundlage diente dabei das klinische Patientenszenario bei Interventionen, kardiologischen Untersuchungen und Angiografien unter Anwendung patientenäquivalenter Streustrahlung.
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Definitionen
Als Effektivdosis-Schutzfaktor FTeff wird in diesem Zusammenhang der Quotient effektive Dosis ohne Schutzschürze/effektive Dosis mit Schutzschürze bezeichnet. Der Schutzfaktor bezieht sich bei den folgenden Betrachtungen auf den Torso und nicht auf den Gesamtkörper.
Als Ganzkörper Effektivdosis-Schutzfaktor FGeff wird der Schutzfaktor bezogen auf den Gesamtkörper einschl. Schädel und Extremitäten bezeichnet.
In gleicher Weise kann man Schutzfaktoren für einzelne Organe definieren als FOrg .
Als Dosis-Flächenprodukt bezeichnet man das Produkt Energiedosis in Luft*Fläche (Gray*Quadratzentimeter, Gy*cm²).
Als Tiefen-Personendosis Hp(10) wird die Äquivalentdosis in 10 mm Gewebetiefe an der Tragestelle des Dosimeters bezeichnet.
Die effektive Dosis E (Einheit: Sievert) ist die Summe der risikoabhängig gewichteten Äquivalentdosen in den einzelnen Organen des Körpers.
Beim Bleigleichwert (PbGW), auf dem die derzeitigen Schürzenstandards basieren, sind Schwächungsfaktoren FPbGW gebräuchlich. Diese bezeichnen den Quotienten Luftkerma ohne Schutzmaterial/Luftkerma mit Schutzmaterial bei senkrechter Durchstrahlung.
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Bisherige Arbeiten
Hier werden in einer kurzen Übersicht die bisherigen Untersuchungen (eigene und andere) dargestellt. Weitergehende Details sind den Originalarbeiten zu entnehmen.
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Ermittlung von Bleigleichwerten vs. Flächengewichten von Schutzkleidung im Rahmen der Zertifizierung gemäß der Europäischen Richtline für Personenschutz-Ausrüstung (PSA-Richtlinie), Referenz: Messungen des Autors im Rahmen der Zertifizierung ([Abb. 1]).
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Ref. [10] [11] Labormessungen der Tiefen-Personendosis mit 4 auf der Vorderseite eines männlichen Alderson-Phantoms verteilten Hp(10) Dosimetern zur Abschätzung der effektiven Dosis. Ein Wasserphantom diente als Streukörper. Anordnung entsprechend den klinischen Gegebenheiten bei Interventionen. Verschiedene Orientierungen des Phantoms bei Röhrenspannungen 80, 100, 120 kV und verschiedene Bleigleichwerte der Schutzkleidung kamen zur Anwendung. Für die Messung der Tiefen-Personendosis wurden bauartgeprüfte, kalibrierte Hp(10)-Dosimeter des Typs „Truedose“ verwendet.
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Ref. [10] [11] Monte-Carlo-Simulationen für ein klinisch-realistisches Patienten-Untersucher-Szenario mit Ermittlung der Effektivdosis-basierten Schutzfaktoren für die Anwender-Schürze.
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Um auch die Brustdrüsendosis zu erfassen, wurde ein weibliches ICRP 110- Referenzmodell [12] als Untersucherin mit verschiedenen Orientierungen zu einem Patientenphantom (Wasserphantom nach DIN 6815) positioniert. Die grundsätzliche Anordnung Patient/Untersucher ist in [Abb. 2] dargestellt. Es wurden insgesamt rd. 20 Simulationen mit verschiedenen Orientierungen der Untersucherin sowie liegendem und stehendem Patienten durchgeführt. Die Röhrenspannungen betrugen 80/100/120 kV. Schutzkleidung mit 0,25/0,35/0,50 mm PbGW kam dabei zur Anwendung.
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Ref. [13] Monte-Carlo-Berechnungen zur Ermittlung der effektiven Dosis unter Anwendung monochromatischer paralleler Strahlenbündel an einem ICRP 110-Referenzmodell, das mit einer Schutzschürze mit 0,5 mm PbGW bekleidet ist. Es wurden die Effektivdosis-basierten Schutzfaktoren als Quotient ohne/mit Schürze berechnet. Die Strahlung wurde modelliert als Parallelfeld mit diskreten Energien von 20 bis 120 keV bei unterschiedlichen Einfallswinkeln in Bezug auf Transversal- und Sagittalebene der zu schützenden Person. Exponiert wurde der ganze Körper einschließlich nicht abgeschirmter Körperteile.
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Ref. [14] Messung der Rückendosis sowohl unter Laborbedingungen am Alderson-Phantom als auch bei Beschäftigten an interventionellen Arbeitsplätzen sowie an CT-Scannern. Die kalibrierten Hp(10) Dosimeter wurden in Rückenmitte über der Schutzkleidung angebracht. Die Messungen erfolgten jeweils bei zufällig ausgewählten Untersuchungen bzw. Eingriffen.
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Ref. [15] Ausgangspunkt war auch hier das Auftreten orthopädischer Schäden bei interventionell tätigen Personen. Gewichte und Schutzeigenschaften verschiedener marktgängiger Schürzen mit 0,25/0,35/0,50 mm PbGW wurden untersucht. Hp(10)-Dosimeter wurden über und unter der Schürze getragen und die Schwächung daraus bestimmt.




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Zusammenfassung der Ergebnisse
Bleigleichwerte vs. Flächengewichte
Die an rd. 30 Schutzmaterialien im Rahmen der Zertifizierung nach der PSA-Richtlinie ermittelten Bleigleichwerte vs. Flächengewichte sind in [Abb. 1] dargestellt. Die Punkte nahe der durchgezogenen Linie charakterisieren die überwiegend bleihaltigen Materialien. Unterhalb der Linie befinden sich die bleireduzierten und bleifreien Schürzen, die maximal 17 % leichter sind. Allerdings ist zu beachten, dass manche bleifreien Schürzen den spezifizierten Bleigleichwert nur bis 110 kV einhalten. Bei höheren Röhrenspannungen kann die Schutzwirkung reduziert sein.
In [15] wurden marktgängige Schürzen hinsichtlich Gewicht und Schutzeigenschaften untersucht. Zwischen 0,25 und 0,35 mm PbGW wurden nur geringe Unterschiede in der Schutzwirkung gefunden. 0,50 mm Schürzen schirmen zwar sehr gut ab, sind aber nach Meinung der Autoren wegen der damit verbundenen orthopädischen Probleme zu schwer.
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Rückenexposition
Bei den Phantommessungen [14] betrugen die Hp(10)-Messwerte am Rücken je nach Röhrenspannung und Orientierung des Phantoms 0,002–0,006 (2–6 Promille) der frontseitig am Untersucher gemessenen Hp(10)-Dosis.
Bei den klinischen Messungen wurden bei verschiedenen Interventionen (ERCP, Herzkatheter, PTA, Embolisation usw.) am Rücken der am Röntgentisch Beschäftigten folgender Zusammenhang zwischen Hp(10)-Rückendosis und Dosis-Flächenprodukt ermittelt:
Hp(10) dorsal = Cd *DFP Hp(10) dorsal: µSv, DFP: Gy*cm².
Der Faktor Cd bewegte sich je nach Orientierung des Untersuchers zum Strahlengang und Röhrenspannung zwischen 0,035 (80 kV) und 0,06 (120 kV). Für die im klinischen Betrieb ermittelten Dosis-Flächenprodukte von 10 bis 300 Gy*cm² ergaben sich Hp(10)-Rückendosen von < 1 bis 18 µSv pro Untersuchung, das entspricht bei normaler Arbeitslast weniger als 1 mSv pro Jahr. Bei zusätzlichem Schutz des Rückens mit 0,125 mm Pb wurde aus den Messungen eine Jahres-Hp(10)-Dosis von weniger als 0,1 mSv berechnet.
Bei den assistierenden Personen wurden die Rückendosen simultan zum ärztlichen Personal ermittelt. Sie betrugen ca. 30 % der Rückendosen des am Röntgentisch tätigen ärztlichen Personals. Die Messungen schließen ein, dass sich assistierende Personen gelegentlich umdrehen und mit dem Rücken zur Strahlenquelle stehen. Allerdings sind die Abstände zur Strahlenquelle bei dieser Gruppe im Durchschnitt größer als bei einem Standort direkt am Tisch.
Bei CT-Interventionen (Punktierung, RF-Ablation) ergaben sich mit ungeschütztem Rücken bei üblicher Arbeitsbelastung Jahresdosen von weniger als 1 mSv. Bei Schutz mit 0,125 mm Pb wurde eine Jahres-Tiefenpersonendosis Hp(10) am Rücken von < 0,15 mSv berechnet.
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Effektivdosis-Schutzfaktoren
[Abb. 3] zeigt die mit der Monte-Carlo-Methode berechneten, auf die Effektivdosis bezogenen Effektivdosis-Schutzfaktoren im Vergleich zu den Schwächungsfaktoren, die gemäß IEC 61 331–1 an ebenen, senkrecht durchstrahlten Proben gemessen wurden [10] [11]. Die Konfiguration 0,25 + 0,25 bezeichnet eine Basisschürze mit 0,25 mm PbGW mit einer Verstärkerschicht 0,25 mm PbGW, siehe unten. Die Effektivdosis-Schutzfaktoren betragen bis zum Doppelten der nach IEC 61 331–1 ermittelten Schwächungsfaktoren.


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Neues Schutzkonzept
Verstärkerschicht
Dem Körperabschnitt von den Gonaden bis einschließlich Brust des interventionell tätigen Anwenders sind über 80 % der Effektivdosis zuzuordnen. Eine in diesem Bereich eingefügte Verstärkerschicht kann somit die gewichtsbezogene Effizienz der Schürze in erheblichem Umfang steigern. Aus [Abb. 4] geht hervor, welche Organe/Gewebe durch die Verstärkerschicht ganz oder teilweise geschützt werden sowie deren Anteil an der Effektivdosis. [Abb. 5] zeigt die Anbringung der Verstärkerschicht am Referenzmodell und deren Wirkung auf die Hautdosis.




Das Gewicht der Verstärkerschicht kann kompensiert werden durch Gewichtseinsparungen etwa beim Rückenschutz sowie durch einen geringeren Bleigleichwert der Basisschürze. Wegen der höheren Wirksamkeit der Verstärkerschicht in Bezug auf die Reduzierung der effektiven Dosis ist mit deren Einführung ein Gewichtsvorteil verbunden.
Die Faktoren FTeff und die Schürzengewichte von Frontschürzen der Größe M sind für verschiedene Bleigleichwerte mit und ohne Verstärkerschicht in [Tab. 1] zusammengestellt.
Für die klinische Anwendung erscheinen 2 Schürzentypen besonders geeignet:
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Schürze für intensive Röntgenanwendungen (z. B. Interventionen)
Die Schürze, bestehend aus einer Basisschürze mit 0,25 mm PbGW und einer Verstärkerschicht mit 0,25 mm PbGW eignet sich für interventionelle Anwendungen mit einem Jahres-Dosisflächenprodukt (Workload) von 10 000 Gy*cm² und darüber (das entspricht etwa 400 ERCPs [16]). Die jährliche Effektivdosis des Untersuchers ohne Schutzschürze beträgt bei einem DFP von 10 000 Gy*cm² 37,9 mGy. Mit dem Schutzfaktor von 87 (80 kV) bzw. 34 (100 kV) würde die jährliche effektive Dosis bei 80 kV 0,47 mSv und bei 100 kV 1,11 mSv betragen. Die Schürze bietet also sehr guten Schutz. Selbst bei Arbeitslasten bis 30 000 Gy*cm²/Jahr, wie sie in der Neuroradiologie vorkommen, ist sie noch ausreichend.
Die Schürze bietet den doppelten Schutz gegenüber einer derzeit normgemäßen 0,35 mm Schürze bei unwesentlich mehr Gewicht. Andererseits entspricht der Schutz nahezu dem einer derzeit normgemäßen 0,5 mm Pb Schürze, jedoch bei 16 % weniger Gewicht.
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Schürze für kurzdauernde Röntgenanwendungen (z. B. OP, Gipsraum)
Diese Schürze mit 0,175 mm PbGW-Basisschutz und 0,175 mm PbGW-Verstärkerschicht eignet sich für Operationen und andere Anwendungen mit geringerer Röntgenlast (z. B. Orthopädie, intraoperatives Röntgen, Herzschrittmacher-Implantation usw.). Für eine typische Jahres-Workload von 5000 Gy*cm² bei 80 kV ergeben sich beim Operateur mit dieser Light-Duty-Schürze Jahres-Effektivdosen von 0,57 mSv. Die Schutzwirkung liegt nahe bei einer herkömmlichen 0,35 mm Frontschürze, das Gewicht entspricht jedoch dem einer 0,25 mm PbGW-Schürze, was bei längerem Tragen als relativ angenehm empfunden wird.
Neben den Effektivdosis-Schutzfaktoren kann man die entsprechenden Organ-Schutzfaktoren betrachten: Die [Tab. 2] zeigt, dass die Mittelwerte der Organ-Schutzfaktoren der hinter der Verstärkerschicht lokalisierten Organe etwas über dem Effektivdosis-Schutzfaktor liegen. Dabei ist die Schürze mit Verstärkerschicht rd. 0,7 kg leichter als die Schürze mit einheitlichem Bleichgleichwert.
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Diskussion und Schlussfolgerungen
Schutzfaktor und Bleigleichwert
Die Einführung der Effektivdosis-basierten Schutzfaktoren eröffnet gegenüber dem Bleigleichwert eine völlig neue Sichtweise. Die Schutzwirkung einer Raumfläche – wie sie die am Körper getragene Schutzschürze darstellt – ist unter Streustrahlung erheblich größer als diejenige einer flachen Schutzschicht bei senkrechtem Einfall. Die in Ref [13] verwendeten Parallelfelder sind nur bedingt geeignet, Schutzfaktoren für die reale Situation zu berechnen, da die vom Patienten ausgehende Streustrahlung bei kurzer Entfernung zur Schutzschürze wesentlich flachere Einfallswinkel erzeugt als Parallelstrahlung, siehe u. a. [10].
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Nicht abgeschirmte Körperteile
In [13] werden die Effektivdosis-Schutzfaktoren für den Gesamtkörper FGeff unter Einschluss nicht geschützter Körperteile (Gliedmaßen, Schädel) berechnet. Letztere führen dazu, dass die Schutzwirkung für den Gesamtkörper gemindert wird. Haut und Knochenhaut der Gliedmaßen besitzen zwar einen geringen Organ-Wichtungsfaktor von nur 0,01, können aber – bezogen auf den Effektivdosisanteil des geschützten Bereichs – nennenswerte Beiträge liefern. Der Ganzköper-Schutzfaktor kann deshalb deutlich geringer sein als der Schwächungsfaktor der Schürze, wenn nicht bestimmte „Leckstellen“, durch die Streustrahlung eindringen kann, zusätzlich abgeschirmt werden ([Abb. 6]).


Ein klassisches Einfallstor bilden z. B. die Armausschnitte. Die externe Streustrahlung kann hier bis zum Schultergelenk und zum Lungen- bzw. sogar zum Brustgewebe vordringen. Deshalb sind Oberarmansätze wie auch Schilddrüsenschutz dringend zu empfehlen. Ein Schutz des Schädels, der 3–4 % des aktiven Knochenmarks enthält [17], erscheint unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll, jedoch in der Praxis schwer durchführbar. Eine Möglichkeit bietet hier die Obertisch-Schutzscheibe mit flexiblen Lamellen zum Aufsetzen auf dem Patienten, wobei Letztere die Wirkung der Schutzscheibe deutlich erhöhen.
Um die theoretisch berechneten Effektivdosis-Schutzfaktoren FTeff möglichst auch für den Gesamtkörper zu erreichen, sind folgende Maßnahmen erforderlich:
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Obertisch-Schutzscheibe mit flexiblen Bleilamellen (soweit anwendbar)
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Tisch-Seitenschutz bis zum Boden (u. a. Abschirmung der Rückstreuung vom Boden)
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Schilddrüsenschutz
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Oberarmschutz zum Schutz der Armausschnitte (insbes. Lungengewebe, Brustgewebe, Schultergelenke)
Da der Effektivdosis-Schutzfaktor von Nebenbedingungen abhängt, ist der Bleigleichwert als reiner Materialwert zur Klassifizierung von Schutzschürzen nach wie vor geeigneter. Der Effektivdosis-Schutzfaktor dagegen leistet für die Strahlenschutzplanung bessere Dienste, da er z. B. Berechnungen von Jahres-Personendosen zulässt.
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Künftiges Schürzendesign
Wie sich durch die Untersuchungen zeigte, haben Teile des derzeit aktuellen Schürzen-Designs nur wenig Einfluss auf die Effektivdosis. Etwa 30 % des Schürzengewichtes wirken mehr oder weniger als reiner Ballast ohne wesentliche Auswirkung auf die effektive Dosis. Dies betrifft neben dem Rücken vor allem den Bereich unterhalb der Gonaden bis zum Knie. Erwachsene ab 20 Jahren besitzen von Mitte Femur abwärts kein aktives Knochenmark mehr [12] [17] [18]. Zudem wird heute an den interventionellen Arbeitsplätzen durchgängig Tisch-Seitenschutz verwendet.
Ein mögliches künftiges Design einer Röntgenschürze zeigt [Abb. 7]. Die Basisschürze bedeckt den Körperstamm von der Schulter bis etwa Mitte Oberschenkel. Die Verstärkerschicht (in der Regel innerhalb der Basisschürze) reicht von unterhalb der Hüftgelenke bis einschließlich Brust. Ein Rückenschutz ist primär nicht erforderlich. Optional wäre wegen eines Gewichtsausgleichs und zur weiteren Senkung der schon sehr geringen Dosis ein Rückenschutz mit 0,125 mm PbGW denkbar.


Eine derart konzipierte Schürze ist bei gleicher Schutzwirkung 30–40 % leichter als das herkömmliche Schürzendesign. Im Bedarfsfall kann der Gewichtsvorteil auch zur Erhöhung der Schutzwirkung der Schürze genutzt werden. Allerdings werden wegen der unvermeidlichen Ausschnitte der Schutzschürze Ganzkörper-Schutzfaktoren über 30 bis 50 kaum zu erreichen sein.
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Änderung der Normung
Leider lässt die derzeitige Herstellungsnorm für Röntgen-Schutzkleidung IEC 61 331–3:2014 [19] bzw. DIN EN 61 331–3:2016 [20] nicht zu, die Schürze unterhalb der Hüftgelenksepiphysen etwa ab Mitte Oberschenkel enden zu lassen. Wie oben ausgeführt, befindet sich dort beim Erwachsenen kein aktives Knochenmark mehr. Bedenkt man, dass an den Röntgentischen ohnehin eine Seitenabschirmung angebracht ist, so können hier 15–20 % des Schürzengewichtes ohne Minderung des Strahlenschutzes eingespart werden. Der Tisch-Seitenschutz sollte heute Standard sein und in die entsprechende Herstellungsnorm als Bedingung aufgenommen werden.
Wie die Ergebnisse zeigen, kann auch der Rückenschutz stark reduziert werden, da kein/e Untersucher/in die Strahlung aktiviert, wenn er/sie dem Patienten den Rücken zuwendet. Auch die Messungen beim Assistenzpersonal zeigen eine nur sehr geringe Rückenexposition.
Wichtig ist jedoch, den Schutzbereich einer Frontschürze auf 60 % des größten Körperumfanges auszuweiten, wie derzeit von der Herstellungsnorm schon gefordert. Hierdurch wird schräg zur Frontalachse einfallende Strahlung, wie sie bei Drehung des Untersuchers in Richtung Monitor häufig auftritt, wirkungsvoll abgeschirmt.
Eine ggf. anstehende Neufassung der Norm sollte die neuen Erkenntnisse umsetzen.
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References
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Correspondence
Publication History
Received: 14 June 2022
Accepted: 10 November 2022
Article published online:
16 February 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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