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DOI: 10.1055/a-2002-5176
Einführung in die Gentherapie
Introduction to Gene TherapyZusammenfassung
Nach vielen Jahren der Entwicklung und zahlreichen Rückschlägen hat die Gentherapie, also die direkte therapeutische Modifikation der Gene auf DNA- oder RNA-Ebene, erste unbestreitbare Erfolge. Dabei werden sowohl „ex vivo“ Verfahren, also die genetische Manipulation von zuvor entnommenen Körperzellen, als auch „in vivo“ Methoden erfolgreich eingesetzt. Neben dem Ersatz fehlender oder schadhafter Gene können auch die Korrektur der DNA-Sequenz durch die CRISPR-Cas9-„Genschere“ und die sequenzspezifische Beeinflussung der Genexpression auf RNA-Ebene als gentherapeutische Methoden im weiteren Sinne bezeichnet werden.
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Abstract
After many years of research and numerous setbacks, there are now undeniable success stories of gene therapies, namely the direct modification of genetic information on the DNA or RNA level. Both “ex vivo” strategies, i. e. the genetic manipulation of patient cells in a dish, as well as “in vivo” approaches are being used successfully. In addition to the supplementation of defective genes, the use of the CRISPR-Cas9 system to alter nuclear DNA sequences and the sequence-specific interference with the transcriptional process on the RNA level can be designated as gene therapies in a broad sense.
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Einleitung
Die Fortschritte der Humangenetik haben in den letzten Jahrzehnten unser Verständnis vieler neurologischer Erkrankungen stark verändert. Dies gilt nicht nur für die vielen seltenen „klassischen“ Erbkrankheiten, die einem Mendel’schen Erbgang folgen, deren ursächliche Genmutationen und die dadurch verursachten molekularen Pathologien in vielen Fällen aufgeklärt werden konnten, sondern auch für die sogenannten „komplexen“ Erkrankungen, also häufige Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und MS, für die immer deutlicher wird, dass auch bei ihrer Entstehung erbliche Faktoren wesentliche Beiträge leisten. Auch für sie konnten die molekularen Mechanismen der Krankheitsentstehung in vielen Fällen besser verstanden werden. Die humangenetische Diagnostik ist daher heute in vielen Fällen bereits eine Standardmethode, die in universitären Zentren, aber auch in privaten Laboratorien und Praxen auf hohem Niveau angeboten wird.
Bislang waren die Ergebnisse der genetischen Diagnostik zwar wichtig für die genetische Beratung, also für die Abschätzung eines Wiederholungsrisikos bei vererbten Erkrankungen oder zur besseren Einschätzung der Prognose, sie hatten jedoch für die Behandlung meist nur eine begrenzte oder keine Bedeutung. Zwar konnten zum Beispiel bei ererbten Stoffwechseldefekten mit neurologischer Symptomatik, wie der Gaucher-Erkrankung oder einer Ataxie mit Vitamin E Mangel (AVED) zum Beispiel durch gezielte Enzymersatz- oder Substitutionstherapien Symptome mehr oder weniger effektiv behandelt werden, aber der eigentlich ursächliche Gendefekt blieb einer Behandlung nicht zugänglich.
Dies hat sich in den letzten Jahren auf dramatische Weise gewandelt. Technologien zur Manipulation von genetischer Information, die zunächst für die experimentelle Forschung in Tier- und Zellkulturmodellen entwickelt wurden (Gentechnologie im weitesten Sinne), wurden in zunehmendem Maße für die therapeutische Korrektur genetischer Defekte beim Menschen weiterentwickelt und genutzt. Die ersten gentherapeutischen Verfahren wurden bereits zugelassen, zahlreiche weitere klinische Studien sind initiiert oder werden geplant. Spektakuläre Erfolge wie die Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) mit „Antisense-Oligonukleotiden“ (Nusinersen) [1] oder durch Gentransfer mit Hilfe eines viralen Vektors (Zolgensma) [2] [3] sind zwar noch Einzelfälle, aber der „proof of concept“ ist erbracht, dass die therapeutische Korrektur pathologischer Erbinformation beim Menschen möglich ist. In diesem Themenheft sollen daher die aktuellen Ansätze der Gentherapie, ihre Chancen und Risiken sowie neue Entwicklungen dargestellt werden.
Um die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Gentherapie zu verstehen, ist sowohl die Kenntnis der „genetischen Architektur“ neurologischer Erkrankungen als auch der eingesetzten gentherapeutischen Methoden erforderlich. Beides soll in diesem einleitenden Beitrag kurz umrissen werden.
Genetische Architektur Neurologischer Erkrankungen und ihre Relevanz für die Gentherapie
Das Erkrankungsrisiko und der Verlauf der allermeisten neurologischen Krankheiten werden sowohl durch erbliche (genetisch bedingte) als auch durch nicht-erbliche (umweltbedingte) Faktoren beeinflusst.
Die üblicherweise als „erbliche“ neurologische Erkrankungen im engeren Sinn bezeichneten Krankheiten, wie die Chorea Huntington, die Duchenne‘sche Muskeldystrophie oder die Friedreich Ataxie sind durch seltene Genmutationen mit starkem Effekt verursacht. In den betroffenen Familien folgt die Erkrankung einem Erbgang nach den Mendel‘schen Regeln (autosomal-dominant, autosomal-rezessiv oder X-chromosomal). Die Mutation (je nach Erbgang in heterozygotem, homozygotem oder hemizygotem Zustand) führt dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit (allerdings fast nie mit Sicherheit!) zu einer manifesten Erkrankung: man spricht von einer „hohen Penetranz“ oder „monogenen Erkrankungen“. Auch bei identischer Mutation kann die Ausprägung der Erkrankung („Expressivität“) jedoch deutlich variieren: das Manifestationsalter, die Erkrankungsschwere und in vielen Fällen auch die Art der Krankheitssymptome können auch bei gleicher Mutation unterschiedlich sein, wofür einerseits andere genetische, andererseits auch nicht-genetische (z. B. Umwelt oder Ernährung) Faktoren verantwortlich sein können.
Allerdings ist schon lange klar, dass auch bei häufigen neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Multiple Sklerose oder bei Schlaganfällen genetische Faktoren eine wichtige ursächliche Rolle spielen. Im Gegensatz zu den Mendel‘schen Erbkrankheiten wird in diesen Fällen die Vererbung oft als „komplex“ bezeichnet: in epidemiologischen Untersuchungen können familiäre Häufungen nachgewiesen werden, d. h. Familienangehörige erkranken überzufällig häufig an der gleichen Erkrankung, ein klarer Erbgang lässt sich aber nicht ausmachen. Die Ursache dafür scheint in der „natürliche Variabilität“ unserer Genome zu liegen: im Schnitt unterscheidet sich die DNA zweier Personen an einer von 1000 Positionen im Genom. Die häufigsten Varianten betreffen dabei nur einzelne Nukleotide und werden daher „single nucleotide polymorphisms“ (SNPs) genannt. Die meisten dieser SNPs sind wahrscheinlich völlig neutral, ein Teil davon kann aber entweder risikoerhöhend oder auch risikomindernd (protektiv) für eine bestimmte Erkrankung sein. Diese genetischen Varianten haben jeweils für sich genommen nur einen relativ geringen Effekt auf das Erkrankungsrisiko oder den individuellen Krankheitsverlauf. Sie führen jeweils zu einer Erhöhung des Erkrankungsrisikos um nur einige Prozent, können aber in der Summe sowohl im Einzelfall (gemessen als sog. „Polygenic Risk Scores“, PRS), als auch auf Populationsebene, einen beträchtlichen Einfluss haben. Da jedoch der individuelle Effekt auf ein Krankheitsgeschehen gering und nur im Zusammenspiel mit vielen anderen überhaupt relevant ist, sind solche Varianten zumindest zum heutigen Zeitpunkt kein Ziel gentherapeutischer Verfahren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt zum Verständnis der genetischen Architektur von Erkrankungen ist die Unterscheidung zwischen Varianten, welche die Sequenz des kodierten Proteins verändern (sog. „kodierende Varianten“ oder „coding variants“) von solchen, die in nicht-kodierenden Bereichen der DNA liegen.
Die heute bekannten Mutationen mit hoher Penetranz, die zu monogenen Erkrankungen führen, sind in den allermeisten Fällen kodierende Varianten und verändern daher die Sequenz des kodierten Proteins. Sie führen dann entweder zu einem Verlust der normalen Proteinfunktion („loss of-function“-Mutation) oder aber zum Zugewinn einer schädlichen Funktion („gain-of-toxic-function“-Mutation). Während die erste dieser Möglichkeiten meist bei autosomal-rezessiven Erkrankungen relevant ist, weil erst der Verlust beider Kopien eines Gens zur Erkrankung führt, sind autosomal-dominante Erkrankungen häufiger auf eine „gain-of-toxic-function“-Mutation zurückzuführen. Dazu zählen z. B. Mutationen, welche die pathogene Aggregationsneigung von Proteinen erhöhen. Das Ziel einer Gentherapie kann nun entweder der Ersatz eines fehlenden funktionellen Proteins, oder aber die Ausschaltung eines Proteins mit „toxischer“ Neufunktion sein.
Auch Mutationen in nicht-proteinkodierenden Bereichen des Genoms können einen direkten Einfluss auf die Struktur des kodierten Proteins besitzen, wenn sie zum Beispiel während der Transkription das Splicing der RNA verändern. Noch wurden nicht viele dieser Varianten sicher identifiziert, weil sich die Sequenzanalysen bislang vorwiegend auf die Exone beschränkten. Es könnte aber sein, dass ein relevanter Anteil der noch „ungelösten“ erblichen Erkrankungen durch solche Mutationen erklärt werden könnte. Sie sind auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie gentherapeutischen Eingriffen in besonderer Weise zugänglich sein könnten.
Die meisten Sequenzvarianten in den nicht-kodierenden DNA-Abschnitten haben keine relevanten Auswirkungen auf die Struktur des Genprodukts. Sie beeinflussen aber nicht selten die Aktivität von benachbarten (sog. „cis-regulatorischer Effekt“) oder auch von weit entfernten (sog. „trans-regulatorischer“ Effekt) Genen, in dem sie die Transkriptionsaktivität der Gene und damit die Stärke der Proteinexpression verändern. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass durch diese Varianten die Bindungsaffinität für Transkriptionsfaktoren oder für regulatorische RNA Moleküle (sog. non-coding RNA, ncRNA) verändert wird, oder auch dadurch, dass sie epigenetische Regulationsmechanismen, wie zum Beispiel die Methylierung im Bereich der Genpromotoren beeinflussen. Das kodierte Protein bleibt also in seiner Struktur identisch, verändert ist die Menge oder die intrazelluläre und/oder gewebe¬spezifische Verteilung, die zu einer korrekten Funktion wesentlich beiträgt.
Beide Mechanismen (Änderung der Proteinsequenz durch seltene exonische und Änderungen des Expressionsmusters durch häufige intronische Varianten können die gleichen Gene oder Gennetzwerke betreffen und führen dann zu unterschiedlichen Formen der gleichen Erkrankung.
Genkorrigierende Eingriffe (Gentherapien) haben in den meisten Fällen DNA-Varianten zum Ziel, die entweder in der proteinkodierenden Sequenz liegen oder das Splice-Verhalten der RNA beeinflussen, und damit zu der Gruppe der Mutationen zählen, welche die Proteinstruktur verändern und mit hoher Penetranz den Krankheitsphänotyp verursachen, weil hier der Ursache-Wirkungsbezug am klarsten ist und die krankheitsverursachenden zellulären Vorgänge am besten bekannt sind. Gerade in diesem Bereich hat es in den letzten Jahren zum Teil spektakuläre Fortschritte gegeben.
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Methodik der Gentherapie
Unter dem Begriff Gentherapie werden heute therapeutische Ansätze zusammengefasst, die entweder auf einer Manipulation der nukleären Erbinformation selbst beruhen (Gentherapie auf DNA Ebene), oder in sequenzspezifischer Weise die Transkription, also die Übersetzung der DNA Information in mRNA, oder die Translation, also die Übersetzung der mRNA-Information in Protein-sequenzen, (Gentherapie auf RNA Ebene) eingreifen [4]. Nicht zuletzt die in Rekordzeit unter Nutzung gentherapeutischer Methoden gelungene Entwicklung wirksamer Impfstoffe gegen SARS-CoV2 zeigt die enorme Potenz dieser Verfahren.
Gentherapie auf DNA-Ebene ist „ex vivo“ schon seit vielen Jahren im Einsatz, insbesondere zur Behandlung von genetischen Enzymdefekten oder immunologischen und hämatologischen Erkrankungen. Dabei werden Zellen des Patienten (z. B. hämatopoetische Stammzellen des Knochenmarks) entnommen, in vitro genetisch verändert und dann wieder zurückgegeben. Beispiele hierfür sind die schwere kombinierte Immundefizienz (SCID) oder die kongenitale Neutropenie [5]. Diese ex vivo-Methoden sind in der Regel nur bei neurometabolischen Erkrankungen einsetzbar, da sich die betroffenen ZNS-Zellen selbst in der Regel nicht entnehmen und wieder zurücktransplantieren lassen. Beispiele für zugelassene „ex vivo“ Gentherapien gibt es für die Adrenoleukodystrophie (ALD) oder die metachromatische Leukodystrophie (MLD). Dabei werden den Patienten zunächst Knochenmarksstammzellen entnommen, und mit den intakten Genen (bei ALD das ABCD1-Gen, Gentherapeutikum Skysoda; bei MLD das ARSA-Gen, Gentherapeutikum Libmeldy) mit Hilfe eines lentiviralen Vektorsystems supplementiert und dann zurücktransplantiert.
Als „in vivo“ Therapien für Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems stehen derzeit die direkte Genersatztherapie durch Übertragung von genetischer Information mit Hilfe von viralen Vektoren zur Verfügung, alternativ wurde auch schon die Geneditierung durch die CRISPR Cas9-Methode in vivo eingesetzt, oder aber RNA basierte Therapie, die eine Modifikation der Prozesse erlaubt, welche die genetische Information der DNA in der Zelle in funktionell wirksame Proteine übersetzen. Diese Therapien haben in Einzelfällen bereits in die Praxis Einzug genommen, sie werden in vielen Fällen im Rahmen von klinischen Studien erprobt oder haben bereits Zulassungen erhalten. Hier sollen die wichtigsten Grundlagen kurz dargestellt werden, aktuelle Anwendungsfälle sind dann in späteren Beiträgen beschrieben. Eine umfassende Übersicht ist vor kurzem erschienen [4].
DNS-basierte Gentherapie: virale Vektoren
Im Labor können Viren mit Hilfe von gentechnischen Methoden so verändert werden, dass sie die Eigenschaft behalten, genetische Information (DNA) in Zielzellen einzubringen, nicht aber die Fähigkeit zur Amplifikation oder zur Bildung neuer Viruspartikel. Für neurologische Erkrankungen haben sich in den letzten Jahren die Adeno-assoziierten Viren (AAV) als besonders geeignet erwiesen. AAV sind selbst replikationsunfähig, d. h. sie können sich nur mit Hilfe eines sog. Helfervirus (in der Regel einem Adenovirus) selbst replizieren. AAVs selbst sind nicht pathogen und integrieren nicht in das Wirtsgenom, was die Gefahr der unbeabsichtigten Zerstörung von Tumorsuppressorgenen deutlich verringert. Die durch das AAV transportierte DNA bleibt in der Zelle aber langfristig als „Episom“ erhalten und aktiv. AAV Vektoren können intrathekal, aber auch intravenös gegeben werden. Allerdings ist die Länge der übertragbaren Genfragmente auf maximal etwa 5.000 Basenpaare limitiert, was für manche Anwendungen nicht ausreicht. Zum anderen wirkt das Kapsid des Virusvektors immunogen, so dass z. B. bei intrathekaler Gabe Meningoenzephalitiden als Nebenwirkung auftreten können, was dann eine Immunsuppression erfordert. Außerdem kann die Wirksamkeit des Gentransfers durch die Bildung neutralisierender Antikörper bei wiederholter Gabe reduziert werden. Durch die lange Persistenz des Vektor-Episoms in nicht replizierenden Nervenzellen ist grundsätzlich eine permanente, also kurative Behandlung denkbar. Meist ist das Ziel einer AAV basierten Gentherapie ein Genersatz, also z. B. bei autosomal-rezessiven Erkrankungen durch „loss-of-function“ Mutationen.
Ein erster richtungsweisender Erfolg einer derartigen Therapie im Bereich der neurologischen Erkrankungen konnte für die Spinale Muskelatrophie erzielt werden. Der erwiesene positive therapeutische Effekt der einmaligen Infusion des in einen Adenoassoziierten Virus (AAV) basierten Vektor verpackten SMN Gens („onasemnogene abeparvovec“, Zolgensma [2]) konnte in einer zweiten Studie mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 6 Monaten in einer Kohorte von 78 Kindern mit SMA I (mittleres Alter 16.8 Monate bei Therapie unabhängig bestätigt werden [3]. Dies gilt als Durchbruch in der Gentherapie neurologischer Erkrankungen und führte 2020 zur Zulassung durch die EMA.
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DNA-Editierung mit dem CRISPR-Cas9-System
Für die ex vivo Modifikation von DNA in der Zellkultur hat sich in den letzten Jahren zunehmend das sehr vielseitige CRISPR Cas9-System in vielen Variationen etabliert. Die CRISPR/Cas-Methode (von englisch Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats – basiert auf einem adaptiven antiviralen Abwehrmechanismus von Bakterien. Für die Entdeckung dieses biologischen Mechanismus wurden Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Ein DNA-schneidendes Enzym namens Cas9 (von englisch CRISPR-associated) ist mit einer sog. „Guide RNA“-Sequenz verbunden, die per Basenpaarung an eine spezifische DNA-Position mit komplementärer Sequenz binden kann. Dadurch wird das Enzym Cas9 in unmittelbare räumliche Nähe der gebundenen DNA gebracht, woraufhin das Enzym an der durch die Guide RNA bestimmten Stelle den DNA Doppelstrang schneidet. Der Schnitt wird durch zelleigene Enzyme repariert, was allerdings eine hohe Fehlerrate hat, sodass es in vielen Fällen ein nicht-funktionales Gen resultiert („CRISPR-knock-out“). Wenn an dieser Stelle die Einfügung einer DNA Sequenz in die Schnittstelle erfolgen soll, wird ein entsprechendes DNA Fragment hinzugegeben, das an beiden Enden jeweils überlappende Sequenzen für die beiden Schnittstellen aufweist. Dann wird die einzufügende DNA mit den Enden der Schnittstelle wiederum durch körpereigene Enzyme verbunden.
In jüngster Zeit wurde dieses System eingesetzt, um im Tier zu experimentellen oder auch im Menschen zu therapeutischen Zwecken in vivo DNA Modifikationen durchzuführen. Dafür wird die „Guide RNA“, welche die komplementäre Sequenz des gewünschten Zielgens enthält und die mRNA für das Cas9 Enzym gemeinsam in einem Liposomenvesikel verpackt. Das Liposom enthält an seiner Oberfläche Moleküle, die zur präferentiellen Aufnahme in bestimmte gewünschte Zielzellen führen. Die Zelle synthetisiert dann eine Kopie des Gens für das Cas9 Enzym, das sich mit der Guide RNA zu einem Komplex zusammenfindet und dadurch gezielt die gewünschte DNA Sequenz schneiden und das Zielgen ausschalten kann. In einer klinischen Studie wurde dieses Prinzip zur Behandlung der Transthyretin Amyloidose angewandt [6].
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RNA-basierte Gentherapie: Antisense Oligonukleotide, siRNA
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von verschiedenen RNA-basierten Gentherapiestrategien entwickelt und zum Teil schon in die klinische Anwendung gebracht. Das bekannteste Beispiel ist die Entwicklung mRNA-basierter Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus. Neben der Übertragung der genetischen Information von der DNA des Zellkerns in die Proteine der Zelle in Form der Messenger RNA (mRNA) hat die RNA noch vielfältige weitere Aufgaben in der Zelle, die therapeutisch genutzt werden können. RNA-basierte Therapien können in drei Gruppen eingeteilt werden:
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Nutzung von mRNA zur Synthese von Proteinen. Bekanntestes Beispiel ist hier die Synthese des „Spike-Proteins“ des SARS-CoV2 Virus durch den Wirtsorganismus zur Induktion einer Immunantwort. Dieses Prinzip wurde schon seit mehreren Jahren zur Immuntherapie von malignen Erkrankungen entwickelt.
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Nutzung von einsträngigen (sog. „Antisense-Oligonukleotiden, ASOs) oder doppelsträngigen (sog. Small interfering RNAs, siRNAs) RNA-Molekülen, die in die normale Funktion der mRNA bei der Proteinsynthese eingreifen. Dadurch kann die Expression eines Gens insgesamt herabreguliert oder ganz ausgeschaltet werden, es kann unter bestimmten Umständen aber auch nur eine pathologische Kopie (=Allel) (z. B. das die Trinukleotid-Expansion des Huntingtin-Gens tragende Allel) herunterreguliert oder auch bestimmte Splice-Vorgänge selektiv verändert werden. Im Gegensatz zu natürlich vorkommenden, negativ regulatorischen RNA-Molekülen sind künstliche ASOs oder siRNAs so modifiziert, dass sie nur langsam abgebaut werden und damit zu einer effektiven und anhaltenden Modulation der Genexpression führen können. Durch die Sequenzspezifität können gezielt einzelne Gene modifiziert werden. In der Regel müssen ASOs in den Liquor eingebracht werden (durch Lumbalpunktion oder intraventrikuläre Kathetersysteme). Sie verteilen sich dann aber relativ gut im Nervengewebe. Die biologische Wirkdauer von RNA Molekülen ist meist auf einige Monate begrenzt, sodass die Therapie in regelmäßigen Abständen wiederholt werden muss.
Zwei RNA-basierte Gentherapien sind zum Beispiel für die Behandlung der erblichen Transthyretin Amyloidose zugelassen: das ASO Inotersen [7] und die siRNA Patisaran [8]. Wie anfangs erwähnt wurde auch für die SMA eine äußerst erfolgreiche ASO-Therapie entwickelt (Nusinersen [1]), die seit 2017 in Deutschland zugelassen ist.
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Risiken der Gentherapie
Nach vielen Jahren eher enttäuschender Versuche und zum Teil erheblicher Rückschläge scheint die gentherapeutische Forschung in der allerjüngsten Zeit nun entscheidende Durchbrüche erzielt zu haben. Wie bei jeder innovativen Technologie stellen sich auch hier Fragen der Risikoabwägung sowie ethische und gesundheitspolitische Fragen, die beantwortet werden müssen.
Sowohl DNA- als auch RNA-basierte gentherapeutische Verfahren greifen in grundlegende zelluläre Prozesse ein und können daher potenziell gravierende unerwünschte Wirkungen zur Folge haben. Man unterscheidet grundsätzlich “on-target“- und „off-target“-Nebenwirkungen. Eine „on-target“-Nebenwirkung wäre zum Beispiel, wenn die Ausschaltung eines pathologisch veränderten Gens auch kritische physiologische Funktionen des kodierten Genprodukts beeinträchtigt und damit eine Nebenwirkung hervorruft. Umgekehrt könnte ein zu hoch „dosierter“ Ersatz eines fehlenden Gens ebenfalls Nebenwirkungen verursachen. Diese Art der Nebenwirkung unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der eines herkömmlichen Medikaments, wie zum Beispiel eines Rezeptor-Agonisten oder –Antagonisten. Das therapeutische Fenster des Gentherapeutikums muss wie bei jedem anderen Medikament durch präklinische und klinische Studien bestimmt und hinsichtlich seiner positiven und potenziell negativen Wirkungen beurteilt werden.
Neuartige und schwerer zu beurteilende unerwünschte Wirkungen können durch „off-target“-Effekte der genetischen Manipulation verursacht werden. So gehört es zum biologischen Lebenszyklus bestimmter viraler Vektoren, dass sich ihre DNA in das Genom der Wirtszelle integriert. Diese Integration findet zum Teil an bestimmten Prädilektionsstellen statt, und kann dann in gewissem Ausmaß vorhergesehen werden, zum Teil ist diese Integration aber auch zufällig. Dies kann dazu führen, dass funktionsfähige Gene an der Integrationsstelle zerstört werden. In vielen Fällen ist dies ohne Konsequenz, da die homologe Kopie des Gens auf dem anderen Chromosom weiterhin funktionsfähig ist und eine Kopie der meisten Genen ausreicht. Außerdem würde die Ausschaltung eines essentiellen Gens im schlimmsten Fall zum Verlust der betroffenen Zelle führen, was unbemerkt bliebe, wenn dies nur bei einem kleinen Teil aller Integrationsfälle geschieht. Problematisch kann jedoch die Ausschaltung einer Kopie eines Tumorsuppressor-Gens sein, da dies der erste Schritt einer „multiple-hit“-Kaskade der Tumorentstehung sein kann. Die heute im Bereich der neurologischen Erkrankungen meist genutzten AAV-Viren integrieren jedoch in der Regel nicht, sodass dieses Risiko zumindest sehr gering ist.
Bei den beschriebenen RNA-basierten Therapien könnte es auch möglich sein, dass zum Beispiel die Sequenzspezifität eines ASOs oder einer siRNA doch nicht ausreichend ist, wodurch auch die Transkription anderer Gene beeinflusst werden könnte. Da aufgrund der genetischen Variabilität die genaue Gensequenz von Person zu Person unterschiedlich sein kann, könnten solche „off-target“-Effekte unter Umständen nur bei bestimmten suszeptiblen Personen auftreten und damit schwer vorhersehbar sein. Mit neuen bioinformatischen Methoden wird versucht, dieses Problem zumindest quantitativ zu erfassen und wenn möglich zu umgehen.
Ein weiteres zumindest theoretisches „off-target“-Risiko besteht darin, dass sich der benutzte Virusvektor genetisches Material von natürlich vorkommenden, potenziell pathogenen Viren zu eigen macht, dass also auf diese Weise neuartige Viren mit unbekannter Wirkung entstehen könnten. Diese Gefahr wird jedoch von Virologen allgemein als sehr gering eingestuft, da die Rekombination zwischen verschiedenen Viren ohnehin der „biologische Normalfall“ ist, für dessen Abwehr sich unser Immunsystem seit Jahrmillionen optimiert hat.
Die Keimbahn-Gentherapie, also eine Veränderung des Erbguts, das an kommende Generationen weitergegen wird, wird auf der Basis der heute verfügbaren Technologien von praktisch allen klinischen und wissenschaftlichen Meinungsführern abgelehnt und ist verboten. Allerdings ist diese Ablehnung nicht prinzipieller Natur, sondern durch eine Abwägung von Vor- und Nachteilen auf dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft begründet. Der Deutsche Ethikrat hat in einer Stellungnahme vom 9. Mai 2019 (https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-eingriffe-in-die-menschliche-keimbahn.pdf) die Auffassung vertreten, dass eine Modifikation der Keimbahn zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vertretbar sei und sich für ein Moratorium ausgesprochen. Er ist aber durchaus der Meinung, dass wissenschaftliche Fortschritte denkbar sind, die eine Keimbahntherapie vertretbar erscheinen lassen, die Ablehnung ist also nicht grundsätzlich.
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Kosten der Gentherapie
Die Zulassung der ersten Gentherapie zur Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) hat erstmals in aller Deutlichkeit die Frage aufgeworfen, wie die Anwendung derartiger innovativer Therapien unter den Bedingungen unseres Gesundheitssystems mit einer gerechten Nutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen vereinbar sein kann. Jede Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA) mit dem ASO Nusinersen, die alle 3–4 Monate erforderlich ist, kostet heute ca. 200.000 €. Diese Behandlung wird bei entsprechender Indikationsstellung als Sonderentgelt von den Kostenträgern erstattet. Die wahrscheinlich nur einmal erforderliche Injektion des Virusvektor-basierten SMA Medikaments Zolgensma, das im Mai 2019 in den USA und ein Jahr später in Europa zugelassen wurde, kostet mehr als 2 Millionen €. Mit der Zulassung sind die Krankenkassen bei entsprechender Indikationsstellung zur Kostenübernahme verpflichtet. Die Studienlage belegt in diesen Fällen zweifelsfrei eine Wirkung, sodass eine Kostenübernahme auch eingeklagt werden kann. Angesichts der exorbitanten Kosten für eine möglicherweise rasch ansteigende Anzahl an Gentherapeutika ist aber vorstellbar, dass ohne ein neues Regelungswerk gefährliche Ungleichgewichte im Gesundheitssektor entstehen könnten.
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Ausblick
Auch wenn die ersten sichtbaren Erfolge der Gentherapie in den letzten Jahre Grund für eine optimistische Einschätzung geben, sind weitere Rückschläge keineswegs ausgeschlossen. Es ist durchaus möglich, dass viele Probleme noch gar nicht in vollem Umfang eingeschätzt werden können. So war zum Beispiel überraschend, dass die erste ASO-Studie bei Chorea Huntington, trotz einer klaren Rationale, vielversprechenden präklinischen Studien [9] und starker Evidenz auf der Basis von Biomarker-Analysen [10] erfolglos abgebrochen werden musste [11] [12]. Einzelheiten sind in dem entsprechenden Beitrag in diesem Heft dargestellt.
Auch bei den bisherigen Studien bei amyotropher Lateralsklerose konnte noch kein Durchbruch erzielt werden. Diese Studien wurden bei Patienten mit SOD1-Mutation (etwa 20% der familiären ALS) durchgeführt, weil Untersuchungen an transgenen Mausmodellen darauf hinwiesen, dass der Pathomechanismus auf einem „gain of toxic function“ durch die Aggregation von fehlgefaltetem SOD1-Protein beruht. Durch Behandlung mit einem SOD1-spezifischen ASO konnte in einem transgenen Rattenmodell der G93A-SOD1-Mutation eine signifikante Reduktion der SOD1-Expression und eine deutliche Verlangsamung des klinischen Verlaufs erzielt werden [13], sodass anschließend in zwei aufeinanderfolgenden klinischen Phase-I/II-Studien das ASO bei Patienten mit SOD1-ALS durch wiederholte lumbal applizierte intrathekale Injektion gegeben wurde. In der Patientengruppe, welche die höchste Dosis erhielt (100 mg/Injektion) konnte eine um 33% reduzierte Liquorkonzentration des pathogenen SOD1-Proteins gemessen werden [14] [15]. Eine darauf aufbauende Phase-III-Studie wurde vor kurzem abgeschlossen und die Ergebnisse auf der Tagung der American Neurological Association im Oktober 2021 vorgestellt. Der primäre Endpunkt, ein signifikanter Unterschied der Progression, gemessen mit der ALSFRS-Ratingskale nach 6 Monaten konnte nicht erreicht werden! Es zeigte sich aber eine konsistent positive Tendenz in mehreren sekundären Endpunkten über den gesamten Untersuchungszeitraum, insbesondere bei Patienten, die initial zu der Subgruppe mit rascher progredientem Krankheitsverlauf zählten [16], sodass hier weitere Studien, wie auch zu anderen genetischen Formen der ALS geplant sind. Auch diese spannenden Entwicklungen sind in einem eigenen Beitrag in diesem Heft dargestellt.
Trotz der nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten sind die Möglichkeiten weiterer Entwicklungen der Gentherapie vor allem im Bereich individualisierter Behandlung bei seltenen und sehr seltenen Erkrankungen enorm. Eine „n-of-1“ Strategie, also die Behandlung einzelner Patienten mit individuell „maßgeschneiderten“ Gentherapeutika wird diskutiert [17] und wurde in Einzelfällen sogar schon angewendet [18]. Es scheint also offensichtlich, dass die Gentherapie nach vielen Jahren der stockenden Entwicklung nun einen Zustand erreicht hat, der weitere klinisch relevante Fortschritte in naher Zukunft erwarten lässt.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
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- 5 Skokowa J. Circumventing Mutation to Nix Neutropenia. N Engl J Med 2021; 384: 1956-1958
- 6 Gillmore JD, Gane E, Taubel J, Kao J, Fontana M, Maitland ML. et al. CRISPR-Cas9 In Vivo Gene Editing for Transthyretin Amyloidosis. N Engl J Med 2021; 385: 493-502
- 7 Benson MD, Waddington-Cruz M, Berk JL, Polydefkis M, Dyck PJ, Wang AK. et al. Inotersen Treatment for Patients with Hereditary Transthyretin Amyloidosis. N Engl J Med 2018; 379: 22-31
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- 9 Tabrizi SJ, Ghosh R, Leavitt BR. Huntingtin Lowering Strategies for Disease Modification in Huntington's Disease. Neuron 2019; 102: 899
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Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Eingereicht: 14. September 2022
Angenommen: 12. Dezember 2022
Artikel online veröffentlicht:
20. Februar 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany
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Literatur
- 1 Finkel RS. Nusinersen versus sham control in infantile-onset spinal muscular atrophy. N Engl J Med 2017; 377: 1723-1732
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