Psychiatr Prax 2023; 50(02): 112
DOI: 10.1055/a-2003-7383
Media Screen

Zukunft. Psychiatrie

Zoom Image

Ein Buch über die Zukunft der Psychiatrie zu schreiben, ist eine große Herausforderung. Es bedarf eines Rückblicks in die Vergangenheit, einer Analyse der Gegenwart und eines Lösungsansatzes für die Zukunft. Dieser Herausforderung hat sich Arno Deister am Ende seiner bemerkenswerten Karriere gestellt. Auf jeder Seite seines Buches spürt man, dass es eine Herzensangelegenheit des Autors ist, „die Psychiatrie“ für Betroffene, Angehörige und Mitarbeiter*innen zu verbessern.

Die Orientierung am Menschen steht daher bei Arno Deister im Mittelpunkt. Was Patientenorientierung wirklich bedeutet, listet er buchstäblich von A–Z auf. Aber auch darüber hinaus lässt das Buch keinen relevanten Aspekt der psychiatrischen Versorgung, sei sie stationär, ambulant oder komplementär, aus. Was grundsätzlich zu tun ist, wird gleich zu Beginn des Buches auf der Basis von acht Forderungen an die Gesundheitspolitik dargestellt, um dann in den weiteren Kapiteln konkretisiert zu werden. Arno Deister schreibt über die Würde des Menschen, soziale Verantwortung und Gerechtigkeit, Ethik und Patientenrechte, Psychiatrie und Gesellschaft, Stigmatisierung, Bedarfe und Bedürfnisse, Autonomie und Selbstbestimmung, partizipative Entscheidungsfindung, Recovery und Empowerment, Früherkennung, Selbstmanagement und Selbsthilfe, Erwerbsfähigkeit und Teilhabe, therapeutische Beziehung, Verhinderung von Zwang, partizipative Forschung, Fragmentierung des Versorgungssystems, settingunabhängige Behandlungsqualität, aufsuchende Behandlung, StäB, Ökonomie und Finanzierungssysteme, PEPP, Personalbemessung, PsychPV, PPP-RL und das Plattformmodell. Natürlich haben unter dem Blickwinkel der Bedeutung der Region neue Versorgungformen wie die Regionalen Psychiatrie-Budgets bzw. die sog. Modellprojekte nach §64b SGB V den ihnen gebührenden Platz. Trotz der belegten Vorteile einer solchen Versorgung [1] findet leider bislang (noch) keine Übernahme in die Regelversorgung statt.

Ergänzt werden seine Ausführungen durch zehn Interviews mit Expert*innen. Obgleich diese nicht immer in direktem Bezug zu den jeweiligen Kapiteln stehen, ergeben sich dadurch z.T. weitere neue und interessante Aspekte, auch bezüglich der interviewten Personen.

Da die verschiedenen Themen komplex und miteinander verbunden sind, ist es natürlich schwierig, sie in Buchkapiteln getrennt darzustellen ohne redundant zu werden. Die Gesamtsicht ergibt sich somit auch erst, wenn man das ganze Buch gelesen hat. Und dies lohnt sich absolut, da der Autor sich klar und für klinische Sozialpsychiater*innen sehr gut nachvollziehbar positioniert. Natürlich darf das berühmte Dörner-Zitat, hier nicht fehlen, was unsere Grundhaltung immer noch zum Ausdruck bringt: „Psychiatrie ist soziale Psychiatrie, oder sie ist keine Psychiatrie.“

In vielen Aussagen des Autors findet man sich wieder. Letztendlich kondensiert alles in der Frage: „Wie muss ein regionales psychosoziales Gesundheitssystem gestaltet sein, das über „Versorgung“ hinausgeht und gleichzeitig an den Bedürfnissen und dem Bedarf der betroffenen Menschen orientiert ist?“. Darauf bekommen wir Antworten in diesem Buch. Es wird Zeit für einen Paradigmenwechsel [2]. In der Verantwortung stehen wir alle, besonders Psychiater*innen und Politiker*innen. Daher ist das Buch auch für alle relevant, die Verantwortung tragen bzw. übernehmen wollen. Gerade für unsere noch jüngeren und zukünftigen Führungskräfte ist das Buch eine Fundgrube an Informationen zum Verständnis der psychiatrischen Versorgung heute und ihrer Möglichkeiten morgen – und daher besonders empfehlenswert. Durchaus auch, um es zweimal zu lesen.

Hermann Spießl, Landshut

E-Mail: h.spiessl@bkh-landshut.de



Publication History

Article published online:
14 March 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany