Aktuelle Urol 2023; 54(02): 98-100
DOI: 10.1055/a-2012-6824
Referiert und kommentiert

Kommentar zu Behandlungsstrategien bei chylösem Aszites nach retroperitonealen Eingriffen

Rezensent(en):
Axel Heidenreich
1   Klinik für Urologie, Uro-Onkologie, spezielle urologische und roboter-assistierte Chirurgie, Universitätsklinikum Köln, Köln, Deutschland
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Der chylöse Ascites (CA) stellt eine langwierige und oftmals schwer zu therapierende perioperative Komplikation der retroperitonealen Chirurgie dar, die unabhängig von dem gewählten chirurgischen Zugang in 1–8% der Patienten auftreten kann. In der vorliegenden Übersichtsarbeit haben die Autoren einen Behandlungsalgorithmus entwickelt, der in dem folgenden Kommentar kritisch bez. der klinischen Relevanz und Umsetzbarkeit gewürdigt werden soll.

Die klinische Evidenz der von den Autoren beschriebenen Algorithmen ist aus meiner Sicht aufgrund der kleinen Anzahl von dokumentierten Patienten sehr limitiert: Über einen Zeitraum von 1969 (!) bis 2022 wurden lediglich 523 Patienten aus 146 klinischen Studien evaluiert, sodass durchschnittlich weniger als 3 Patienten pro Publikation ausgewertet wurden. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Veröffentlichungen handelt es sich somit um kleinere oder größere Fallserien mit der Gefahr einer hohen Dunkelzifferrate bez. fehlender Effektivität.

Prävention statt Reaktion

Die aus meiner Sicht wichtigste therapeutische Maßnahme des CA ist dessen Prävention im Rahmen der primären retroperitonealen Chirurgie – ein Ansatz, der von den Autoren leider gar nicht beschrieben wird. Ursächlich für den CA ist meistens eine Läsion der Cisterna chyli, die unmittelbar kranial der V. renalis sinistra im interaortocavalen Raum jeweils medial der V. cava inferior und der Aorta abdominalis in Höhe des 1./2. Lendenwirbelkörpers gelegen ist. Die Nodi lymphatici lumbales drainieren die Lymphe der Keimdrüsen, der Niere und der Nebenniere über die sogenannten Truncus lumbales und konvergieren mit dem lymphatischen Truncus intestinalis in die Cysterna chyli. Gerade bei der Präparation der renalen Gefäße als kranialer Begrenzung des Dissektionsfeldes bei primärer oder postchemotherapeutischer RPLA müssen die Cisterne identifiziert und die zuführenden Lymphgefäße durch das Setzen von kleinen Clips oder Ligaturen sicher okkludiert werden. Die oftmals geübte, alleinige bipolare Koagulation der Lymphgefäße ist auf keinen Fall ausreichend.

Eine Verletzung der lumbalen oder mesenterialen Lymphgefäße kann intraoperativ klassischerweise durch den Austritt milchiger Flüssigkeit in Höhe des aortorenalen Winkels erkannt werden. In diesem Falle sollte eine Umstechung der Cisterna chyli mit nicht resorbierbaren Fadenmaterial der Stärke 4–0 bis 5–0 erfolgen, um der späteren Entwicklung eines Aszites vorzubeugen.

Kommt es zur Ausbildung eines CA muss bez. der therapeutischen Maßnahmen unterschieden werden, ob dieser unmittelbar postoperativ bei einliegender bzw. fehlender Drainage vorhanden ist oder ob sich typischerweise 3–4 Wochen postoperativ eine Lymphocele mit chylösem Inhalt entwickelt. Die zielgerichtete Therapie des CA ist auch heute noch trotz der in dem Artikel zitierten und analysierten 146 Publikationen empirisch und keinesfalls evidenzbasiert. So ist die von den Autoren dargelegte Stufentherapie von den diätetischen und medikamentösen Strategien über die minimalinvasiven perkutanen Interventionen bis hin zu den chirurgischen bzw. radiologischen Okklusionstechniken zwar nachvollziehbar, aber jeweils mit einer variablen individuellen Erfolgsrate vergesellschaftet und hat keine Allgemeingültigkeit. Wir beginnen bei unmittelbar postoperativ nachweisbarem CA immer mit einer Diät durch mittelkettige Fettsäuren, die meist über 2–3 Wochen auch unter häuslichen Bedingungen (und hier ist das eigentliche Problem dieser nicht sehr schmackhaften Ernährung) ausgehalten werden muss. Kommt es unter der Ernährung nicht zu einem Sistieren der Sekretion, gehen wir meist auf eine parenterale Ernährung mit Applikation von Somatostatin in einer Dosierung von 3×100µg/die über. Bez. einer chirurgischen Intervention sind wir sehr zurückhaltend, da der intraoperative Situs gerade nach ausgedehnter RPLA sehr komplex und das Risiko eines fehlenden Therapieerfolgs bzw. der Läsion von vaskulären oder intestinalen Nachbarstrukturen nicht gering ist. Die intranodale Lymphangiografie mit Lipidolembolisation ist bei den Patienten mit einem CA nach RPLA zurückhaltend anzuwenden, da die Erfolgsrate gerade bei den Patienten mit Läsionen der Cisterna chyli gering sind. Die Anlage eines peritoneovenösen Shunts stellen wir aufgrund der hohen, teils vital gefährdenden Komplikationsraten und der hohen Rate an Malfunktionen des Shunts nie.

Kommt es mit längerem Abstand zur RPLA zur Ausbildung einer Lymphocele (ein CA tritt 1–2 Wochen postoperativ praktisch nie mehr auf) ist die weitergehende Behandlung von der Symptomatik abhängig zu machen: Eine asymptomatische Lymphocele bedarf keiner Behandlung außer es kommt zu einer erheblichen Kompression der V. cava inferior mit venöser Stase und der Gefahr einer Thrombose. Symptomatische Lymphocelen werden zunächst sonografisch oder CT-gesteuert punktiert und hernach intermittierend bzw. kontinuierlich drainiert. In Abhängigkeit der Sekretionsmengen müssen nach einem Zeitintervall von 2–3 Wochen die oben beschriebenen Maßnahmen eingesetzt werden.

Zusammenfassend bleibt trotz der bekannten Problematik des postoperativen CA weiterhin unklar, welche Therapiemaßnahme am effektivsten ist. Aus unserer Erfahrung ist der Beginn der Therapie mit diätetischen und medikamentösen Maßnahmen mit einer Erfolgsrate und einer geringen Komplikationsrate assoziiert. Bei Persistenz des CA auch über einen Zeitraum von 4 Wochen sollte eine chirurgische Intervention diskutiert werden.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
05. April 2023

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