HPP im Überblick
Hypophosphatasie (HPP), auch Mangel an alkalischer Phosphatase,
Phosphoethanolamin-urie oder Rathbun-Syndrom genannt, ist eine seltene und manchmal
tödlich verlaufende Knochenstoffwechselerkrankung.
Klinik
Die klinischen Symptome sind heterogen und reichen von der rasch tödlich
verlaufenden perinatalen Variante mit ausgeprägter
Skeletthypomineralisierung, Atemnot oder Krampfanfällen bis hin zu einer
milderen, progressiven Mineralisierungsstörung mit erhöhtem
Frakturrisiko im späteren Leben. Diese beruht im Wesentlichen auf einer
Vermehrung von Pyrophosphat und einer daraus resultierenden Inhibition der
Mineralisierung und einer Induktion proinflammatorischer Reize im Gewebe,
z. B. durch die Bildung von Pyrophosphat-Kristallen. Daraus entstehen
die klinisch führenden Symptome der Hemmung der Knochenformation,
möglicherweise auch der Stimulation des Abbaus und das Auftreten
Rheuma-ähnlicher Beschwerden.
Die gestörte Mineralisierung führt zu einer Verformung der
Knochen und anderen Veränderungen der Knochenstruktur,
Zahnveränderungen und Zahnverlusten. Diese Fehlbildungen können
das kindliche Wachstum beeinträchtigen und zudem alltägliche
Bewegungen wie Gehen, Laufen, Stehen, Springen oder Treppensteigen behindern.
Symptome wie der vorzeitige Verlust der Milchzähne mit kompletter
Wurzel, Genua valga oder Genua vara, Thorax-Verformungen, motorische
Entwicklungsverzögerung sowie Nephrokalzinose können
auftreten.
Dazu können weitere systemische Komplikationen, wie stark
ausgeprägte Muskelschwäche und, bei schweren Formen in der
frühen Kindheit, auch Krampfanfälle und Atemversagen kommen, die
zum vorzeitigen Tod führen. Säuglinge, die in den ersten sechs
Monaten schwere HPP-Symptome zeigen, haben eine besonders hohe Sterberate
– 73% sterben innerhalb der ersten fünf Lebensjahre
[1].
Epidemiologie
Die Prävalenz schwerer Verlaufsformen wird in Europa auf 1 zu
300 000 geschätzt, allerdings scheinen moderate Formen von HPP
50 mal so häufig vorzukommen [2]
[3]. Die Inzidenz schwerer
HPP wurde in Kanada auf 1 zu 100 000 Geburten geschätzt [4]. Daten aus den USA zeigen, dass HPP
häufiger bei Weißen vorkommt als bei Farbigen, und dass die
Mehrheit betroffener amerikanischer Kinder eine milde Manifestation hat [3]
[5]. Ein weiterer Anhaltspunkt für die Prävalenz ergibt
sich daraus, dass der Gemeinsame Bundesausschuss schätzt, dass in
Deutschland etwa 1.000 Patienten für die Therapie mit Asfotase alfa
infrage kommen [6].
Genetik
Die verminderte Serumaktivität der AP wird durch eine von über
300 bisher identifizierten genetischen Mutationen im Gen, das für TNSALP
kodiert, verursacht (Genlocus p34–36 auf Chromosom 1). Der genetische
Erbgang ist autosomal rezessiv für die perinatalen und infantilen
Formen, und entweder autosomal rezessiv oder autosomal dominant für die
milderen Formen (Homozygotie oder Compound-Heterozygotie für zwei
defekte TNSALP-Allele). Der Vererbungsmodus für kindliche, erwachsene
und odontische Formen der Hypophosphatasie kann also entweder autosomal dominant
oder rezessiv sein, so dass die Krankheit Männer und Frauen gleich
häufig betrifft. Die genetische Beratung wird durch das variable
Vererbungsmuster der Krankheit und durch die unvollständige
Durchdringung des Merkmals erschwert.
Die Auswirkungen auf den klinischen Phänotyp variieren stark, ohne dass
derzeit eindeutige Genotyp-Phänotyp-Korrelationen erkennbar sind. Der
individuelle genetische Befund sollte deshalb immer im Kontext mit dem
klinischen Phänotyp interpretiert werden.
Diagnose
Aufgrund des fortschreitenden Verlaufs der Erkrankung können neue
Symptome in jedem Alter auftreten und sich über die Zeit verschlimmern,
was zu schweren Behinderungen führen kann. Die Diagnose der HPP erfolgt
durch eine Kombination aus einer vollständigen klinischen Beurteilung
und einem einfachen Bluttest, der die AP-Aktivität entsprechend dem
Geschlecht und dem Alter und dem Ausschluss anderer Ursachen für eine
AP-Erniedrigung berücksichtigen sollte. Ein weiterer wichtiger
Serumparameter ist die aktivierte Form des Vitamins B6 (Pyridoxalphosphat),
welches in der Regel erhöht ist. Bei typischer Konstellation sollte die
Diagnose durch eine genetische Diagnostik abgesichert werden.
Therapie
In der Indikation können unter anderem Heilmittel (v. a. Physio-
und Ergotherapie) gemäß Heilmittelkatalog, Hilfsmittel
(orthopädische Hilfsmittel, Gehhilfen, Beatmungshilfen) und
gegebenenfalls operative Maßnahmen angezeigt sein. Letztere werden im
vorliegenden Anwendungsgebiet vor allem bei Behandlungen von Knochenfrakturen
und anderen chirurgischen bzw. neurochirurgischen Interventionen notwendig (vgl.
Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses
über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage
XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach
§ 35a SGB V Asfotase alfa vom 2. April 2020 – S. 5).
Therapie mit Asfotase alfa
Die derzeit einzige zugelassene medikamentöse Therapie für
die HPP ist Asfotase alfa. Der zugelassene Anwendungsbereich von Asfotase
alfa ist in Abschnitt 4.1 der Fachinformation dargelegt; weitere Angaben,
etwa unter 5.1 der Fachinformation, sind ebenfalls zu
berücksichtigen [7].
Krankenkassen haben keine Kompetenz, abweichende eigene Definitionen des
Anwendungsbereichs festzulegen – eine Genehmigung der Verordnung
durch eine Krankenkasse ist unzulässig (vgl. § 29 Abs. 1
Satz 2 Bundesmantelvertrag Ärzte vom 1. Juli 2021).
Asfotase alfa ist zugelassen als Langzeit-Enzymersatztherapie bei Patienten,
bei denen die Hypophosphatasie im Kindes- und Jugendalter aufgetreten ist,
um die Knochenmanifestationen der Krankheit zu behandeln [8].
Die Behandlung im zugelassenen Anwendungsgebiet setzt also
a) ein Auftreten im Kindes- und Jugendalter und
b) Knochenmanifestationen
voraus. Diese beiden Voraussetzungen werden im Folgenden definiert.
Auftreten im Kindes- und Jugendalter
Anamnestisch können folgende Symptome in der Kindheit und Jugend (bei
Patienten und ebenfalls betroffenen Familienangehörigen) erhoben
werden:
-
Mehrfache Knochenbrüche ohne adäquates Trauma
-
Gelenkschmerzen
-
Wachstumsdefizite
-
Myopathien und Myalgien
-
HPP-assoziierte Todesursachen in der Familie
-
Rachitis-Symptome, Watschelgang oder Genua vara
-
Dentinogenese-Störung der zweiten Zähne
Eine sorgfältige Dokumentation der Anamnese ist ein entscheidendes
Element zur Erfüllung der Darlegungspflicht des Arztes. Der Arzt
entscheidet, ob die Aussagen eines Patienten glaubhaft und schlüssig
sind und ob mehr Indizien für die Richtigkeit der Angaben sprechen
als dagegen. Dabei ist maßgeblich, wie sich die Situation zum
Zeitpunkt der Anamnese (ex ante) für den Arzt darstellt. Anamnese
und Familienanamnese sind sorgfältig zu dokumentieren, insbesondere
um Nachfragen der Leistungsträger entsprechend beantworten zu
können.
Klare Kriterien zur Befunderhebung der kindlichen/jugendlichen Form
und für die Abgrenzung von der adulten Form der HPP fehlen [3]
[8]
[9]
[10]. Es gibt Patienten mit plausibler
Beschreibung schwerer Symptome aus der Jugend, ohne dass sich das durch
Dokumente stützen lässt. In diesen Fällen muss
anamnestisch befundet werden.
Es gibt Erwachsene mit starker Symptomatik, die aber in der Jugend und
Kindheit keine starken Symptome hatten, daher gibt es auch keine Dokumente
aus Kindheit und Jugend. Im Einzelfall ist dann die Anamnese der einzige
Befund. Auch diese Patienten können nach Einschätzung der
Autoren von Asfotase alfa profitieren. Wie in dem Kapitel „Nachweis
des Patientenanspruchs“ dargestellt, erfolgt diese Therapie dann
durchaus im Rahmen der Zulassung.
Knochenmanifestationen
Eine Knochenmanifestation lässt sich mittels klinischer Anamnese
(Frakturen, Deformitäten und ähnliches) mit Bildgebung,
Osteodensitometrie (DXA), Laboruntersuchungen, insbesondere
Knochenumbaumarker, und Parametern des Calcium- und Phosphatstoffwechsels
nachweisen. Eine Knochenbiopsie ist nur in Zweifelsfällen notwendig.
Mit ihr lässt sich der Anteil nicht mineralisierten Knochens
(Osteoid) abschätzen.
Eine klinisch relevante Knochenmanifestation bei genetisch nachgewiesener
Hypophosphatasie, die eine Asfotase alfa-Therapie rechtfertigt, kann eines
der folgenden Merkmale aufweisen:
-
Erniedrigte Knochendichte (DXA) in Verbindung mit muskuloskelettalen
Beschwerden [11] und HPP
zuordenbaren Frakturen ohne adäquates Trauma
-
Schwere Beeinträchtigung und chronische Schmerzen im Alltag
durch Pseudarthrosen, Non-Unions, rezidivierende Stressfrakturen
-
Immobilität bei Schmerzen infolge von Frakturen oder schwerer
malazischer Knochenmineralisationsstörung
-
Frakturen/Fehlstellungen, die zur Immobilisation in den
Rollator oder Rollstuhl führen
-
Wiederholt durchgeführte orthopädische Operationen
als Folge der HPP
Chronische Knochenschmerzen im Alltag und eine ausgeprägte
Muskelschwäche als vorherrschendes klinisches Bild sind ein weiterer
möglicher Befund.
Bei Unsicherheit des Nachweises für eine prüfungssichere
Indikationsstellung für eine Asfotase alfa-Verordnung ist auch die
Orientierung an den Kriterien von Khan et al. hilfreich (zusätzlich
zum Auftreten im Kindes- und Jugendalter) [12]:
-
Osteomalazie und Komplikationen der Osteomalazie, Pseudofrakturen
-
Unerträgliche Schmerzen des Bewegungsapparats, die
Opioid-Therapie erfordern oder auf Opioide nicht reagieren
-
Chondrocalcinose mit unerträglichen Schmerzen
-
Verzögerte oder unvollständige Frakturheilung
-
Nennenswerte Störungen des Gangbildes und der
Mobilität
Asfotase alfa sollte auch dann erwogen werden, wenn schon bei
jüngeren Patienten ein niedriger T-Wert (DXA-Messung) gefunden wird
und HPP-assoziierte Brüche vorliegen. Das Therapieziel und der zu
erwartende Nutzen für den konkreten Patienten sind entscheidend.
Hypophosphatasie und Osteoporose
HPP und Osteoporose sind zwei Krankheiten mit unterschiedlicher Pathophysiologie
und unterschiedlichen Therapieoptionen, es bestehen aber Interaktionen. Eine
verminderte Knochendichte ist in einem großen Teil der Fälle ein
spezifisches Symptom der adulten HPP [11].
Da Antiresorptiva die AP-Aktivität reduzieren, sind sie bei HPP
pathophysiologisch nicht sinnvoll, wo die AP ohnehin schon niedrig ist. Die
Anwendung von Teriparatid zur Behandlung von HPP-Frakturen zeigt fallweise
Erfolg. Zur Kombinationstherapie von Asfotase alfa und Antiresorptiva oder
osteoanabolen Therapeutika gibt es keine Evidenz.
Nicht jeder Hypophosphatasie-Patient mit Frakturen muss mit Asfotase alfa
behandelt werden, insbesondere wenn es sich um ältere Patienten handelt.
Aber auch ältere Patienten können von einer Asfotase
alfa-Therapie profitieren.
Absicherung der Therapieentscheidung aus sozialrechtlicher Sicht
Die Bedeutung der frühen Nutzenbewertung durch den G-BA
Wie erwachsene Patienten von einer Asfotase alfa-Therapie profitieren
können
Der beobachtete Nutzen von Erwachsenen bei der Enzymersatztherapie mit
Asfotase alfa kann sich wie folgt darstellen:
-
Die Knochenmanifestationen werden abgemildert, etwa durch eine
Konsolidierung der Frakturen oder Abnahme der Schmerzen
-
Die Lebensqualität hat sich verbessert und die allgemeine
Leistungsfähigkeit erhöht
Die Behandlungsziele sind nicht für alle Patienten erreichbar, der
Nutzen ist patientenindividuell sehr unterschiedlich. Der Nutzen für
die Patienten soll in jedem Einzelfall möglichst genau dokumentiert
werden. Gegebenenfalls sollte die Behandlung abgebrochen werden, wenn sich
kein Patientennutzen einstellt. Bei Knochenbrüchen kann eine
Asfotase alfa-Therapie bis zur Heilung des Bruches und ggfs. darüber
hinaus angezeigt sein.
Nachweis des Patientenanspruchs
Die Ergebnisse einer anamnestischen Befunderhebung sind eine wichtige
Stütze der Therapieentscheidung und können nicht ohne
weiteres negiert werden. Prüfgremien müssen die
Indikationsstellung substantiiert bestreiten, wenn sie eine Anamnese
ablehnen oder einen Off-Label-Use vermuten. „Substantiiert“
heißt, es müssen konkrete Argumente angeführt
werden, die gegen die Indikationsstellung des Arztes sprechen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass schriftliche Befunde aus früheren
Zeiten oft nicht vorliegen können, zum Teil, weil die
berufsrechtliche Mindestaufbewahrungsdauer bereits verstrichen ist oder das
Wissen um die Erkrankung noch nicht vorhanden war.
In den verschiedenen Rechtsbereichen gelten unterschiedliche Anforderungen an
die Kausalität: Während z. B. im Strafrecht eine
„an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ gefordert wird,
reicht im Sozialrecht der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit [13]
[14]
[15]
[16]
[17]
[18]
[19]
[20]. Das gilt auch für die anamnestische Befunderhebung
durch einen Arzt, die einen Patientenanspruch trägt.
In möglichen Dialogen über die Zweckmäßigkeit
der Therapie kann das Datum der Diagnose eine Rolle spielen, aber das Datum
der Diagnose bei Erwachsenen muss nicht mit dem Auftreten im Kindes- und
Jugendalter zusammenfallen. Daher wird dazu geraten, dies durch eine gut
dokumentierte Anamnese zu unterstützen.
Rechtliche Aspekte der Nutzenbewertung
Der festgestellte Zusatznutzen gilt für ein bewertetes Arzneimittel
insgesamt (hier nicht quantifizierbarer Zusatznutzen für Asfotase
alfa), auch wenn der Zusatznutzen für Subpopulationen
unterschiedlich ausfällt.
Ein nicht belegter Zusatznutzen in einer Subpopulation bedeutet nicht, dass
es keinen Zusatznutzen gibt, sondern dass er mit den Methoden des Instituts
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht dargestellt
werden konnte.
Grundsätzlich ist ein Arzneimittel mit Zusatznutzen anderen
Medikationen im Indikationsgebiet vorzuziehen.
Die zweckmäßige Vergleichstherapie (zVT) der Nutzenbewertung
von Asfotase alfa war Best Supportive Care (BSC). Als BSC wird eine
bestmögliche, patientenindividuell optimierte,
unterstützende Behandlung zur Linderung von Symptomen und
Verbesserung der Lebensqualität bezeichnet. Allerdings gibt es keine
allgemein gültige Definition für BSC [21]. Das IQWiG definiert BSC wie
folgt: „Als Best Supportive Care (engl.
= bestmögliche unterstützende Behandlung)
wird eine Behandlung bezeichnet, deren Hauptziel es ist, die
Symptome einer schweren Erkrankung zu lindern und eine
möglichst gute Lebensqualität zu erreichen. Dabei
richtet sich eine BSC nach den Bedürfnissen eines Patienten
– je nachdem, ob zum Beispiel die Schmerzlinderung bei einer
Krebserkrankung, Hilfen im Alltag oder psychologische
Unterstützung im Vordergrund stehen. Die Behandlung
bekämpft also nicht die Erkrankung, sondern mildert deren
Folgen.“ [22]
Es handelt sich also nicht um eine Therapie, so dass schon fraglich ist, wie
weit BSC als Komparator herangezogen werden kann. Daraus ergibt sich auch,
dass ein Therapieversuch mit BSC nicht erforderlich ist, zugelassene
therapeutische Alternativen genießen Vorrang.
Die Kriterien zur Verordnung von Asfotase alfa gelten gleichermaßen
für den niedergelassenen und den stationären Bereich.
Folgen des G-BA Beschlusses vom 02.04.2020 und Festsetzung des neuen
Erstattungsbetrages
Seit dem G-BA Beschluss vom April 2020 hinterfragen Krankenkassen und der
Medizinische Dienst (MD) gelegentlich die Therapie mit Asfotase alfa bei
Erwachsenen. In der Kommunikation ist zu berücksichtigen, dass das
Ausmaß des Zusatznutzens als nicht quantifizierbar eingestuft und
ein Erstattungsbetrag als Mischpreis über alle Subpopulationen
vereinbart wurde. Auch wenn einige Medikamente Subpopulationen ohne
Zusatznutzen aufweisen, gibt es bisher keine Regresse zu Therapien in
Subpopulationen ohne Zusatznutzen.
Bedeutung des Mischpreises
Bei der Betrachtung von Subpopulationen kann die Bewertung durch den G-BA
unterschiedlich ausfallen. Dann ist ein Mischpreis die einzige
Möglichkeit, unterschiedliche Zusatznutzen abzubilden. Durch die
Monetarisierung des G-BA Beschlusses auf dieser (obersten) Allokationsebene
wird ein Preis für alle Subpopulationen festgelegt [23].
Subpopulationen sind gleichrangig in der Verordnung, insbesondere, wenn keine
zugelassene Arzneimitteltherapie als Alternative zur Verfügung
steht. Ein Arzt kann für alle Subpopulationen Asfotase alfa
innerhalb des Anwendungsgebietes verordnen, es ist keine Differenzierung
notwendig. Eine Bewertung des Preises eines Arzneimittels durch den Arzt,
auch in Bezug auf unterschiedliche Subpopulationen, ist nicht geboten, denn
der Preis ist als Erstattungsbetrag zwischen dem GKV-SV und dem Hersteller
vereinbart und gilt daher als wirtschaftlich.
Weitere rechtliche Aspekte
Wirtschaftliche Verordnung
Bei Enzymersatztherapien gilt ebenso das Gebot der Wirtschaftlichkeit: Die
Therapie muss zweckmäßig und ausreichend sein, sie darf das
Maß des Notwendigen nicht überschreiten und sie muss
wirtschaftlich (sogenannte Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne) sein. Bei
Enzymersatztherapien kann es bei Einhaltung der Dosierung keine
Überschreitung des Maßes des Notwendigen geben, das durch
die Dauer der Behandlung begründet wäre.
Probationsphasen
Probationsphasen, also Phasen der Therapie, die dazu dienen, das Ansprechen
der Patienten festzustellen, sind nicht notwendig. Es kann aber sinnvoll
sein, nach 3, 6 oder 9 Monaten festzustellen, ob unter Asfotase alfa eine
Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden kann. Davon kann die
Entscheidung über eine Fortführung der Therapie
abhängig gemacht werden. Dies ist im Rahmen der zulassungskonformen
Anwendung umsetzbar.
Anwendungsbegleitende Datenerhebung
Der Gemeinsame Bundesausschuss kann für ausgewählte
Medikamente eine anwendungsbegleitende Datenerhebung als Voraussetzung
für die Verordnung eines Medikaments (AbD) zur Pflicht machen. Dies
ist für Asfotase alfa bereits 2016 geschehen und auch sinnvoll, denn
ohne Datenerhebung kann es keine Verbesserung der Datenlage geben. Der
Hersteller erfüllt diese Auflage mit dem Angebot eines Registers.
Das HPP-REGISTER ist eine longitudinale, prospektive
Langzeit-Beobachtungsstudie für Patienten mit Hypophosphatasie [24]. Es wird empfohlen, die
Behandlungsdaten dem Register zu melden. Bei HPP-Patienten sollten auch die
Lebensqualitäts-Daten erhoben werden.
Off-Label-Use
Sind die Voraussetzungen für das Vorliegen des Anspruchs des
Patienten auf die Therapie unklar, etwa weil das Auftreten erster Symptome
nicht verifizierbar ist, kann das Bedürfnis bestehen, die Verordnung
durch Kommunikation mit der Krankenkasse des Patienten abzusichern. Die
Krankenkasse hat allerdings nicht die Kompetenz, eine Therapie zu
genehmigen. Das System sieht lediglich vor, dass sie im Fall einer zu
Unrecht erfolgten Verordnung einen Antrag auf „Feststellung eines
sonstigen Schadens“ stellen kann. Die Prüfungsstelle
überprüft dann die Zweckmäßigkeit der
Verordnung.
Um dieses Verfahren zu vermeiden, kann der behandelnde Arzt unter Darstellung
der Befunde die Einschätzung für die
Zweckmäßigkeit einer Therapie darstellen und die
Krankenkasse um Zusage bitten, dass sie in Übereinstimmung mit
dieser Einschätzung auf die Stellung eines solchen Antrags
verzichten wird. Das Bundessozialgericht hat zur Rolle des Arztes
entschieden: „In dem besonderen Fall eines medizinisch-fachlich
umstrittenen Off-Label-Use kann er auch zunächst selbst bei der
Krankenkasse deren Auffassung als Kostenträger einholen und im
Ablehnungsfall dem Patienten ein Privatrezept ausstellen“ [25].
Privatärztliche Verordnung
Für privat versicherte Patienten gelten je nach Vertrag andere
Voraussetzungen. Hier empfiehlt es sich, nach Diagnosestellung mit der
jeweiligen privaten Krankenversicherung des Patienten die Übernahme
der Kosten der Therapie mit Asfotase alfa abzustimmen (vgl. § 192
Abs. 8 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz).
Konsensfindung der Arbeitsgruppe für die Aussagen in dieser
Expertenempfehlung
Von den Teilnehmern eines Gesprächskreises zur HPP wurde 2021
angeregt, ein Konsensuspapier zur Hypophosphatasie zu erarbeiten. In diesem
sollten die Therapieziele sowie der erwartbare Nutzen für die
Patienten berücksichtigt werden. Auch sollte das Papier zum Umgang
mit Anfragen von Krankenkassen hilfreich sein. Vor diesem Hintergrund haben
sich die Experten zusammengefunden, um das hier vorliegende Papier zu
erstellen.
Im Sinne einer strukturierten Arbeitsweise wurde die Delphi-Methode
gewählt, um eine mehrstufige Befragung mit dem Ziel der
Konsensbildung zu erreichen. Die Experten wurden in zwei Gruppen aufgeteilt
und eine Gruppe hat zunächst einen Thesenkatalog erstellt und
textlich erweitert. Dieses Papier wurde an die zweite Gruppe durchgegeben,
die den Entwurf weiter validiert und editiert hat. Dieser Prozess wurde
einmal wiederholt, bis der Konsens vereinbart wurde.
Zusammensetzung der Expertengruppe
Dr. med. Christina Lampe, Fachärztin für Chirurgie,
Kinderneurologie, Epileptologie und Sozialmedizin, Gießen
Prof. Dr. med. Uwe Maus, Facharzt für Orthopädie und
Unfallchirurgie, Spezielle Orthopädische Chirurgie, Osteologie
(DVO), Düsseldorf
PD Dr. med. habil. Stephan Scharla, Facharzt für Innere Medizin,
Endokrinologie, Diabetologie, Osteologe DVO, Bad Reichenhall
Prof. Dr. med. Hans-Christof Schober, Facharzt für Innere Medizin,
Endokrinologie, Osteologe DVO, Diabetologe DDG, Ernährungsmedizin,
Rostock
Prof. Dr. med. Ralf Schmidmaier, Facharzt für Innere Medizin,
Endokrinologie, Diabetologie, Hämatologie, Internistische Onkologie,
Osteologe DVO, München
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christian Wüster, Facharzt für Innere
Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Osteologe DVO, Mainz
Unter fachlicher Einbeziehung von RA Prof. Dr. med. Dr. iur. Christian
Dierks, Dierks+Company, Berlin
Redaktionelle Unabhängigkeit
Die Expertengruppe tagte in
einem Zeitraum von Oktober bis Dezember 2021. Die redaktionelle
Unabhängigkeit wurde gewahrt.
Financial Support: Die Treffen der
Expertengruppe fanden mit freundlicher Unterstützung der Alexion Pharma
Germany GmbH statt. Eine inhaltliche Einflussnahme auf das vorliegende
Konsensuspapier wurde ausgeschlossen.