CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(08): 499-502
DOI: 10.1055/a-2017-0878
Standpunkt

Ehegattennotvertretungsrecht

Eine Handreichung der Sektion Ethik der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI)The law of emergency representation by spousesA handout from the Ethics Section of the German Interdisciplinary Association for Intensive Care and Emergency Medicine (DIVI)
Jochen Dutzmann
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Andrej Michalsen
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Gunnar Duttge
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Susanne Jöbges
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Guido Michels
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Peter Gretenkort
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Uwe Janssens
 

Ehegatten sind seit Anfang 2023 dazu berechtigt, sich bei Einwilligungsunfähigkeit des jeweils anderen in Angelegenheiten der Gesundheitssorge zu vertreten. Damit geht die Pflicht des behandelnden Arztes einher, zu bescheinigen, dass die Voraussetzungen des Ehegattennotvertretungsrechts tatsächlich erfüllt sind. Das neue Gesetz wirft einige Fragen auf, wie im folgenden Artikel erläutert wird.


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Juristische Einordnung

Einwilligungsunfähige Patienten können bislang nur durch Gesundheitsbevollmächtigte oder gerichtlich bestellte Betreuer vertreten werden. Diese Rechtslage ändert sich mit Wirkung zum 01.01.2023: Seitdem sind Ehegatten (und eingetragene Lebenspartner) kraft Gesetzes automatisch (also ohne gesonderten Bestellungsakt) in sämtlichen Angelegenheiten der Gesundheitssorge vertretungsberechtigt [1]. Ziel des Ehegattennotvertretungsrechts ist die Stärkung der Autonomie der Patienten, die Angleichung der gesetzlichen Regelung an das Verständnis der Rechte von Ehegatten in der breiten Bevölkerung sowie eine Entlastung der Betreuungsgerichte.

  • Zum einen wirft dies allerdings die Frage auf, wie sich diese Neuerung in das bisherige System von Bevollmächtigten und Betreuern einfügt [2].

  • Zum anderen sieht das neue Gesetz (§ 1358 BGB) eine Pflicht der behandelnden Ärzte vor, die Voraussetzungen dieses Ehegattennotvertretungsrechts im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und eine dahingehende Bescheinigung auszustellen (s. Online-Supplement).

Die nachfolgenden Hinweise sollen dazu dienen, diese praktisch-organisatorischen Herausforderungen zu bewältigen ([Abb. 1]). Einbezogen sind Empfehlungen der Bundesärztekammer; unter dem Link [3] findet sich auch das auszufüllende Formular „Ehegattennotvertretung“.

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Abb. 1 Gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge: Vorgehen im Betreuungsrechtsfall.

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Medizinische Voraussetzungen für den Vertretungsfall

Kritisch Kranke sind sowohl im Rahmen einer notfallmedizinisch-präklinischen Versorgung als auch einer Behandlung in einer Notaufnahme oder auf einer Intensivstation häufig nicht mehr oder vorübergehend nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten der Gesundheitssorge selbst zu besorgen. Sobald sich eine solche Situation ergibt, tritt der Betreuungsfall für gesundheitliche Angelegenheiten ein. Der behandelnde Arzt muss bescheinigen, ob und ab wann spätestens der Patient aufgrund einer Erkrankung oder Bewusstlosigkeit nicht mehr einwilligungsfähig ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Arzt grundsätzlich den Angaben des Ehegatten vertrauen, ab wann genau der Patient wegen Erkrankung oder Bewusstlosigkeit seine gesundheitsbezogenen Angelegenheiten nicht mehr besorgen konnte. Im Regelfall ist dieser Umstand wohl auf den Beginn der ärztlichen Behandlung zu datieren [4].


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Prozedurale Voraussetzungen für den Vertretungsfall

Das Gesetz gilt nur für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner. Ausgeschlossen von der Vertretung sind Ehegatten oder eingetragene Partner, die – analog zum sogenannten „Trennungsjahr“ im Scheidungsrecht – nur noch formal verheiratet sind, jedoch inzwischen in der Absicht der dauerhaften Trennung leben. Ausgeschlossen sind weiterhin Kinder oder unverheiratete Lebensgefährten bzw. Verlobte.

Merke

Die behandelnden Ärzte sollten sich beispielsweise im Gespräch durch zielführendes Nachfragen davon überzeugen, dass die Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft noch Bestand hat.

Die gesetzliche Notvertretung ist nachrangig gegenüber einer anwendbaren Vorsorgevollmacht oder Betreuung und greift außerdem nur dann, wenn keine Ausschlussgründe vorliegen (s. Formular [3], [Abb. 1]). Neben der Verwirklichung der medizinischen Voraussetzung muss der behandelnde Arzt auch das Nichtvorliegen dieser Ausschlussgründe bescheinigen. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt ihm allerdings keine eigene Nachforschungspflicht zu; vielmehr darf er sich auf die Selbsterklärungen des (künftigen) Vertreters grundsätzlich verlassen [2]. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Ehegatten möglicherweise unzutreffend sind, z.B. divergierende Aussagen von Zugehörigen, dem Notarzt oder dem Hausarzt, sollte der behandelnde Arzt die Voraussetzungen für den Vertretungsfall für nicht gegeben erklären und unmittelbar das zuständige Betreuungsgericht zur Einrichtung einer Eilbetreuung anrufen. Insofern findet sich auf dem Formular [3] auch eine Möglichkeit, diese Zweifel zu dokumentieren.

Der behandelnde Arzt sollte den künftigen Vertreter über die Aufgaben der Gesundheitsfürsorge, einschließlich Entscheidungen, die möglicherweise erhebliche Schäden, Langzeitfolgen oder den Tod zur Folge haben könnten (s.o.), wenigstens in wesentlichen Zügen aufklären. Eine Hilfestellung und schriftliche Aufklärung hierzu findet sich auf der Seite der Bundesärztekammer [3].

Merke

Der behandelnde Arzt übergibt dem vertretenden Ehegatten abschließend die Bescheinigung über die medizinische Voraussetzung für den Vertretungsfall sowie die Bescheinigung über das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe im Original. Eine Kopie dieser Dokumente verbleibt in der Patientenakte.


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Umfang und Gültigkeitsdauer

Die Notvertretung gilt nur vorübergehend und solange, bis der Patient wieder über seine Gesundheitsangelegenheiten eigenverantwortlich entscheiden kann, längstens allerdings für 6 Monate. Gibt es bereits einen Vorsorgebevollmächtigten oder Betreuer, so hat dieser vorrangig vor einer Notvertretung durch den Ehegatten den mutmaßlichen Patientenwillen (ggf. auf Basis einer Patientenverfügung) geltend zu machen. Die Gesundheitsfürsorge umfasst die in § 1358 Abs. 1 BGB abschließend aufgezählten Angelegenheiten, die nach Meinung des Gesetzgebers in der Akutphase einer medizinischen Versorgung üblicherweise zu regeln sind. Die Inhalte der Notvertretung umfassen auch Entscheidungen, die absehbar schwere oder dauerhafte Gesundheitsschäden oder den Tod zur Folge haben können (und in einer Gesundheitsvollmacht ausdrücklich erwähnt werden müssten: § 1829 Abs. 5 i.V.m. § 1820 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Sind solche Entscheidungen dringlich zu fällen, muss eine bereits bestehende Vorsorgevollmacht oder Betreuung diese Dimension ausdrücklich umfassen. Ist dies nicht der Fall, kommt die gesetzliche Notvertretung des Ehegatten in Betracht. Kommt es nicht zu einer Ehegattennotvertretung, ist eine Eilbetreuung beim zuständigen Betreuungsgericht anzuregen. Auch nach Übernahme einer Notvertretung empfiehlt es sich, so bald wie möglich eine Betreuung anzustreben.

Merke

Sobald der Patient in der Lage ist, seine Gesundheitsangelegenheiten wieder eigenverantwortlich zu regeln, entfallen die Voraussetzungen für eine Ehegattennotvertretung und diese erlischt.

Kommt es nach einem Zustand „stabiler Handlungsfähigkeit“ zu einer erneuten Zustandsverschlechterung mit Betreuungsbedürftigkeit des Patienten, muss diese formal erneut bescheinigt werden, der Ehegatte wiederum die Abwesenheit von Ausschlussgründen versichern und damit beginnt die 6-Monatsfrist aufs Neue.


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Anwendung in der notfallmedizinischen Versorgung

Das Notvertretungsrecht dürfte auch im Rahmen einer notfallmedizinisch-prähospitalen Versorgung greifen. Die medizinische Situation des Patienten als erstes Kriterium für den Betreuungsfall erschließt sich dem Notarzt regelhaft zügig. Anders als der Arzt in der Klinik kann der Notarzt in Abhängigkeit vom Einsatzort zudem einen Einblick in die Lebensumstände des Patienten gewinnen, sodass die Frage des ehelichen bzw. lebenspartnerschaftlichen Zusammenlebens als das zweite Kriterium der Vertretungsberechtigung in aller Regel zu klären ist. Bei einer Klinikeinweisung des Patienten gehört es zu den wichtigen Übergabeinformationen, zu klären, ob dem Ehegatten bereits eine Bestätigung der Notvertretung ausgestellt und eine schriftliche Erklärung eingeholt wurde.

Eine erstmalige Ausübung des Notvertretungsrechts gegenüber nichtärztlichen Rettungsdienstmitarbeitern ist ohne vorherigen (Not-)Arztkontakt nicht möglich. Die Feststellung der Voraussetzung für das Eintreten des Betreuungsfalls ist nicht nur nach § 1358 BGB ausdrücklich „ärztlich“ zu bestätigen, sondern fällt im Sinne einer Diagnosestellung auch in den nicht delegierbaren Kernbereich ärztlicher Tätigkeit. Heilkundliche Tätigkeiten dürfen nach § 2a NotSanG von Notfallsanitätern daneben ausschließlich zur Abwendung von Lebensgefahr oder wesentlichen gesundheitlichen Folgeschäden übernommen werden, sofern diese Tätigkeiten keinen zeitlichen Aufschub dulden. Auch in Abwesenheit des Notarztes ist jedoch der mutmaßliche oder vorausverfügte Patientenwille für die Durchführung oder Begrenzung jedweder notfallmedizinischen Maßnahme, z.B. auch im Gespräch mit dem Ehegatten, zu ermitteln und zu beachten.

Merke

Im Falle eines Dissenses zwischen Notfallsanitätern und Ehegatten bzw. Lebenspartnern in der Ermittlung des Patientenwillens empfehlen wir, zur rechtssicheren Indikationsstellung sowie ärztlichen Aufklärung der Ehegatten bzw. Lebenspartner auf den Notarzt zu verweisen.

Auf die Bedeutung einer Strukturierung des Vorgehens innerhalb der Zuständigkeitsbereiche, z.B. durch Handlungsleitfäden und durch vorgefertigte Formblätter, sowie auf eine sorgfältige Schulung der Rettungsdienstmitarbeiter wird dennoch abermals hingewiesen.


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Zusammenfassung

Kernaussagen
  • Ehegatten sind seit dem 01.01.2023 dazu berechtigt, sich im Falle der Einwilligungsunfähigkeit des jeweils anderen gegenseitig in Angelegenheiten der Gesundheitssorge zu vertreten.

  • Hierzu hat der behandelnde Arzt (auch der Notarzt im präklinischen Bereich) zu bestätigen, dass der Patient seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge nicht selbst besorgen kann, und sich vom Ehegatten versichern zu lassen, dass keine Ausschlussgründe vorliegen.

  • Ehegatten nehmen damit die Aufgabe der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens und der anschließenden rechtswirksamen Zustimmung zu oder Ablehnung von medizinischer Diagnostik und Therapie wahr, die sonst Vorsorgebevollmächtigten und Betreuern obliegt.

  • Das Verfassen einer vorrangig zu beachtenden Vorsorgevollmacht mit mitunter größerem Ermächtigungsumfang sowie einer Patientenverfügung bleiben ungeachtet der neuen Gesetzgebung die vorzugsweise Form der Vorausverfügung.

Anmerkung

Zur besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet; die Handreichung ist selbstverständlich an die Beteiligten aller Geschlechter adressiert.


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Dr. med. Jochen Dutzmann

Oberarzt, Klinik für Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Halle

Dr. med. Andrej Michalsen

Oberarzt, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Konstanz

Prof. Gunnar Duttge

Leiter der Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht an der Georg-August-Universität Göttingen

Dr. med. Susanne Jöbges

Oberärztin, Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und postoperative Schmerztherapie, Klinikum Dortmund

Prof. Dr. med. Guido Michels

Chefarzt,Klinik für Akut- und Notfallmedizin, St.-Antonius-Hospital Eschweiler

Dr. med. Peter Gretenkort

Facharzt für Anästhesie, Simulations- und Notfallakademie, Helios Klinikum Krefeld

Prof. Dr. med. Uwe Janssens

Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin des St.-Antonius-Hospitals in Eschweiler

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Zusatzmaterial


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Uwe Janssens
Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin, St.-Antonius-Hospital Eschweiler
Dechant-Deckers-Str. 8
52249 Eschweiler

Publication History

Article published online:
20 March 2023

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Abb. 1 Gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge: Vorgehen im Betreuungsrechtsfall.