Aktuelle Ernährungsmedizin 2023; 48(03): 167
DOI: 10.1055/a-2031-5349
Kommentierte Wissenschaft

Kommentar zu „Neue Ergebnisse zu stark verarbeiteten Lebensmitteln vorgelegt“

Die in Spanien durchgeführte populationsbasierte Kohorten-Studie von Puig-Vallverdú et al. untersucht Zusammenhänge der Konsumption sogenannter ultraprozessierter Lebensmittel (UPF) während der Schwangerschaft (n=2377) und kognitiver Fähigkeiten der Nachkommen im Alter von 1 bzw. 4–5 Jahren. Dabei wird eine negative Assoziation zwischen UPF-Konsumption und dem globalen kognitiven Score (nach McCarthy) postuliert.

In der cross-sektionalen prospektiven Studie von Handakas et al. wird darüber hinaus ein Zusammenhang zwischen der Konsumption von UPF und Veränderungen des metabolischen Profils im Kontext des Übergewichts bei Kindern (n=4528) in Großbritannien beschrieben.

Beide Studien erheben die Ernährung über Verzehrshäufigkeitsfragebögen (FFQs). Die Einteilung des Prozessierungsgrades von Lebensmittel erfolgte via NOVA-Score [1].

Sowohl die spanische als auch die englische Studie überzeugen im Hinblick auf statistische Power. Es bleibt jedoch kritisch anzumerken, dass es sich hierbei um Assoziationsstudien handelt, so dass keine Kausalität zwischen der Konsumption von UPF und den entsprechenden read outs etabliert werden kann. Es bleibt auch zu hinterfragen, ob es mittels FFQs immer möglich ist den Verarbeitungsgrad von Lebensmittel eindeutig zu erfassen. Bezüglich der eingesetzten Methodik zur Erfassung der Metabolitenprofile ist darauf hinzuweisen, dass jenseits NMR basierten Verfahren empfindlichere Methoden verfügbar sind.

Im Hinblick auf UPF gibt es für den deutschsprachigen Raum derzeit keine eindeutige trennscharfe Definition und der Begriff UPF wird häufig als Narrativ eingesetzt. Es wäre wünschenswert, dass seitens der entsprechenden Ernährungsgesellschaften eine konsensuale und belastbare Definition für UPF etabliert wird. Dabei sollten sowohl Expertinnen und Experten der Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, Ernährungsepidemiologie sowie Ernährungsmedizin eingebunden werden. Die Prozessierung von Lebensmittel wird aus Sicht der Lebensmittelchemie und -technologie möglicherweise unterschiedlich interpretiert als dies bei einer rein gesundheitlichen Bewertung der Fall wäre. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die Prozessierung von Lebensmitteln nicht nur mit adversen Wirkungen verbunden ist, sondern beispielsweise auch den Genuss- und Nährwert sowie die Haltbarkeit und Sicherheit von Lebensmitteln, teilweise deutlich, verbessert.

Dass der Verarbeitungsgrad von Lebensmittel einen Einfluss auf metabolische Parameter hat, ist naheliegend. Es wäre aber in diesem Zusammenhang erforderlich, Leitsubstanzen zu identifizieren die den Prozessierungsgrad entsprechend abbilden. Darüber hinaus sind die zugrundeliegenden molekularen, zellulären und physiologischen Mechanismen über die die UPF etwaige adverse Wirkungen beim Menschen vermitteln, weitestgehend unklar. Des Weiteren ist nicht vollständig geklärt, ob und in welchem Umfang Substanzen, die während der Prozessierung von Lebensmitteln entstehen, miteinander interagieren. Es gibt darüber hinaus kaum verlässliche Daten inwieweit Zusatzstoffe, die bei UPF mitunter in relativ hohem Maße eingesetzt werden, sich gegenseitig beeinflussen, d. h. eine rein monokausale Betrachtungsweise ist hier nicht zielführend.

Letztlich sind jenseits der Assoziationsstudien entsprechende Humanstudien mit interventionellem Design und klaren Endpunkten erforderlich, um entsprechende Biomarker der Konsumption von UPF beim Menschen abzuleiten und um diese gesundheitlich zu bewerten [2].

Perspektivisch sollten bei der Bewertung von Lebensmitteln neben deren Nährwert und Prozessierungsgrad gesundheitliche, ökologische, gesellschaftliche und soziale Aspekte im Sinne einer nachhaltigen Ernährung vermehrt Berücksichtigung finden. Die Etablierung entsprechender Indices kann am besten über einen holistischen transdisziplinären Ansatz erfolgen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
26. Mai 2023

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  • Literatur

  • 1 Monteiro CA, Cannon G, Moubarac JC, Levy RB, Louzad MLC, Jaime PC. The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra processing. Publ Health Nutr 2018; 21: 5-17
  • 2 Fedde S, Rimbach G, Schwarz K, Bosy-Wespthal A. Hochverarbeitete Lebensmittel in der Genese ernährungsmitbedingter Erkrankungen. Dtsch Med Wochenschr 2022; 147: 45-52.