Z Sex Forsch 2023; 36(02): 120
DOI: 10.1055/a-2040-7227
Buchbesprechungen

Magnificent Sex. Lessons from Extraordinary Lovers

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Peggy Kleinplatz und Dana Ménard. Magnificent Sex. Lessons from Extraordinary Lovers. New York, NY, Oxon, UK: Routledge 2020. 216 Seiten, GBP 18,99

Der kanadischen Sexualwissenschaftlerin und Therapeutin Peggy Kleinplatz von der Universität Ottawa geht es nicht um zufriedenstellenden Sex. Auch nicht um guten oder sehr guten Sex. Ihr Lebensthema ist „großartiger Sex“ (engl. magnificent sex). Also Sex, wie er besser gar nicht mehr sein kann. Sie spricht auch von „optimalen sexuellen Erfahrungen“. Seit Jahrzehnten forscht sie zu dem Thema und hat entsprechende Therapieangebote entwickelt, etwa für Paare, die unter Lustlosigkeit leiden. Denn Lustlosigkeit kommt nach ihrer Analyse meist von zu viel schlechtem Sex. Um Lust auf Sex zu haben und zu behalten, muss eine richtig tolle Erfahrung in Aussicht stehen. Sonst lohnt sich der Aufwand mit dem Sex halt für viele Menschen nicht, und sie verlieren die Lust.

Die aktuelle Monografie von Peggy Kleinplatz und ihrer Schülerin Dana Ménard fasst nun die Forschungsergebnisse zu großartigem Sex, die auch schon in Zeitschriftenartikeln präsentiert wurden, kompakt und allgemeinverständlich zusammen. Empirische Grundlage sind qualitative Interviews mit Sex-Fachleuten. Dazu gezählt wurden drei Personengruppen: 1. Lebenserfahrene Menschen im Alter Ü60, 2. Menschen aus sexuellen Szenen wie LGBTIQ+ und BDSM sowie 3. Sexualtherapeut*innen. Das Buch erklärt, was die acht Komponenten von großartigem Sex sind. Dazu gehören etwa die Präsenz im Augenblick, die starke zwischenmenschliche Verbindung, Authentizität sowie bewusste Verletzlichkeit und Hingabe. Das Buch erläutert auch, wie man die Wahrscheinlichkeit für großartigen Sex steigern kann: Hier geht es dann um individuelle Haltungen und Fähigkeiten, um empathische und ehrliche Kommunikation, aber auch um praktische Fragen der Vorbereitung einer sexuellen Begegnung: vom profanen Duschen bis zur emotionalen Einstimmung. Wichtig sind vor allem das Üben sowie die Bereitschaft, viel Zeit und Energie zu investieren. Denn grandioser Sex, so betont das Buch immer wieder, fällt weder vom Himmel noch in den Schoß, sondern ist Ergebnis von langjährigem, aktivem Engagement und fortwährender persönlicher Weiterentwicklung.

In Zeiten der Selbstoptimierung mag es anstrengend und vielleicht sogar überfordernd klingen, jetzt auch noch den Sex optimieren zu müssen. Und tatsächlich wird ja oft gerade die Erwartungsinflation als Ursache sexueller Unzufriedenheiten und Probleme diskutiert. Kann man es nicht einfach auch mal gut sein lassen? Sich mit sexärmeren Phasen abfinden? Sich an Sex freuen, der angenehm, aber vielleicht nicht gerade weltbewegend ist? Die Autorinnen würden niemanden davon abhalten wollen, beim sexuellen Status quo zu bleiben. Sie betonen gleich am Anfang, ihr Werk sei eher „deskriptiv“ als „präskriptiv“ gemeint. Sie äußern aber die Annahme, dass es eben doch viele Menschen gibt, die sich – vor allem ab der Lebensmitte – nicht länger in mediokrem Sex und damit verbundener Lustlosigkeit einrichten wollen, sondern ahnen, dass es da noch „mehr“ gibt. Das Buch ist leicht lesbar und kann Laien ebenso wie Fachleuten aus der Sexualtherapie, der Sexualpädagogik und der Sexualforschung diverse wertvolle Denkanstöße und Diskussionsanregungen bieten.

Dass das Buch dennoch leider keinen großartigen Lesegenuss bietet, liegt an zwei Schwachstellen. Obwohl die dem Werk zugrunde liegende empirische Forschung einem qualitativen Ansatz folgt und damit die Individualität im Fokus stehen sollte, bleiben die befragten Individuen mit ihren Biografien und Lebensumständen völlig unsichtbar. Alles ist in Listen von Komponenten und Eigenschaften und Voraussetzungen strukturiert, in die nur kontextlose Kurzzitate eingestreut sind. Damit bleibt die Darstellung insgesamt merkwürdig unpersönlich, abstrakt und blutleer.

Ermüdend ist es zudem, dass das Buch geradezu gebetsmühlenartig wiederholt, dass „die Medien“ und „die Populärkultur“ ein völlig falsches (also leistungsorientiertes, orgasmusfixiertes, seelenloses, geschlechterstereotypes) Bild von Sex vermitteln und dass die Autorinnen diese Mythen nun aufklären wollen. So nach dem Motto: Man kann auch tollen Sex haben ohne Orgasmus, ohne Modelmaße und mit gesundheitlichen Einschränkungen, auch wenn so etwas in den Medien ja angeblich nie vorkomme. In ihrer Medienschelte verzichten die Autorinnen konsequent darauf, aktuelle medien- und kommunikationswissenschaftliche Befunde aufzugreifen, die – wenig überraschend – ein deutlich differenzierteres Bild medialer Sexualitätsdarstellungen zeigen. Und so wird mit aufklärerischem Impetus der Mythos einer vermeintlich durch und durch falschen und einheitlichen Medienwelt verbreitet. Als ob nicht genau die gleichen Personengruppen, die sich in den dem Buch zugrunde liegenden Forschungsinterviews zu ihren sexuellen Erfahrungen äußern, auch zur Medienlandschaft und Populärkultur beitragen: BDSM-Blogs, queere Pornos, Autobiografien sexlustiger Seniorinnen, Schwulen-Hymnen, Trans*-Filme, feministische Sex-Podcasts, Dokus zu Sex und Behinderung, hinreißende Hetero-Romane … An medialen Zeugnissen von bewegendem und bedeutungsvollem Sex jenseits der Klischeekiste, die genau die im Buch dargestellten Komponenten außergewöhnlicher Intimität ansprechen, fehlt es glücklicherweise nicht. Verweise auf positive Medienbeispiele und die Anerkennung, dass es auch großartige Medienerfahrungen gibt, wären stimmiger gewesen.

Nicola Döring (Ilmenau)



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Article published online:
05 June 2023

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