Nervenheilkunde 2023; 42(07/08): 471-481
DOI: 10.1055/a-2050-0160
Geist & Gehirn

Menschen sind auch nur Maschinen – oder umgekehrt?

Manfred Spitzer

Die Idee, etwas Künstliches zu schaffen, das dem Menschen ähnlich und zugleich noch wirkmächtiger ist als er selbst, ist uralt. Der etwa 40 000 Jahre alte, unweit von Ulm gefundene Löwenmensch gilt als das weltweit älteste 3-dimensionale Kunstwerk überhaupt. Es ist aus Mammutelfenbein kunstvoll geschnitzt und stellt einen menschlichen Körper mit einem Löwenkopf dar ([ Abb. 1 ]). Das Objekt spricht uns heute noch unmittelbar als Kunstwerk an, geht es doch weit über eine reine Abbildung des Realen hinaus. Es stellt ein Phantasiewesen mit Eigenschaften dar, die sich so mancher von Hunger und Raubkatzen bedrohte Steinzeitmensch für sich – im damaligen, tatsächlichen täglichen Leben – gewünscht haben dürfte. Die Gedanken des Künstlers mögen sich um Kraft, Stärke und Unverletzbarkeit gedreht haben, womit der Löwenmensch nicht nur auf geistige Leistungen wie Vorstellungs- und Abstraktionsvermögen, sondern auch auf die motivationalen Hintergründe verweist, die Menschen befähigt und bewogen haben, über sich selbst hinaus zu denken und Neues zu schaffen.

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Abb. 1 Der Löwenmensch vom Hohlenstein-Stadel, einer Höhle im Lonetal nordöstlich von Ulm, ist eine 31,1 cm große Skulptur aus Mammutelfenbein, die einen Menschen mit dem Kopf eines Höhlenlöwen darstellt, einer vor 13 000 Jahren ausgestorbenen Großkatze, die zur Steinzeit in Europa und Nordasien lebte (Ulmer Museum 2013). Quelle: ©Ulmer Museum, mit freundlicher Genehmigung

Weitere Funde über Jahrzehntausende hinweg belegen, dass das Herstellen von Figuren mit mehr oder weniger offensichtlicher Symbolkraft („Bedeutung“) zu den Tätigkeiten der Menschen schon während der Steinzeit gehörte und dieses Bemühen bis heute besteht.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. Juli 2023

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