Z Geburtshilfe Neonatol 2023; 227(05): 364-376
DOI: 10.1055/a-2082-2176
Originalarbeit

Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal eines Perinatalzentrums – Lernkurve, Ergebnisse und Benchmark

Birth in the Midwife-Led Delivery Room of a Perinatal Center – Learning Curve, Outcomes and Benchmark
Theresa Andraczek
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany
,
Susann Magister
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany
,
Sandy Bautzmann
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany
,
Stephanie Poppke
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany
,
Holger Stepan
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany
,
Anne Tauscher
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Einleitung Die Mehrzahl der Geburten in Deutschland erfolgt in einer Klinik. Seit 2003 wurde in Deutschland die Geburtshilfe durch das Angebot eines Hebammenkreißsaals (HKS) in einigen Kliniken erweitert. Ziel der Studie war es, Unterschiede eines hebammengeleiteten und ärztlich geleiteten Kreißsaals hinsichtlich medizinischer Parameter in einem Perinatalzentrum Level 1 zu analysieren.

Material und Methoden Im Zeitraum von 12/2020 bis 12/2021 wurden retrospektiv alle im HKS begonnen Geburten analysiert und mit einer primär ärztlich geleiteten Kontrollkohorte verglichen. Als Zielgrößen wurden geburtshilfliche Interventionen, Entbindungsmodus und -dauer, Gebärposition sowie das maternale und neonatale Outcome definiert.

Ergebnisse Der Anteil der im HKS gestarteten Entbindungen an der Gesamtgeburtenrate betrug 4.8% (n=132). Die Mehrzahl der Überleitungen erfolgte auf Wunsch der Gebärenden nach einer effektiveren Analgesie (n=40, 52,6%). Bei ärztlich indizierten Überleitungen (n=30, 39,5%) überwogen Überleitungen aufgrund von CTG-Auffälligkeiten (40%) und ausbleibender Wehentätigkeit nach vorzeitigem Blasensprung (36,7%). 43,9% der Gebärenden konnten erfolgreich im HKS gebären. Die Episiotomierate im ärztlich geleiteten Kreißsaal war signifikant höher im Vergleich zum HKS (p=0,019). Im übergeleiteten Kreißsaal wurden signifikant mehr Periduralanästhesien durchgeführt als im primär ärztlich und erfolgreich hebammengeleiteten Kreißsaal, welche zudem keine signifikanten Unterschiede in der PDK-Rate untereinander aufwiesen (p<0,001).

Schlussfolgerung Die Geburt in einem HKS innerhalb eines Perinatalzentrums kann bei risikoarmen Schwangeren als gleichwertige Alternative zu der primär ärztlich geleiteten Geburt angesehen werden.


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Abstract

Introduction Most births in Germany take place in a clinical setting. Midwife-led units have been offered in Germany since 2003 as an addition to the primarily physician-led obstetric care. The purpose of this study was to analyze differences regarding medical parameters between a midwife-led and a primarily physician-led unit in a level 1 perinatal center.

Material and methods Between 12/2020 and 12/2021, all births begun in the midwife-led unit were retrospectively analyzed and compared to a physician-led control cohort. Outcome measures were defined as obstetric interventions, delivery mode and duration, delivery position, and maternal and neonatal outcome.

Results The percentage of deliveries started in the midwife-led unit out of the total birth rate was 4.8% (n=132). Most transfers were made for more effective analgesia (52.6%). Among medically indicated transfers (n=30, 39.5%), transfers due to CTG abnormalities and failure to progress in labor after rupture of membranes predominated. 43.9% (n=58) of patients gave birth successfully in the midwife-led unit. The rate of episiotomy was significantly higher in the primarily physician-led unit compared to the successful midwife-led unit (p=0.019).

Conclusion Birth in a midwife-led unit within a perinatal center can be considered an equivalent alternative to primarily physician-led birth for low-risk pregnant women.


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Abkürzungen

ACOG American College of Obstetrics and Gynecology

BMI Body-Mass-Index

CMV Cytomegalievirus

CSE combined spinal and epidural anaesthesia

CTG Kardiotokografie

DM Diabetes mellitus

DR Dammriss

Ges Gesamtpopulation

HIV Human Immunodeficiency Virus

HKS Hebammenkreißsaal

i. m. intramuskulär

IR Interruptio

IUGR intrauterine growth retardation

i. v. intravenös

KI Konfidenzintervall

MW Mittelwert

o. g. oben genannt

PDA Periduralanästhesie

Perz. Perzentile

PPH postpartale Hämorrhagie

SD/± Standardabweichung

SGA small for gestational age

SpP Spontanpartus

SSL Steinschnittlage

SSW Schwangerschaftswoche

supp. Suppositorium

WHO World Health Organization

Z. n. Zustand nach

Einleitung

Weltweit werden jährlich durchschnittlich 140 Millionen Geburten verzeichnet [1], wovon eine Mehrheit keine relevanten Risikofaktoren für maternale und/oder fetale Komplikationen peripartal aufweist. Im Falle einer auftretenden Komplikation kann jedoch die jeweilige medizinische Versorgung ausschlaggebend für die peripartale Morbidität und Mortalität von Mutter und Kind sein. Global wird der Fokus vor allem nicht mehr nur auf das Überleben von Geburtskomplikationen gelegt, sondern auch auf das Ausschöpfen des vollen Potenzials an Gesundheit für Mutter und Kind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kritisiert jedoch hierbei eine erhebliche Zunahme von Anwendungen zahlreicher Praktiken zur Einleitung, Beschleunigung, Beendigung, Regulierung und Überwachung des meist physiologischen Geburtsprozesses, mit dem Ziel der Ergebnisoptimierung für Frauen und Kinder unter der Geburt. Die dadurch zunehmende Medikalisierung beeinflusst laut WHO tendenziell die eigene Gebärfähigkeit der Frau und kann sich somit negativ auf deren Geburtserlebnis auswirken. Problematisch ist hierbei vor allem ein fehlendes universelles und standardisiertes Konzept für die „Normalität“ bei Wehen und Geburt [2]. Neben einer optimierten medizinischen Betreuung von unkomplizierten und komplizierten Geburtsverläufen, sollte die Betreuungserfahrung der Frauen nicht mehr nur als Ergänzung der klinischen Routineversorgung, sondern als entscheidender Aspekt für die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, humanen, verstärkt frauenzentrierten und auf die Bedürfnisse der Familien ausgerichteten Geburtshilfe angesehen werden.

Aufgrund der zunehmenden Wahrnehmung der oben beschriebene Problematik, wurden bereits 1990 in Großbritannien und nachfolgend in Skandinavien und Österreich hebammengeleitete Kreißsäle bzw. Hebammenkreißsäle etabliert. In diesen werden Frauen mit fehlenden oder niedrigen Schwangerschafts- und Geburtsrisiken, in einem sicheren klinischen Rahmen durch Hebammen eigenverantwortlich betreut. In Deutschland wurde diese Konzeptidee erstmals 1998 vom Bund Deutscher Hebammen e. V. aufgegriffen und in einer Arbeitsgruppe von Hebammen weiterverfolgt. Daraus resultierte 2003 im Klinikum Bremerhaven Reinkenheide der erste hebammengeleitete Kreißsaal. 2021 verzeichnete der Deutsche Hebammenverband 25 hebammengeleitete Kreißsäle in Deutschland [3]. Von den 163 Level 1 Perinatalzentren in Deutschland bieten (Stand Oktober 2022) bisher 10 Kliniken einen Hebammenkreißsaal als erweitertes Betreuungskonzept an.

Die überwiegende Anzahl an Geburten in Deutschland erfolgt in einem klinischen Setting. Laut statistischem Bundesamt haben 2021 deutschlandweit 762.337 Geburten und demnach 98% aller Geburten in einem klinischen Umfeld stattgefunden [4]. Seit einigen Jahren kommt es jedoch zunehmend zur Schließung kleinerer Geburtenstationen in Krankenhäusern.

Die daraus resultierende Zentralisation und Regionalisierung erforderten eine Erweiterung und Weiterentwicklung der Betreuungskonzepte in den Zentren. Ziel muss es hierbei sein, für Schwangere mit niedrigem Risiko, die dann zunehmend in größeren Kliniken gebären, die freie Wahl der Geburtsbetreuung durch klinische Binnendifferenzierung sicherzustellen.

Die zentralen angestrebten Kriterien in einem Hebammenkreißsaal sind die Sicherstellung einer Betreuungskontinuität und eine Steigerung der aktiven Mitgestaltung der Gebärenden während des Geburtsprozesses, bei gleichem gesundheitlichem Outcome für Mutter und Kind sowie einer möglichen Reduzierung von medizinisch-technischen Interventionen [5]. Wichtig ist hierbei, dass der Hebammenkreißsaal den ärztlichen Kreißsaal nicht ersetzt, sondern eine Erweiterung des Betreuungsangebots einer geburtshilflichen Klinik darstellt. Gleichzeitig verfolgt der Hebammenkreißsaal das Ziel, die Zufriedenheit der Hebammen zu erhöhen und die Attraktivität des Hebammenberufes im klinischen Bereich zu erhöhen. Auch die Akademisierung des Hebammenberufes generiert eine Weiterentwicklung der Betreuungskonzepte.

Eine Herausforderung liegt vor allem in der richtigen Einschätzung des Risikoprofils einer Schwangeren. So wurde 1975 ein Risikofaktorenmodell eingeführt, welches die frühzeitige Erkennung von Risikoschwangerschaften und -geburten als Hauptziel ärztlicher Schwangerschaftsvorsorge beschreibt [6]. Laut der Bundesauswertung des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zur Geburtshilfe wurden 2020 circa 80 Prozent der Schwangeren während der Schwangerschaft als Schwangerschaften mit Geburtsrisiken eingestuft [7], was wenig plausibel und realistisch erscheint. In einer aktuellen Studie aus dem Jahr 2020 konnte gezeigt werden, dass es zu weniger Interventionen unter der Geburt kam, wenn die Frauen davon überzeugt waren, dass die Geburt vor allem ein physiologischer Prozess sei, welcher in der Regel von der Gebärenden bewältigt werden kann [8].

Dies steht in einem deutlichen Kontrast zu einem wachsenden Risikoblick, welcher nicht nur die Schwangeren, sondern auch die betreuenden Ärzte und Hebammen verunsichern kann. Die dadurch entstehende Unsicherheit führt nicht selten zu vermehrten Interventionen [6]. Dies zeigt sich zum Beispiel auch in der angestiegenen Kaiserschnittrate („Sectiorate“). Das Anstreben einer spezifischen Sectiorate von etwa 15 Prozent wurde in einem WHO – Statement von 2015 zwar relativiert, da aktuell noch keine zuverlässige Aussage über die maternale und kindliche Morbidität getroffen werden kann, muss aber, bei einem nicht belegten Einfluss auf die maternale und neonatale Morbidität und Mortalität bei Überschreiten dieser gut begründet sein [9].

Aufgrund der zunehmenden peripartalen Interventionen rief 2019 der US – amerikanische Gynäkologenverband (ACOG) zu einer weniger invasiven Geburtshilfe und einer Förderung des physiologischen Geburtsverlaufes mittels nicht-invasiver, patienten- und familienorientierter Betreuung, vor allem während der Latenzphase der Geburt, auf [10].

Deutschlandweit gibt es kaum medizinische Auswertungen eines alternativen Betreuungskonzepts im Rahmen eines hebammengeleiteten Kreißsaals, welcher in ein Perinatalzentrum Level 1 integriert ist. Dabei spannt gerade diese Struktur den größtmöglichen Bogen zwischen geburtsmedizinischer Hochleistungsmedizin mit (notwendiger) Technisierung auf der einen Seite und salutogenetischer und interventionsarmer Geburtshilfe auf der anderen Seite. Ziel dieser Arbeit ist es, Unterschiede zwischen einem hebammengeleiteten Kreißsaal und einem ärztlich geleiteten Kreißsaal in einem Perinatalzentrum Level 1 hinsichtlich medizinischer Faktoren wie des maternalen und neonatalen Outcomes, der peripartalen Parameter, Interventionen sowie ärztliche Konsultationen/Visiten unter der Geburt zu erfassen.


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Material Und Methoden

Studiendesign

In der vorliegenden Arbeit wurden Schwangere erfasst, welche im Zeitraum von Dezember 2020 bis Dezember 2021 in der Abteilung für Geburtsmedizin des Universitätsklinikums Leipzig im hebammengeleiteten Kreißsaal entbunden, unter der Geburt aufgrund spezifischer Faktoren in den ärztlich geleiteten Kreißsaal übergeleitet oder primär im ärztlich geleiteten Kreißsaal entbunden wurden. Es handelt sich um eine retrospektive, explorative Analyse. Die Datenrecherche erfolgte mithilfe des SAP – Computersystems (SAP ERP 6.0), sowie den Geburtenbüchern, in denen alle Gebärenden und Geburten, die in der Universitätsklinik Leipzig entbunden haben, dokumentiert werden. Das hieraus ermittelte Kollektiv umfasste insgesamt 191 Gebärende. Im Kollektiv des Hebammenkreißsaals erfolgte die Vorstellung von 265 Gebärenden zu einem ersten Informationsgespräch. Von diesen wurden 199 (75%) zur Geburt im Hebammenkreißsaal zugelassen. Bei 197 erfolgte die Vorstellung zum 3. Termin. Von den 132 (49%) initial im hebammengeleiteten Kreißsaal aufgenommenen Gebärenden haben 58 (21,9%) erfolgreich im hebammengeleiteten Kreißsaal entbunden. 67 der primär für den Hebammenkreißsaal zugelassenen Schwangeren (33,7%) mussten unmittelbar vor der Geburt ausgeschlossen werden. Es wurde eine Kontrollgruppe von 59 primär im ärztlichen Kreißsaal Gebärenden gebildet ([Abb. S1]). Um eine gute Vergleichbarkeit zwischen beiden Gruppen zu erreichen, wurde die jeweils auf eine erfolgreiche hebammengeleitete Geburt folgende Geburt, mit einem vergleichbaren Risikoprofil, als matched pair aus den Geburtenbüchern erfasst.

Zoom Image
Abb. 1 Verteilung der Gebärpositionen innerhalb der Studienpopulation (n=191). Anteil an den jeweiligen Gruppen (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt n=74, Arztgeburt n=59). Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen werden durch verschieden Buchstaben gekennzeichnet (p<0,05). SSL – Steinschnittlage.

Nach Zusammenstellung der Kohorten sollten neben allgemeinen Kriterien wie Body-Mass-Index (BMI), Alter, Gravidität und Parität folgende Merkmale analysiert werden: präpartale und peripartale Risikofaktoren, Entbindungsmodus, Gebärposition, Analgetika-Gabe, Wehen-Induktion, ärztliche Konsultationsgründe, Überleitungsgründe, Nachgeburtsleitung, fetales und maternales Outcome, Blutverlust, Geburts- und Hospitalisierungsdauer sowie Betreuungsschlüssel ([Tab. 1] [2]).

Tab. 1 Deskriptive Darstellung der Studienpopulation (n=191) anhand ausgewählter kategorialer Merkmale. *Prozentualer Anteil der jeweiligen Gruppen (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt n=74, Arztgeburt n=59). **Prozentualer Anteil der übergeleiteten Geburten abzüglich der Sectiones (n=69).

Hebammengeburt

übergeleitete Geburt

Arztgeburt

n

% *

n

%*

n

% *

präpartal erhobene Risikofaktoren

arterielle Hypertonie

0

1

1,4

1

1,7

Z. n. instrumenteller Entbindung

4

6,9

1

1,4

1

1,7

Z. n. Atonie

2

3,6

1

1,4

4

6,8

Z. n. instrumenteller Nachtastung

11

19,0

7

9,5

13

22

Z. n. Abort/IR

13

22,4

9

12,2

15

25,4

psychische Erkrankung

6

10,3

4

5,4

2

3,4

hämostaseologische Erkrankung

1

1,7

3

4,1

4

6,8

Gestationsdiabetes/DM

2

3,6

2

2,7

7

11,9

Uterusanomalien

0

2

2,7

2

3,4

peripartale Risikofaktoren

Geburtsstillstand in der Eröffnungsperiode

0

2

2,7

0

Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode

0

17

23,0

2

3,4

grünes Fruchtwasser

8

13,8

19

25,7

8

13,6

Einstellungsanomalie

1

1,7

3

4,1

0

sekundäre Wehenschwäche

2

3,4

10

13,5

1

1,7

Nabelschnurkomplikationen

17

29,3

19

25,7

12

20,3

IUGR/SGA

1

1,7

3

4,1

0

vorzeitiger Blasensprung

8

13,8

29

39,2

10

16,9

CTG-Auffälligkeiten

1

1,7

30

40,5

5

8,5

Atonische Blutung/Plazentalösungsstörungen

5

8,6

13

17,6

3

5,1

Infektionen in der Schwangerschaft (HIV, Hepatitis, CMV)

1

1,7

2

2,7

0

GBS positiv

13

22,4

6

8,2

6

10,2

Entbindungsmodus

SpP

58

100

54

73,0

59

100

vaginal operativ

0

14

18,9

0

sek.-Sectio

0

5

6,8

0

Notsectio

0

1

1,3

0

Analgetika

Paracetamol, Buscopan (supp., oral, i. m.)

5

8,6

33

44,6

16

27,1

Paracetamol, Buscopan (i. v.)

0

7

9,5

2

3,4

Opiode i. m.

0

4

5,4

9

15,3

Opiode i. v.

0

14

18,9

22

37,3

Livopan

3

5,2

2

2,7

1

1,7

PDA/CSE

0

36

48,6

1

1,7

SPA

0

5

6,8

0

Alternativmedizin

26

44,8

57

77,0

29

49,2

Weheninduktion

Misoprostol oral

0

17

23,0

2

3,4

Oxytocin i. v.

0

41

55,4

5

8,5

Amniotomie

10

17,2

15

20,3

17

28,8

Prostaglandingel

0

1

1,4

1

1,7

Konsultationsgründe

Antibiotikagabe

10

17,2

31

41,9

5

8,5

Naht

46

79,3

61

82,4

40

67,8

CTG-Beurteilung

2

3,4

48

64,9

6

10,2

Atonie

3

5,2

5

6,8

2

3,4

Flexülenanlage

17

29,3

64

86,5

56

94,9

intrapartale Sonografie

7

12,1

28

37,8

7

11,9

Anlage Skalpelektrode

1

1,7

10

13,5

3

5,1

Blutentnahme intrapartal

1

1,7

27

36,5

3

5,1

ärztliches Gespräch (intrapartal)

4

6,9

59

79,7

8

13,6

Pädiater zur Geburt

16

27,6

16

21,6

4

6,8

n

% **

Gebärposition

liegend, Querbett, sitzend

34

58,6

57

83,8

49

83,1

Seitenlage

6

10,3

6

8,8

2

3,4

andere (Hockergeburt, Vierfüßlerstand, Wannengeburt, stehend)

18

31,1

5

7,4

8

13,5

Nachgeburtsleitung

aktiv

13

22,4

47

63,5

51

86,4

konservativ

41

70,7

19

25,7

8

13,6

frustran konservativ

4

6,9

3

4,1

0

i. m. – intramuskulär, i. v. – intravenös, supp. – Suppositorium, Z. n. – Zustand nach, SpP – Spontanpartus, DM – Diabetes mellitus, IUGR – intrauterine growth retardation, SGA – small for gestational age, CMV – Cytomegalievirus, HIV – Human immunodeficiency Virus ,PDA – Peridualanästhesie, CSE – combined spinal and epidural anaesthesia, SPA – Spinalanästhesie, CTG – Kardiotokografie.

Tab. 2 Neonatales und maternales Outcome innerhalb der Studienpopulation (n=191). *Prozentualer Anteil der jeweiligen Gruppe (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt n=74, Arztgeburt n=59).

Hebammengeburt

übergeleitete Geburt

Arztgeburt

fetales Outcome

Geburtsgewicht (in g)

Minimum

2670

2830

2820

Mittelwert (±SD)

3587,7 (±428,1)

3526,3 (±429,3)

3522,4 (±348,5)

Maximum

4400

4560

4370

n

% *

n

% *

n

% *

NA-pH

<7,00

1

1,7

1

1,4

0

7,00–7,10

3

5,2

4

5,4

2

3,4

>7,10

54

93,1

69

93,2

57

96,6

5-Minuten-Apgar

≤8

7

12,1

3

4,0

1

6,7

>8

51

87,9

71

96,0

58

98,3

maternales Outcome

Blutverlust (in ml)

Atonie I° (500–1000)

5

8,6

14

18,9

3

5,1

Atonie II° (1000–1500)

0

3

4,1

0

Atonie III° (≥1500)

0

2

2,7

0

Geburtsverletzungen

keine

10

17,2

9

12,2

21

35,6

geringgradige Verletzungen (DR I°, andere Weichteilverletzungen)

42

72,4

25

34,2

25

42,4

DR II°

5

8,6

21

28,8

5

8,5

höher gradige Verletzungen (DR III°, IV°)

0

5

8,5

0

Episiotomie

1

1,7

14

19,2

8

13,6

ambulante Geburt

ja

14

24,1

9

12,2

2

3,4

nein

44

75,9

65

87,8

57

96,6

DR – Dammriss, g – Gramm.

Bei der Plazentarperiode wurde zwischen aktiver und konservativer Leitung unterschieden, wobei unter der aktiven Leitung die Gabe von 3 I.E. Oxytocin intravenös und anschließender Cord Traction verstanden wird.

Die Daten wurden in einer Exceldatei (Microsoft·Excel für Mac Version 16.61.1 2022) erfasst.


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Spezifische Kriterien für den Hebammenkreißsaal am Universitätsklinikum Leipzig

Der Kriterienkatalog des Universitätsklinikum Leipzigs für den Hebammenkreißsaal orientiert sich in erster Linie an den Vorgaben der Mutterschaftsrichtlinien zur Stratifizierung von Risikoschwangerschaften und Risikogeburten [11]. Es sind sowohl Ein- als auch Ausschlusskriterien zur Betreuung im Hebammenkreissaal definiert. Diese wurden in Anlehnung an das Qualitätshandbuch zum Hebammenkreißsaal erstellt und können dort nachgeschlagen werden [5]. In drei Konsultationen während der Schwangerschaft erfolgt mittels Prüfung dieser Kriterien die Entscheidung, ob eine Betreuung im Hebammenkreissaal möglich ist. Ein erstes Informationsgespräch mit Vorstellung des Konzeptes ist um die 28. Schwangerschaftswoche (SSW) geplant. In der 32. – 34. SSW erfolgt eine ärztliche Konsultation mit Ultraschall. In Nähe des Geburtstermins findet erneut eine Hebammenvorsorge statt.

Eingeschlossen wurden Schwangere mit einer Einlingsschwangerschaft ab vollendeter 37. bis 42. SSW mit einem normal großen Kind in Schädellage. Weiterhin werden unauffällige fetale Herztöne (ggf. mittels CTG), ein normaler Plazentasitz und ein guter Gesundheits- und Allgemeinzustand der Schwangeren vorausgesetzt.

Die Ausschlusskriterien für den Hebammenkreißsaal, werden in einem Kriterienkatalog A und B aufgelistet. Im Katalog A werden die Anamnese und allgemeine Befunde, im Katalog B besondere Befunde im Schwangerschaftsverlauf erfasst. In den Katalogen C – E werden Geburtsrisiken, postpartale Krankheiten und Störungen des Neugeborenen oder der Frau, welche zur Überleitung in den ärztlich geleiteten Kreißsaal führen, erfasst.

Bei der Aufnahme der Schwangeren im Kreißsaal wird erneut durch die Hebamme geprüft, ob sich keine neuen Risiken ergeben haben, welche eine mögliche Weiterleitung in den ärztlich geleiteten Kreißsaal oder eine nochmalige individuelle Konsultation erforderlich machen.

Im Falle einer mehr als 14 Tage zurückliegenden, hausinternen Ultraschalluntersuchung, sind die diensthabenden Ärzt:innen für einen Aufnahmeultraschall zu konsultieren.

Konsultationen vor, während und nach der Geburt erfolgen mit den diensthabenden ärztlichen Kolleg:innen auf kollegialer Ebene und dienen der betreuenden Hebamme als Beratung und zur Entscheidungsfindung. Die Konsultationen werden gemäß den Festlegungen des Kriterienkatalogs durchgeführt und können jederzeit zusätzlich durch die betreuende Hebamme in Anspruch genommen werden. Sowohl im Falle einer Weiterleitung als auch einer Konsultation wird im Partogramm die Zeit, der Anlass und die daraus resultierende Festlegung/Anordnung dokumentiert und sowohl von Arzt/Ärztin als auch von der Hebamme unterzeichnet.

Eine detaillierte Festlegung zu den Weiterleitungsindikationen kann dem Kriterienkatalog C – E entnommen werden. Am Universitätsklinikum Leipzig teilen sich der Hebammenkreißsaal und der ärztliche geleitete Kreißsaal dieselben Räumlichkeiten, sodass es bei einer Überleitung keines Raum- oder Hebammenwechsels bedarf.


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Statistische Analyse

Alle statistischen Analysen wurden mittels des IBM Stastical Package for Social Sciences (IBM SPSS Version 27) durchgeführt. Auf Unterschiede innerhalb verschiedener Merkmale zwischen den Gruppen „primär ärztlich geleiteter Kreißsaal“, „erfolgreich hebammengeleiteter Kreißsaal“ und „übergeleiteter Kreißsaal“, bzw. der „Gesamtpopulation“ wurde bei Normalverteilung der Daten mittels einfaktorieller Varianzanalyse (ANOVA) und Bonferroni Post-Hoc Test getestet. Bei nicht-normal verteilten Daten wurden auf signifikante Unterschiede mittels Mann-Whitney-U Test getestet. Korrelationen zwischen Merkmalen innerhalb bzw. zwischen den jeweiligen Gruppen wurden mittels Pearson-χ2 Test getestet. Für alle statistischen Analysen betrug das Signifikanzniveau 5% (p<0,05).


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Ethik

Die schriftliche Einverständniserklärung zur wissenschaftlichen Verwendung der anonymisierten Daten wurde bei jeder Gebärenden als institutionelles Standardverfahren eingeholt. Alle Verfahren entsprachen den ethischen Standards des zuständigen Ausschusses für menschliche Experimente (institutionell und national) und der aktuellen Fassung der Deklaration von Helsinki (1975). Die Studie wurde durch die Ethikkommission des Universitätsklinikums Leipzig (IRB00001750) genehmigt: Reg. Nr. 219/22-ek.


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Ergebnisse

Beschreibung der Studienpopulation

In die Analyse wurden insgesamt 191 Fälle zwischen 37+3. und 42+4. SSW eingeschlossen. Zum Geburtszeitpunkt betrug das mittlere Gestationsalter 40+6. SSW (±0,97) und unterschied sich in den einzelnen untersuchten Gruppen nicht signifikant (p=0,66). Die Studienpopulation zeigte ein Alter zwischen 16 Jahren und 40 Jahren, wobei das mittlere Alter der Gebärenden bei 31 Jahren (±4,1) lag und sich in den einzelnen Gruppen ebenfalls nicht signifikant unterschied (p=0,19). Im Kollektiv waren erst- bis fünftgebärende Schwangere vertreten, wobei im Gesamtkollektiv die Erstgebärenden mit 52,9% (n=101) und die Zweitgebärenden mit 36,6% (n=70) den größten Anteil ausmachten. Bei den hebammengeleiteten Geburten und den primär ärztlich geleiteten Geburten überwogen die Zweitgebärenden mit jeweils 62,1% (n=36) und 47,5% (n=28). Bei den übergeleiteten Geburten wurden mit 87,8% (n=65) hingegen signifikant mehr Erstgebärende (p<0,001) erfasst.

Im Gesamtkollektiv bewegte sich der Body-Mass-Index (BMI) zur Geburt zwischen einem Minimum von 21,7 und einem Maximum von 44,1 (Mittelwert (MW) 28,1 [±3,8]). Der BMI zur Geburt war im primär ärztlich geleiteten Kreißsaal zu den initial im Hebammenkreißsaal gestarteten Geburten im Durchschnitt signifikant höher (MW 29,2 [±4,2] vs. 27,7 [±3,3]; p=0,043).

Insgesamt 68,6% der Gebärenden wiesen bei Kreißsaalaufnahme eine Muttermundseröffnung von 1 bis 3 cm auf. Bei den übergeleiteten Geburten wurde im Vergleich zu den hebammengeleiteten und den primär ärztlich geleiteten Geburten ein signifikant unreiferer Muttermundsbefund zur Kreißsaalaufnahme erfasst (2,2 [±1,5] vs. 4,1 [±2,4] und 3,4 [±2,4]; p<0,001) ([Tab. 3]).

Tab. 3 Varianzanalyse mittels Kruskal-Wallis-Test und ANOVA (Bonferroni-Post-Hoc-Test) für die gruppierte Fallpopulation hinsichtlich verschiedener kategorialer Merkmale. Der p-Wert wird nur für signifikante Unterschiede angegeben (p<0,05). Ges=Gesamtpopulation (n=191), G 1=Gruppe 1, erfolgreich hebammengeleiteter Kreißsaal (n=58), G 2=Gruppe 2, übergeleiteter Kreißsaal (n=74), G 3=Gruppe 3, primär ärztlich geleiteter Kreißsaal (n=59). a=p<0,05 G 1 vs. 2; b=p<0,001 G 1 vs 2; c=p<0,05 G 1 vs. 3; d=p<0,001 G 1 vs. 3; e=p<0,05 G 2 vs. 3; f=p<0,001 G 2 vs. 3.

MW

SD

95%-KI

z-Wert

p

maternales Alter (Jahre)

Ges

31

4,1

Gestationsalter bei Entbindung (Schwangerschaftswoche)

40+6

0,97

Parität

Ges

1,6

0,75

G 1

1,81

0,63

1,64; 1,98

0,27

<0,001 b

G 2

1,16

0,47

1,05; 1,27

− 0,59

G 3

1,95

0,75

1,72; 2,18

0,47

<0,001  f

präpartal erhobene Risikofaktoren

Ges

0,99

1

G 1

1,1

1

G 2

0,73

0,9

0,52; 0,94

− 0,26

0,02 e

G 3

1,2

1,1

0,93; 1,51

0,21

maternaler BMI bei Entbindung

Ges

28,1

3,8

G 1

27,7

3,3

26,8; 28,6

− 0,1

G 2

27,6

3,6

26,7; 28,4

− 0,13

G 3

29,2

4,2

28,1; 30,3

0,29

0,04 e

Muttermundseröffnung zur Kreißsaalaufnahme (cm)

Ges

3,2

2,3

G 1

4,1

2,4

3,48; 4,76

0,42

<0,001 b

G 2

2,2

1,5

1,81; 2,52

− 0,43

G 3

3,4

2,4

2,8; 4,05

0,09

0,002 e

Geburtsdauer (min)

Ges

425

274,5

G 1

344

176,1

297,7; 390,3

− 0,3

<0,001 b

G 2

607,2

317,2

531; 683,4

0,66

G 3

291,6

166,6

248,2; 335

− 0,49

<0,001  f

Eröffnungsperiode (min)

Ges

379,1

248,5

G 1

315,9

167,3

271,9; 359,9

− 0,25

<0,001 b

G 2

522,8

302

450,3; 595,4

0,58

G 3

273,1

150,1

234; 312,2

− 0,43

<0,001  f

Austreibungsperiode (min)

Ges

48,5

53,5

G 1

28,2

33,7

19,3; 37

0,67

<0,001 b

G 2

84,3

60,9

69,7; 99

0,67

G 3

26,6

35,4

17,4; 35,9

− 0,41

<0,001  f

Plazentarperiode (min)

Ges

13,8

8,9

G 1

16,4

9,6

13,9; 19

0,29

0,013 c

G 2

13,3

8,3

11,3; 15,3

− 0,06

G 3

11,6

8,9

9,4; 13,8

− 0,25

Betreuungsschlüssel

betreuende Hebammen unter der Geburt

Ges

1,8

0,9

G 1

1,6

0,7

1,38; 1,72

− 0,22

<0,001 b

G 2

2,3

1,1

2,07; 2,60

0,56

G 3

1,4

0,56

1,23; 1,52

− 0,44

<0,001  f

ärztliche Konsultationen/Visiten

Ges

5,5

4,3

G 1

1,6

1,1

1,3; 1,9

− 0,9

<0,001 b, d

G 2

9,5

4

8,5; 10,4

0,93

G 3

4,4

1,8

3,9; 4,8

− 0,26

<0,001 d, f

min – Minuten, cm – Zentimeter, BMI – Body-Mass-Index, KI – Konfidenzintervall, Ges – Gesamtpopulation.


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Überleitung und Betreuung unter der Geburt

Im Beobachtungszeitraum verzeichnete das Universitätsklinikum Leipzig eine Gesamtgeburtenrate von 2.777 Geburten: davon starteten 132 Geburten (4,8%) im HKS. 58 von diesen Frauen konnten erfolgreich im HKS gebären (2,1% der Gesamtgeburtenrate, 44% der initial im HKS gestarteten Geburten) und 74 der Frauen mussten im Verlauf der Geburt in den ärztlich geleiteten Kreißsaal übergeleitet werden (2,7% der Gesamtgeburtenrate, 56% der im HKS gestarteten Geburten).

Die Mehrzahl der Überleitungsgründe war mit 52,7% (n=39) der Wunsch der Gebärenden nach effektiverer Analgesie (Opioide, PDA/CSE). Die ärztlich indizierten Überleitungen erfolgten bei 43,2% (n=32) der übergeleiteten Geburten in folgender Verteilung: CTG-Auffälligkeiten, protrahierter Geburtsverlauf oder ausbleibende Wehentätigkeit nach vorzeitigem Blasensprung. Lediglich zwei Gebärende wurden aufgrund von atonischer Blutung oder höhergradiger Dammverletzung (≥DR III°) postpartal übergeleitet ([Tab. 4]).

Tab. 4 Analyse der Überleitungen der im Hebammenkreißsaal gestarteten Geburten (n=74). % *Prozentualer Anteil der im HKS gestarteten Geburten (n=132). % **Prozentualer Anteil der übergeleiteten Geburten (n=74).

Überleitungsgrund

n

% *

% **

ärztlich indiziert

CTG-Auffälligkeiten

12

9,1

16,2

ausbleibende Wehentätigkeit nach Blasensprung

11

8,3

14,9

protrahierte Geburt

9

6,8

12,2

atonische Blutung

1

0,8

1,4

DR III-IV°

1

0,8

1,4

patientenindiziert

Analgesiewunsch (PDA, Opiode)

39

29,5

52,7

kapazitätsbedingt unter der Geburt

9

6,8

12,2

Anzahl ärztlicher Konsultationen bis zur Überleitung

keine

15

20,3

1

27

36,5

2

25

33,8

3

6

8,1

4

1

1,4

Zeitpunkt der Überleitung

in der Eröffnungsperiode

64

86,5

in der Austreibungsperiode

8

10,8

postpartal

2

2,7

Insgesamt erfolgte bei 12,2% (n=9) der Gebärenden eine Überleitung während der Geburt aus Kapazitätsgründen (eine 1:1-Betreuung der Gebärenden konnte in diesem Fall nicht mehr gewährleistet werden).

82,4% der Überleitungen (n=61) fanden in der Eröffnungsperiode statt. Lediglich 8,1% (n=6) der Überleitungen erfolgten in der Austreibungsperiode und 2,7% (n=2) in der Plazentarperiode bzw. postpartal. Die hebammengeleiteten und primär ärztlich geleiteten Geburten unterschieden sich im Mittelwert durch eine signifikant kürzere Geburtsdauer von den übergeleiteten Geburten (344 min [±176,1 min] und 292 min [±166,6 min] vs. 607 min [±17,2 min], p<0,001).

Bei einer erfolgreich hebammengeleiteten Geburt wurden die Frauen von signifikant weniger Hebammen betreut als bei einer übergeleiteten Geburt (MW 1,6 [±0,7] vs. 2,3 [±1,1], p<0,001). Bei einer primär ärztlich geleiteten Geburt gab es im Vergleich zum erfolgreich hebammengeleitetem Kreißsaal keinen signifikanten Unterschied im Betreuungsschlüssel (Mittelwert 1,6 [±0,7] vs. 1,4 [±0,6], (p=0,527).

Zwischen allen verglichenen Gruppen gab es einen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Anzahl der ärztlichen Konsultationen bzw. Visiten (hebammengeleitet [MW 1,6 [±1,1]], übergeleitet [MW 9,5, [±4]], ärztlich geleitet [MW 4,4 [±1,8]], (p<0,001).

Die ärztlichen Konsultationen bzw. Visiten erfolgte vor allem zur Versorgung von Geburtsverletzungen, zur Anlage eines intravenösen Zugangs und Antibiotikagabe. Im erfolgreich hebammengeleiteten Kreißsaal wurde im Vergleich zum übergeleiteten und ärztlich geleiteten Kreißsaal signifikant seltener die Anlage eines intravenösen Zugangs durchgeführt (p<0,001). Im übergeleiteten Kreißsaal erfolgte verglichen zu den beiden anderen Gruppen signifikant häufiger eine ärztliche Vorstellung zur CTG-Beurteilung (p<0,001), Antibiotikagabe (p<0,001), intrapartalen Blutentnahme (p<0,001), Anlage einer Skalpelektrode (p=0,029) und zum ärztlichen Gespräch während der Geburt (p<0,001) ([Tab.1]). Im primär ärztlich geleiteten Kreißsaal wurde, verglichen mit dem hebammengeleiteten Kreißsaal, signifikant seltener ein Pädiater zur Geburt konsultiert (p=0,012).


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Neonatales Outcome

In den verglichenen Gruppen zeigte sich hinsichtlich folgender neonatologischer Outcome Parameter im Mittel kein signifikanter Unterschied: Geburtsgewicht (MW 3543 g, [±404,6], p=0,613), Geburtsperzentile (MW 49. Perz., [±27,5], p=0,457), Nabelschnur-pH (MW 7,23, [±0.08], p=0,076) und 5-Minuten-Apgar (MW 9, [±0,6], p=0,058) ([Tab. 2] und [Tab. S1]).

Zwischen den einzelnen Gruppen gab es keine Unterschiede hinsichtlich der postpartalen Verlegungsrate der Neonaten. Eine Verlegung auf die neonatalogische Intensivstation postpartal erfolgte bei jeweils zwei Kindern aus dem hebammengeleiteten und übergeleiteten Kreißsaal. Die Verlegungsgründe waren in diesen Fällen postpartale Anpassungsstörung und fetale Azidose. Im primär ärztlich geleiteten Kreißsaal erfolgte keine postpartale kindliche Verlegung.


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Maternales Outcome

Die Geburtsdauer im Gesamtkollektiv betrug im Mittel 425 Minuten (±274,5 min). Im Detail betrug die Eröffnungsperiode im Mittel 379 Minuten (±248,5 min), die Austreibungsperiode 49 Minuten (±53,5 min) und die Plazentarperiode 14 Minuten (±8,9 min). Bei den übergeleiteten Geburten war die Geburtsdauer mit einem Mittelwert von 607 Minuten (±317 min) etwa 240 Minuten länger als bei den hebammengeleiteten und primär ärztlich geleiteten Geburten (p<0,001). Sowohl in der Eröffnungs- (p<0,001) als auch in der Austreibungs- (p<0,001) und Plazentarperiode (p=0,013) konnten zwischen den Gruppen signifikante Unterschiede festgestellt werden. Die Eröffnungsperiode zeigte sich bei den übergeleiteten Geburten im Mittel mit 522 Minuten (±301 min) signifikant länger als die der hebammengeleiteten und primär ärztlich geleiteten Geburten, welche sich nicht signifikant untereinander unterschieden. In der Austreibungsperiode verhielt es sich ähnlich: bei den übergeleiteten Geburten wurden mit einem Mittelwert von 84 Minuten (±60 min) signifikant längere Zeiten im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen erfasst. Die hebammengeleiteten Geburten wiesen eine signifikant längere Plazentarperiode als die primär ärztlich geleiteten Geburten auf (MW 16 min (±9,5 min) vs. 11 min (±8,4 min), p=0,013) ([Tab. 3]). Im erfolgreich hebammengeleiteten Kreißsaal wurden im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen signifikant häufiger konservative Nachgeburtsleitungen durchgeführt (p<0,001) ([Tab. 1]). Der Blutverlust betrug bei den übergeleiteten Geburten im Durchschnitt 167 ml mehr und war damit signifikant höher als bei den hebammengeleiteten (p=0,017) und primär ärztlich geleiteten Geburten (p=0,007) ([Tab. 3]).

Die intrapartale Oxytocingabe zeigte im ärztlich geleiteten Kreißsaal, im Gegensatz zum übergeleiten Kreißsaal, keinen Zusammenhang zu Geburtsdauer (p=0,123 vs. p<0,001).

Im hebammengeleiteten Kreißsaal gebaren die Frauen signifikant häufiger aus alternativen Gebärpositionen (Hocker-/Wannengeburt, Vierfüßlerstand, stehend) (p<0,001) und im übergeleiteten bzw. primär ärztlich geleiteten Kreißsaal signifikant häufiger aus horizontalen Gebärpositionen (liegend, sitzend oder in Steinschnittlage) (p=0,001) ([Tab. 1], [Abb. 1]).

Im primär ärztlich geleiteten Kreißsaal wurden verglichen zu den im Hebammenkreißsaal gestarteten Geburten signifikant häufiger Opiode substituiert (52,5% [n=31] vs. 13,6% [n=18], p<0,001).

Im hebammengeleiteten (72,4%, n=42) und primär ärztlich geleiteten Kreißsaal (42,4%, n=25) überwogen die erstgradigen Dammrisse und andere Weichteilverletzungen. Im primär ärztlich geleiteten Kreißsaal gab es die meisten Geburten ohne Geburtsverletzungen (35,6%, n=21). Die Episiotomierate war sowohl im primär ärztlichen (13,6% [n=8], p=0,032) als auch im übergeleiteten Kreißsaal (19,2% [n=14], p=0,001) signifikant höher als im hebammengeleiteten Kreißsaal (1,7% [n=1]). Höhergradige Dammverletzungen (≥DR II°) wurden am häufigsten im übergeleiteten Kreißsaal erfasst (37,3% [n=26]) ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Verteilung der Geburtsverletzungen innerhalb der. Studienpopulation (n=191) in %. Prozentualer Anteil an der jeweiligen Gruppe (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt abzüglich der Sectiones n=69, Arztgeburt n=59). DR – Dammriss.

Aktive und erfolgreich konservative Nachgeburtsleitung unterschieden sich im Blutverlust nicht signifikant. Im Falle einer frustran konservativen Nachgeburtsleitung war der Blutverlust im Durchschnitt 500 ml höher (p<0,001).

Auch eine protrahierte Eröffnungsperiode>720 Minuten war mit einem signifikant höheren Blutverlust von 200–300 ml assoziiert (p=0,047). Im Gegensatz dazu hatte die Dauer der Austreibungsperiode zwar keinen signifikanten Einfluss auf den Blutverlust, aber mit einem Hospitalisierungstag zusätzlich einen signifikant längeren postpartalen Krankenhausaufenthalt (p=0,001) ([Tab. S1]). Im erfolgreich hebammengeleiteten Kreißsaal wurde signifikant häufiger als im ärztlich geleiteten Kreißsaal ambulant entbunden (24,1%, n=14 vs. 3,4%, n=2, p=0,004) ([Tab. 2]). Zudem hatten die Frauen, welche im HKS entbanden mit 1,6 (±1,1) Tagen eine durchschnittlich kürzere Hospitalisierungsdauer (p=0,003). Die übergeleiteten und primär ärztlich geleiteten Geburten unterschieden sich hinsichtlich des postpartalen Krankenhausaufenthaltes von durchschnittlich 2,3 Tagen nicht signifikant untereinander ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Darstellung relevanter Unterschiede zwischen den einzelnen. Gruppen in Bezug auf Geburtsdauer, Blutverlust, ärztliche Kontakte unter der Geburt und der Hospitalisierungsdauer im Boxplot (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt n=74, Arztgeburt n=59). Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen werden durch verschiedene Buchstaben gekennzeichnet (p<0,05). ml – Milliliter, x – Mittelwert.

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Verteilung verschiedener kategorialer Merkmale im Verlauf des Beobachtungszeitraumes (nach Halbjahren aufgeteilt) und in Abhängigkeit vom Ausbildungsstand der Hebammen im Hebammenkreißsaal

Zur Darstellung einer möglichen Lernkurve erfolgte die vergleichende Beurteilung der beiden Halbjahre des Beobachtungszeitraumes. Im Verlauf des Beobachtungszeitraumes gab es weder Unterschiede in der Verteilung der im HKS gestarteten und übergeleiteten Geburten noch in der Anzahl der betreuenden Hebammen unter der Geburt. Der überwiegende Anteil der hebammengeleiteten Geburten erfolgte im ersten Halbjahr (12/2020–06/2021) des Beobachtungszeitraumes durch Hebammen mit einer Berufserfahrung von mehr als 5 Jahren und im zweiten Halbjahr (07/2021–12/2021) durch Hebammen mit einer Berufserfahrung von weniger als 5 jedoch mehr als 2 Jahren (78,4% (n=29)/21,6% (n=8) vs. 36,4% (n=12)/63,6% (n=21)). Aufgrund der Neuetablierung des HKS in unserer Klinik erfolgte die Betreuung im ersten Halbjahr vordergründig durch Hebammen mit einer Berufserfahrung von mehr als 5 Jahren, was sich im Verlauf des zweiten Halbjahres zunehmend änderte.

In der Anzahl der ärztlichen Konsultationen zeigte sich im Verlauf des Beobachtungszeitraumes eine Tendenz: bei einer Berufserfahrung von≤5 Jahren nahmen diese zu, bei einer Berufserfahrung von>5 Jahren nahm die Anzahl eher ab (p=0,76) ([Tab. S1]).

Die Nachgeburtsleitungen im HKS unterschieden sich in Abhängigkeit von der Berufserfahrung der Hebammen: weniger erfahrene Hebammen bevorzugten die aktive Nachgeburtsleitung (<5 Jahre, 64,3% (n=27) vs.>5 Jahre, 38,8% (n=33), p=0,022) wohingegen bei den erfahreneren Hebammen die konservative Nachgeburtsleitung überwog (<5 Jahre, 31% (n=13) vs.>5 Jahre, 55,3% (n=47), p=0,024).

Hinsichtlich der Gebärposition gab es keinen Unterschied im Zusammenhang mit den Berufsjahren der Hebammen: der größere Anteil an Entbindungen erfolgte in einer horizontalen Gebärposition (>5 Jahre 81,2% (n=69) vs.<5 Jahre 82,9% (n=34)), der wesentlich kleinere Anteil in vertikaler Gebärposition (>5 Jahre 18,8% (n=16) vs.<5 Jahre 17,1% (n=7)).

Im Verlauf des Beobachtungszeitraumes unterschied sich die Verteilung der Gebärpositionen nicht signifikant (1. Halbjahr vs. 2. Halbjahr: horizontal 87,5% (n=56) vs. 75,8% (n=47) und vertikal 12,5% (n=8) vs. 24,2% (n=15)).

Es gab ebenfalls keine signifikanten Unterschiede der Episiotomierate bezogen auf den Beobachtungszeitraum und die Berufserfahrung: 1. Halbjahr 15% (n=15) vs. 2. Halbjahr 10% (n=9) (p=0,383) sowie≤5 Jahre 15,4% (n=10) vs.>5 Jahre 11,1% (n=14) (p=0,49). Auch die Verteilung der PDA-Anlagen und der Oxytocinsubstitution intrapartal unterschied sich weder zwischen dem Ausbildungsstand der Hebamme noch im Verlauf des Beobachtungszeitraums signifikant (p=0,81/p=0,49).


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Diskussion

Diese retrospektive Datenanalyse des ersten Jahres nach Integrierung eines HKS am Universitätsklinikum zeigt, dass die von Hebammen eigenverantwortliche Betreuung in einem klinischen Setting eine sichere Option für gesunde Schwangere mit einer Niedrigrisikoschwangerschaft darstellt.

Von allen zum Informationsgespräch vorstelligen Schwangeren wurden 75% für den HKS zugelassen. Von den zugelassenen Schwangeren wurden 51% vor Aufnahme in den HKS in den ärztlich geleiteten Kreißsaal verlegt. Letztgenannte Aspekte bestätigen die Notwendigkeit einer gründlichen Vorauswahl und Reevaluation im Schwangerschaftsverlauf nach dem Risikokatalog. Etwa die Hälfte (43,9%, n=58) der im HKS gestarteten Schwangeren konnte erfolgreich im HKS gebären. Bei etwas mehr als der Hälfte der Gebärenden ist eine intrapartale Verlegung in den ärztlichen Kreißsaal notwendig gewesen. Sowohl die prä- als auch die intrapartale Überleitungsrate war im gesamten Beobachtungszeitraum annähernd gleich.

Die Zahl der Überleitungen ist, wie in anderen Studien bereits beschrieben [12], trotz strenger Ein- und Ausschlusskriterien eines Low-Risk-Patientinnenkollektivs, auch bei unserer Studienkohorte bemerkenswert hoch. Primäres Ziel sollte hierbei nicht eine ehrgeizig niedrige Überleitungsrate sein. Im Gegenteil: eine angemessene Überleitungsrate ist unserer Meinung nach ein Qualitätsmerkmal im Sinne einer kompetenten und verantwortungsbewussten Arbeit der Hebammen bzw. der geburtsmedizinischen Teams und spiegelt zudem die Wahrnehmung und Wertschätzung der Bedürfnisse der Frauen wider. Es lässt vermuten, dass die Hebammen aufgrund der gewohnten interprofessionellen, engen Zusammenarbeit mit den ärztlichen Kolleg*innen in einem Perinatalzentrum, diese Arbeitsweise wie gewohnt auch in den HKS übernehmen. Zudem bietet die jederzeit verfügbare, zügige und effektive Analgesie mittels PDA möglicherweise einer andere Schmerzberatungsgrundlage als dies in anderen Kliniken der Fall wäre. Allerdings wird der Schwangeren, bei Notwendigkeit einer Überleitung, durch die räumliche Anbindung an eine Klinik eine Verlegung und ein Wechsel der Betreuungspersonen unter der Geburt erspart und wichtige Zeit zugunsten des maternalen und neonatalen Outcomes gewonnen.

Im HKS war die Wahrscheinlichkeit einer Spontangeburt höher und die Sectiorate deutlich niedriger im Vergleich zur Gesamtpopulation der Jahre 2019–2021, was angesichts des Niedrigkollektivs verglichen zum Gesamtkollektiv eines Perinatalzentrum Level I nicht überrascht. Die Zahl der instrumentellen Geburten unterschied sich in allen beobachteten Kohorten verglichen zum Gesamtkollektiv nicht. Sowohl Erstgebärende als auch Frauen mit einem unreiferen Muttermundsbefund bei Aufnahme hatten ein höheres Risiko in den ärztlich geleiteten Kreißsaal übergeleitet zu werden. Im ärztlich übergeleiteten Kreißsaal war die Rate an vaginal operativen Entbindungen, verglichen zum Gesamtkollektiv, deutlich höher; die sekundäre Sectiorate deutlich niedriger (6,8% (n=5) vs. 13,3% (n=347)). Die höhere Rate an vaginal-operativen Entbindungen erklären wir uns durch die Häufung von protrahierten Geburtsverläufen in der Gruppe der übergeleiteten Geburten, die niedrigere Rate an sekundären Sectiones an der strengen Vorselektion anhand des Kriterienkatalogs (z. B. keine makrosomen und wachstumsretardierten Feten, keine Gebärenden mit Uterusvoroperationen). Unter allen im Hebammenkreißsaal gestarteten Gebärenden lag die sekundäre Sectiorate bei 3,8% und die Rate an vaginal-operativen Entbindungen bei 10,6%, was aus unserer Sicht eine generelle Betreuung im klinischen Setting rechtfertigt.

Insgesamt wurden im Hebammenkreißsaal bei gleicher Regionalanästhesierate in allen drei Kohorten, deutlich weniger Analgetika verabreicht. Dies war vor allem im übergeleiteten Kreißsaal zu beobachten. Möglicherweise bestand nach ausgereizter interventionsarmer Phase bei den erschöpften Frauen der Wunsch nach der effektivsten Analgesie. Hierfür spricht die höhere PDK-Rate im übergeleiteten Hebammenkreißsaal. Im Hebammenkreißsaal wurden mehr alternativmedizinische Verfahren angewandt.

Aufgrund der retrospektiven Analyse der Daten ist eine Beurteilung des Betreuungsschlüssels hinsichtlich einer 1:1-Betreuung nur beim erfolgreich hebammengeleiteten Kreißsaal möglich, da hier sonst eine Überleitung aus Kapazitätsgründen erfolgt wäre. Es ist wahrscheinlich, dass die hohe Substitution von Analgetika (n=49, 83,1%) in dieser Gruppe durch eine intensivere Betreuung, wie es bei einer 1:1-Betreuung der Fall ist, möglicherweise gesenkt werden könnte.

Im HKS entbanden mehr Frauen in einer aufrechten Position. Dies deckt sich ebenfalls mit den Ergebnissen von mehreren Studien [13] [5] [12]. Die Gebärenden hatten deutlich weniger Wechsel des medizinischen Personals, sowohl auf ärztlicher als auch auf Hebammenseite (größere Kontinuität in der Betreuung) und häufiger eine konservative Nachgeburtsleitung. Eine 6-Jahres-Follow-up-Studie aus Irland (2008–2013) von Dencker et al. [14] konnte diese Erkenntnisse ebenfalls bestätigen. Andere medizinische Eingriffe wie Amniotomie und Episiotomie waren ebenfalls deutlich seltener als in der Gesamtpopulation. In der Gruppe der übergeleiteten Geburten erfolgten deutlich mehr Interventionen (Amniotomie, Episiotomie, Anlage eines intravenösen Zugangs, Analgetikagabe, instrumentelle Entbindung) und die Anzahl an Betreuungspersonen und vertikalen Gebärpositionen war ebenfalls deutlich höher im Vergleich zur Gesamtpopulation. In Anbetracht der Tatsache, dass sich in der Kohorte der übergeleiteten Geburten, die komplikationsreicheren und protrahierten Verläufe mit einem höheren Betreuungsaufwand sammelten, ist dieser Effekt plausibel.

Studien zeigen, dass Interventionen wie Amniotomie und Episiotomie häufig routinemäßig und ohne nachweisbare positive Effekte auf das Outcome erfolgen [15] [16]. Diese Eingriffe wurden in unserem ärztlich geleiteten Kreißsaal bei gleichem Risikoprofil deutlich häufiger durchgeführt. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Unterschiede in der Interventionsrate bei Frauen mit einer spontan vaginalen Geburt am ehesten auf eine unterschiedliche Betreuungsphilosophie zurückzuführen lassen [17]. Letzter Punkt zeigt vor allem, dass ein Umdenken hinsichtlich der interventionsarmen Geburt zeitgemäß ist und nicht ausschließlich dem Hebammenkreißsaal vorbehalten sein sollte. Durch gegenseitiges Lernen und Austauschen kann dabei die inventionsarme Geburtshilfe im Hebammenkreißsaal auch das Management außerhalb des Hebammenkreißsaals positiv im Sinne eines „spill over“-Effekts beeinflussen.

Bei der Geburt im Hebammenkreißsaal war interessanterweise deutlich häufiger ein Pädiater anwesend. Dies erklären wir uns mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis der Hebammen im Zusammenhang mit dem neuen Setting des eigenverantwortlichen Arbeitens im HKS und der Verfügbarkeit eines Kinderarztes in unserem klinischen Setting. Andererseits verdeutlicht es aber auch, wie wichtig eine sofortige Anwesenheit von neonatologisch geschultem Personal ist, um bei Komplikationen peripartal ein optimales neonatales Outcome zu erreichen. Eine Vergleichsstudie zwischen den verschiedenen Betreuungskonzepten (Hebammenkreißsaal in einem Perinatalzentrum, Geburten in einem Krankenhaus der Regelversorgung sowie in einem Geburtshaus oder bei Hausgeburten) könnte genauere Aussagen zu den Auswirkungen auf neonatales und maternales Outcome in Hinblick auf die Verfügbarkeit der unterschiedlichen Ressourcen (Kinderarzt, Anästhesie) treffen. In Perinatalstatistiken und Qualitätserhebungen wird das Outcome der verlegten Gebärenden nicht dem initial zugehörigen Betreuungskonzept zugeordnet.

Unsere Auswertungen sind mit Ergebnissen der internationalen Literatur vergleichbar, in der die hebammengeleitete Geburtshilfe als eine sichere Option, welche die Geburt als normalen und physiologischen Prozess unterstützt, gilt [18] [19] [20].

Das neonatologische Outcome unterschied sich kaum von dem der Gesamtpopulation. Obwohl es bei den im HKS entbundenen Kindern etwas mehr 5 Minuten Apgar≤8 und Nabelschnur-pH-Werte<7,10 mmol/l gab, erfolgte nur bei einem Kind postpartal eine Verlegung auf eine pädiatrische Überwachungsstation bei den Neugeborenen. Es ist davon auszugehen, dass sich eine zügige ärztliche Intervention, positiv auf das neonatale Outcome auswirkt. Insgesamt konnte, wie in mehreren internationalen Studien ebenfalls beschrieben wurde, bestätigt werden, dass sich keine Unterschiede im neonatalen Outcome zeigten [12] [21] [22].

Die höhere Zahl an Nullipara-Frauen, die eine intrapartale Verlegung benötigten, lässt sich aus unserer Sicht darauf zurückführen, dass eine Stratifizierung bezüglich protrahierter Geburtsverläufe und anderer relevanter intrapartaler Komplikationen erst unter der Geburt möglich ist. Bei den Multiparen ist in Hinblick auf diese Risikofaktoren bereits eine Selektion mit der ersten Geburt erfolgt. Die Geburtsdauer ist bei den Erstgebärenden physiologischer Weise oft länger, wodurch sich der höhere Analgetikabedarf erklären lässt. Wahrscheinlich spielen hier Faktoren wie Geburtsbeschleunigung und zunehmende Optimierung des neonatalen und maternalen Outcomes in der Geburtshilfe eine Rolle für die Verlegungsrate [21]. Überraschenderweise zeigte sich in unserer Auswertung, im Gegensatz zum übergeleiteten Kreißsaal, in der Gruppe der ärztlich geleiteten Geburten kein Zusammenhang zwischen der Geburtsdauer und der intravenösen Oxytocingabe. Aufgrund der multifaktoriellen Einflüsse auf die Geburtsdauer, lassen sich allerdings keine Rückschlüsse auf eine möglicherweise unnötige Oxytocingabe peripartal ziehen. Allerdings sollte diese Beobachtung einmal mehr Anlass zum Umdenken in Richtung interventionsarme Geburtsmedizin geben und die Prüfung eines Zusammenhangs in weiteren Studien in Betrachtung gezogen werden. Ein intrapartaler Transfer der Frauen ist oft mit einer negativen Erfahrung für die Frau [23] und einer suboptimalen peripartalen Versorgung verbunden. Hebammenkreißsaal und ärztlich geleiteter Kreißsaal in denselben Räumlichkeiten vereinen viele Vorteile und schließen eine Betreuungskontinuität nicht aus. Interessant war zudem die niedrige Anzahl an postpartale Hämorrhagien (PPHs) trotz überwiegend konservativer Nachgeburtsleitung, was diese bei Frauen mit einem niedrigen Risikoprofil als sichere Option darstellt. Die vielfältigeren Geburtspositionen deuten zudem daraufhin, dass sowohl die Gebärenden als auch die Hebammen im Hebammenkreißsaal mehr Gestaltungsmöglichkeiten, Einfluss und Kontrolle über die Geburt haben und diese somit möglicherweise häufiger von den Frauen als selbstbestimmter wahrgenommen wird [24].

Limitierend ist neben der retrospektiven Datenanalyse auch die eingeschränkte Vergleichbarkeit der einzelnen Gruppen. In dieser Arbeit steht vor allem der Vergleich zwischen dem primär ärztlich geleiteten und dem erfolgreich hebammengeleiteten Kreißsaal im Vordergrund. Es handelt sich hierbei um zwei hochselektierte Gruppen im Niedrigrisikokollektiv, weshalb sich die Ergebnisse nicht eins zu eins auf andere Risikokollektive übertragen lassen. Eine entsprechende Vergleichsgruppe für die übergeleiteten Geburten ist retrospektiv im Krankenhauskollektiv eines Perinatalzentrums Level I nur schwer zu finden. Ein möglicher Vergleich mit Überleitungen im außerklinischen geburtshilflichen Bereich könnte hier zielführend sein. Weitere Untersuchungen hierzu wären wünschenswert, um das maternale und neonatale Outcome der Überleitungen besser beurteilen zu können.

Wir sind uns bewusst, dass unser hebammengeleiteter Kreißsaal nicht unkritisch auf andere Betreuungskonzepte, vor allem auch international, übertragen werden kann. Es gibt hier deutliche Unterschiede im Setting, den Zulassungskriterien, der Möglichkeit von pädiatrischen Konsultationen, PDA, Wehenmittel, Ultraschalluntersuchungen und CTG.

Seit 2003 wurde die klinische Geburtshilfe durch das Angebot eines Hebammenkreißsaals in 25 deutschen Krankenhäusern, wovon sich lediglich vier in Mitteldeutschland befinden, erweitert [3]. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Hebammenkreißsaal als eine sichere Option angesehen werden kann und unterstützen somit eine weitere Verbreitung des Hebammenkreißsaals. Weitere Untersuchungen müssen darüber hinaus evaluieren, inwieweit die Betreuung im Hebammenkreißsaal die Zufriedenheit der Hebammen verbessern kann und wie sich die Akzeptanz und subjektive Wahrnehmung der Gebärenden abbildet.


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Schlussfolgerung

Der Hebammenkreißsaal bietet als eine Ergänzung des Betreuungsangebots auch in einem Perinatalzentrum eine sichere Alternative und Wahlmöglichkeit zum ärztlich geleiteten Kreißsaal für gesunde Schwangere. Zudem fördert er die interprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe und somit die Kompetenz im gesamten geburtshilflichen Team in einer Klinik. Bei strengen Überleitungskriterien gibt es nur sehr wenige Komplikationen während der Geburt. Eine flächendeckende Verbreitung des Hebammenkreißsaals ist wünschenswert und kann den Hebammenberuf in Kliniken wieder attraktiver gestalten.


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Interessenskonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Zusätzliches Material


Korrespondenzadresse

Theresa Andraczek
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Leipzig
Liebigstraße 20a
04103 Leipzig
Germany   

Publication History

Received: 19 November 2022

Accepted after revision: 11 April 2023

Article published online:
06 June 2023

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Verteilung der Gebärpositionen innerhalb der Studienpopulation (n=191). Anteil an den jeweiligen Gruppen (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt n=74, Arztgeburt n=59). Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen werden durch verschieden Buchstaben gekennzeichnet (p<0,05). SSL – Steinschnittlage.
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Abb. 2 Verteilung der Geburtsverletzungen innerhalb der. Studienpopulation (n=191) in %. Prozentualer Anteil an der jeweiligen Gruppe (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt abzüglich der Sectiones n=69, Arztgeburt n=59). DR – Dammriss.
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Abb. 3 Darstellung relevanter Unterschiede zwischen den einzelnen. Gruppen in Bezug auf Geburtsdauer, Blutverlust, ärztliche Kontakte unter der Geburt und der Hospitalisierungsdauer im Boxplot (Hebammengeburt n=58, übergeleitete Geburt n=74, Arztgeburt n=59). Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen werden durch verschiedene Buchstaben gekennzeichnet (p<0,05). ml – Milliliter, x – Mittelwert.