Schüsselwörter
Milchkühe - Rassen - Milchleistung - Krankheiten - Langlebigkeit
Key words
Dairy cows - breeds - milk yield - diseases - longevity
Einleitung
In der Nutztierhaltung hat die gesamtgesellschaftlich ausgeübte Nachfrage
nach günstigen Nahrungsmitteln dazu geführt, dass die
Lebensmittelproduktion durch Rinder vorrangig mit wenigen hochgezüchteten
Milch- oder Fleischrassen und deren Kreuzungstieren erfolgt, und dies in immer
größeren Beständen und immer weniger in landwirtschaftlichen
Familienbetrieben [1]. Die Ausrichtung auf immer
höhere Leistungen und noch effizientere Nutzung führt zunehmend zu
einer Überforderung der Milchkühe [2]; letztere steht wegen der damit einhergehenden Erkrankungen und kurzen
Nutzungsdauer in Konflikt mit einer tiergerechten Haltung sowie
Tierschutzgrundsätzen. Ein zu hoher Anteil der hochleistenden
Milchkühe wird jährlich aufgrund von Klauen- oder Eutererkrankungen
sowie wegen „Fruchtbarkeitsstörungen“ geschlachtet oder muss
eingeschläfert werden [3]
[4]. Die hohe Beanspruchung an der Grenze des
Leistungsvermögens und die kurze Lebensdauer der Milchkühe in
intensiven Haltungsformen wird in der Gesellschaft immer sichtbarer und betrifft die
Branche insgesamt, weil die Art und Weise der Milcherzeugung hinterfragt wird [5]. Der Milchkonsum in Deutschland nimmt ab; im
Jahr 2021 lag er auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 1991 [6].
Im süddeutschen Raum werden hauptsächlich noch 3 Milchrassen
gehalten, Fleckvieh, Holsteins und Braunvieh. Deren enorme Leistungssteigerungen
waren nur mit einem hohen Einsatz von Kraftfuttermitteln und zuletzt auch
Zusatzstoffen (z. B. Propylenglykol, Harnstoff, Monensin, Pansenpuffer,
Emulgatoren) zu erreichen. Die Weidehaltung wurde vielerorts zugunsten der
kontrollierten ganzjährigen Haltung [7] in
Laufställen mit harten, feuchten Böden und oft wenig komfortablen
Liegeflächen aufgegeben, mit negativen Auswirkungen auf den
Bewegungsapparat.
Als Folge der langjährigen Ausrichtung der Zucht auf immer höhere
Milchleistung sind viele lokale Rassen und damit wichtige genetische Ressourcen
unwiederbringlich verschwunden [8]. Mit dem
Aussterben einer ursprünglichen Rasse können jedoch
Konstitutionsmerkmale wie Langlebigkeit, Robustheit und geringe
Krankheitsanfälligkeit sowie problemlose Geburtsabläufe, hohe
Fruchtbarkeit und effiziente Futterausnutzung verloren gehen [8]. Gleichzeitig mit der Spezialisierung in der
Milchviehhaltung werden immer mehr Fleischrinder-Rassen importiert und gehalten
[9], was den Druck auf die wenigen
verbliebenen lokalen Rassen zusätzlich erhöht.
Sogenannte Klein- oder Gebirgsrassen wie die Hinterwälder kamen
ursprünglich auch im Alpenraum vor, beispielsweise das ausgestorbene
Frutiger-Rind in der Schweiz [10]. Heute
zählt das in den Balkan-Ländern verbreitete kleinwüchsige
Busa-Rind, dessen Genom bis ins Neolithikum reicht, als älteste Rinderrasse
Europas dazu [11]. Die meisten Kleinrassen
Mitteleuropas wurden Anfang des 20. Jahrhunderts durch größere
Rinder verdrängt. Die Hinterwälder konnten sich aufgrund ihrer
besonderen Konstitution, dem Beharrungswillen der ZüchterInnen und mit Hilfe
staatlicher Unterstützung mit einem Restbestand im Südschwarzwald
halten.
Erste schriftliche Erwähnungen über den an die karge Umwelt des
Hochschwarzwalds angepassten Hinterwälder Rinderschlag finden sich im 17.
Jahrhundert [1]
[12]
[13]
[14]
[15]. Das rahmigere
Vorderwälder Rind und das zierlichere Hinterwälder Rind wurden unter
der Bezeichnung „Wäldervieh“ zusammengefasst. Das
größere Vorderwälder Rind wurde in den Tieflagen mit
besseren Futterqualitäten gehalten, das kleinere Hinterwälder Rind
unter härteren Umweltbedingungen mit kargem Futterangebot der
Höhenlagen des südlichen Schwarzwalds. Dies formte über
mehrere Jahrhunderte einen genügsamen und dennoch leistungsfähigen
Rindertyp ([Abb. 1]). Mit der gleichen
Futtergrundlage für 2 Kühe größerer Rassen konnte
man 3 Hinterwälder Kühe halten [10] oder für einen Fleckviehbullen 2 Hinterwälderbullen
aufziehen [16]. Aufgrund der isolierten Lage der
Haltungsgebiete blieb das Wäldervieh von immer wieder grassierenden
Infektionskrankheiten weitgehend verschont [13].
Einkreuzungen in die Hinterwälderpopulation wurden nur in unbedeutendem
Umfang vorgenommen. Doch auch das Wäldervieh war stets dem Druck der
Leistungssteigerung ausgesetzt, sodass vor allem bei den Vorderwäldern
Fremdrassen eingekreuzt wurden, die unter anderem Auswirkungen auf den Rahmen, die
Farbe oder Milchleistung der Rasse hatten [8]
[17]. Beim Vorderwälder Rind traten als
Folge auch genetische Defekte auf [18]
[19].
Abb. 1 Die Hinterwälder sind die kleinste
Zweinutzungs-Rinderrasse Mitteleuropas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
regelte die Körordnung, dass erwachsene Kühe eine
Widerristhöhe von nicht mehr als 117 cm und ein Gewicht
zwischen 280 bis 400 kg haben sollten. Ein ausgewachsener Bulle
sollte eine Widerristhöhe von 124 cm und ein Gewicht von bis
zu 550 kg nicht überschreiten. Im Jahr 2018 fanden sich bei
Hinterwälderbullen Widerristhöhen von
125–130 cm, bei einem Gewicht von bis zu 750 kg, und
bei Kühen sind inzwischen Widerristhöhen von 122 cm
und ein Körpergewicht von 400–450 kg nicht mehr
selten. In der Schweiz werden dagegen die ursprünglicheren kleineren
Tiere zur Zucht bevorzugt. Quelle: Nina Kolbaum.
Fig. 1 The Hinterwald is the smallest dual-purpose cattle breed in
Central Europe. The licensing rules at the beginning of the 20th century
stipulated a height of no more than 117 cm at the withers and a
weight of 280 to 400 kg for mature cows. A mature bull should be no
taller than 124 cm with a maximum weight of 550 kg. However,
measurements in 2018 showed that cows measuring 122 cm and weighing
400 and 450 kg, and bulls measuring 125 to 130 cm and
weighing up to 750 kg were not uncommon. Breeders in Switzerland
prefer breeding stock that corresponds to the original breed standard.
Source: Nina Kolbaum.
Die Hinterwälder Stamm-Zuchtgenossenschaft Schönau wurde im Jahr 1889
gegründet; sie und weitere Genossenschaften schlossen sich im Jahr 1901 zu
einem größeren Verband zusammen, wodurch der Großteil des
Zuchtgebiets abgedeckt war [15].
Hinterwälder Milchkühe sollten damals aus qualitativ minderwertigem
Futter und unter rauen Witterungsbedingungen durchschnittlich 3400 kg Milch
im Jahr geben, bei guter Fütterung auch über 4500 kg Milch
im Jahr. Des Weiteren sollten sie einen flachen Kurvenverlauf der Milchleistung
über die Laktationsperiode aufweisen und bis ins hohe Alter leistungsstark
sein ([Abb. 2]). Hinsichtlich der Fleischnutzung
sollten die Hinterwälder eine gute Mastleistung auf Grundfutterbasis
aufweisen; die historisch überlieferte besonders gute
Fleischqualität wurde kürzlich durch Untersuchungen belegt [20]
[21].
Männliche Hinterwälder Kälber zeigten nach jüngeren
Untersuchungen eine hohe Wachstumseffizienz und erreichten im Alter von 6 Monaten
über 50% des Körpergewichts ihrer Mütter. Die
durchschnittliche Tageszunahme eines gemästeten Hinterwälder Bullen
lag zuletzt bei 900 Gramm pro Tag [8]
[22].
Abb. 2 Hinterwälder Milchkühe auf einer Talweide. Die
Fellfarben sind meist ledergelb bis rot gescheckt, doch es kommen auch
gedeckte Farbtypen vor. Die Altersringe auf den typisch geschwungenen
Hörnern weisen auf die Fruchtbarkeit und Langlebigkeit dieser Rasse
hin. Mit weniger kargem Futter gefütterte Hinterwälder
Kühe können allerdings auch verfetten. Quelle: Nina
Kolbaum.
Fig. 2 Hinterwald cows on a low-land pasture. The coat is usually pied
leather-yellow to red but may be a solid colour. The horns are typically
curved, and the rings attest to the cows’ fertility and longevity.
Hinterwald cattle on a high energy ration may become fat. Source: Nina
Kolbaum.
Die Eigenständigkeit der Hinterwälder Rasse wurde anhand von
Blutgruppen, Blutproteinen sowie des Milchproteinpolymorphismus bestätigt
[23]
[24]. Im
Jahr 2003 ließ sich in der Population – bei 5 Generationen von
Bullen, Milchkühen und Mutterkühen – ein von den
Hinterwäldern stammender Genanteil von ca. 97% nachweisen.
Fremdgenanteile stammten vorrangig von der Vorderwälder Rasse. Der mittlere
Verwandtschaftskoeffizient wurde für die Milchkühe auf 2,2%,
für die Mutterkühe auf 0,9% geschätzt. Damit war das
Hinterwälder Rind keinen akuten Inzuchtrisiken ausgesetzt [12]. Auch im Jahr 2014 wiesen die
Hinterwälder noch eine ausreichende genetische Diversität
für den Fortbestand der Rasse auf [25].
Für die Hinterwälder waren keine Berichte über
Erbkrankheiten zu finden.
Das Land Baden-Württemberg unterstützte die Tierhalter dieser Rasse
vom Jahr 1972 an, seit dem Jahr 1981 auch die der Vorderwälder. Als
wesentliche Neuerung in der Zucht wurden infolge der starken Zunahme der
Mutterkuhhaltung ab dem Jahr 1994 die Hinterwälder Milch- und
Mutterkühe in einem Herdbuch zusammengeführt [1]. Im Jahr 2003 wurden erstmals mehr
Mutterkühe (55%) als Milchkühe registriert. Um eine
Aufspaltung in 2 Populationen zu verhindern, wurden die Zuchtbullen in beiden
Teilpopulationen eingesetzt [26].
Da es in der Schweiz aufgrund des Aussterbens lokaler Rinderschläge, wie dem
Frutiger-Rind, einen Bedarf an geeigneten Tieren für die Bewirtschaftung von
steilen Alpweiden gab [16], begannen engagierte
Personen und Züchter mit Hilfe der Organisation Pro Specie Rara im Jahr 1983
mit dem Import der ersten Hinterwälder Tiere. Von Seiten der Schweizer
Landwirte entstand schnell Interesse an dieser für Bergregionen sehr
vorteilhaften Rasse, sodass in den darauffolgenden Jahren die Population durch
weitere Importe und eigene Nachzucht stetig anstieg [16]. Im Jahr 2002 gab es im Schweizerischen
Hinterwälder-Zuchtverein mit 1000 Herdbuch-Milchkühen schon mehr
Zuchttiere als zur gleichen Zeit im originären Zuchtgebiet im
Südschwarzwald. Hinterwälder wurden im Jahr 2022 in nahezu allen
Kantonen der Schweiz gehalten, waren jedoch vor allem in der Innerschweiz, im
Emmental und im Berner Oberland anzutreffen. Sie wurden dort vorwiegend in der
Mutterkuhhaltung genutzt.
Das Ziel der hier vorgelegten Untersuchung war, die aktuelle Bestandsentwicklung der
Hinterwälderpopulation im Süddeutschen sowie im Schweizer Raum
aufzuzeigen und die Gründe für die Resilienz dieser Rasse im
Vergleich mit anderen lokalen Rassen zu erfassen. Weiterhin sollten sowohl die
Leistungsdaten als auch die Abgangsursachen der Hinterwälder Kühe
mit denen von Vorderwälder-, Fleckvieh- und Holsteinkühen in
Baden-Württemberg verglichen und dadurch die Auswirkung der
Nutzungsrichtungen auf die Lebensdauer dargestellt werden.
Material und Methodik
Für die Erfassung der Daten konnten dankenswerterweise die Archive des
Ministeriums für Ländlichen Raum Stuttgart und des Tierzuchtamtes
Donaueschingen herangezogen werden. Dort waren neben den Daten auch die
verschiedenen Organisationen, die im Laufe der Jahre die Entwicklung der
untersuchten Rassen dokumentiert hatten, zu finden. Vom Jahr 1953 an dokumentierte
der Badische Landesverband für Leistungsprüfungen in der Tierzucht
e.V., der nach dem 2. Weltkrieg im Jahr 1950 gegründet wurde, die
Milchleistungsdaten. Im weiteren zeitlichen Verlauf fusionierte der Badische
Landesverband für Leistungsprüfungen in der Tierzucht e.V. am 1.
April 1966 mit dem Verband für Leistungsprüfungen in der Tierzucht
e.V. in Stuttgart zum Landesverband Baden-Württemberg für
Leistungsprüfungen in der Tierzucht e. V., Stuttgart. Infolge des
Rückzuges des staatlichen Engagements im züchterischen Bereich
übernahmen die Zuchtverbände als eingetragene Vereine neben der
Vermarktung auch die Zuchtarbeit und erhoben die entsprechenden Daten der
Leistungsprüfungen und Abgangsursachen. In den letzten Jahren wurden die
Daten aller Zuchtrinderrassen in Baden-Württemberg, so auch die der
Hinterwälder, von der Rinderunion Baden-Württemberg (RBW) e.V.
erhoben, die im Jahr 2000 durch den Zusammenschluss aller Zucht- und
Besamungsorganisationen des Bundeslandes Baden-Württemberg geformt wurde.
Die Zuchtleitung des Wälderviehs liegt allerdings noch in staatlicher Hand
(Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis). Weiterhin konnten wir Daten vom Statistischen
Bundesamt Wiesbaden nutzen [27].
Da von den Zuchtorganisationen im Laufe der Jahre immer mehr Leistungsdaten und
Abgangsursachen erfasst wurden, konnten nicht vom Jahr 1953 an alle Leistungsdaten
der Rassen gleichermaßen verglichen werden. Einheitliche Daten über
Milchleistungsprüfungen von Hinterwälder Kühen und
Kühen der Rassen Vorderwälder, Fleckvieh und Holsteins standen erst
ab dem Jahr 1964 zur Verfügung. Abgangsursachen wurden ab dem Jahr 1959
systematisch erfasst, jedoch kamen auch hier im Verlauf der Jahre weitere Kriterien
hinzu, weswegen sie erst seit dem Jahr 1963 vergleichend dargestellt werden
konnten.
Der Schweizerische Hinterwälder-Zuchtverein stellte uns ebenfalls seine Daten
aus den Milchleistungsprüfungen der Jahre 1984–2006 zur Auswertung
zur Verfügung. Seit dem Jahr 2007 wurde das über die
Hinterwälder Rinder erhobene Datenmaterial vom Zuchtverband Braunvieh
Schweiz verwaltet und uns von dort dankenswerterweise zur Verfügung
gestellt.
Zur Auswertung des Datenmaterials und zur Erstellung der Graphiken wurde vorwiegend
das Tabellenkalkulationsprogramm Microsoft Excel verwendet. Zur weiteren
Interpretation der Daten diente das Programm SPSS 25.0 (IBM Corp. 2013, Armonk, NY,
USA). Die Literaturverwaltung erfolgte mit dem Programm EndNote 20.3 (Clarivate
Analytics, Boston, MA, USA).
Ergebnisse
Milchleistungsdaten und Betriebe der untersuchten Rassen
Anzahl der ganzjährig milchleistungsgeprüften
Kühe
Im Verlauf des Auswertungszeitraums erfolgte in Baden-Württemberg ein
starker Anstieg der Anzahl der Milchkühe der Holstein-Rasse ([Abb. 3]). Dabei nahm die Zahl der
geprüften Holstein-Kühe von 7776 im Jahr 1964 auf 75251 im
Jahr 2015 nahezu um das Zehnfache zu; im Jahr 2021 lag die Anzahl bei 68283.
Fleckviehkühe hatten im Jahr 1982 mit 122488 ihre höchste
Gesamtzahl erreicht und lagen mit 82167 Tieren im Jahr 2021 unter dem Niveau
des Jahres 1964, und das mit weiterer Abnahmetendenz.
Abb. 3 Entwicklung der Anzahl der ganzjährig in
Baden-Württemberg einer Milchleistungsprüfung
unterzogenen Kühe der Rassen Hinterwälder,
Vorderwälder, Fleckvieh und Deutsche Holsteins in den Jahren
1964 bis 2021. Quelle: Nina Kolbaum, Karl Nuss.
Fig. 3 Number of Hinterwald, Vorderwald, Fleckvieh and
Holstein cows in Baden-Württemberg with complete milk
performance testing from 1964 to 2021. Source: Nina Kolbaum, Karl
Nuss.
Im Vergleich dazu zeigte der Bestand des Wälderviehs im gesamten
Untersuchungszeitraum auf den ersten Blick ein gleichbleibendes Niveau ohne
deutliche Ausreißer. Im Jahr 1953 wurden 3819 Vorderwälder
Milchkühe ganzjährig geprüft; ihre Anzahl erreichte
im Jahr 1977 mit 7207 ein Maximum. Seitdem gab es einen stetigen
Rückgang bis zum Jahr 2021 auf 4291 ganzjährig
geprüfte Milchkühe. Die Hinterwälder Population
machte stets den zahlenmäßig kleinsten Anteil an den Rassen
aus. Im Jahr 1953 wurden 900 Hinterwälder Milchkühe
ganzjährig geprüft; ihre Anzahl stieg bis zum Jahr 1958 auf
1172 an. Nach diesem Maximum war ein kontinuierliches, nur um die
Jahrtausendwende kurz unterbrochenes Absinken zu verzeichnen ([Abb. 4]).
Abb. 4 Entwicklung der Anzahl der ganzjährig
milchleistungsgeprüften Hinterwälder Kühe in
den Jahren 1953 bis 2021. Quelle: Nina Kolbaum, Karl Nuss.
Fig. 4 Number of Hinterwald cows with complete milk
performance testing from 1953 to 2021. Quelle: Nina Kolbaum, Karl
Nuss.
Im Jahr 2021 wurden nur noch 236 Hinterwälder Milchkühe einer
ganzjährigen Milchleistungsprüfung unterzogen. Insgesamt
waren im Jahr 2020 noch 72 Zuchtbullen und 2069 Kühe im gemeinsamen
Herdbuch der Milch- und Fleischnutzung eingetragen; die Rasse wurde damit
nach der roten Liste der GEH als „stark gefährdet“
bzw. von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
im Jahr 2022 als „Beobachtungspopulation“ eingestuft [28]
[29].
Ein ähnlicher Trend war bei der Anzahl der Hinterwälder
Milchkühe haltenden Mitgliedsbetriebe festzustellen. Diese halbierte
sich innerhalb der aufgeführten Jahre von 63 auf 31. Im Gegenzug
dazu erhöhte sich die Kuhzahl pro Betrieb. Standen im Jahr 1978 in
einem Hinterwälder Milchvieh-Betrieb 7,5 Kühe, wurden im
Jahr 2018 durchschnittlich 13 Kühe pro Betrieb gehalten.
Altersstruktur und Langlebigkeit der ganzjährig geprüften
Milchkühe im Rassenvergleich
Die Hinterwälder Milchkühe wiesen in den Jahren 1970 bis 2021
stets das höchste Durchschnittsalter im Vergleich mit den
Milchkühen der 3 anderen Rassen auf. Im Jahr 1970 lag es bei 7,9
Jahren und zeigte in den kommenden Jahrzehnten bis zum Jahr 2010 einen
Rückgang auf 7,3 Jahre. Im Jahr 2021 lag das Durchschnittsalter bei
7,7 Jahren. Mit 7,0 Jahren lag das Durchschnittsalter der
Vorderwälder Milchkühe in den früheren Jahren nur
leicht unterhalb des Durchschnittsalters der Hinterwälder
Milchkühe. Bis zum Jahr 2010 fiel es auf 6,3 Jahre ab. Seitdem gab
es einen leichten Anstieg auf 6,5 Jahre. Die milchleistungsgeprüften
Fleckvieh-Milchkühe waren im Jahr 1970 durchschnittlich noch 6,7
Jahre alt. Bis zum Jahr 2010 fiel ihr Durchschnittsalter auf 5,5 Jahre ab;
im Jahr 2021 lag es bei 5,7 Jahren. Das niedrigste Durchschnittsalter aller
4 untersuchten Rassen wiesen die Deutschen Holsteins auf. Sie waren im Jahr
1970 im Durchschnitt noch 6,1 Jahre alt und damit durchschnittlich 1,8 Jahre
jünger als die Hinterwälder Milchkühe zum selben
Zeitpunkt. Über die nachfolgenden Jahrzehnte fiel das
Durchschnittsalter der Holsteins auf 5,3 Lebensjahre im Jahr 2021 ab und lag
damit zu diesem Zeitpunkt um 2,4 Jahre niedriger als das Durchschnittsalter
der Hinterwälder Milchkühe.
In der Anzahl der Kalbungen der abgegangenen Milchkühe lagen die
Hinterwälder mit 6,1 Abkalbungen an der Spitze aller untersuchten
Rassen, gefolgt von Vorderwäldern mit 4,4. Fleckvieh- und
Holsteinkühe kalbten im Jahr 2021 durchschnittlich 3,3-mal ab.
Infolge der Langlebigkeit der Hinterwälder wiesen 11,2% der
Milchkühe mindestens 10 Abkalbungen auf. Einzelne Kühe kamen
auf 18 Abkalbungen.
Jahresmilchleistung und Lebensmilchleistung
Innerhalb der untersuchten Prüfjahre war zwischen den Rassen ein
Auseinanderklaffen der Milchleistungsentwicklung seit Mitte der 1990er Jahre
deutlich zu erkennen. Bei den Kühen der Rassen Fleckvieh und
Deutsche Holsteins stieg die Milchleistung in den Jahren 1964 bis 1980
leicht und danach bis zum Jahr 2021 stark an, während bei dem
Wäldervieh nach einem weniger steilen Anstieg ein Plateau und bei
den Hinterwäldern sogar ein Absinken erfolgte ([Abb. 5]). Hinterwälder
Milchkühe wiesen im Jahr 1964 eine durchschnittliche
Jahresmilchleistung von 2461 kg Milch auf. Diese durchschnittliche
Jahresmilchleistung erhöhte sich bis ins Jahr 2000 auf
3457 kg. Die Vorderwälder Kühe lagen im Jahr 1964
bei 3208 kg Jahresmilchleistung; diese hatte sich im Jahr 2021 auf
5647 kg gesteigert. Die Deutschen-Holstein-Kühe gaben im
Jahr 1964 durchschnittlich 4122 kg Milch; im Jahr 2021 wurde eine
Jahresmilchmenge von 9522 kg verzeichnet. Für
Fleckviehkühe wurde im Jahr 1964 eine durchschnittliche
Milchleistung von 3744 kg registriert; im Jahr 2021 hatte sich die
Leistung auf 7966 kg, wie auch bei den Holsteins, mehr als
verdoppelt ([Abb. 5]).
Abb. 5 Durchschnittliche 365-Tage-Milchmenge (in kg) der
ganzjährig milchleistungsgeprüften Milchkühe
der vier untersuchten Rinderrassen in den Jahren 1964 bis 2021.
Quelle: Nina Kolbaum, Karl Nuss.
Fig. 5 Mean 365-day milk yield (kg) of Hinterwald, Vorderwald,
Fleckvieh, and Holstein dairy cows with complete milk-performance
testing from 1964 to 2021. Source: Nina Kolbaum, Karl Nuss.
Die Lebensmilchleistung bei den Hinterwälder Kühen unterlag
in den Jahren 1969 bis 2021 starken Schwankungen. Im Jahr 1969 hatten
Hinterwälder Kühe in ihrem Leben durchschnittlich
13725 kg Milch gegeben, eine Vorderwälder Milchkuh
12315 kg, etwas unterhalb der Lebensleistung der
Hinterwälder. Die Lebensleistungen des Wälderviehs lagen
damit zu diesem Zeitpunkt in etwa gleichauf mit den Lebensleistungen der
damaligen Fleckviehkühe und Holsteins. Im Jahr 2021 lag die
Lebensmilchleistung der Vorderwälder Milchkühe bei
22707 kg. Bei den Hinterwälder Kühen wurde im Jahr
2007 ein Höhepunkt in der Lebensmilchleistung von 18633 kg
erreicht; diese Leistung fiel bis zum Jahr 2021 mit 16006 kg wieder
auf ein geringeres Niveau ab. Die Lebensleistungen der Holsteins lagen im
Jahr 2021 bei 29687 kg, und die der Fleckviehkühe bei
25367 kg.
Zwischenkalbezeiten der ganzjährig geprüften
Milchkühe im Rassevergleich
Die durchschnittlichen Zwischenkalbezeiten der 4 untersuchten Rassen wiesen
während des Untersuchungszeitraums eine deutliche divergierende
Entwicklung auf. Während die Zwischenkalbezeit der
Hinterwälder Kühe vom Jahr 1970 bis zum Jahr 2021 von 397
Tagen auf 381 Tage abnahm, kam es im selben Zeitraum bei den Deutschen
Holstein-Kühen zu einer Zunahme der Zwischenkalbezeit um 3 Wochen,
und zwar von 380 Tagen im Jahr 1970 auf 403 Tage im Jahr 2021. Das
Vorderwälder Rind und das Fleckvieh zeigten währenddessen
einen regelmäßigen Verlauf der Zwischenkalbezeiten mit
leichten Schwankungen zwischen 381 und 388 Tagen.
Abgangsursachen im Vergleich
Verkauf zur Zucht
Bei den Hinterwäldern war der Verkauf von Kühen zu
Zuchtzwecken, über die Jahre abwechselnd mit dem hohen Alter, die
häufigste Abgangsursache und lag anteilsmäßig auf
einem Niveau von um die 30%; im Jahr 2021 lag sie bei 21,3%.
Im Vergleich dazu betrug bei den Vorderwälder Abgangskühen
im Jahr 1959 der Anteil an Verkaufstieren zur Zucht 26%; danach war
bei der Vorderwälder Rasse eine abfallende Tendenz zu erkennen, so
dass im Jahr 2021 lediglich noch ein Anteil von 6,1% zu Zuchtzwecken
verkauft wurde. Bei den Rassen Fleckvieh und Deutsche Holsteins hatte die
Abgangsursache Verkauf zur Zucht in den letzten Jahren nur noch eine geringe
Bedeutung. Im Jahr 1959 betrug der Anteil bei beiden Rassen noch 10%
bis 14%; er sank bis zum Jahr 2021 auf lediglich 3,6 bzw.
4,9% ab.
Hohes Alter
Ein hohes Alter stellte bei den Hinterwälder Kühen lange
Zeit, mit einem Anteil von 34,9% bis maximal 41,6%, die
– wie erwähnt, abwechselnd mit dem Verkauf zur Zucht
– bedeutendste Abgangsursache dar; im Jahr 2021 lag sie bei
14,6%. Ein hohes Alter war, allerdings über die Jahrzehnte
mit deutlich geringerem Anteil, gleichfalls die häufigste
Abgangsursache bei den Vorderwälder Milchkühen. Dahingegen
war der Anteil des Ausscheidens wegen hohen Alters bei den
Fleckviehkühen geringer (10,5% im Jahr 2021). Bei den
Deutschen Holstein Kühen war ein hohes Alter ein wenig bedeutender
Grund für das Ausscheiden aus dem Betrieb. Im Jahr 1959 gingen
lediglich 2,8%, im Jahr 2021 ein Anteil von 6,9% der
Kühe deswegen ab.
Geringe Leistung
Die Abgangsursache „geringe Leistung“ spielte zu Beginn und
zu Ende des Untersuchungszeitraums bei den Hinterwäldern eine
deutlich geringere Rolle als bei den anderen 3 aufgeführten Rassen.
Ihr Anteil lag im Jahr 1959 bei 4,8% der Abgangskühe,
wohingegen die Vorderwälder, das Fleckvieh und die Deutschen
Holsteins mit einem Abgangsanteil aufgrund geringer Leistung zwischen 14,
1%, 11,4% und 12,5% ein untereinander
ähnliches Niveau zeigten. In der Population der Vorderwälder
Milchkühe gewann diese Abgangsursache bis in das Jahr 1983 zunehmend
an Bedeutung und zeigte zu diesem Zeitpunkt einen Anstieg auf ein Maximum
von 24,6%. Im Anschluss fiel der Abgangsgrund „geringe
Leistung“ bei dieser Rasse stetig ab und erreichte im Jahr 2021
einen Anteil von 7,9%. Fleckvieh-Kühe zeigten über
den gesamten Untersuchungszeitraum einen Verlauf mit leichten Schwankungen;
im Jahr 1959 betrug der Wert 11,4% und im Jahr 2021 lag er bei
12,8%. Die Abgangsursache „geringe Leistung“ verlor
in den Jahren 1959 bis 2021 bei den Deutschen Holsteins an Bedeutung: Der
Anteil reduzierte sich von 12,5% im Jahr 1959 auf 8,2% im
Jahr 2021.
Abgänge wegen Unfruchtbarkeit
Innerhalb der 59 Jahre, in denen Abgänge wegen Unfruchtbarkeit
registriert wurden, zeigte sich insgesamt ein hohes Niveau bei den
Vorderwälder-, Fleckvieh- und Deutschen Holstein-Kühen mit
einem über die Jahre leicht abfallenden Verlauf. In den Populationen
der Vorderwälder, Fleckvieh und Deutsche Holsteins lag der Anteil
zwischen 20 und 30%. Damit schied etwa jede 4. Kuh dieser Rassen
aufgrund von „schlechter Fruchtbarkeit“ aus. Auffallend war,
dass diese Abgangsursache bei den 3 Rassen schon im Jahr 1969 hohe Anteile
von über 20% eingenommen hatte. Die Fleckvieh-Kühe
wiesen im Jahr 1986 einen Höchstwert dieses Anteils von
30,9% und die Deutschen Holsteins ein Maximum von 31,3% auf.
Eine als schlecht beurteilte Fruchtbarkeit war damit bei diesen beiden
Rassen der Hauptgrund, eine Kuh aus dem Betrieb ausscheiden zu lassen. Im
Jahr 2021 lagen die Anteile bei den Vorderwäldern bei 22,1%,
beim Fleckvieh bei 23,2% und bei den Holsteins bei 23,3%.
Bei den Hinterwälder Milchkühen wurde im Jahr 1959 bei
11,9% der Abgangskühe eine Unfruchtbarkeit als Grund
angegeben. In den darauffolgenden Jahrzehnten zeigten sich oft starke
Schwankungen mit Anteilen zwischen 0,4% bis 23,6%. Im Jahr
2021 lag der Anteil der „Unfruchtbarkeit“ bei
7,9%.
Schlechte Melkbarkeit und Eutererkrankungen
Die „schlechte Melkbarkeit“ nahm einen vergleichsweisen
geringen Anteil an allen Abgangsursachen ein. Bis auf eine Ausnahme bei den
Hinterwälder Kühen im Jahr 1993 mit 6,9% zeigten
alle 4 Rassen einen ähnlich niedrigen Verlauf; der Anteil der
Abgangskühe aufgrund von schlechter Melkbarkeit lag zwischen
0,0% (Hinterwälder) und 3,0% (Fleckvieh).
Die Eutererkrankungen als Abgangsursache stellten dagegen bei allen 4 Rassen
ein erhebliches und mit den Jahren zunehmendes gesundheitliches Problem dar.
Im Jahr 1959 hatte der Anteil bei allen Rassen noch unter 5%
(zwischen 2,7% bis 4,4%) gelegen und stieg dann
kontinuierlich im Untersuchungszeitraum an. Im Jahr 2021 schieden
13,8% der Fleckvieh-, 14,3% der Holstein- und 16,0%
der Vorderwälder-Milchkühe aufgrund von Eutererkrankungen
aus dem Betrieb aus; bei den Hinterwäldern waren dies nur
4,5% der Abgänge.
Klauen- und Gliedmassenerkrankungen
Zu Beginn des Untersuchungszeitraums stellte die Abgangsursache
„Klauen- und Gliedmassenerkrankungen“ bei den 4
Vergleichsrassen noch einen Erkrankungskomplex von untergeordneter Bedeutung
dar; sie lag bei allen Rassen unter 3% ([Abb. 6]). Bei den Hinterwälder
Milchkühen stieg der Anteil der Abgänge aufgrund
orthopädischer Erkrankungen auch bis zum Jahr 2018 nicht
über 4% an und betrug im Jahr 2021 1,1%. Seit Mitte
der 1980er Jahre war dagegen bei den Vorderwäldern, beim Fleckvieh
und bei den Deutschen Holsteins ein steiler Anstieg in der
Häufigkeit der Abgänge wegen Klauen- und
Gliedmassenerkrankungen zu verzeichnen. Diese Entwicklung zeigte bei allen
diesen Rassen einen ähnlichen Kurvenverlauf ([Abb. 6]).
Abb. 6 Anteil der Abgangsursache
„Klauen-Gliedmaßen-Erkrankungen“ bei den
milchleistungsgeprüften Kühen in
Baden-Württemberg (in%, y-Achse) an allen
Abgängen in den Jahren 1962 bis 2021, im Vergleich der
Hinterwälder- mit denen der Vorderwälder-,
Fleckvieh- und Holsteinpopulationen. Für die
Hinterwälder- und Holsteinkühe sind Trendlinien
eingezeichnet. Quelle: Nina Kolbaum, Karl Nuss.
Fig. 6 Percentage of feet and limb disorders as reasons for
culling in Hinterwald, Vorderwald, Fleckvieh and Holstein dairy cows
in Baden-Wurttemberg from 1962 to 2021. Trend lines are shown for
Hinterwald and Holstein cattle. Source: Nina Kolbaum, Karl Nuss.
Zur Jahrtausendwende kam es zwar zu einem leichten Rückgang, aber
danach stieg der Anteil der Klauenerkrankungen an den Abgangsursachen jedoch
wieder. Im Jahr 2021 betrug ihr Anteil bei Vorderwälder
Kühen 7,7%, bei den Fleckvieh-Kühen 8,5% und
Holstein-Kühen 10,1%.
Stoffwechselerkrankungen
Die Abgangsursache „Stoffwechselerkrankungen“ war bei allen 4
vorgestellten Rassen von untergeordneter Bedeutung. Zu Beginn der
Dokumentation dieser Abgangsursache im Jahr 1974 lag der Anteil bei allen 4
Rassen bei maximal bei 1%. In den darauffolgenden Jahren kam es nur
bei den Deutschen Holstein Kühen zu einem Anstieg auf einen Wert von
3,3% im Jahr 2021, während bei den Hinterwäldern
seit dem Jahr 2012 keine Abgänge aufgrund von
Stoffwechselerkrankungen registriert wurden.
Sonstige Krankheiten
Die Abgangsursache „Sonstige Krankheiten“ ist nicht genau
definiert. Darunter fallen solche Krankheiten, die nicht in den
Hauptkategorien genannt sind, oder vom Besitzer nicht eindeutig bezeichnete
Krankheiten sowie nicht diagnostizierte Krankheiten oder auch
Todesfälle unbekannter Ursache. Diese stellten in den letzten Jahren
bei den hochleistenden Rassen einen bedeutsamen Anteil an allen
Abgangsursachen dar. Bei allen 4 aufgeführten Rassen war zu
erkennen, dass diese Abgangsursache während des
Untersuchungszeitraums zunahm. Bei den Hinterwäldern lag der Anteil
an Abgangskühen aufgrund von „sonstigen“ Krankheiten
über die Jahre bei 5%; einen etwas höheren Anteil
wiesen die Vorderwälder Kühe auf. Bei den
Fleckvieh-Kühen wurde im Jahr 1959 ein Wert von 7,5%
registriert; dieser steigerte sich bis zum Jahr 2021 auf 8,6%.
Dazwischen kam es in einigen Jahren zu noch höheren Anteilen, wie
von 20,6% im Jahr 2007. Den größten Anteil an
Abgangskühen aufgrund von „sonstigen Krankheiten“
verzeichneten die Halter der Deutschen Holstein Kühe. Vom Jahr 1959
bis zum Jahr 1986 lag der Anteil zwischen 7,2 und 11%; er stieg in
den darauffolgenden Jahren stark an. Den Beginn der
Aufwärtsentwicklung markierte das Jahr 1987, das Maximum wurde im
Jahr 2008 mit 25,9% erreicht; im Jahr 2021 lag der Anteil bei
20,4%.
Hinterwälder Rinder in der Schweiz
Nach den ersten Importen der Hinterwälder Tiere in den Jahren 1983 und
1984 waren im Jahr 1988 bereits 26 Hinterwälder-Zuchtbetriebe im
Schweizerischen Hinterwälder-Zuchtverein registriert. Im Jahr 1998 lag
ihre Anzahl dann bei 170. Seitdem fand nur mehr eine leichte Zunahme der
Zuchtbetriebe statt. Bis zum Jahr 2018 wies der Schweizer Bestand 1235
laktierende Kühe auf, wovon 198 Kühe der
Milchleistungsprüfung unterzogen wurden. Etwa zwei Drittel der
Hinterwälder-Besitzer hielten im Jahr 2021 die Rasse zur
Fleischproduktion, also in Mutterkuhherden, und zwar meist in kleinen
Nebenerwerbsbetrieben.
Das Durchschnittsalter der Schweizerischen Hinterwälder Kühe
unter Milchleistungsprüfung lag im Jahr 2007 bei 6,6 Jahren und im Jahr
2018 bei 6,8 Jahren. Die Zwischenkalbezeit lag im Jahr 2007 bei 366,5 Tagen und
unterlag in den Folgejahren nur leichten Schwankungen. Im Jahr 2018 betrug die
Zwischenkalbezeit 363,9 Tage. Die durchschnittliche Milchleistung der
Hinterwälder Rinder in der Schweiz stieg kontinuierlich an. Im Jahr 1986
gab eine Hinterwälder Milchkuh während einer Standardperiode
durchschnittlich 2909 kg Milch. Zu dieser Zeit nahmen 21 Kühe an
der Prüfung teil. Im Jahr 2018 lag die Milchmenge bei 198 getesteten
Kühen während einer Standardperiode im Durchschnitt bei
3855 kg. Abgangsursachen wurden bei der Schweizer
Hinterwälderpopulation nicht angegeben.
Diskussion
Die hier vorgelegte Untersuchung sollte die aktuelle Entwicklung der
Hinterwälder-Population in Süddeutschland und in der Schweiz
darstellen und die aufgezeichneten Leistungs- und Abgangsdaten mit denen der
Hochleistungsrassen über einen längeren Zeitraum vergleichen. Dieser
Vergleich sollte die den Hinterwäldern zugeschriebenen konstitutionellen
Eigenschaften einerseits be- oder widerlegen und andererseits ihre mögliche
künftige Nutzung für eine aktuell verstärkt im Fokus
stehende tiergerechte und nachhaltige Viehwirtschaft aufzeigen.
Da die Hinterwälder einer sehr alten Rinderrasse angehören, waren im
Verlauf der Jahre viele Publikationen über sie zu finden [1]
[10]
[13]
[15]
[16]. Im Mai 2022 waren in Deutschland insgesamt
8434 Hinterwälder Rinder registriert [27],
wobei hierunter auch Kreuzungstiere enthalten sein konnten [30]. Die größte Anzahl war mit 6403
in Baden-Württemberg zu finden; in fast allen anderen Bundesländern
wurden Hinterwälder meist im unteren dreistelligen Bereich gehalten (von 35
bis zu 425 Rindern/Bundesland). Hinterwälder Rinder haben allerdings
inzwischen eine weitere Verbreitung gefunden. Neben der Schweiz sind sie unter
anderem auch auf Korsika und auf Neuseeland präsent [8]. Die Leistungsdaten der Hinterwälder in
Süddeutschland und der Schweiz unterschieden sich nicht wesentlich.
Die in der älteren Literatur genannten konstitutionellen Vorzüge der
Hinterwälder gegenüber anderen Rassen [10]
[13]
[15]
[31] konnten durch die hier
vorgelegte Übersicht bestätigt werden. Langlebigkeit, gute
Fruchtbarkeit und niedrige Anteile krankheitsbedingter Abgangsursachen waren dabei
besonders hervorzuheben. Allerdings wurden diese Leistungen unter den Bedingungen
einer weniger intensiven Nutzung erbracht.
Die Langlebigkeit der Hinterwälder war jedoch auch im Vergleich mit anderen
Extensivrassen hervorzuheben; im Jahr 2021 waren 11,5% der
Hinterwälder Milchkühe 12 Jahre oder älter [26]. Weiterhin wurde die Langlebigkeit am Anteil
der Kühe, die mehr als 10-mal abkalbten, verdeutlicht [32]. Er betrug im Jahr 2021 in der
Milchkuh-Nutzungsrichtung 11,2% und in der Fleisch-Nutzungsrichtung sogar
15,9%. Bei den Mutterkühen der Rassen Schottische Hochlandrinder und
Galloway lag dieser Anteil mit 2,1% und 1,9% deutlich niedriger
[33]. Als Erklärungen für
diese Besonderheit der Hinterwälder Rasse wurden der leichte Kalbeverlauf,
die niedrigen Körpergewichte und die geringe Größe
angeführt. Als weitere Faktoren kommen die Jahrhunderte alte Selektion im
Ursprungsgebiet und daraus resultierend die besondere körperliche Robustheit
in Frage [32].
Bei den übrigen, intensiv genutzten, hochleistenden Milchvieh-Rassen war der
kontinuierliche Anstieg der Erkrankungen als Abgangsursache – parallel zu
der steigenden Milchleistung – ins Auge fallend. Dieser parallel verlaufende
Anstieg macht deutlich, dass die Phase der Umstellung auf die intensive
Milchproduktion den Beginn des Anstiegs der Abgangsursachen wegen Erkrankungen
markierte. Einschränkend ist festzustellen, dass die registrierten
Abgangsursachen auf den Angaben der Besitzer und nicht auf standardisierten
tierärztlichen Untersuchungen beruhen; dies zeigt auch der hohe Anteil an
Abgängen wegen „sonstiger Krankheiten“ (20,4% bei
den Holstein-Kühen im Jahr 2021).
Weil die „Unfruchtbarkeit“ als Abgangsursache bei den
höherleistenden Milchkühen schon seit dem Beginn der Registrierung
im Jahr 1969 einen Anteil von 20% an den Abgangsursachen einnahm, kann diese
Abgangsursache nicht nur mit der Leistung, sondern – wie auch andere
Untersuchungen nahelegen [34]
[35] – auch mit der
Körpergröße in Verbindung gebracht werden. Die Holsteins
wiesen sowohl hinsichtlich der Zwischenkalbezeit als auch der Abgangsursache
„Unfruchtbarkeit“ die schlechtesten Werte auf.
Letztlich waren nach der hier vorgestellten Untersuchung die
Euterentzündungen, die Erkrankungen der Klauen und Gliedmaßen sowie
die „sonstigen Abgangsursachen“ – unter denen sich wiederum
Krankheiten verbergen können – mit dem kontinuierlichen Anstieg der
Milchleistung korreliert. Für die Abgangsursache Eutererkrankungen, Klauen-
und Gliedmassenerkrankungen bzw. „sonstige Krankheiten“ bei
Holstein-Kühen ergaben sich p-Werte von<0,001 und ein
Spearman-Korrelationskoeffizient von 0,77, bzw. für die „sonstigen
Krankheiten“ ein Korrelationskoeffizient von 0,75.
Klauen- und Gliedmaßenerkrankungen gelten als stärkster Indikator
für das Wohlergehen von Milchkühen [36]. Der hohe Anteil dieser Erkrankungen an den Abgangsursachen war
vermutlich in der hier vorgelegten Untersuchung noch unterrepräsentiert
[4]
[37],
weil diese schmerzhaften Leiden auch die Milchleistung, die Eutergesundheit und die
Fruchtbarkeit negativ beeinflussen [4]
[38]
[39]
[40]. So betrug der Anteil der Abgänge wegen
Klauen- und Gliedmassenerkrankungen in den letzten Jahren in manchen
Bundesländern (Sachsen) nahezu 20% und hatte damit den Anteil der
Fruchtbarkeitsstörungen übertroffen [4]
[41]. Weiterhin bestand eine
Diskrepanz zwischen den von uns registrierten Abgängen der
Rinderpopulationen in Baden-Württemberg (7,2–9,2%) bzw. in
Bayern (9,0–12,5%) [42] wegen
dieser Ursache und den Lahmheitsprävalenzen von Kühen, die in
Süddeutschland bei 23,2% lagen. In Ostdeutschland betrugen sie sogar
39,1% [43]. In einer anderen aktuellen
Untersuchung lag die Lahmheitsprävalenz in ostdeutschen
Großbetrieben, wenn ein – schon
„veterinärmedizinisch behandlungswürdiger“ –
Lahmheitsgrad von 3/5 zugrunde gelegt wurde, im Mittel bei 31,1%
(21,8%–37,4%) [4]. Auch
hier stand der Anteil des dokumentierten Abgangsgrundes „Klauen und
Gliedmaßen“ mit durchschnittlich 15,8%
(4,3%–32,8%), im Widerspruch zum hohen Anteil beobachteter
lahmender Tiere [4]. Zudem hatten bis zum 180. Tag
nach der Lahmheitsbeurteilung 20,9% der Kühe mit einem Lahmheitsgrad
L3+die Herde verlassen (L1 11,9%, L2 15,2%), was einen
Abgang wegen Lahmheit nahelegt. Die Klauen von bayerischen Schlachtkühen,
die im Jahr 2014 untersucht wurden, wiesen zu 38% ein Sohlengeschwür
oder eine Lederhautentzündung im Bereich der Weißen Linie auf, und
8% hatten tiefreichende Klaueninfektionen [44]. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die gegenwärtige Haltung
von Milchkühen mit einem zu hohen Anteil an schmerzhaften Klauen- und
Gliedmassenerkrankungen einhergeht [38]; die
Zweifel der Gesellschaft an einer tiergerechten Haltung und an der Produktion von
gesunden Lebensmitteln durch gesunde Tiere sind zunehmend Gegenstand von
Untersuchungen [2]
[5]
[45].
Die langjährige genetische Selektion auf hohe Milchleistung wird als
Hauptursache für die hohe Prävalenz von Erkrankungen der heutigen
Milchkühe bezeichnet [36]; dies wird auch
durch die hier vorgelegte Übersicht gestützt. Die an hohe Effizienz
und Leistung angepassten Haltungssysteme tragen sicherlich weitere bedeutende
Faktoren zur Erkrankungshäufigkeit bei. Die kontinuierliche Steigerung der
Milchleistung benötigt zudem einen hohen Input an Energie und Ressourcen
[3]. Anhand der Abgangsursachen lässt
sich auch ablesen, dass der Nutzen eines so intensiven Inputs immer geringer wird;
er könnte sogar ins Negative umschlagen, wenn man die resultierenden Kosten
der Produktionskrankheiten, der kurzen Lebensdauer, der Tierverluste und der
Umweltschäden mit einberechnen würde.
An den Hinterwälder Kühen, die noch eher gemäß ihrem
natürlichen Leistungsvermögen gehalten werden, ist höheres
Wohlbefinden der Rinder an der langen Lebensdauer sowie den ausgezeichneten
Fruchtbarkeits- und Gesundheitsdaten unschwer abzulesen. Auch in der Schweiz oder in
Österreich, mit kleineren betrieblichen Strukturen sowie oftmals noch
Anbindehaltung mit Weidegang/Auslauf, lagen die Lahmheitsprävalenzen
bei relativ geringen 15% [46]
[47]
[48]. Dass die
Erkrankungen, speziell die Abgangsursachen „Klauen- und
Gliedmaßenerkrankungen“, bei den Hinterwäldern ein geringes
Problem waren, ist aber wohl nicht nur auf die relativ geringe Milchleistung und die
Genetik zurückzuführen, sondern auch auf das Management sowie die
weniger intensiven Nutzungs- und die Haltungsformen [47]. Da Hinterwälder meist noch Weidegang haben und nicht
ganzjährig in Laufställen gehalten werden, ist der Erkrankungsdruck
auf die Klauen viel geringer [49]
[50]. Die Langlebigkeit ermöglicht den
Aufbau einer sozialen Herdenstruktur. Die meist kleinen Betriebe mit Anbindehaltung
gewährleisten einen festen Liege- und Fressplatz; damit entfallen viele
Stressoren der Laufstallhaltung, wie ständige Umgruppierungen und Konkurrenz
am Futtertisch [51]
[52]
[53]
[54]
[55].
Hinterwälder Rinder sind an die Umweltbedingungen des Hochschwarzwalds
angepasst ([Abb. 7]). Damit ist es naheliegend,
dass diese Rasse über Jahrhunderte auch ihre pflanzliche Umwelt mitgestaltet
hat. In den letzten Jahren wurden die Auswirkungen des Beweidens der Alpen mit
verschiedenen Rinderrassen näher untersucht. Hochleistungskühe
grasten selektiver, während sich die Robustrassen hinsichtlich der
Futterpflanzen als weniger wählerisch als die Hochleistungsrassen zeigten
[56]
[57].
Die kleineren Rassen verursachten zudem weniger Trittschäden, wodurch sie
ein reichhaltigeres Habitat schufen [56]
[57]. Dadurch sind lokale, ursprüngliche
Rassen wie die Hinterwälder nicht nur besser an widrige Wetterbedingungen,
sondern auch an die Vegetation angepasst, was einen Vorteil gegenüber
Importrassen darstellt.
Abb. 7 Hinterwälder Herde im ursprünglichen
Verbreitungsgebiet in den Höhenlagen des Südschwarzwalds.
Quelle: Nina Kolbaum.
Fig. 7 A herd of Hinterwald cattle in the Southern Black Forest region
where the breed originated. Source: Nina Kolbaum.
Weiterhin wurde in den letzten Jahren mehrfach nachgewiesen, dass
größerrahmige Tiere nicht wie vermutet [58] produktiver sind, sondern dass Körpergewicht und
Körpergröße negativ mit der Effizienz der Futterausnutzung
und Reproduktion korrelieren [59]
[60]
[61]. Die
Hinterwälder kommen auch aus diesen Gründen dem Ideal der optimalen
Produktivität in einer nachhaltigen Rinderhaltung sehr nahe. Dass jedoch die
kleine Statur allein keine lange Nutzungsdauer bedeutet, weisen vergleichende
Leistungsdaten mit Jersey-Kühen auf [62].
Diese erzielten im Jahr 2021 eine durchschnittliche Milchleistung von
6594 kg, erreichten aber nur ein Durchschnittsalter von 4,7 Jahren, kaum
mehr als die Holsteins.
Die den Hinterwälder Kühen zugeschriebenen positiven
Rasseeigenschaften – Langlebigkeit, gute Fruchtbarkeit, niedriger Anteil
von Erkrankungen – konnten eindrücklich belegt werden. Bei den
vergleichend untersuchten Kühen der Rassen Deutsche Fleckvieh und
Deutsche Holsteins schnellten seit den Jahren 1982–1985 die
Abgangsursachen wegen Klauen-, Gliedmassen- und Eutererkrankungen sowie
„sonstigen Krankheiten“ und Fruchtbarkeitsproblemen, parallel
zur kontinuierlich ansteigenden Milchleistung, nach oben. Die derzeitige
Hochleistungsmilchproduktion kann deswegen in vielen Bereichen als nicht
nachhaltig und oftmals als nicht tiergerecht bezeichnet werden. Alte
Nutztierrassen wie das Hinterwälder Rind müssen weiterhin durch
Fördermaßnahmen gestützt werden, weil sie einen
unersetzbaren Genpool darstellen. Sie ermöglichen auch zukünftig
die nachhaltige Bewirtschaftung und erhalten die Pflanzenvielfalt steiler
Mittelgebirgs- und Hochgebirgsweiden. Zuletzt sind sie aufgrund ihrer
Eigenschaften besser an eine Umwelt mit bedrohlich abnehmender
Biodiversität und zunehmender Erderwärmung angepasst.