Rofo 2023; 195(08): 744-747
DOI: 10.1055/a-2103-1376
Radiologie und Recht

Selbstbeschaffte Sach- und Dienstleistungen in der Radiologie

 

Naturalleistung als Regelfall der vertragsärztlich-radiologischen Versorgung

Das Leistungserbringungsrecht in der vertragsärztlich-radiologischen Versorgung basiert auf dem Grundsatz der Naturalleistung. Der Radiologe erbringt gegenüber dem Patienten die Sach- und Dienstleistung, ohne dafür vom Patienten eine Vergütung zu erhalten. Stattdessen nimmt der Radiologe an der Honorarverteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung teil, an die die Krankenkassen die Gesamtvergütung gezahlt haben. Welche ärztlichen Sach- und Dienstleistungen als Naturalleistungen durch den Radiologen zu erbringen sind, regelt der einheitliche Bewertungsmaßstab (§ 87 SGB V) in Verbindung mit den Beschlüssen des gemeinsamen Bundesausschusses (§§ 91 ff. SGB V). Selbstbeschaffte Sach- und Dienstleistungen sind dem System der Naturalleistung daher fremd.


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Gesetzliche Ausnahmetatbestände für selbstbeschaffte Sach- und Dienstleistungen

Dennoch gibt es selbstbeschaffte Sach- und Dienstleistungen, die von der Krankenkasse im Wege der Kostenerstattung bezahlt werden. Das liegt daran, dass der Gesetzgeber das Prinzip der Naturalleistung durch Ausnahmetatbestände durchbrochen hat.

In § 13 Abs. 1 SGB V hat der Gesetzgeber geregelt, dass die Krankenkasse anstelle der Naturalleistung die Kosten einer selbstbeschafften Sach- und Dienstleistung erstatten darf, soweit dies im Sozialgesetzbuch V oder im Sozialgesetzbuch IX vorgesehen ist.

Ein die Rechtspraxis immer wieder beschäftigendes Beispiel für diese Durchbrechung des Grundsatzes der Naturalleistung ist § 2 Abs. 1 Buchst. a SGB V:

„Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.“

Einen weiteren Ausnahmetatbestand stellt § 13 Abs. 2 S. 1 SGB V dar. Versicherte können anstelle der Naturalleistung Kostenerstattung wählen. Diese Ausnahme hat sich allerdings in der Praxis nicht durchgesetzt und führt ein Nischendasein.

Eine in der Praxis bedeutsamere Ausnahme regelt § 13 Abs. 3a) SGB V. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.


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Selbstbeschaffte Sach- und Dienstleistungen in der Radiologie im Spiegel der Rechtsprechung

In den vergangenen Jahren haben selbstbeschaffte Sach- und Dienstleistungen in der Radiologie die Gerichte immer wieder beschäftigt. Die radiologische Dienstleistung ist häufig Basis für eine lebensverändernde Diagnose (z. B. im Fall einer vermuteten onkologischen Erkrankung) oder einer zielgerichteten Therapie zur raschen Schmerzbeseitigung (z. B. im Fall eines orthopädischen Befundes), da verwundert es nicht, dass der Patient sich die Sach- und Dienstleistung selbst beschaffen will, sollte es bei der Erbringung als Naturalleistung „haken“. Für den Radiologen ist es für die Interaktion mit dem Patienten in einem solchen Fall hilfreich, einen Eindruck von den gesetzlichen Ausnahmetatbeständen und der Auslegung durch die Rechtsprechung zu haben.


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Ein Blick in die Rechtsprechung I: Selbstbeschaffte Leistungen bei lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig gleichgestellten Erkrankungen

Die Urteile des Sozialgerichts Hamburg vom 15. 08. 2022, Az. S 56 KR 3173/19, und des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 28.03.2023 Az. L 11 KR 1579/21 sind instruktive Beispiele dafür, wann der gesetzlich Versicherte sich bei lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig gleichgestellten Erkrankungen eine Leistung selbst beschaffen kann und einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Krankenkasse hat und wann das nicht der Fall ist.


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Sozialgericht Hamburg: PET/CT bei Prostatakarzinom

In dem Fall des Sozialgerichts Hamburg war bei dem Kläger im Jahr 2009 eine perkutane Radiatio in kurativer Intention eines Gleason 3 + 4 Prostatakarzinoms durchgeführt worden. Im Rahmen einer Nachsorge- und Kontrolluntersuchung im Jahr 2015 wurde bei dem Kläger ein unklarer Anstieg des Werts des prostataspezifischen Antigens (PSA) festgestellt. Im Jahr 2019 kam es zu einem Tumorrezidiv. Der behandelnde Urologe riet dem Kläger, zur Abklärung der Therapieoptionen eine PSMA-PET-CT durchführen zu lassen. Im Fall eines Lokalrezidivs sollte eine Salvage-Prostatektomie die Therapiewahl sein. Im Falle einer Metastasierung verblieb nur noch eine palliative Therapie. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für die PET/CT – Untersuchung ab.

Das Sozialgericht sah das anders. Zwar habe der Kläger keinen Sachleistungsanspruch auf Durchführung der beantragten PET/CT – Untersuchung, da diese Untersuchung im Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen gehöre. Es handele sich nämlich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Diese seien nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung nur von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben habe, was für die beim Kläger bestehende Indikation nicht der Fall sei. Der Kläger habe jedoch einen Sachleistungsanspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V. Nach § 2 Abs. 1a SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, auch eine von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe, wozu nicht nur therapeutische, sondern auch diagnostische Leistungen gehören könnten.

Zur Überzeugung des Sozialgerichts lag bei dem Kläger eine derartige lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinn des § 2 Abs. 1a SGB V vor. Für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung sei es erforderlich, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde. Die Durchführung des streitgegenständlichen PSMA-PET-CT solle aufklären, ob bei dem Kläger ein lokales Tumorrezidiv oder bereits Metastasen vorlagen. Im Fall der Metastasierung hätte keine Heilungsmöglichkeit mehr bestanden. In diesem Fall wäre die Krankheit innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums tödlich verlaufen. Es hätten nur noch palliative Therapiemöglichkeiten zur Verlängerung des Lebens zur Verfügung gestanden. Bei Durchführung des PET-CT habe eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden, da auf der Grundlage des PET-CT mit der höchsten Wahrscheinlichkeit die geeignetste Behandlungsmethode für den Kläger habe ausgewählt werden können. Eine andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung sei aber zur Diagnostik nicht verfügbar gewesen, da im Falle des Klägers das beantragte PET-CT die geeignetste und sicherste Methode zur Feststellung einer Metastasierung war.


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Landessozialgericht Baden-Württemberg: MRT bei Mammakarzinom

Auf den ersten Blick ist der vom Landessozialgericht Baden-Württemberg entschiedene Fall vergleichbar. Auch hier ging es um eine onkologische Erkrankung, die für die Klägerin mit der Befürchtung eines – möglicherweise lebensbedrohlichen – Rezidivs verbunden war.

Bei der Klägerin war ein invasiv lobuläres Mammakarzinom (das nach Auffassung der Klägerin bei einer vorangehenden Mammografie verkannt worden war) diagnostiziert worden, was eine Ablatio rechts mit radikaler Mastektomie zur Folge hatte. Nachfolgende MRT- Untersuchungen der linken Brust ergaben keinen Hinweis auf ein Rezidiv; in der Folge wurde eine Mammografie durchgeführt mit unauffälligem Befund. Wegen Schmerzen in der linken Schulter wurde eine MRT-Untersuchung der linken Schulter durchgeführt; hierbei wurden unauffällige Lymphknoten festgestellt und keine Metastasen – suspekte knöcherne Läsion. Die Klägerin verlangte daraufhin eine weitere MRT-Untersuchung der linken Brust, weil nach ihrer Auffassung eine Mammografie/Sonografie einen malignen Befund nicht sicher ausschließen könne.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg war demgegenüber der Auffassung, dass die Klägerin diese Untersuchung nicht auf Kosten der Versichertengemeinschaft verlangen konnte, sondern als selbstbeschaffte Leistung selbst bezahlen musste.

Durch die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V werde nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen (wie im Fall des Sozialgerichts Hamburg); vielmehr werde durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Im Hinblick auf die MRT-Untersuchung der weiblichen Brust habe der GBA in Anlage I Nr. 9 der „Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung“ den Umfang der ambulanten Leistung verbindlich festgelegt. Diese Richtlinie verlange jedoch ausdrücklich, dass ein Rezidivverdacht bestehe und dass Mammographie und Sonographie nicht die Dignität dieses Rezidivverdachtes klären könnten. Dies bedeute, dass die MRT-Untersuchung nur im zu begründenden Einzelfall dann zum Einsatz kommen solle, wenn die etablierten Verfahren (klinische Untersuchung, Mammographie und Sonographie) keine hinreichend aufschlussreiche Dignitätsbeurteilung des Rezidivverdachts erlaubten. Diese Voraussetzung des Rezidivverdachts müsse objektiv vorliegen, die – subjektive – Befürchtung der Klägerin, es könne ohne MRT-Untersuchung – wie nach ihrer Auffassung bei der ersten Mammografie – ein Befund verkannt werden, reiche nicht aus.


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Ein Blick in die Rechtsprechung II: Selbstbeschaffte Leistungen im Fall des Systemversagens

Zu Selbstbeschafften Leistungen kann es auch dann kommen, wenn nach Auffassung des gesetzlich Versicherten ein sogenanntes Systemversagen vorliegt, also wegen Versagens der GKV-Strukturen die Naturalleistung nicht zur Verfügung gestellt werden kann.


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Beschluss des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein: Upright-MRT und Erkundigungspflicht des Patienten

In diesem Fall, Beschluss des Landessozialgerichts Schleswig- Holstein vom 26.04.2022, Az.: L 10 KR 82/20, ging es um ein Upright-MRT (ein in aufrechter Körperposition, im Stehen oder Sitzen unter natürlicher Gewichtsbelastung durchgeführtes MRT) des Kopfes und der Halswirbelsäule bei einem Patienten, der unter Morbus Bechterew litt. Diese Leistung hatte sich der Patient bei einer Radiologin beschafft, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnahm, und nahm nun seine Krankenkasse auf Kostenerstattung in Anspruch.

Der Kläger begründete dies damit, dass es sich bei der Upright-MRT-Untersuchung um unaufschiebbare Leistungen gehandelt habe, die aus medizinischer Sicht keinen nennenswerten Aufschub mehr zugelassen hätte. Denn es habe der Verdacht einer inkraniellen Raumforderung aufgrund eines Gehirntumors bestanden.

Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht hatte bereits erhebliche Zweifel am Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung. Eine Leistung sei unaufschiebbar im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt SGB V, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischen Gründen keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand, wobei auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung unaufschiebbar werden kann, wenn mit der Ausführung so lange gewartet wird, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, damit der mit ihr angestrebte Erfolg noch erreichbar ist. Ausweislich der Verordnung habe die MRT-Untersuchung wegen der (Verdachts-) Diagnosen Kopf-, Halswirbelsäulen- und Schulter-Nacken-Schmerzen erfolgen sollen, ein Verdacht auf das Bestehen eines Hirntumors werde in der Verordnung gerade nicht benannt.

Letztlich könne aber auch dahinstehen, ob es sich bei den fraglichen MRT-Untersuchung um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt habe. Denn jedenfalls mangele es an einem Unvermögen zur rechtzeitigen Leistungserbringung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt SGB V auf Seiten der Krankenkasse. Ein einen Erstattungsanspruch auslösendes Unvermögen einer Krankenkasse zur rechtzeitigen Leistung setze voraus, dass der Versicherte seinerseits alles nach den konkreten Umständen Erforderliche, Mögliche und Zumutbare getan habe, um die fragliche Leistung im Rahmen des GKV-Versorgungsweges zu erhalten. Diese Pflicht reiche so weit, dass einen Versicherten in dem Fall, dass er unsicher darüber ist, ob ein Vertragsarzt vorhanden ist, der die erforderliche Behandlung anbietet, die Obliegenheit trifft, sich bei seiner Kasse nach einem zur Verfügung stehenden zugelassenen Leistungserbringer zu erkundigen.


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Urteil des Sozialgerichts Darmstadt: Offenes MRT und Beratungsfehler der Krankenkasse

Auf den ersten Blick vergleichbar ist der Fall, der dem Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 05.07.2021, Az.: S 13 KR 462/20, zugrunde liegt: Hier ging es ebenfalls um die Kostenerstattung für eine MRT-Untersuchung bei einem privatärztlich tätigen Radiologen und zwar wegen Klaustrophobie des Patienten in einem offenen MRT.

Der Kläger litt unter immer wiederkehrenden Rückenbeschwerden. Am 1. März 2020 kam es bei ihm zu einem akuten Schmerzereignis. Am 3. März 2020 nahm er einen bereits langfristig vereinbarten Termin bei einem Orthopäden wahr. Dieser überwies ihn zum MRT am 7. März 2020. In der in der Überweisung benannten radiologischen Praxis war aber nur ein geschlossenes MRT vorhanden. Der Kläger, der unter ausgeprägter Klaustrophobie litt, wandte sich an seine Krankenkasse und bat um Benennung eines vertragsärztlich niedergelassenen Radiologen mit offenem MRT. Die Krankenkasse wies darauf hin, der Kläger könne bei psychischen Problemen in einem geschlossenen MRT diese Untersuchung in einer Vertragspraxis unter Sedierung vornehmen lassen. Die Entgegnung des Klägers, dass eine solche Untersuchung unter Sedierung bei ihm in der Vergangenheit bereits gescheitert sei, blieb ohne Resonanz seitens der Krankenkasse. Der Kläger recherchierte daraufhin selbst nach einer radiologischen Praxis mit offenem MRT, konnte aber keines mit Abrechnungsbefugnis finden und schloss daraus, dass es keine Möglichkeit gebe, ein offenes MRT im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in angemessener Entfernung in Anspruch nehmen zu können.

Trotz objektiv bestehender Versorgungsmöglichkeit könne – so das Sozialgericht Darmstadt – im Einzelfall von einer unaufschiebbaren Leistung auszugehen sein und zwar dann, wenn eine Fehlinformation der Krankenkasse dazu geführt habe, dass der Versicherte die objektiv verfügbare Leistung subjektiv für nicht verfügbar hält und sie deshalb nicht in Anspruch nimmt. Dazu sei noch nicht ausreichend, dass der Versicherte einen zugelassenen Leistungserbringer sucht, aber nicht findet, sondern es sei erforderlich, dass die Krankenkasse einen irreführenden Hinweis erteilt oder eine gebotene Beratung unterlässt und dadurch bewirkt, dass der Versicherte eine vorhandene Leistung nicht in Anspruch nehmen kann.

Einen solchen Fall bejahte das Sozialgericht Darmstadt im Fall des Klägers. Der Kläger sei nach dem Kontakt mit der Krankenkasse subjektiv davon ausgegangen, dass ein offenes MRT als Kassenleistung nicht verfügbar war. Hierzu habe die Krankenkasse selbst Veranlassung gegeben, indem sie auf den Hinweis des Klägers, bei ihm sei in der Vergangenheit bereits eine Untersuchung unter Sedierung gescheitert, nicht reagiert habe. Nachdem er dies berichtet hatte, hätte der Kläger erwarten dürfen, dass ihn die Krankenkasse über die Möglichkeit eines zugelassenen offenen MRT aufklären würde, wenn ein solches in zumutbarer Entfernung verfügbar gewesen wäre. Nachdem er selbst recherchiert und kein zugelassenes offenes MRT gefunden habe, habe er daher davon ausgehen dürfen, dass die Möglichkeit eines von der gesetzlichen Krankenkasse zugelassenen offenen MRT nicht bestand.


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Urteil des Bundessozialgerichts: Der „vorfestgelegte“ Versicherte

Schließlich noch ein Blick auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 10.03.2022, Az.: B 1 KR 6/21 R, zu dem Themenkomplex des Systemversagens in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der wegen eines Prostatakarzinoms voroperierte Kläger wandte sich bei Verdacht eines Rezidivs auf fachärztliches Anraten an ein Universitätsklinikum, um eine Positronenemissionstomographie/Computertomographie/Magnetresonanztomographie bei prostataspezifischem Membranantigen durchführen zu lassen (PSMA-PET/CT/MRT-Untersuchung). Der Kläger beantragte die Kostenerstattung für diese Leistung gemäß § 13a SGB V. Nach dieser Regelung war es nun an der Krankenkasse, über diesen Antrag zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und den Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Kann die Krankenkasse die Fristen nicht einhalten, hat sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mitzuteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschafft sich der Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Auf diese Regelung berief sich der Kläger.

Das Bundessozialgericht sah sich nicht imstande, den Fall zu entscheiden und verwies den Fall an die Vorinstanz zurück.

Es sei nämlich nicht ausgeschlossen, dass der Kläger schon vor Fristablauf auf die Selbstbeschaffung der Leistung vorfestgelegt gewesen sei. Eine solche Vorfestlegung liege vor, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung seiner Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt habe, wenn er also fest entschlossen sei, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte. Ein Kostenerstattungsanspruch werde im Falle einer solchen Vorfestlegung auch nicht dadurch „wiedereröffnet“, dass die Krankenkasse die in § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V geregelte Entscheidungsfrist verstreichen lasse. Habe ein Versicherter schon zuvor eigenmächtig das Sachleistungsprinzip infolge Vorfestlegung „verlassen“, sei auch der Anwendungsbereich des in § 13 Abs. 3a SGB V normierten Systemversagens nicht gegeben. Die Vorfestlegung des Versicherten, nicht dagegen die verstrichene Frist, sei dann ursächlich für die dem Versicherten entstandenen Kosten.

Woraus ergab sich nun die mögliche Vorfestlegung des Klägers? Ein gewichtiges Indiz sah das Bundessozialgericht darin, dass der Kläger den im Kostenvoranschlag ausgewiesenen Betrag bereits vor der Antragstellung an das Universitätsklinikum überwiesen und damit letztlich schon einen Behandlungsvertrag abgeschlossen hatte. Zwar habe die Überweisung nach den durch die Vorinstanz getroffenen Feststellungen dazu gedient, einen zeitnahen Untersuchungstermin zu sichern, ohne dass bereits festgestanden habe, dass die Untersuchung letztendlich auch durchgeführt werden würde. Allein dieser Umstand und auch die Möglichkeit einer jederzeitigen sanktionslosen Kündigung des Behandlungsvertrages schlössen eine (subjektive) Vorfestlegung des Klägers auf die Inanspruchnahme der Leistung allerdings noch nicht aus. Zudem – so die weitere Begründung des Bundessozialgerichts – müsse es sich auch bei Fristversäumnis seitens der Krankenkasse um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt haben, hierzu habe das Landessozialgericht jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen.


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Fazit: Selbstbeschaffte Leistungen und das Gebot der wirtschaftlichen Aufklärung

Der Radiologe wird in den Fällen der selbstbeschafften Leistung auf Grund Überweisung tätig, er kennt also weder die gesamte Krankengeschichte des Patienten (was zur Beurteilung einer lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig gleichgestellten Erkrankung erforderlich wäre) noch kann er beurteilen, welche Bemühungen der Patient unternommen hat, um die Selbstbeschaffung der Leistung mit der Krankenkasse zu klären, schon gar nicht ist er in der Lage, eine etwaige Vorfestlegung des Patienten zu beurteilen. Anderseits muss er befürchten, dass der Patient – scheitert die Kostenerstattung für die selbstbeschaffte Leistung durch die Krankenkasse – die Rechnung des Radiologen nicht bezahlen will mit der Begründung, der Radiologe habe gegen das Gebot ausreichender wirtschaftlicher Aufklärung verstoßen. § 630c Abs. 3 BGB regelt hierzu folgendes:

„Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren.“

Die wirtschaftliche Aufklärung des Radiologen sollte daher folgende Aspekte umfassen:

  • Der Patient ist darüber aufzuklären, dass die ärztliche Sach- und Dienstleistung, die gegenüber dem gesetzlich versicherten Patienten erbracht werden soll, nicht dem einheitlichen Bewertungsmaßstab/den Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) unterfällt, es sich also um eine Sach- oder Dienstleistung handelt, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht erbracht werden kann.

  • Handelt es sich bei der vom Patienten verlangten Sach- oder Dienstleistung um eine selbstbeschaffte Leistung, so ist der Patient darüber aufzuklären, dass er möglicherweise einen Kostenerstattungsanspruch gegen seine Krankenkasse hat, er aber dabei einen gesetzlich geregelten Beschaffungsweg einzuhalten hat, indem er vor Leistungserbringung zur Vermeidung einer Vorfestlegung einen Genehmigungsantrag an seine Krankenkasse stellt.

  • Der Patient ist schließlich darüber aufzuklären, dass die Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkasse möglicherweise nicht gesichert ist, verbunden mit der Information (in Textform) über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung.

Dr. Horst Bonvie
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

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Publication History

Article published online:
25 July 2023

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