CC BY-NC-ND 4.0 · Z Orthop Unfall 2024; 162(01): 21-26
DOI: 10.1055/a-2110-3752
Übersicht

Orthopädie und Unfallchirurgie 2023 – haben wir genug Nachwuchs?

Artikel in mehreren Sprachen: deutsch | English
Steffen Ruchholtz
1   Klinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinik Marburg, Marburg, Deutschland
,
Markus Blätzinger
2   Geschäftsstelle München, AUC – Akademie der Unfallchirurgie GmbH, München, Deutschland
,
Michael Schädel-Höpfner
3   Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie, Lukaskrankenhaus Neuss, Neuss, Deutschland
,
Wolfgang Böcker
4   Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Ludwig-Maximilians-Universität München, Medizinische Fakultät, München, Deutschland (Ringgold ID: RIN54187)
,
Bernd Kladny
5   Orthopädie, Fachklinik Herzogenaurach, Herzogenaurach, Deutschland
,
Dietmar Pennig
6   Klinik für Unfallchirurgie, Hand- u. Wiederherstellungschirurgie, St. Vinzenz-Hospital, Köln, Deutschland
,
Maximilian Rudert
7   König-Ludwig-Haus, Orthopädische Universitätsklinik, Würzburg, Deutschland
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Einleitung

Allgemein zeichnet sich für Deutschland ein zunehmender Ärztemangel ab. Im Rahmen der vorliegenden Umfrage soll die aktuelle Situation für orthopädische und/oder unfallchirurgische Kliniken (O und U) dargestellt werden.

Methodik

Die Umfrage wurde vom 22.11. bis 5.12.2022 rein webbasiert über die Akademie für Unfallchirurgie (AUC) und über den Verband der Leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen (VLOU) durchgeführt.

Ergebnisse

185 Kliniken haben den Onlinefragebogen beantwortet. Unter den Antwortenden befanden sich ca. 20% Universitätskliniken und Maximalversorger sowie ein Drittel Schwerpunktversorger bzw. Grund- und Regelversorger. Mehr als die Hälfte (55%) der Abteilungen gibt im Median 2,7 unbesetzte Stellen an. Freie Oberarztstellen gibt es in 47% der Abteilungen mit offenen Stellen, freie Facharztstellen in 33% und freie Assistenzarztstellen in 89%. In den Universitätskliniken bzw. Maximalversorgern wurden im Vergleich zu den anderen O- und U-Kliniken am wenigsten offene Stellen (31–41%) angegeben. Bezüglich der Einschätzung der Chefärzte zur Bewerbersituation allgemein wurden durchweg negative Angaben gemacht.

Schlussfolgerung

Mehr als die Hälfte der antwortenden Kliniken hatten unbesetzte Arztstellen. Um der Entwicklung des zunehmenden Ärztemangels in O und U entgegenzuwirken, muss die generelle Situation im Sinne einer Steigerung der klinisch tätigen Studienabgänger*innen und einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte optimiert werden. Gleichzeitig sollten Abteilungen mit Studierendenausbildung ihre Aktivität mit Blick auf eine Steigerung der Attraktivität des Faches O und U erhöhen.


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Einleitung

Die gute Nachricht ist, das Interesse an einer ärztlichen Tätigkeit bei den Abiturientinnen und Abiturienten ist ungebrochen hoch. Für 10056 Medizinstudienplätze gab es im Wintersemester 2021/22 38541 Bewerberinnen und Bewerber [1].

Die schlechte Nachricht ist, dass sich in Deutschland trotzdem ein zunehmender Mangel an Ärztinnen und Ärzten abzeichnet [2]. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Der demografische Wandel in unserem Land bedeutet, dass wir zunehmend ältere Menschen und weniger arbeitende Personen haben werden. Das gilt auch für das ärztliche Personal. Bis 2035 werden nach Angaben des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung jedes Jahr 9000 Ärztinnen und Ärzte altersbedingt aus dem Dienst ausscheiden [3]. Gleichzeitig werden wir es mit immer mehr chronisch kranken und behandlungsaufwendigen Patienten zu tun haben [4].

Hinzu kommt, dass immer weniger Ärztinnen und Ärzte vollzeitig tätig werden wollen [5]. Nach Aussagen der Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Ellen Lundershausen benötigen wir derzeit 1,2 Personen, um eine Vollzeitstelle zu besetzen [6]. Der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, die weniger als 30 Stunden pro Woche arbeiten ist seit 2009 von 4% auf 31% gestiegen [6].

Der steigende Anteil an teilzeittätigen Ärztinnen und Ärzten ist u. a. durch die zunehmende Feminisierung in der Medizin bedingt. Etwa ⅔ der Studienabschließenden sind Frauen [1]. Mit dem Anstieg der Anzahl berufstätiger Medizinerinnen steigt auch der Anteil der Teilzeitbeschäftigten [5].

Auch der steigende Leistungsdruck in den Krankenhäusern mit zunehmend schwierigen Arbeitsbedingungen ist laut dem Marburger Bund ein Grund für viele Ärztinnen und Ärzte, die Arbeitszeit zu reduzieren [7]. Die jüngeren Generationen legen mehr Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit zu Freizeit und verlassen den Arztberuf endgültig oder suchen weniger belastende Tätigkeitsfelder in der Forschung oder der Industrie [7].

Der Nachwuchsmangel erscheint aufgrund der beschriebenen Gründe insbesondere für die chirurgischen Fachdisziplinen eine immer größere Bedeutung zu bekommen [8]. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Ziel, die aktuelle Situation in Orthopädie und Unfallchirurgie (O und U) zu erfassen und Vorschläge für relevante Faktoren zur Steigerung der Attraktivität unseres Faches zu erarbeiten.


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Methodik

Die vorliegende Umfrage erfolgte als freie und gemeinsame Onlinefragebogenaktion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) vermittelt durch die Akademie der Unfallchirurgie (AUC) und dem Verband der leitenden Orthopäden und Unfallchirurgen (VLOU).

Die Umfrage wurde rein webbasiert durchgeführt und richtete sich an Direktoren oder Chefärzte von orthopädischen- und/oder unfallchirurgischen Kliniken. Die Erhebung erfolgte mit dem Webtool von „Questionstar“ anonymisiert und freiwillig.

Über die AUC wurden alle 657 deutschen Traumazentren im TraumaNetzwerk der DGU zur Teilnahme aufgefordert [9]. Über den VLOU wurden alle Mitglieder angesprochen, darunter rund 500 Chefärzte. Die Kontaktierten wurden im Rahmen einer möglichen Doppelanfrage gebeten, die Umfrage lediglich einmal zu beantworten.

Die Teilnehmenden hatten vom 22.11.2022 bis zum 5.12.2022 die Möglichkeit, die insgesamt 15 Fragen und Textfelder ganz oder teilweise zu beantworten. Dabei konnte entweder mit ja/nein, Zahlen oder einer prozentualen Einschätzung geantwortet werden.

Den Antwortenden wurde die Möglichkeit gegeben, die eigene Abteilung hinsichtlich Versorgungschwerpunkt (O und U, Rehaklinik) und geografischer Lokalisation (über die ersten 2 Ziffern der Postleitzahl) einzuordnen.

Die Befragten wurden gebeten, die ärztliche Personalstruktur in der Abteilung (Oberärzte, Fachärzte ohne OA-Position, Assistenzärzte) in Zahlen anzugeben. Im Anschluss wurden offene Stellen in einzelnen Hierarchiestufen und eine Einschätzung der Bewerbersituation abgefragt. Außerdem wurde die Anzahl ausländischer Ärzte abgefragt, die Deutsch nicht als Muttersprache haben.

Abschließend wurde die Möglichkeit gegeben, Kommentare im Freitext zu machen.


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Ergebnisse

Angeschrieben wurden die Leiter von insgesamt 1219 Kliniken (617 über die AUC und 687 über den VLOU). Nach Ausschluss von 85 doppelt kontaktierten Klinikleitern blieben 1134 Krankenhäuser übrig. Von diesen haben 185 (16%) Kliniken den Onlinefragebogen beantwortet.

Unter den Antwortenden befanden sich ca. 20% Universitätskliniken und Maximalversorger sowie ein Drittel Schwerpunktversorger bzw. Grund- und Regelversorger ([Abb. 1]). Hinsichtlich der Gesamtbettenzahl zeigte sich ein ausgewogenes Verhältnis mit je einem Drittel 100–300, 300–500 und > 500 Betten.

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Abb. 1 Einordnung der Krankenhäuser.

Auch bei der Beurteilung der Lokalisation zeigte sich eine gleichmäßige Verteilung über die gesamte Republik ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Verteilung der antwortenden Kliniken nach den ersten 2 Stellen der Postleitzahlen.

Bei der Ausrichtung der Klinik fanden sich vor allem Kliniken mit einem Schwerpunkt in O und U. Kliniken, die sich einzig einem der beiden Schwerpunkte zuordnen ließen oder orthopädische Rehabilitationskliniken waren mit knapp 10% in der Minderheit.

Im Median hatten die antwortenden Kliniken 15 ärztliche Mitarbeiter. Mehr als die Hälfte (55%) der Abteilungen gab an, unbesetzte Stellen zu haben. Freie Oberarztstellen gab es in 47% (in 37% mehr als 1 Stelle) der Abteilungen mit offenen Stellen, freie Facharztstellen in 33% (in 17% mehr als 1 Stelle) und freie Assistenzarztstellen in 89% (in 72% als mehr 1 Stelle; [Tab. 1]).

Tab. 1 Unbesetzte Stellen in den Kliniken mit offenen Stellen.

unbesetzte Stelle

ja

mehr als 1 unbesetzte Stelle

Oberarztstellen

47%

37%

Facharztstellen

33%

17%

Assistenzarztstellen

89%

72%

In den Universitätskliniken und den maximalversorgenden Kliniken wurden mit 31%–41% im Vergleich zu den anderen O- und U-Kliniken am wenigsten offene Stellen angegeben ([Tab. 2]).

Tab. 2 Kliniken mit unbesetzten Stellen nach Klinikkategorie.

Klinikkategorie

Anteil an Kliniken mit offenen Stellen

Universitätsklinik

41%

Maximalversorger

31%

Schwerpunktversorger

59%

Grund- und Regelversorger

65%

Allerdings war unter den Unikliniken mit Ärztemangel die Menge an fehlenden Ärzten mit 3,8 offenen Stellen (vs. 2,7) besonders hoch.

Bezüglich der Einschätzung der Bewerbersituation durch die Chefärzte zeigten sich durchwegs negative Resultate bei allen Fragen ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Einschätzung der Bewerbersituation.

Von den befragten Klinikleiterinnen und -leitern gaben 70% an, Ärztinnen und Ärzte zu beschäftigen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben. In Krankenhäusern mit ausländischen Ärzten hatten 94% der Abteilungen unter den Assistenzärztinnen und -ärzten ein oder mehrere Kolleginnen und Kollegen einen Migrationshintergrund ([Tab. 3]).

Tab. 3 Ärztinnen und Ärzte ohne Deutsch als Muttersprache.

Hierarchiestufe

ja

mehr als eine Ärztin/ein Arzt

Oberärzte/-innen

71%

41%

Fachärzte/-innen

58%

29%

Assistenzärzte/-innen

96%

78%


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Diskussion

Mehr als die Hälfte der O- und U-Kliniken weisen im Median 2,7 offene Stellen auf. Das sind etwa 20% der vorhandenen Stellen einer Abteilung. Gleichzeitig scheint nach Einschätzung der befragten Chefärzte bzw. Klinikdirektoren nicht nur die Zahl der Bewerber und Bewerberinnen, sondern auch der Grad der Qualifikation und die Motivation, wissenschaftlich zu arbeiten, deutlich abzunehmen. Auch in den Freitextkommentaren wurden zu einem großen Teil schwierige Personalsituationen in den Abteilungen beschrieben. Der Kommentar eines Chefarztes gibt exemplarisch die Stimmung vieler der Antwortenden wieder: „Das Personalproblem in unserer Klinik ist eines der Top-3-Probleme das ich habe und das mich zeitlich mehr in Anspruch nimmt, als jede andere Fragestellung“.

Um dem Ärztemangel in O und U entgegenzutreten, müssten zum einen allgemeine Probleme des Medizinermangels angegangen werden, zum anderen muss rechtzeitig unter den Studierenden das Interesse und Begeisterung für eine Laufbahn in O und U gesteigert werden.

Hinsichtlich des allgemein zunehmenden und eingangs beschriebenen Ärztemangels geht die Bundesärztekammer davon aus, dass die Anzahl der Medizinstudienplätze um mindestens 3000 (bis zu 5000) Plätze gesteigert werden sollte [3].

Dabei besteht allerdings das Problem, dass die Bundesländer für die deutlich vermehrten Kosten der zusätzlich einzurichtenden Medizinstudienplätze aufkommen müssten. Entsprechend einer Aussage des Bundestages betragen diese mindestens 170000 € für ein abgeschlossenes Studium der Humanmedizin [10]. Somit ist fraglich, ob wir in den nächsten Jahren hier eine entscheidende Steigerung sehen werden.

Um den Ärztemangel abzufangen, integriert das deutsche Gesundheitssystem seit Jahren zunehmend Ärzte aus dem Ausland. Im Jahr 2021 betrug der Anteil ausländischer Ärzte 57200 [11]. Auch in mehr als ⅔ der O- und U-Kliniken arbeiten Kolleginnen und Kollegen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben. Dennoch zeigt sich, dass trotz der breitflächigen Integration ein relevanter ärztlicher Personalmangel in den O- und U-Kliniken besteht.

Neben einer Steigerung der Anzahl ausgebildeter Medizinerinnen und Mediziner müssen die Arbeitsbedingungen insbesondere in den Krankenhäusern durch Bürokratieabbau (z. B. Digitalisierung), Reduktion der Arbeitsbelastung (z. B. Dienstbelastung), Verbesserung der Weiterbildungsmöglichkeiten und ggf. Anpassung der Vergütung optimiert werden, um möglichst viele Ärztinnen und Ärzte in Vollzeit (oder möglichst langer Wochenarbeitszeit) zu halten.

Nach Untersuchungen von Marktforschern gehen viele angehende Medizinerinnen und Mediziner davon aus, dass in der Klinik wenig Freizeit (61%), ein starker ökonomischer Druck (68%) und eine hohe Arbeitsbelastung vorherrschen (78%). Für einen Großteil kommt deshalb auch eine Tätigkeit im Bereich Chirurgie bzw. O und U nicht infrage [12].

Unter den schwierigen aktuellen Bedingungen bleibt für O und U neben der Einforderung einer Anhebung der Studienplatzanzahl und einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen trotz allem nur die Möglichkeit, durch eine attraktive Lehre die Begeisterung für eine Facharztausbildung in O und U zu erhöhen.

Diesbezüglich zeigt sich allerdings, dass während des Studiums das Interesse an einer späteren chirurgischen Tätigkeit deutlich abnimmt. Bei einer Evaluation zum Richtungsentscheid bei Studierenden der Medizin an der Universität Würzburg mit 465 Teilnehmern konnte die Arbeitsgruppe um Sarah König aufzeigen, dass eine Tätigkeit im Gesamtbereich der Chirurgie zunächst für 30% der Studierenden infrage kommt [13]. Allerdings fand sich eine signifikante Abnahme des Interesses zum Ende des Studiums (nach dem Praktischen Jahr [PJ]). Während des Studiums ging zunächst das Interesse bei den Studentinnen verloren, bei den männlichen Kollegen ging das Interesse vor allem nach dem PJ zurück [13].

Gleichermaßen konnte Michael Frink an der Universität Marburg aufzeigen, dass unter 613 befragten Studienanfängern 55% eine Facharztausbildung in einem chirurgischen Fach erwogen. Zum Ende des Studiums fiel der Anteil dann auf 14% Studentinnen und Studenten mit Interesse an einem chirurgischen Fach ab [14].

Als relevante Inhalte für eine Entscheidung zu einer chirurgischen Tätigkeit werden von den Studienanfängern die sichtbaren Erfolge (85%), die manuelle Herausforderung (67%) und die Weiterbildungsinhalte (47%) benannt. Nach dem PJ werden dann aber lange Arbeitszeiten (41%), Zeitmangel (z. B. für die Familie; 36%) und ein hoher Verwaltungsanteil (40%) als Gründe für eine Entscheidung gegen ein chirurgisches Fach angegeben [14].

Mit Blick auf den Zeitpunkt, wann sich Studierende der Medizin für eine Fachrichtung entscheiden, war vor allem die Zeit während des Studiums (bei 34% der Befragten) und dem PJ (57%) von Bedeutung. Was zum einen die Bedeutung der Lehre, aber auch das Erleben in der klinischen Routine im PJ hervorhebt. Im Laufe des Studiums spielt außerdem die Work-Life-Balance eine zunehmend starke Rolle [13].

Besonders problematisch ist diese Entwicklung deshalb, weil der zunehmende Mangel an Fachärzten in O und U in den nächsten Jahrzehnten auf eine ansteigende Zahl an Patienten mit Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungsapparates trifft. Dieser Anstieg begründet sich in der demografischen Entwicklung unseres Landes und betrifft sowohl die degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates als auch die osteoporoseassoziierten Frakturen [15] [16]. So steigerte sich bspw. bereits die Inzidenz von proximalen Femurfrakturen von 2008 gegenüber 2018 um 8% [17]. Zusätzlich muss davon ausgegangen werden, dass bei zunehmender Alterung der Gesellschaft auch die Schwere der Zusatzerkrankungen ansteigen wird, was zu einer weiteren Belastung des Gesundheitssystems führen wird [17].

Selbstverständlich sind damit einhergehend auch für den Bereich der ambulanten Versorgung und der konservativen Therapie deutliche Behandlungssteigerungen zu erwarten.

Um der Entwicklung eines zunehmenden Facharztmangels an O- und U-Kliniken entgegenzuwirken, muss unmittelbar gehandelt werden. Hier sind insbesondere die ausbildenden universitären Abteilungen, aber auch die Lehrkrankenhäuser und -praxen gefragt, durch eine attraktive Lehre das Interesse und die Begeisterung für das Fach zu wecken. Dabei steht eindeutig fest, dass O und U eine ganze Reihe von Möglichkeiten bietet, um im Studium die Attraktivität des Faches wie bspw. die spannende Verknüpfung von manuellen und intellektuellen Anforderungen, abzubilden.

Es gilt dabei aber immer zu berücksichtigen, dass die Lehre und das Vorbild derer, die die Fachrichtung verkörpern, einen erheblichen (positiven wie negativen) Einfluss auf den Fachrichtungswunsch haben. Trotz der vielfältigen Möglichkeiten digitaler Medien darf nicht vergessen werden, dass die arbeitsplatzbasierte Ausbildung eine sehr wichtige Bedeutung für die Berufswahl hat. Nur hier können die Studentinnen und Studenten erleben, welche persönlichen Konsequenzen diese Entscheidung für das spätere (Berufs-)Leben mit sich bringt. Die Studierenden nehmen dabei entscheidende Faktoren wahr, die abgesehen von der fachspezifischen Behandlung eine sehr hohe Bedeutung für die Berufswahl haben. Hierzu gehören ein kooperativer Führungsstil, eine flexible Arbeitskultur, ein gutes Teamklima, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und eine hohe Diversität am Arbeitsplatz. Neben der guten medizinischen Versorgungsqualität gehören eine strukturierte Weiterbildung, mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur, Mentoring, Feedbackgespräche, Unterstützung beim Erwerb von Zusatzqualifikationen, flexible Arbeitszeiten (Kitas, Elternzeit etc.) zu den Faktoren, die für Studierende eine sehr große Bedeutung haben.

Leider gelingt es in den O- und U-Kliniken nicht immer, ein solches positives Bild zu vermitteln. Eine Umfrage zur Arbeitssituation unter Assistenzärzten aus O und U zeigt, dass mehr als 70% der Befragten mehr als 5 Bereitschaftsdienste pro Monat absolvierten. Geregelte Arbeitszeiten gaben nur 13% der Befragten an. Weitere Kritikpunkte waren, dass ein Drittel der Arbeitszeit aus patientenferner Tätigkeit bestand und nur bei 16% der Kliniken ein Weiterbildungskonzept vorlag. Insgesamt konnten nur 58% der Ärzte in Weiterbildung das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie weiterempfehlen [18].

Problematisch ist dabei, dass die angehenden Ärztinnen und Ärzte das chirurgische Fach wählen, weil sie operativ tätig sein wollen. Während arztfremde Tätigkeiten immer weiter zunehmen (je nach Erhebung bis zu 50%), nimmt aber die Möglichkeit, operativ ausgebildet zu werden, immer mehr ab. Insbesondere die gesetzlich vorgeschriebene Reduktion der Arbeitszeit definiert den zeitlichen Rahmen, in dem ausgebildet werden kann. Während die fortschreitende Spezialisierung die Effekte z. T. abfederte, ist eine breite Ausbildung des Faches unter den aktuellen Rahmenbedingungen immer schwieriger geworden. Diese Rahmenbedingungen werden von den Studentinnen und Studenten während des Studiums, aber vor allen im PJ sehr wohl wahrgenommen.

Die Erwartungen an Abteilungen mit Verantwortung in der studentischen Ausbildung sind hoch. Schließlich gilt es heute mehr denn je, nicht nur das prüfungsrelevante Fachwissen zu vermitteln, sondern auch bei möglichst vielen angehenden Kolleginnen und Kollegen die Begeisterung für das Fach O und U zu wecken. An vielen Ausbildungsstandorten befindet man sich damit in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite soll eine qualitativ hochwertige, zügige und wirtschaftliche Krankenversorgung bei meist knappen Personalressourcen erfolgen. Auf der anderen Seite soll eine motivierende und vor allem eine, hinsichtlich des „Role Models“ der/des beruflich zufriedenen Ärztin/Arztes, begeisternde Lehre durchgeführt werden.

Auch wenn in universitären Einrichtungen die Bewerberlage besser ist (nur 37% haben offene Stellen), sollten diese Abteilungen berücksichtigen, dass der Nachwuchs auch für alle anderen Kliniken und Praxen generiert werden muss.

Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie hat sich deshalb gemeinsam mit dem Konvent der Universitätsprofessoren von Orthopädie und Unfallchirurgie (KLOU) zum Ziel gesetzt, neben den bestehenden Förderprogrammen (Tag der Studierenden; Summerschool) die studentische Ausbildung mit dem Ziel einer Steigerung der Begeisterung für unser Fach zu unterstützen.

Dazu gehören die Bereitstellung besonderer ausgewählter Lehrkonzepte aus O und U, die finanzielle und inhaltliche Unterstützung bei der Gestaltung von Wahlfächern aus O und U und die Erarbeitung eines Mentoring-Programms. Gefragt sind aber nicht nur die Universitäten, sondern alle in O und U tätigen Ärzt*innnen, die mit Studierenden in Kontakt kommen, um die einmalige Chance zu nutzen, diese für unser Fach zu begeistern.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Steffen Ruchholtz
Klinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinik Marburg
Baldingerstraße
35033 Marburg
Deutschland   

Publikationsverlauf

Eingereicht: 23. Januar 2023

Angenommen: 24. März 2023

Artikel online veröffentlicht:
30. August 2023

© 2023. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

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Abb. 1 Einordnung der Krankenhäuser.
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Abb. 2 Verteilung der antwortenden Kliniken nach den ersten 2 Stellen der Postleitzahlen.
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Abb. 3 Einschätzung der Bewerbersituation.
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Fig. 1 Classification of hospitals.
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Fig. 2 Distribution of responding clinics according to the first 2 digits of the postcode.
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Fig. 3 Assessment of the applicant situation.