Z Sex Forsch 2023; 36(03): 185-187
DOI: 10.1055/a-2114-2701
Buchbesprechungen

Give a Fck. Zwischen Sexualität, Tabu und Selbstbestimmung – Warum Sexarbeit uns alle etwas angeht

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Catrin Altzschner. Give a Fck. Zwischen Sexualität, Tabu und Selbstbestimmung – Warum Sexarbeit uns alle etwas angeht. München: &Töchter. 240 Seiten, EUR 20,00

Catrin Altzschner, Hörfunkmoderatorin und Autorin mit einem Magister in Germanistik und Geschichte, schreibt ein Buch über Sexarbeit, in dem sie nicht nur über Sexarbeit schreibt, sondern auch Sexarbeitende selbst sprechen lässt. Das Buch „Give a Fck. Zwischen Sexualität, Tabu und Selbstbestimmung – Warum Sexarbeit uns alle etwas angeht“ ist 2022 im Verlag &Töchter erschienen und ist ein erzählendes Sachbuch, in dem neben Wissenschaftskommunikation, autobiografischer Prosa der Autorin und Expert*innenstimmen auch Porträts von Protagonist*innen aus der Praxis Platz finden.

In 16 Kapiteln legt die Autorin eine Auseinandersetzung vor, die Sexarbeit als Begriff bespricht, sie historisch einordnet, Wissenstransfer zu aktuellen Forschungsergebnissen leistet und entlang von Fallbeispielen und Interviews verschiedene Perspektiven auf Sexarbeit umreißt.

Thematisch handelt die Autorin unter anderem Geschlecht und Geschlechterrollen, Pornografie, Stigma, Hierarchien und Machtgefälle innerhalb der Sexarbeit, Täter-Opfer-Diskurse, Gesundheit, strukturelle und gesellschaftliche Aspekte, wie Organisation, Rechtslage, Armut und Menschenhandel bis hin zu Sexualassistenz ab. Das Buch beleuchtet das Thema Sexarbeit aus verschiedenen Positionen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche – vom Sugargirl über (männliche) Dominas, Pornografie, Escortservices, Bordelle und der Arbeit auf der Straße bis hin zu Überlegungen dazu, wo Sexarbeit eigentlich anfängt und inwiefern nicht alle schon einmal Intimität gegen monetäre Werte getauscht haben.

Stilistisch kombiniert die Autorin Fakten und Forschungsstand mit Passagen, in denen die Sexarbeiter*innen ihre Geschichten erzählen und politische oder persönliche Standpunkte erläutern. Darüber hinaus kontrastiert sie ihre Erkenntnisse und Erlebnisse bei der Recherche und den Interviews zum Buch mit ihrer eigenen Lebenserfahrung und der milieuspezifischen Position als Frau in der Gesellschaft – inklusive deutlicher Worte und Kraftausdrücke. Damit werden Leser*innen auf eine Reise durch die Sexarbeit genommen, in der aufgeklärt, Emotionales geteilt und manche provokante Frage gestellt wird.

Das Buch fängt einige aktuelle Stimmen von Sexarbeitenden und Interessenvertreter*innen ein, die derzeit im öffentlichen Diskurs, in Social Media oder den Medien sichtbar oder aber politisch, zum Beispiel im Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V. (BesD), aktiv sind. Dazu zählen Harriet Langanke, Paulita Pappel, Master André, Sarah Mewes und Lady Kali. Darüber hinaus werden auch Sexarbeitende beteiligt, die ansonsten im Diskurs leise und mitunter unsichtbar bleiben. So bekommt eine in der Sexarbeit tätige Mutter aus Osteuropa eine Stimme, deren Tochter in der Heimat Rumänien wohnt, während sie der Sexarbeit in Deutschland nachgeht, um auf diese Weise für ihre Familie zu sorgen. Aber auch Anna, die ehemalige Sozialarbeiterin, Nicole, die auf der Straße der Sexarbeit nachgeht, und Nina de Vries, die in der Sexualassistenz arbeitet, sind Teil des Dialogs.

Die Autorin verortet Sexarbeit im Spannungsfeld von gesellschaftlichen und sozialen Zuständen, geschichtlicher Urwüchsigkeit und Moralisierung und nimmt wiederkehrend die Perspektive auf Sexarbeit als emanzipierten und emanzipierenden Akt ein, den die Gesellschaft als Arbeit (endlich) respektieren und bei dem sie für alle Beteiligten Verantwortung übernehmen soll. Tendenziell kritisch verhandelt die Autorin politische Positionen wie die PorNO-Kampagne von Alice Schwarzer oder auch Ansätze, die Sexarbeit verbieten wollen. Inwiefern das Nordische Modell eine Lösung bieten kann, wo nicht das Anbieten von Sexarbeit, wohl aber der Kauf der Leistung verboten sein soll, wird kontrovers diskutiert. Immer wieder nimmt die Autorin eine gesellschaftskritische Haltung ein, zum Beispiel, wenn sie überlegt, wie der Arbeitsmarkt für manche Sexarbeitende gar keine Alternative bieten kann– durch Arbeitsbedingungen, durch Niedrigstlöhne, durch Diskriminierung und strukturelle Enge. Das Stigma der Sexarbeit kommt dann noch zusätzlich erschwerend dazu, mit sozialen und individuellen Folgen.

Dahingehend erläutert die Autorin, inwiefern strukturelle Benachteiligung ganz aktuell greift, zum Beispiel in Bezug auf Anlaufstellen für Menschen in der Sexarbeit, politische Maßnahmen wie Registrierungszwang, Sprachbarrieren, Misstrauen durch unklare Rechtslagen und die jeweilige Bedeutung für die Betroffenen. Betroffene sind als Folge aktueller Lebens-, Arbeits- und Teilhabebedingungen psychisch belastet, von Krankheit bedroht und sie werden in der Gesellschaft generell wenig mitgedacht. Diskriminierung und auch gegenläufige Effekte von Maßnahmen hingegen werden hingenommen, mitverursacht oder verstärkt – und das trotz des Wissens um die Vulnerabilität, die sozialer Ausschluss und strukturelle Diskriminierung verursachen. Ganz konkret wurden beispielsweise Sexarbeitende in der Pandemie von Arbeit und Wohnraum verdrängt und Versuche der Existenzsicherung verstärkt kriminalisiert. Trotz politischer Interessenvertretungen gab es wenig Unterstützung und kaum Sichtbarkeit. Generell konkludiert die Autorin, dass Sexarbeit und Sexarbeitende marginalisiert, pathologisiert und kriminalisiert werden. Die Gesellschaft schließt aus und urteilt, anstatt zu fragen, zu explorieren und verstehen zu wollen.

Das Buch greift dies auf und stellt Fragen, die alle betreffen sollen. Nicht nur wegen der Beispiele von unauffälligen und netten Familienvätern, die auch Sexarbeit in Anspruch nehmen oder anbieten. Sondern auch durch die Frage, wo Sexarbeit eigentlich anfängt. Dazu nutzt die Autorin ihre eigene Position im öffentlichen Diskurs als Moderatorin des Podcasts “Intimbereich” und als Frau, die Sex hat. Berührend und emotional überlegt sie, wann sie oder ihre Freundinnen eigentlich schon mal Sex hatten, der eher in Tauschgeschäft war, und inwiefern sie immer mit dem angeblichen Herzen dabei war und was das eigentlich bedeutet, wenn dies nicht der Fall ist. Diese Offenheit lädt zum Reflektieren ein. Hat man nicht schon einmal Sex eingesetzt, um (wirtschaftliche) Vorteile zu bekommen? Weil es im Gegenzug zu ökonomischen Sachlagen erwartet wurde? Um den Job zu behalten? Weil das Dinner so teuer war? Die Autorin arbeitet sich an diesen Fragen entlang ihres Milieus, ihrer Herkunft, ihrer jetzigen Beziehung, dem Moment des Schreibens des Buches in einem kleinen Dorf, wo sie sich ein wenig entfremdet fühlt, ab. Sie beschreibt, wie sie bemerkt, dass es die Menschen beschäftigt, dass dort eine jüngere Frau ganz allein über Wochen sitzt und schreibt. Nur manchmal kommt ihr Lover zu Besuch. Da wird deutlich, dass alles um Sexarbeit vielleicht schon ganz allgemein mit der Objektifizierung der Frau, dem Patriarchat und Organisieren von Gesellschaft und Rollen anfängt.

So gelingt es der Autorin, Fragen für die Leser*innen unbeantwortet zu lassen und Ambivalenzen aufzuzeigen, und sie lädt ein, diese mit ihr auszuhalten. Dies ist eine besondere Stärke des Buches, die den aktuellen Polarisierungen entgegenwirken könnte – wir müssen nicht entscheiden und generalisieren, ob wir Sexarbeit als Befreiung oder Unterdrückung und subjektive Not sehen, stattdessen sind wir eingeladen, situativ und individuell hinzuschauen und zu differenzieren. Wo die Autorin hingegen keinen Zweifel lässt, ist, dass es unbedingt ansteht, sozialer und struktureller Benachteiligung sowie dem Wegschauen und Tabuisieren rund um Sexarbeit entgegenzuwirken und Moralisierungen hinter uns zu lassen.

Dem Untertitel “Zwischen Sexualität, Tabu und Selbstbestimmung“ wäre vielleicht noch hinzuzufügen “und subjektiver Not”, um dem Anschein entgegenzuwirken, dass es sich um eine einseitige Perspektive handelt, da das Buch mehr leistet.

Insgesamt liefert das Buch einen differenzierenden Beitrag zum polarisierten und polarisierenden Diskurs, der einlädt hinzuschauen, Fragen zu stellen und einen Dialog fortzusetzen, bei dem die praktisch Beteiligten selbst mitreden – das klingt nach einem minimalen Anspruch, der aber bisher weitreichend unerfüllt blieb.

Johanna L. Degen (Flensburg)



Publication History

Article published online:
12 September 2023

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