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DOI: 10.1055/a-2126-5916
Erdnuss-Allergie
Peanut allergyDie Erdnuss (Arachis hypogaea) gehört zwar zur Pflanzenfamilie der Hülsenfrüchte, hat sich aber im Gegensatz zur Erbse oder Bohne zu einer echten Nuss fortentwickelt. Die englische Bezeichnung peanut, wörtlich übersetzt Erbsen-Nuss, weist unverblümt auf diese botanische Verwandtschaft hin. Erdnüsse gedeihen im Erdreich (daher der Name) und die Frucht bzw. der Samen befindet sich am Ende der Reifezeit innerhalb einer vollständig verholzten Schale. Die frisch geernteten Nüsse (weltweit bedeutendste Exportnation sind die Vereinigten Staaten, größter Produzent ist China) werden umgehend getrocknet, was ihren Wassergehalt von 40% auf ca. 5–10% verringert. Erdnüsse verdanken ihren Stellenwert in der Ernährung u.a. dem Gehalt an pflanzlichem Eiweiß und Öl, sowie wichtigen Mineralstoffen, wie Magnesium und Kalium.
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Rohe Erdnüsse schmecken ähnlich wie Bohnen, sind aber schlecht verdaulich, können Blähungen und Bauchschmerzen verursachen; aufgrund ihres hohen Wassergehalts neigen sie darüber hinaus zur Verderbnis durch Schimmelpilzbefall. Sie werden daher meist erst nach gründlicher Trocknung und zusätzlichem Kochen (in Asien) oder Rösten (in Nordamerika und Europa) verzehrt. Neben stark getrockneten bis gerösteten Erdnüssen, entweder noch in der Schale oder bereits geschält und leicht gesalzen (Knabberartikel)([Abb. 1]), sind Erdnussflips und Erdnussbutter weitere bekannte Erdnusserzeugnisse. Erdnüsse werden besonders in der asiatischen Küche viel verwendet, in Europa sind sie eine häufige Zutat in Süß- und Backwaren.
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Als mögliches Allergen wirkende, empfindliche Erdnussproteine, wie das Ara h 8 (sekundäre Erdnuss-Sensibilisierung durch Kreuzreaktion mit Birkenpollen), werden allein durch Trocknung, erst recht durch längere Einwirkung von Hitze, wie Kochen oder Rösten, weitgehend zerstört.
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Bei einer primären Erdnuss-Allergie kann das Gegenteil beobachtet werden, dass Hitze, besonders Rösten, überraschenderweise die Schwellendosis für eine allergische Reaktion senkt und sich damit für den Erdnussallergiker negativ auswirkt. Das Rösten führt zu Zusammenballungen (Aggregaten) von Proteinen, die dann aus mehreren, hitzestabilen Allergenen (Ara h 2, Ara h 6) mit dicht nebeneinanderliegenden Epitopen bestehen können, was wiederum Ara h 2/Ara h 6-spezifisches IgE auf Mastzellen besonders wirkungsvoll kreuzvernetzen kann.
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Die Erdnuss-Allergie ist in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen die häufigste Ursache für eine durch Nahrungsmittel ausgelöste Anaphylaxie. Aber auch im Erwachsenenalter zählt die Erdnuss zu den acht führenden Nahrungsmitteln, die eine IgE-vermittelte anaphylaktische Reaktion verursachen (die sog. big eight).
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Der Prävalenz fällt in verschiedenen Weltgegenden ziemlich unterschiedlich aus, außerdem zeigen die in Studien veröffentlichten Zahlen eine recht breite Streuung. In Nordamerika und Großbritannien wird die Prävalenz auf 1–2% geschätzt, für Australien werden ca. 3%, für Mitteleuropa 0,2–0,7% angegeben, in Asien sollen nur <0,1% betroffen sein.
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Die primäre (und damit nicht durch eine Kreuzreaktion mit Pollen bedingte) Erdnuss-Allergie stellt wahrscheinlich die häufigste Ursache für eine schwer (bis sogar tödlich) verlaufende, durch ein Nahrungsmittel ausgelöste Anaphylaxie dar. Unter allen Sensibilisierten gelten Kleinkinder mit stärker ausgeprägtem atopischen Ekzem sowie Kinder und Jugendliche mit nicht ausreichend kontrolliertem Asthma als besonders gefährdet, mit einer schweren Anaphylaxie zu reagieren.
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Sensibilisierung und allergische Reaktion
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Für eine Erdnuss-Allergie mit Anaphylaxie, sowohl im Kindesalter als auch bei Erwachsenen, sind in aller Regel Speicherproteine verantwortlich zu machen ([Tab. 1]). Ein solches Sensibilisierungsmuster ist Ausdruck einer primären Erdnuss-Allergie, die von einer sekundären Erdnuss-Allergie abzugrenzen ist, welche durch eine Kreuzreaktion mit Pollenallergenen verursacht wird und eher bei Erwachsenen auffällt. Die primäre Erdnuss-Allergie kann als Paradebeispiel einer länger anhaltenden (persistierenden) Form einer Nahrungsmittelallergie im Kindesalter angesehen werden, nur bei maximal 20% der Kinder setzt nach mehreren Jahren doch noch eine Immuntoleranz ein.
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Eine direkte Sensibilisierung über den Magen-Darm-Trakt könnte im Säuglingsalter mit einer nicht ausgereiften Barrierefunktion der Darmschleimhaut und/oder einer noch nicht vollkommen wirksamen oralen Immuntoleranz zusammenhängen. Weiterhin ist eine Sensibilisierung durch direkten Kontakt von Erdnüssen mit ekzematös veränderter Haut (an den Fingern oder im Lippenbereich) oder entzündeten Atemwegsschleimhäuten denkbar (über mehlartigen „Staub“ aus einer Erdnusspackung).
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Zu den für eine primäre Erdnuss-Allergie verantwortlichen (primären) Erdnuss-Allergenen gehören v.a. Speicherproteine, das 7S-Globulin (Ara h 1), die 2S-Albumine (Ara h 2, 6, 7) und die 11S-Globuline (Ara h 3, 4) ([Tab. 1]). Zurzeit gelten die 2S-Albumine Ara h 2 und Ara h 6 (die eine ähnliche Aminosäuresequenz aufweisen) als die wichtigsten Markerallergene für eine durch Erdnuss ausgelöste Anaphylaxie.
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Eine anaphylaktische Reaktion auf Erdnüsse tritt üblicherweise innerhalb von wenigen (5–10) Minuten nach Verzehr auf und kann durch zusätzliche Einwirkungen (Kofaktoren), wie stärkere körperliche Belastung oder Verzehr einer großen Menge auf nüchternen Magen, erheblich verstärkt werden. In einem Fall mit unkontrolliertem Asthma kann neben den anderen typischen Anzeichen einer Anaphylaxie ein akuter Bronchospasmus im Vordergrund des Symptomspektrums stehen.
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Ein aerogener bzw. inhalativer Kontakt mit Erdnussallergenen, z.B. Belastung der Atemluft mit aufgewirbeltem Erdnussstaub während des Öffnens einer Erdnusspackung, kann im Fall einer starken Sensibilisierung neben Niesattacke und Naselaufen auch einen akuten Bronchospasmus verursachen, mit Husten, Engegefühl im Brustbereich und Kurzatmigkeit bis hin zu Atemnot.
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Das Lipidtransferprotein Ara h 9 wurde ebenfalls für eine Anaphylaxie auf Erdnüsse verantwortlich gemacht, vor allem im Mittelmeerraum. Dabei könnte auch eine Kreuzreaktion nach primärer Sensibilisierung gegen das Pru p 3 des Pfirsichs eine Rolle spielen.
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Nach Plasmatransfusion, nach einer Transplantation von Stammzellen oder einer Leber wurde in Einzelfällen eine vorübergehende oder sogar anhaltende sog. passive Erdnuss-Allergie beschrieben, die wahrscheinlich mit Erdnussallergen-spezifischem IgE, CD4+-TH2-Lymphozyten oder IgE+-B-Lymphozyten übertragen wurde.
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Das Bet-v-1-homologe Allergen Ara h 8 ist ein Marker für eine durch Kreuzreaktion mit Birkenpollen bedingte, sekundäre Erdnuss-Sensibilisierung, die v.a. bei Erwachsenen festgestellt wird.
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Gegen Ara h 8 sensibilisierte Patienten in Europa und Nordamerika bemerken nach Verzehr von Erdnüssen meist keinerlei Beschwerden, nur einzelne können von einer leichten Reaktion im Mundbereich berichten, einem oralen Allergie-Syndrom z.B. nach Genuss einer größeren Menge an Erdnüssen.
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Dieser offensichtliche Gegensatz der sekundären Erdnuss-Sensibilisierung zu anderen Formen einer sekundären Nahrungsmittelallergie, z.B. auf frische Äpfel oder rohe Haselnüsse, lässt sich gut erklären. In Europa und Nordamerika sind nur stark getrocknete bis geröstete (in Asien vor allem gekochte) Erdnüsse für den Verzehr verfügbar, entweder direkt (noch in der Schale oder bereits geschält), als Teil von Nussmischungen, als weiterverarbeitete Erdnussprodukte usw.
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Diagnostik
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Ein positiver Pricktest mit z.B. einer Suspension aus Erdnussmehl erlaubt keine Unterscheidung zwischen einer durch Kreuzreaktion mit Pollen verursachten (sekundären, Ara h 8-positiven) Sensibilisierung und der primären (Ara h 2- und Ara h 6-positiven) Erdnuss-Allergie – eine stärkere Testreaktion mit einer >10mm großen Quaddel spricht allerdings eher für eine primäre Erdnuss-Allergie.
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Die Bedeutung der serologischen Diagnostik mit Einzelallergenen wurde in vielen Studien belegt, nur damit kann das Sensibilisierungsmuster einer primären sicher von dem einer sekundären Erdnuss-Allergie abgegrenzt werden ([Tab. 1]).
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Die Diagnose einer primären Erdnuss-Allergie wird besonders durch IgE gegen Ara h 2 und/oder Ara h 6 untermauert.
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Neuere Untersuchungen an Kindern mit Verdacht auf Erdnuss-Allergie errechneten für ein Ara h 2-spezifisches IgE von ≥42 kUA/L eine 95%ige Wahrscheinlichkeit einer positiven (anaphylaktischen) Provokationstestung. Ein derart hoher Wert wird aber nur selten gemessen (bei maximal 10% der Kinder) und ist als Grenzwert daher wenig hilfreich.
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In einer älteren Studie errechnete sich aus einem Erdnuss-spezifischen-IgE (Erdnuss-Gesamtextrakt, keine Einzelallergene) von ≥5 kUA/L ein positiver prädiktiver Wert von >95% hinsichtlich einer positiven (anaphylaktischen) Reaktion auf einen Provokationstest. Ein solcher Grenzwert mag als grobe Richtschnur dienen, ist aber von der untersuchten Fallserie und anderen Studiendetails abhängig, er kann nicht ohne weiteres verallgemeinert werden.
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IgE gegen Ara h 8 spricht für eine sekundäre, durch eine Kreuzreaktion mit Birkenpollen bedingte Sensibilisierung, die in aller Regel klinisch unbemerkt bleibt, da in Europa und Nordamerika keine rohen, sondern nur stark getrocknete bis geröstete Erdnüsse direkt verzehrt oder weiterverarbeitet werden.
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Beratung und Behandlung
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Die Empfehlung des Allergologen, den Verzehr von Erdnüssen zu vermeiden, kann von den Betroffenen und/oder seinen Eltern nicht immer erfolgreich umgesetzt werden. Nach einer aus Studiendaten abgeleiteten (eher pessimistischen) Schätzung erleben 50% der Kinder (<14. Lebensjahr) innerhalb von 2 Jahren nach der Diagnose erneut eine allergische Reaktion durch unbeabsichtigten Kontakt mit Erdnüssen. Die Verordnung von Notfallmedikamenten zur Selbstbehandlung, in erster Linie eines Adrenalin-Autoinjektors, gehört nach der Diagnose einer primären Erdnuss-Allergie bei Kindern und Erwachsenen zur Versorgungsroutine.
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Patienten mit primärer Erdnuss-Allergie (IgE gegen die stabilen Speicherproteine/Einzelallergene Ara h 2 und Ara h 6) und anaphylaktischer Reaktion sollten Erdnüsse strikt meiden, selbstverständlich auch Erdnusserzeugnisse, wie Erdnussflips (Maisprodukt mit ca. 20–30% Erdnussanteil) und Erdnussbutter (Masse aus gemahlenen Erdnüssen und pflanzlichen Ölen. Lebensmittel mit dem Hinweis „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ sollten sicherheitshalber ebenfalls gemieden werden, insbesondere sog. Snacks, wie Schoko-/Getreideriegel oder Knabberartikel, aber auch Süßwaren, wie Pralinen, Schokolade, Nougat, Karamell-haltige Produkte, Speiseeis usw. Vorsicht ist v.a. im Umfeld von asiatischen (chinesischen, thailändischen) und mexikanischen Küchen angebracht, weil hier Erdnüsse ganz besonders häufig verwendet werden.
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Die Lebensmittel-Informationsverordnung der EU hat 2014 die deutsche Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung ersetzt und hilft dem Erdnussallergiker, Erdnuss-haltige Produkte zu vermeiden. Diese Kennzeichnungspflicht für Erdnüsse wird bisher nur für an Endverbraucher abgegebene Fertigpackungen umgesetzt. Eine Kennzeichnung auch offen zubereiteter Speisen, lose verkaufter oder angebotener Lebensmittel, z.B. Gemeinschaftsverpflegung (Kantine), Restaurantbesuch, Catering/Buffet, Festzelt, Grillfest, Imbissbude, Thekenverkauf usw. wäre wünschenswert, stößt aber an Grenzen der Machbarkeit, man denke nur an Grillfeste oder private Einladungen.
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Raffiniertes Erdnussöl in hoher Qualität bzw. Reinheit wird von fast allen Patienten mit primärer Erdnuss-Allergie problemlos vertragen. Wegen unterschiedlicher Produktionsverfahren, z.B. ausschließliches Kaltpressen oder zusätzliches Extrahieren (um aus dem Presskuchen auch noch letzte Ölreste zu gewinnen) sollte ein stärker sensibilisierter Patient (mit Krankengeschichte einer schweren Anaphylaxie) trotzdem auch Erdnussöl sicherheitshalber meiden.
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Ein Patient mit primärer Erdnuss-Allergie kann nur dann allergisch (anaphylaktisch) reagieren, wenn die verzehrte Menge an Erdnussprotein/-allergen oberhalb eines bestimmten Grenzwerts liegt bzw. eine gewisse Schwelle übersteigt; diese sog. Schwellendosis kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ausfallen.
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Die Gefahr einer (schweren) Anaphylaxie bereits auf geringste Mengen an Erdnussprotein (im Bereich von wenigen µg) wird aus einem – durchaus verständlichen – Sicherheitsdenken heraus oftmals überschätzt. In Einzelfällen einer primären Erdnuss-Allergie – meist verbunden mit Hinweisen auf eine besonders starke Sensibilisierung, wie vorherige schwere Anaphylaxie und hohe Allergen-spezifische IgE-Werte – kann es tatsächlich bereits nach dem Verzehr einer relativ geringen Menge, im Bereich von ca. 100 µg bis 1 mg Erdnussprotein, zu einer allergischen Reaktion kommen. Berichte und Veröffentlichungen über derartige spektakuläre Fälle mit Anaphylaxie auf „Spuren von Erdnüssen“ sind für Fachkreise fraglos von Interesse und helfen, das Risikobewusstsein zu schärfen.
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Für die Mehrheit der Erdnussallergiker mit vergleichsweise größerer Schwellendosis, die üblicherweise im Bereich von 100 mg bis einem halben oder sogar ganzen Erdnusskern (250–500 mg) liegt, sind diese Berichte ohne praktische Bedeutung. Eine Überschätzung und Überbetonung der Gefahr durch „Spuren von Erdnüssen“ seitens des behandelnden Allergologen (oder des Betroffenen selbst) kann Sorgen und Ängste weiter verstärken. Ziel einer Beratung mit wirklichkeitsnaher Einschätzung des Risikos sollte sein, dass Betroffene bzw. ihre Eltern die notwendige Vorsicht walten lassen ohne gleichzeitig in übertriebene Ängstlichkeit zu verfallen.
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Über 95% der Patienten mit primärer Erdnuss-Allergie und Sensibilisierung gegen die Speicherproteine Ara h 2 und Ara h 6 zeigen keine klinische Kreuzreaktion mit anderen Hülsenfrüchten (Leguminosae) wie Bohnen oder Soja. Eine zumindest serologische Kreuzreaktion mit Lupinenmehl (Lupine/Lupinus angustifolius) scheint dagegen relativ häufig zu sein, über allergische Reaktionen wurde aber bisher ebenfalls nur selten berichtet.
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Ein Patient mit Ara-h-8- oder Ara-h-5-positiver, mit Pollen zusammenhängender (sekundärer) Erdnuss-Sensibilisierung sollte lediglich auf eine größere Menge an Erdnüssen verzichten, den Hinweis „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ muss er sicher nicht beachten. Unverarbeitete, rohe Erdnüsse sind in Europa für den Verzehr nicht erhältlich und diese gegen Hitze empfindlichen Allergene könnten nur bei unvollständiger thermischer Zerstörung eine allergische Reaktion auslösen, die zudem niemals schwer, sondern als orales Allergie-Syndrom immer leicht ausfällt.
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Die Empfehlung, im Fall einer primären Erdnuss-Allergie sicherheitshalber auch alle anderen Nüsse zu meiden, ist umstritten. Dafür spricht, dass die verschiedenen Arten von Nüssen verwechselt werden könnten und ein symptomloser Verzehr einer bestimmten Nussart unter Umständen die Risikobereitschaft steigert.
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Ein grundsätzlicher Verzicht auf alle Nüsse ist aber ernährungsphysiologisch nicht sinnvoll und bedeutet eine unnötige Einschränkung. Ein regelmäßiger Verzehr anderer Nussarten kann möglicherweise die Toleranzentwicklung gegen Nussallergene allgemein fördern, vielleicht sogar weiteren Sensibilisierungen vorbeugen.
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Falls andere, als Lebensmittel verbreitete Nüsse, wie z.B. Haselnuss, Walnuss oder Mandel, von einem primären Erdnussallergiker bisher gemieden und nicht gegessen wurden, sollte die Verträglichkeit mittels IgE-Test (Serum-IgE, Pricktest) und kontrollierter Provokationstestung überprüft werden.
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In ca. 20% der Kinder mit primärer Erdnuss-Allergie kommt es mit der Zeit, im Verlauf mehrerer Jahre, doch noch zu einer Immuntoleranz, was mit jährlichen Kontrolluntersuchungen überprüft werden kann.
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Die Entscheidung für oder gegen einen Provokationstest ist abhängig von der Krankengeschichte (berichtete Reaktion, Risikofaktoren), dem Lebensalter und einem (rückläufigen) Testergebnis.
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Nach einer vertragenen Provokation sollte der Patient, ggf. seine Eltern, ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass er ab jetzt regelmäßig Erdnüsse essen und seine Notfallmedikamente noch für ca. 1 Jahr mitführen sollte. In bis zu 10% der Fälle, besonders wenn der Betroffene trotz vertragener Provokationstestung weiterhin keine Erdnüsse isst, kann es später erneut zu einer durch Erdnuss ausgelösten allergischen Reaktion kommen.
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Erdnüsse werden praktisch auf der ganzen Welt gegessen, entweder offensichtlich als beliebter Knabberartikel oder als (mehr oder weniger versteckte) Zutat in Süß- oder Backwaren. Ein Kontakt mit Erdnüssen im täglichen Leben ist daher nie ganz sicher zu vermeiden, die Lebensqualität eines Erdnussallergikers kann durch ständige Sorge (bis Angst) vor einer unerwarteten allergischen Reaktion stark beeinträchtigt sein. Im Rahmen eines unbeabsichtigten Verzehrs besteht grundsätzlich die Gefahr einer Anaphylaxie, die abhängig vom Ausmaß der Sensibilisierung und der Menge an aufgenommenem Allergen auch schwer ausfallen kann. Daher laufen seit vielen Jahren klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit einer oralen Allergen-Immuntherapie (AIT) mit Erdnuss, einschließlich Untersuchungen zur standardisierten Aufbereitung der verabreichten Erdnussproteine.
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Im Dezember 2020 wurde eine orale AIT mit Erdnuss-Pulver in Kapseln und Beuteln für Kinder und Jugendliche mit Erdnuss-Allergie vom 4.–17. Lebensjahr von der EMA zugelassen (Wirkstoff AR101), seit Oktober 2021 ist dieses Allergenprodukt in Deutschland unter dem Handelsnamen Palforzia verfügbar (s. Fachinformation).
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Darreichungsform: 0,5 mg, 1 mg, 10 mg, 20 mg und 100 mg Erdnussprotein (entfettetes Pulver) in weißen, blauen und roten Kapsel, 300 mg Erdnussprotein-Pulver in einem Beutel (Haltbarkeit 2 Jahre)
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Art der Anwendung: Inhalt einer Kapsel entleeren (beide Enden der Kapsel vorsichtig auseinanderziehen), Beutel entlang der markierten Linie öffnen. Die gesamte Pulvermenge sollte mit einigen Löffeln eines cremigen (breiigen) Lebensmittels, z.B. Joghurt, vermischt werden. Flüssigkeiten, wie z.B. Wasser oder Saft, dürfen dagegen nicht verwendet werden. Die Einzelportionen sollten täglich mit einer Mahlzeit etwa zur gleichen Tageszeit eingenommen werden, vorzugsweise abends (mindestens 2 Stunden vor dem Schlafengehen) und nicht auf nüchternen Magen.
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Indikation: Behandlung von Patienten im Alter von 4–17 Jahren mit einer Erdnuss-Allergie. Die Anwendung kann fortgeführt werden, wenn die Patienten während der Behandlung 18 Jahre und älter werden.
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Diese orale AIT setzt sich aus drei aufeinanderfolgenden Phasen zusammen: 1. Aufdosierung, 2. Dosissteigerung und 3. Erhaltung. Sowohl die Aufdosierung als auch die erste Dosis jeder neuen Steigerungsstufe sind unter ärztlicher Aufsicht in einer Praxis oder Klinikabteilung zu verabreichen, welche die umgehende und fachgerechte Versorgung einer Anaphylaxie sicherstellen kann.
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1. Phase der Aufdosierung an einem Tag (Abstand zwischen den 5 Einzelgaben 20–30 Minuten, 60 Minuten Überwachung nach der letzten Dosis): 0,5 – 1,0 – 1,5 – 3,0 – 6,0 mg
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2. Phase der Dosissteigerung möglichst direkt am nächsten Tag nach der Aufdosierung (innerhalb von max. 4 Tagen) mit einem Abstand von 2 Wochen zwischen insgesamt 11 Stufen (die erste Dosis jeder neuen Steigerungsstufe sollte unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden; Überwachungszeit mindestens 60 Minuten; falls der Patient die erste Dosis der höheren Stufe verträgt, kann er diese für die geplanten nächsten 2 Wochen zu Hause einnehmen): 3 – 6 – 12 – 20 – 40 – 80 – 120 – 160 – 200 – 240 – 300 mg (Gesamtdauer dieser Dosissteigerung: ca. 6 Monate)
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3. Phase der Erhaltung: 300 mg Erdnussprotein täglich über mindestens 2 Jahre
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Anpassung der Dosis während der Steigerung und in der Erhaltungsphase (z.B. nach versäumter Einnahme), Warnhinweise usw.: s. Fachinformation
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Beurteilung: Zunächst gebührt diesem Allergenprodukt die Ehre des ersten, arzneimittelrechtlich zugelassenen Allergenprodukts für die AIT einer Nahrungsmittelallergie. Die Begeisterung mit der diese orale Erdnuss-AIT vorgestellt wurde, hat sich inzwischen etwas gelegt und sie wird bisher nur in wenigen Zentren eingesetzt bzw. verordnet, vor allem aufgrund des großen (Zeit-)Aufwands für Patient und betreuende Einrichtung sowie der mit ca. 50% vergleichsweise häufigen anaphylaktischen (in ca. 10% Adrenalin-pflichtigen) Reaktionen während der Phase der Dosissteigerung. Die Maßgabe, dass die Patienten – solange keine anderslautenden Daten vorliegen – während und auch nach der AIT weiterhin den Adrenalin-Autoinjektor mit sich führen sollten, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens, die (Langzeit-)Wirksamkeit ist offensichtlich noch nicht ausreichend belegt, zweitens, der Gewinn an Lebensqualität bleibt leider begrenzt, solange der Patient trotz AIT seinen Adrenalin-Autoinjektor weiterhin mit sich tragen muss.
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Seit 2019 wurden mehrere Studien zur epikutanen Immuntherapie (EPIT) mit Erdnussextrakten veröffentlicht, zuletzt (Mai 2023) wurden Kleinkinder vom 1.–3. Lebensjahr behandelt. Bei insgesamt guter Verträglichkeit bleiben die Daten zur Wirksamkeit etwas hinter den Erwartungen zurück. Die epidermale Barriere wird in diesem Lebensalter für allergene Peptide wahrscheinlich einfacher zu überwinden sein, aber die Frage, ob diese Menge ausreicht, eine anhaltende Immuntoleranz anzustoßen, steht weiter unbeantwortet im Raum. Es bleibt abzuwarten, auf welche Weise sich dieser fraglos interessante neue Ansatz einer AIT weiterentwickeln wird.
Erdnuss-Allergie
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Nachdem ein 4-jähriges Kind mit atopischem Ekzem im Kindergarten ein Stück von einem Erdnussriegel abgebissen hatte, bemerkten seine erschreckten Betreuer nach ca. 5 Minuten eine Rötung und Schwellung an den Lippen und im Gesicht, die sich zu roten Quaddeln am ganzen Körper steigerte, gleichzeitig musste das Kind mehrmals erbrechen. Bis zum Eintreffen des sofort alarmierten Notarztes hatte sich die Reaktion glücklicherweise bereits weitgehend zurückgebildet.
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Serologische IgE-Diagnostik: Gesamt-IgE: 95,2 kU/L, Nachweis von Erdnuss (Gesamtextrakt)-spezifischem IgE (18,1 kU/L), sowie IgE gegen die Einzelallergene Ara h 1 (3,2 kUA/L), Ara h 2 (25,7 kUA/L), Ara h 3 (3,1 kUA/L) und Ara h 6 (18,9 kUA/L)
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In diesem Fall mit anaphylaktischer Reaktion wenige Minuten nach einem Mundvoll Erdnussriegel kann die Diagnose allein anhand der eindeutigen IgE-Serologie gestellt werden: primäre (Ara h 2/6-positive) Erdnuss-Allergie.
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Das Kind mit Erdnuss-Allergie muss den Verzehr von Erdnüssen und Erdnuss-haltigen Lebensmitteln bis auf weiteres streng vermeiden. Der Hinweis „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ sollte insbesondere im Zusammenhang mit Snacks, Süßwaren, wie Getreideriegel, Kekse, Schokolade usw. oder Backwaren unbedingt beachtet werden. Ein Verzicht auf alle Nüsse ist aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht sinnvoll, andere Nussarten können daher weiter ohne Einschränkung gegessen werden. Steht hinter der Verträglichkeit verbreiteter Nüsse, wie Haselnuss, Walnuss oder Mandel ein Fragezeichen (weil sie vielleicht noch nie gegessen wurden), sollte der Allergologe die Verträglichkeit anderer Nussarten mittels IgE-Test (Serum-IgE, Pricktest) und kontrollierter Provokationstestung aufzeigen bzw. prüfen.
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Nicht nur die Eltern, sondern möglichst alle Bezugspersonen und Betreuer sollten sowohl die Gefahr einer Erdnuss-Allergie als auch die Anwendung der Notfallmedikamente (150-µg-Adrenalin-Autoinjektor, ab 25 kg 300-µg-Adrenalin-Autoinjektor) erklärt bekommen.
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Jährliche Kontrolluntersuchungen sind anzustreben, denn ein im Verlauf absinkender IgE-Wert kann auf eine Toleranzentwicklung hindeuten, die immerhin bei bis zu 20% der auf Erdnuss allergischen Kinder eintreten kann.
Publication History
Article published online:
17 November 2023
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