Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2023; 55(03): 125
DOI: 10.1055/a-2127-8174
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Philosophie der Palliativmedizin – Was kann die Palliativmedizin von Karl Jaspers lernen?

Bernd Alt-Epping
,
Laura Bickel
,
Thomas Fuchs

Bericht vom interdisziplinären Heidelberger Workshop, 10.01.2023

Bernd Alt-Epping, Laura Bickel, Thomas Fuchs

Worauf gründen wir in der Palliativmedizin unser Denken, unser Handeln? Wie kann das der Palliativmedizin zugrunde liegende Menschenbild (und „Therapeutenbild“) weiter durchdrungen, in Worte gebracht und so weiter nach außen getragen werden? Und können – abgesehen von den aus einer christlichen Ethik, aus einer tief empfundenen Empathie und aus dem konkreten Handeln am Patienten geprägten Impulsen von Cicely Saunders – mithilfe der Philosophie weitere konkrete Orientierungen gewonnen werden?

Aus Sicht der Philosophie, aber auch der Psychiatrie und Psychotherapie erscheinen dafür die Gedanken und das Menschenbild des Psychiaters und Philosophen Karl Jaspers (1883–1969) naheliegend. Dieser bezieht sich auf den Menschen in Grenzsituationen, in seiner existenziellen Vulnerabilität, und blickt auf ihn mit einem pluralistischen Menschenbild. Jaspers beschreibt die notwendige Auseinandersetzung des Menschen mit unausweichlichen Situationen wie Tod, Leid, Schuld oder Kampf; er betont dabei die zentrale Rolle der Kommunikation und des absoluten Mitseins, das in der Grenzsituation existenziellen Halt geben kann.

Mit keinem geringeren Vorhaben als die philosophischen Grundlagen der Palliativmedizin zu ergründen und dafür auch die Philosophie selbst zu bemühen, fand am 10.01.2023 ein interdisziplinärer Tagesworkshop der Professur für Palliativmedizin und der Karl-Jaspers-Professur der Medizinischen Fakultät Heidelberg in Kooperation mit dem Marsilius-Kolleg statt. 35 Teilnehmende und 6 Referierende ([Abb. 1]) boten einander Inspiration, Diskussion und unterschiedliche Perspektiven (auch unterschiedliches, erst noch zu lernendes Vokabular). Sie waren sich einig in der Einschätzung, dass das alltägliche Tun in der Palliativmedizin von einer methodischen Reflexion, wie sie die Philosophie bietet, eine tiefere geisteswissenschaftliche Orientierung erfahren kann ([Abb. 2]).

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Abb. 1 Referent*innen (R) und Organisation (O), v. l. n. r.: Dr. phil. habil. Olivia Mitscherlich-Schönherr (München, R), Dr. med. Maria Mouratidou (Wald-Michelbach, R), Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs (Heidelberg, R&O), Laura Bickel (Vancouver, R&O), Prof. Dr. med. Eckhard Frick (München, R), Prof. Dr. med. Bernd Alt-Epping (Heidelberg, R&O).
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Abb. 2 Diskussionsimpulse.

Inzwischen haben die Nachbereitung, Vertiefung und Fortsetzung dieses ersten Impulses begonnen, an dessen Ende hoffentlich neue Perspektiven auf die ärztlich-therapeutische Haltung eröffnet werden, sowohl in der konkreten Behandlung und Begleitung sterbenskranker Patient*innen als auch im eigenen Umgang mit Sterblichkeit und Endlichkeit. Für die Philosophie kann der analytische Blick auf die Palliativmedizin womöglich einen weiteren Abgleich des Jaspersʼschen Denkens mit der medizinischen Praxis bieten, Impulse für die zeitgenössische philosophische Forschung zu Themen wie Endlichkeit, aber auch Empathie, Hoffnung, Trauer etc. geben, und nicht zuletzt zu den aktuellen gesellschaftsethischen Diskussionen um das Thema Lebensende beitragen. Fortsetzung folgt!



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Article published online:
25 September 2023

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